Interdependency

Interdependency

Interdependency wird ein von Christoph Philipp Schließmann erarbeitetes Konzept und Instrumentarium genannt, das der Analyse, Früherkennung und Steuerung von komplexitätsbedingten Systemrisiken in Organisationen aller Art dient.

Inhaltsverzeichnis

Grundlagen und Kontext

Das Konzept ist in den Kontext der Systemlehre und Systemtheorie sowie der strategischen Unternehmensführung einzuordnen.

Vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise 2008/9/10 wird die Notwendigkeit systemischen Denkens und Handelns als wesentlicher Bestandteil der Unternehmensführung aufgezeigt und erläutert, warum und wie komplexitätsorientiertes Systemmanagement in die Unternehmensführung der Zukunft Einzug halten sollte.

Ein Kernelement der Arbeit von Schließmann ist der Transfer eines System- und Komplexitätsanalyseinstrumentes aus seinem bisherigen Anwendungsbereich in geschlossenen Systemen in vorwiegend technischen Bereichen wie z. B. der Luftfahrtindustrie, in eine system- und branchenoffene Anwendung für von Menschen gesteuerte Systeme wie Unternehmen und Organisationen aller Branchen.

„Interdependency“ (deutsch: gegenseitige Abhängigkeit) steht für die Wechselwirkung, Abhängigkeiten und Verflechtungsbeziehungen sowie Informationskomplexität zwischen den Teilen eines Systems.

Systemeigenschaften

Ein System ist zunächst per se immer ein System, d. h. eine Gesamtheit vernetzter Teile, die in Beziehung stehen und Informationen austauschen. So stellt ein ganz einfacher Flaschenzug mit wenigen Umlenkrollen als Übersetzungsgetriebe bereits ein triviales System dar. Ein Flugzeug dagegen ist ein hochkompliziertes System mit einer Fülle von Bauteilen, Funktionen und Interdependenzen. Ob ein System eine komplexe Eigenschaft besitzt, ist jedoch keine Frage von Trivialität oder Kompliziertheit, auch keine der Quantität seiner Teile oder deren Interdependenzen, sondern alleine deren Qualität.

Um ein System näher zu verstehen, gilt es daher zunächst seine Gentik zu erfassen. Jedes System besteht vereinfacht im Kern aus Leistungs- und Steuerungseinheiten mit ganz spezifischem Umfeldbezug. Die Parameter, die ein System bedingen und prägen sind am besten mit Cromosomen vergleichbar und bilden eine individuelle,einzigartige und vernetzte System-DNA.

Der Charakter eines Systems wird aber nicht nur durch die Art und Funktion seiner "Cromosomen" bedingt, sondern vor allem durch deren Verlinkung/Beziehung und Qualität der Kommunikation. Fließen klar strukturierte Informationen, so kann die Verlinkung maximal kompliziert sein. Ist die Information wenig strukturiert, also "fuzzy", unklar und birgt sie die Fähigkeit zu Überraschungen und zu unerwartetem Verhalten, so entsteht Komplexität.

Komplexität ist etwas grundlegend anderes als Kompliziertheit. Komplizierte Systeme können ohne Verlust wichtiger Informationen in einfache Teilbereiche zerlegt und unter verschiedenen Blickwinkeln bearbeitet werden, was mit komplexen Systemen grundsätzlich nicht möglich ist. Ein technisches System wie ein Tragflügel eines Flugzeuges ist zweifelsohne kompliziert, aber deshalb immer noch nicht automatisch komplex. Noch so viele Teile eines ausschließlich komplizierten Systems nicht zu Komplexität führen müssen. „Komplexe Systeme“ – nutzt man diese Diktion - sind solche, deren Eigenschaft/Zustand komplex ist, ihre Faktoren sich hinsichtlich ihrer Interdependenzen also „komplex“ verhalten. Schließmann betont, dass jedes System „latent“ komplex ist, also Komplexität in sich angelegt hat, die unter bestimmten Umständen Raum greift. Dennoch verhält sich ein System nicht automatisch komplex. Die Anzahl der Teile bzw. Variablen eines Systems ist, ist kein zentrales Kriterium für Komplexität. Alleine die Qualität der in einem System enthaltenen Informationen ist entscheidend: Die Interdependenzinformationen eines Systems verursachen dann Komplexität, wenn sie die Fähigkeit zu Überraschungen und zu unerwartetem Verhalten beinhalten. Komplexität birgt immer Unsicherheit und schwierige Prognostizierbarkeit, die mit der Vielzahl der die Beziehung bzw. der das System beeinflussenden Variablen und deren Wirkungsvielfalt bis hin zum Chaos zunimmt. Die Vorhersehbarkeit der Verhaltensweisen von Systemfaktoren und deren Beziehungen werden mit wachsender Komplexität immer geringer. Und je geringer die Möglichkeit einer klaren Bestimmung von Verhaltens-Szenarien und deren möglichen Auswirkungen, desto größer werden die Risiken einer Beziehung oder eines Systems. Damit stehen auch Komplexität und Risiko in engem Zusammenhang.

Schließmann stellt folgende Formel auf:

Komplexität = Qualität und Quantität der Information des Systems/der Variablen x Interdependenzen x Interpretationsspielraum x Dynamische Vielfalt x Optionsfülle x Unvorhersehbarkeit

Die in einem System durch Komplexität bedingte Risikoqualität lässt sich definieren als Systembedingter Risikograd = Komplexität / Robustheit des Systems, wobei die Robustheit durch die Lebensfähigkeit des Systems in einem situativen Umfeld bestimmt wird.

Sechs Stufen zur Analyse und Messung von Komplexität

Mithilfe der von Schließmann entwickelten 6-Stufen-Methode kann der genetische Charakter eines Systems ebenso wie seine Komplexität und die damit verbundenen Risiken analysiert werden.

Die 6-Stufen sind:

  1. Erarbeitung des relevanten System-Universums
  2. Erarbeitung der Systemwirkung und der Sensitivitäten im System: Intuitive Einschätzung und Analyse relevanter Interdependenzen
  3. Erarbeitung der dynamischen Veränderung der relevanten Variablen eines Systems über eine definierte Zeitachse sowie deren Komplexitätsbeitrag. Komplexitäts-Rating
  4. Abgleich und Konsens-FAZIT: System-Komplexitäts-Profil und Komplexitäts-Risken
  5. Hinterfragen der Ergebnisse der Komplexitätsanalyse: Was sind die Botschaften des Komplexitätsprofils?
  6. Systemsteuerung: Zielgerichtete Eingriffe ins System: Corporate Governance, Compliance, Strategie, Leadership, Risiko-

Management

Bei der Analyse der Informationsqualität der Beziehung zwischen Parametern eines Systems kann wie in der nachfolgenden Modellgrafik eines Systemausschnitts zu ersehen, gemessen werden, ob unter bestimmten simulierten Umständen eine typisierte, klare und eindeutige und damit in gewisser Weise auch planbare Verhaltensweise der Parameter zueinander erfolgt (strong relationship) oder eine hoch differenzierte, immer andere und damit nicht vorhersehbare und planbare (weak relationship).

Beispiel unterschiedlicher Informationsqualitäten in einem System

Warum Beschäftigung mit Komplexität?

Die Steuerung eines komplexen Systems ist nur möglich, wenn es gelingt, das System, seinen Charakter, seine Interdependenzen und Funktionen, seine relevante Komplexität, seine Risiken aber auch Chancen so gut wie möglich zu erfassen. Nur mit Kenntnis einer möglichst umfassenden Systemgenetik ist es möglich zu prüfen, ob und wie ein bestimmtes Problem in einem System lösbar bzw. steuerbar ist und wenn ja, mit welchem Aufwand. Ein System ist nur so lange steuerbar, wie es dahingehend beeinflussbar ist, sich nicht (ungewollt) völlig eigendynamisch zu entwickeln.

Daher wird System- und Komplexitätsmanagement laut Schließmann ein zentraler Bestandteil im strategischen Management werden, um dadurch bedingte Risiken zu erkennen und damit umgehen zu lernen.

Gerade weil Komplexität mit der Vielfalt an Parametern und Interdependenzen verbunden ist, bietet es eine Fülle von Chancen, kreativ Neues zu entwickeln. Komplexität ist daher auch der Quell von Innovation und eröffnet die Möglichkeit zur Einzigartigkeit und zum Nachahmungsschutz, weil Außenstehenden die Entschlüsselung einer komplexen Wertschöpfungsgenetik verwehrt oder zumindest erschwert wird. Unternehmen wie z.B. Apple nutzen diesen Vorteil.

Zusammenfassende Kernthesen

Zusammenfassend lauten Schließmanns Kern-Thesen als Konsequenz aus seinen Forschungen und den Feldtests seines Instrumentariums:

1. Wirtschaft und Gesellschaft werden sich fundamental ändern müssen, um den wachsenden Interdependenzen komplexer Systeme und deren Risiken gerecht zu werden. Dies kann aber nicht mit der Denklogik der Vergangenheit geschehen, sondern erfordert eine Transformation in ein neues Verständnis von Unternehmensführung und Management.

2. Unternehmensführung ist kein technokratisches Planspiel, sondern es geht um Verantwortung für eine Miniaturgesellschaft und deren Nutzen in einem größeren sozialen Kontext, um tiefes Verstehen von Wirtschaft und deren Zusammenhänge einerseits und um das Führen von Menschen, die die für das Unternehmen wichtigste Ressource darstellen andererseits.

3. Das Risikomanagement der Zukunft bedeutet schwerpunktmäßig Komplexitäts- und Lebensfähigkeitsmanagement. Das Risikomanagement der Zukunft bedeutet primär das Managen von Komplexität und Lebensfähigkeit. Denn je höher die Komplexität und je geringer die Robustheit eines Systems sind, desto größer sind dessen immanente Risiken sowie deren Ausstrahlung / Auswirkungen auf andere Systeme. Für die Sicherstellung eines effektiven Risiko- und Lebensfähigkeitsmanagements tragen Unternehmensführung und Aufsichtsorgane gleichermaßen Verantwortung.

4. Lebensfähigkeit eines Unternehmens bedeutet balancierte Führ- und Steuerbarkeit. Diese hängt davon ab, ob und in welchem Maße es immer wieder gelingt, dessen Lebenszyklus rechtzeitig neue Impulse zu geben und erfolgreich in die nächste Phase zu heben. Unternehmen müssen lernen zu „atmen“.

5. Komplexität lässt sich dynamisch erfassen. Komplexität wird nicht als ein Status quo konstatiert, vielmehr erfolgt dessen Erfassung und Reflexion in einem laufenden, dynamischen Prozess. Dabei gilt es, Komplexität nicht mit noch mehr Komplexität zu begegnen, sondern den systemrelevanten Wesenskern zu finden, die DNA des Systems. Um ein tieferes Verständnis eines Systems zu erreichen, was Voraussetzung ist für dessen Steuerbarkeit, ist es unerlässlich, die wesentlichen Variablen in qualitativer wie quantitativer Hinsicht zu hinterfragen.

6. Unternehmensstrategie in komplexen Systemen ist kein langfristig stabiler Wegweiser, sondern erfordert neben der Bestimmung eines Basiskurses ständige Navigation. Strategische Unternehmensführung in komplexen Systemen braucht eine neue Denk- und Führungsstruktur, die dort ansetzt, wo die Lebensfähigkeit interdependenter Systeme liegt: Im Netzwerk selbst. Die Beeinflussbarkeit eines Netzwerkes durch ein Unternehmen wächst mit dessen Integrationsgrad darin.

7. Komplexität kann nur durch eine optimale Synthese aus Vernunft und Intuition durch Menschen gemeistert werden, deren Talente und Fähigkeiten optimal zu den jeweils zu verantwortenden Aufgaben passen.

8. Über die nachhaltige Lebensfähigkeit von Unternehmen entscheidet auch eine qualifizierte Nachfolgepolitik. Dreh- und Angelpunkt des „Systems Familienunternehmen“ ist der Inhaber selbst, in fremdgeführten Unternehmen die Fähigkeit, dem Unternehmen immer wieder die Führungskräfte zu schenken, die ihm gut tun. Dabei ist es wichtig zu erkennen, dass Unternehmen in erster Linie Kunden und Gesellschaft dienen. Tun sie das erfolgreich, dienen sie auch den Eigentümern.

9. Corporate Governance und Compliance sind nur als integrativer Bestandteil eines Führungssystems in Vernetzung mit Strategie, Leadership und Risikomanagement sinnvoll, und können letztlich nur das zusammenfassend auf den Punkt bringen, was gute Unternehmensführung sowieso berücksichtigen und regeln muss. Dazu sind in erster Linie die Exekutivorgane eines Unternehmens gefordert, das Ihnen anvertraute System automatisch, empathisch und intrinsisch im Sinne solch guter Führung zu steuern. Im Vorfeld müssen Begriffe wie Corporate Governance und Compliance sowie Aufgabe, Rolle und Verantwortung der jeweiligen Unternehmensorgane entsprechend den systemischen Erfordernissen inhaltlich neu definiert werden.

Rezeption

"Interdependency" wurde im Mai 2010 von getAbstract rezensiert und zusammengefasst. Insgesamt wurde das Buch mit "sehr gut" bewertet, im Unterpunkt Innovationsgrad bekam es acht von zehn Punkten. ("Bisher wenig bekannte Methoden, Strategien und Konzepte im Management werden thematisiert. Gutes Einsatzpotenzial der dargestellten Neuentwicklungen." "getAbstract empfiehlt das Buch allen Führungskräften, Managern, Firmengründern und Aufsichtsräten, die ihr Unternehmen durch die analytische Lupe der Systemtheorie betrachten und es so vor Risiken schützen möchten.")[1] Außerdem wurde der Titel Ende Mai 2010 als "Buch der Woche" auf der ECO-Website des Schweizer Fernsehens[2] sowie auf der Website der Neuen Zürcher Zeitung vorgestellt.[3][4]

Literatur

  • Christoph Philipp Schließmann, Interdependency: Systeme verstehen – Dominoeffekte vermeiden, Köln: BankVerl. Medien, 2010. ISBN 978-3-86556-236-4

Einzelnachweise

  1. Rezension des Buches auf getAbstract.com
  2. Rezension auf der Website des Wirtschaftsmagazins ECO
  3. Rezension auf der Website der Neuen Zürcher Zeitung
  4. interdependency-systeme-verstehen-dominoeffekte-vermeiden abgerufen am 21. August 2011

Weblinks


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  • Interdependency — In ter*de*pend en*cy, n. Mutual dependence; as, interdependency of interests. De Quincey. [1913 Webster] …   The Collaborative International Dictionary of English

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  • interdependency — interdependence, interdependency Both forms are in use with no difference in meaning, but interdependence is much more common …   Modern English usage

  • interdependency — interdependent ► ADJECTIVE ▪ dependent on each other. DERIVATIVES interdependence noun interdependency noun …   English terms dictionary

  • interdependency — See interdependence. * * * …   Universalium

  • interdependency — noun A mutual dependence, connection or correlation See Also: interdependent …   Wiktionary

  • interdependency — n. mutual dependence, reciprocal dependency, mutual reliance …   English contemporary dictionary

  • interdependency — in·ter·dependency …   English syllables

  • interdependency — noun a reciprocal relation between interdependent entities (objects or individuals or groups) • Syn: ↑mutuality, ↑interdependence • Derivationally related forms: ↑interdependent, ↑interdepend, ↑interdependent (for: ↑ …   Useful english dictionary

  • Взаимная зависимость — (interdependency).  Взаимосвязь …   Психология развития. Словарь по книге

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