Jakob Pastötter

Jakob Pastötter

Jakob Pastötter (* 26. Juli 1965 in Augsburg) ist ein deutscher Sexualwissenschaftler, Kulturanthropologe und seit 2006 Präsident der Deutschen Gesellschaft für Sozialwissenschaftliche Sexualforschung.

Leben

Pastötter studierte zunächst ab 1989 Kulturanthropologie, Deutsche Geschichte und Linguistik an der Universität Regensburg, wo er 1997 seinen Magister Artium machte. Daraufhin war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Kinsey Institute for Research in Sex, Gender and Reproduction der Indiana University und am Institute for Advanced Study of Human Sexuality (ein nichtakkreditiertes Institut mit Abschluss-Garantie) in San Francisco tätig. Ab 2000 studierte er Erziehungswissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin, wo er 2003 zum Dr. phil. promovierte. Seine Dissertation schrieb er zum Thema Erotic Home Entertainment und Zivilisationsprozess: Analyse des postindustriellen Phänomens Hardcore-Pornographie. Gleichzeitig arbeitete er am Archiv für Sexualwissenschaft, dessen Stellvertretender Direktor er 2001 wurde. Ebenfalls 2003 erlangte er sein Diplom in Sexualerziehung am American Board of Sexology.

Ab 2003 war er zunächst Assistant Professor an der American Academy of Clinical Sexologists (eine private und unabhängige Graduate School), seit 2007 ist er dort Clinical Associate Professor. Die American Academy of Clinical Sexologists ist hervorgegangen aus der Maimonides University, die ohne Akkreditierung unter dem Label einer 'religious exemption' in Florida operiert hat, aber inzwischen geschlossen wurde. Außerdem ist Pastötter Honorary Senior Visiting Research Fellow am Department of Interdisciplinary Studies in Professional Practice der School of Community and Health Sciences an der City University London.

Im Jahre 2006 wurde er zum Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Sozialwissenschaftliche Sexualwissenschaft gewählt, 2008 und 2010 in diesem Amt bestätigt. Neben der Betreuung von Studenten und Gastwissenschaftlern besteht die Hauptaufgabe in der Ausrichtung von internationalen wissenschaftlichen Kongressen, die alle zwei Jahre stattfinden.

Er arbeitet als Erzieher im Tagesheim St.Ottilien.

Pro7 - Sexreport 2008

Einer breiteren Bevölkerungsschicht bekannt wurde Pastötter durch den „Pro7 - Sexreport 2008“, den er wissenschaftlich leitete. Die dahinter stehende Studie war die bisher größte sexualwissenschaftliche Befragung in Deutschland, an der über 55.000 Männer und Frauen ab 14 Jahren mittels Internet teilnahmen und 230 Fragen beantworteten. Neben allgemeinen Fragen wie etwa zum Beginn ihrer Pubertät und der bisherigen Anzahl von Sexualpartnern waren dies Fragen zum eigenen Körper, zum sexuellen Verlangen und zur Selbstbefriedigung, zum Zusammenhang zwischen eigener Sexualität und Erfahrungen von Macht und Gewalt, zu gesundheitlichen Aspekten von Sexualität, zu Pornographie, Prostitution und Internet, sowie sexualitätsbezogene Einschätzungsfragen.

Bis Oktober 2010 wurden etwa 60 Fragen nach Alter und Geschlecht ausgewertet, die neue Erkenntnisse zu Tage brachten: So schätzen sich in Deutschland eine überraschend hohe Anzahl von Männern und Frauen als bisexuell ein und es konnte ein eindeutiger Zusammenhang zwischen dem Konsum von Pornographie und der Zufriedenheit mit dem eigenen körperlichen Erscheinungsbild festgestellt werden. Derzeit fehlt noch eine Anschlussfinanzierung.

Nach Abschluss der Befragung bedauerte Pastötter die noch fehlende Tiefe der Studie und kritisierte die öffentlich-rechtlichen Medien, welche sich trotz Bildungsauftrags und hoher Gebühreneinnahmen des Themas nicht wirklich annehmen wollten.

Mehrmals kritisierte Pastötter für Deutschland den Umgang mit Pornographie, die zwar ein legitimes „sexuelles Märchen für Erwachsene“ sei, aber längst die Funktion eines Aufklärungs- und sexuellen Leitmediums auch für Kinder und Jugendliche übernommen habe. Er sprach in diesem Zusammenhang davon, dass es bisweilen den Anschein habe, als sei durch die so genannte Sexuelle Revolution weniger die Sexualität als vielmehr vor allem ihre kommerziell verwertbare Form, die Pornographie, befreit worden. Außerdem bemängelt er die nach wie vor an allen deutschen Universitäten fehlende sexualpädagogische Ausbildung von Lehrern, die seit den 1970er Jahren in Deutschland vom Gesetzgeber eigentlich vorgeschrieben ist.

Er beschäftigt sich zudem mit kulturellen und geschlechtsspezifischen Unterschieden in der Sexualität. So ist er Betreuer der Länderkapitel zu Botswana, Bulgarien, Dänemark, Deutschland, Schweiz und Vietnam für die International Encyclopedia of Sexuality, deren Associate Editor er ist. Außerdem betreut er die wissenschaftlichen Buchbesprechungen für Sexuality and Culture, einer interdisziplinären Vierteljahresschrift.

Veröffentlichungen (Auswahl)

  • Vern L. Bullough. In: Volkmar Sigusch, Guenter Grau, ed., Personenlexikon der Sexualforschung. Frankfurt a. Main: Campus 2009, pp. 94-97.
  • Together with Nicolas Drey, Anthony Pryce: Sex-Study 2008 – Sexual Behaviour in Germany. DGSS and City University London in Collaboration with ProSieben. Duesseldorf-London forthcoming.
  • Guest Editor: The Legacy of Alfred Charles Kinsey. Sexuality and Culture 10th Anniversary Issue (1/2006).
  • Alfred C. Kinsey: A Much Discussed Scientist of Our Time. Sexuality and Culture 10th Anniversary Issues (1/2006), pp. 5-14
  • Robert T. Francoeur, Ray J. Noonan, and Jakob Pastoetter, Female Sexuality and Health Today: Challenges to Cultural Repression. CrossCurrents (A quarterly devoted to science, culture and religion; CrossCurrents Forum, Columbia University, New York), 54 (3/2004).
  • Associate Editor: The Continuum Complete International Encyclopedia of Sexuality, New York and London: Continuum International 2004.
  • Germany. In: Robert T. Francoeur and Raymond J. Noonan, ed., The Continuum Complete International Encyclopedia of Sexuality. New York and London: Continuum International 2004, S. 450-466 (together with Rüdiger Lautmann and Kurt Starke).
  • Germans. In: Carol R. and Melvin Ember, ed., Encyclopedia of Sex and Gender. Men and Women in the World’s Cultures vol. I. New York: Kluwer Academic/Plenum 2004, S. 400-407.
  • Needle to p6. Sexualmedizin 25 (12/2003), p. 257.
  • Erotic Home Entertainment and the Civilising Process. Analysis of the Postindustrial Phenomenon Hardcore Pornography. Wiesbaden: Deutscher Universitäts-Verlag 2003.
  • Love and Eroticism: Addition or Contradiction? Journal of Sex and Marital Therapy 28 (3/2002): pp. 280 – 282.
  • Vietnam. In: Robert T. Francoeur and Raymond J. Noonan, ed., The International Encyclopedia of Sexuality, vol. IV, pp. 639–691. New York and London: Continuum International 2001.
  • Tourism and Sex: Conceptualising of Foreign Countries as (S)exotic. Sexuality and Culture 5 (2/2001): pp. 107–110.
  • Pornography as Academic Field of Research. American and German Approaches Towards the Problematic Field of Research Pornography. Sexualmedizin 22 (9/2000): pp. 247-250.
  • Pornography - a Men’s Culture? In: Stadt Burglengenfeld, ed., Männer-Kulturen (pp. 143-152). Burglengenfeld 1995.

Weblinks


Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Нужно сделать НИР?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Deutsche Gesellschaft für Sozialwissenschaftliche Sexualforschung — (DGSS) Zweck: Medizinische Fachgesellschaft für Sexualwissenschaft Vorsitz: Jakob Pastötter Gründungsdatum: 1. Oktober 1971 Sitz: Düsseldorf Website …   Deutsch Wikipedia

  • Sexuelle Verwahrlosung — Der Begriff sexuelle Verwahrlosung oder sittliche Verwahrlosung beschreibt ein von der gesellschaftlichen Norm abweichendes sexuelles Verhalten. Überwiegend wurden Mädchen und Frauen in sozialwissenschaftlichen, sozialpädagogischen und… …   Deutsch Wikipedia

  • Liste der Persönlichkeiten der Stadt Augsburg — In dieser Liste werden die Persönlichkeiten mit Bezug zur Stadt Augsburg aufgeführt. Inhaltsverzeichnis 1 Söhne und Töchter der Stadt 1.1 bis 19. Jahrhundert 1.2 19. Jahrhundert 1.3 …   Deutsch Wikipedia

  • Hans Moser (Produzent) — Hans Moser (* 30. September 1944 in Hannover; auch Hans Mosher Jr., Künstlername Sascha Alexander) ist ein deutscher Regisseur und Produzent pornografischer Filme, ein Fotograf und ein Herausgeber pornografischer Magazine. Leben Moser lernte im… …   Deutsch Wikipedia

  • PorNO — Logo PorNO PorNO ist ein Kofferwort aus Porno( grafie) und NO (englisch: nein). Es steht für eine von Alice Schwarzer 1987 gestartete Initiative. Ziel ist ein deutsches Gesetz gegen Pornografie, wobei der Begriff der Pornografie gleichzeitig neu… …   Deutsch Wikipedia

  • Pornografie — Französische Karikatur aus dem 19. Jahrhundert Pornografie ist die direkte Darstellung der menschlichen Sexualität oder des Sexualakts mit dem Ziel, den Betrachter sexuell zu erregen, wobei die Geschlechtsorgane in ihrer sexuellen Aktivität… …   Deutsch Wikipedia

  • Eins gegen Eins — Seriendaten Originaltitel Eins gegen Eins …   Deutsch Wikipedia

  • Belgischer Western — Pornofilmdarsteller erhalten während eines Drehs Regieanweisungen Pornografische Filme sind die audiovisuelle Realisation der Pornografie (vom griechischen porne = Hure, graphein = schreiben) im Medium Film. Pornografie wird oft definiert als… …   Deutsch Wikipedia

  • Dänischer Western — Pornofilmdarsteller erhalten während eines Drehs Regieanweisungen Pornografische Filme sind die audiovisuelle Realisation der Pornografie (vom griechischen porne = Hure, graphein = schreiben) im Medium Film. Pornografie wird oft definiert als… …   Deutsch Wikipedia

  • Erotikfilm — Pornofilmdarsteller erhalten während eines Drehs Regieanweisungen Pornografische Filme sind die audiovisuelle Realisation der Pornografie (vom griechischen porne = Hure, graphein = schreiben) im Medium Film. Pornografie wird oft definiert als… …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”