Nordstraße (Hanau)

Nordstraße (Hanau)
Südlicher Schenkel der Nordstraße mit Blick auf den ehemaligen Standort der Synagoge

Die Nordstraße in Hanau, die frühere Judengasse, ist der Standort des frühneuzeitlichen jüdischen Ghettos der Stadt.

Inhaltsverzeichnis

Gründung

Bereits ab 1603 siedelten sich in Hanau wieder Juden an. Am 28. Dezember 1605 erließ Graf Philipp Ludwig II. von Hanau-Münzenberg dazu ein Privileg, die so genannte „Judenstättigkeit“. Die vorangehende jüdische Gemeinde war in der Folge der Pestpogrome 1344 vernichtet worden. Die neue Gemeinde war direkt der gräflichen Verwaltung unterstellt, nicht einer der beiden Stadtverwaltungen von Alt- oder Neustadt Hanau, auch wenn ihre Bewohner gegenüber der Altstadt Kopfsteuer zahlen mussten. Die Straße war an beiden Enden durch Tore verschließbar. Während des Sonntags durften die Bewohner das Ghetto nicht verlassen.

Bauplatz

Seit 1528 war die mittelalterliche Befestigung der Stadt Hanau mit einer damals modernen Renaissance-Befestigung umgeben worden. Dabei wurde die mittelalterliche Befestigung weitestgehend unangetastet gelassen. Der Zwischenraum zwischen der Südost-Ecke der mittelalterlichen Stadtmauer und der vorgelagerten Renaissance-Befestigung – in diesem Bereich befanden sich Zwinger und Graben der mittelalterlichen Anlage – diente als Bauplatz für das Ghetto, die Judengasse. Sie erhielt so, der mittelalterlichen Anlage folgend, einen L-förmigen Grundriss.

Geschichte

1609 gab es 26 Häuser (1837 waren es 79[1]). Während des „Fettmilch-Aufstandes“ in Frankfurt fanden im Sommer 1614 etwa 250 Juden aus Frankfurt vorübergehend Zuflucht in Hanau. Der aus Hanau stammende Maler Moritz Daniel Oppenheim hat in seinem Werk vielfach die Verhältnisse in der Hanauer Judengasse festgehalten.

Erst in napoleonischer Zeit wurden die Wohn- und Zugangsbeschränkungen aufgehoben. Die Bewohner konnten nun überall in Hanau wohnen und nicht-jüdische Hanauer dort Wohnung nehmen. Auf Antrag der Anwohner und Hauseigentümer wurde die Judengasse am 25. Februar 1898 in Nordstraße umbenannt, weil der Name als diskriminierend und wertmindernd für die dortigen Immobilien empfunden wurde.

Bauten

Die Nordstraße ist als Bestandteil der Gesamtanlage Altstadt mit Freiheitsplatz Kulturdenkmal nach dem Hessischen Denkmalschutzgesetz.[2]

Synagoge

Standort der Synagoge bis 1938

Eine Synagoge gab es in der Judengasse spätestens seit 1608. Aus diesem Jahr stammte das Gebäude, das am 9. November 1938 im Zuge des Novemberprogroms zerstört wurde. Die Synagoge stand in der Nordstraße 40 (zuvor: Judengasse 52).[3]

Rabbinerhäuser

In der Nordstraße 29 (zuvor: Judengasse 35) stand ein ehemaliges Rabbinerhaus.[4] Als solches wird auch Nordstraße 44 (zuvor: Judengasse 56) genannt. In letzterem befand sich eine Mikwe für Frauen und die jüdische Schule.[5] Die Wohnung des Rabbiners und das Gemeindehaus wurden im 19. Jahrhundert in die Nürnberger Straße 3 verlegt.[6]

Mikwe

Im Keller der Nordstraße 25 (zuvor: Judengasse 31, auch: Haus „Der schwarze Bär“) befand sich die Mikwe für Männer. Der Stadtgraben der mittelalterlichen Stadtumwehrung, in dessen Verlauf sich die Straße erstreckt, war hier überwölbt und eine entsprechende Anlage eingerichtet worden.[7]

Gedenkstätte

Gedenkstein für die zerstörte Synagoge

Gegenüber dem früheren Standort der Synagoge befindet sich seit 1964 ein Gedenkstein, der an die ausgelöschte jüdische Gemeinde erinnert. Begleitet wird er von einer Tafel, die Erläuterungen zum geschichtlichen Hintergrund gibt. Hinter diesem Mahnmal befinden sich Mauerreste des „Hexen-“ oder „Diebsturms“, Teil der mittelalterlichen Befestigung der Altstadt Hanau. In diesem Turm befand sich 1605-1608 die erste provisorische Synagoge der Gemeinde.

Ghetto-Mauer

Die Südseite der Grundstücke am südlichen Abschnitt der Nordstraße waren durch eine Ghetto-Mauer gegenüber der Hanauer Neustadt begrenzt. Diese Mauer ist als eine der wenigen Ghettomauern in Deutschland noch erhalten, verläuft entlang eines Fußweges und ist so gut erreichbar. Ihre Funktion als Ghetto-Mauer ist wohl sekundär, die ursprüngliche Funktion nicht geklärt. Eventuell handelt es sich um den letzten renaissance-zeitlichen Rest der Stadtbefestigung Hanau.[8] An dieser Mauer wurde am 30. Mai 2010 – unter anderem durch Charlotte Knobloch – eine Gedenkstätte für die während des Nationalsozialismus aus Hanau deportierten und ermordeten jüdischen Bürger eingeweiht. Sie besteht aus einer zusammenfassenden Erinnerungstafel und einem weiteren einzelnen Täfelchen für jeden der 270 Ermordeten mit persönlichen Angaben, die auf der Mauer befestigt wurden.

Literatur

  • Heinrich Bott: Die Altstadt Hanau. Ein Gedenkbuch zur 650-Jahrfeier der Altstadt Hanau. Hrsg.: Hanauer Geschichtsverein. Hanau 1953.
  • Martin Hoppe: Hanauer Straßennamen. Hanau 1991. ISBN 3-87627-426-5
  • Carolin Krumm: Kulturdenkmäler in Hessen – Stadt Hanau . Hrsg.: Landesamt für Denkmalpflege Hessen. Wiesbaden 2006. ISBN 3-8062-2054-9

Einzelnachweise

  1. Hoppe, S. 181; Bott, S. 151ff listet 80 Gebäude. Die Differenz ergibt sich vermutlich daraus, ob die Synagoge mitgezählt wird oder nicht.
  2. Krumm, S. 80ff.
  3. Bott, S. 158, Nr. J 50½.
  4. Bott, S. 154, Nr. J 20.
  5. Bott, S. 157, Nr. J 49A.
  6. Angelika Cipa u.a.: Hanauer Stadtführer. Dreißig Stätten demokratischer Geschicht und antifaschistischen Widerstandes. Frankfurt 1983, S. 38.
  7. Bott, S. 29, 153.
  8. Krumm, S. 247.
50.1361368.92004

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