Judenkodex

Judenkodex

Der Judenkodex (slowakisch Židovský kódex) war ein am 9. September 1941 erlassener Regierungsbeschluss der Regierung Tuka in der Ersten Slowakischen Republik. Dabei handelte es sich um ein slowakisches Pendant der Nürnberger Gesetze.

Im „Judenkodex“ war der Übergang von der bis dahin üblichen religiösen zur „rassischen“ Beurteilung der Judenfrage in der Slowakei vollzogen.[1] So basierte der Beschluss auch auf dem rassischen Prinzip und definierte jeden slowakischen Staatsbürger als jüdisch, der von mindestens drei Großeltern jüdischen Glaubens abstammte, die vor dem 20. April 1939 nicht die christliche Taufe erhalten hatten. Die auf diese Art ausgesonderten Personen mussten verpflichtend einen gelben Judenstern tragen und voeloren ihre Rechte. So verbot der Beschluss beispielsweise die Schließung einer Ehe zwischen Juden oder „Mischlingen“ und Nichtjuden.

Menschen, die wider dieses Beschlusses handelten, konnten mit drei bis fünf Jahren Gefängnis bestraft werden und verloren das Wahlrecht. Jüdische Bürger verloren das aktive und passive Wahlrecht, durften selbst nicht gewählt werden, keine Theater, Badeanstalten, Parks und andere öffentliche Einrichtungen besuchen, konnten nicht als Staatsbeamte angestellt werden, als Ärzte arbeiten, sich als Freikünstler betätigen und keine redakteurischen Tätigkeiten wahrnehmen.

Eine Befreiung von den Bestimmungen des „Judenkodex“ konnte jedoch von Staatspräsidenten Jozef Tiso ausgesprochen werden. Diese Ausnahme hatte man bewusst offen gelassen um besonders verdiente oder in der heimischen Wirtschaft dringend gebrauchte Personen zu verschonen.[2] Laut dem Historiker und Osteuropaexperten Jörg K. Hoensch blieb durch eine großzügige Verteilung der Ausnahmebescheinigungen (auch Schutzbriefe) ein Drittel der slowakischen Juden vor der Deportation und Massenvernichtung ausgenommen.[3] Die Historikerin Tatjana Tönsmeyer nennt die von exilslowakischen Historikern wie Milan Stanislav Ďurica mehrfach verwendete Zahl von 35.000 Juden[4], die 1942 im Besitz eines derartigen Schutzbriefes waren, hinterfragt diese Zahl aber dennoch kritisch.[5] Diese Zahl entstammt meist einem am 26. Juni 1942 versendeten Telegram des dritten deutschen Gesandten in Bratislava, Hanns Elard Ludin, an das deutsche Außwärtige Amt, in dem er sich über die zum Stillstand gekommenen Deportationen slowakischer Juden nach Auschwitz Meldung macht. In dem Dokument heißt es wörtlich:

„Die Durchführung der Evakuierung der Juden aus der Slowakei ist im Augenblick auf einem Toten Punkt angelangt. Bedingt durch kirchliche Einflüsse und durch die Korruption einzelner Beamter haben etwa 35.000 Juden Sonderlegitimationen erhalten, auf Grund deren sie nicht evakuiert zu werden brauchen.[6]

Eine genaue Angabe der vergebenen Ausnahmebescheinigungen und Schutzbriefe ist insofern problematisch, als dass das betreffende Archiv nach Kriegsende mehrmals von tschechoslowakischen Behörden begutachtet und geplündert wurde, wobei viele wichtige Dokumente verloren gingen.[7] Der Verteidiger des Präsidenten Tiso vor dem Volksgerichtshof 1947, Ernest Žabkay, hält in seinen Erinnerungen fest, das der kommunistische Gerichtsvorsitzende Igor Daxner eine Untersuchung zur Anzahl der tatsächlich von Tiso vergebenen Schutzbriefe verweigerte.[8]

Mit dem „Judenkodex“ wurde die völlige staatsbürgerliche Entrechtung der slowakischen Juden festgeschrieben und die Voraussetzung für die späteren Deportationen geschaffen.[9]

Weblinks

Quellen

  • www.hnonline.sk, Židovský kódex, am 1. Dezember 2008 von Jožo T. Schön (online) (slowakisch)
  • www.ep.edu.sk, Historický kalendár: Židovský kódex, am 9. Juli 2009 (online) (slowakisch)
  • Originaltext des Judenkodex auf Slowakisch (online)

Einzelnachweise

  1. Studia Slovaca: Studien zur Geschichte der Slowaken und der Slowakei - (Hrsg.) Jörg Konrad Hoensch, S. 273 (online)
  2. Igor-Philip Matić: Edmund Veesenmayer, S. 175 (online)
  3. Jörg Konrad Hoensch: Studia Slovaca: Studien zur Geschichte der Slowaken und der Slowakei, Oldenbourg, 2000, S. 273, ISBN 3-486-56521-4
  4. Vgl. Milan S. Ďurica: Dejiny Slovenska a Slovákov, Slovenské pedagogické nakladateľstvo, 1995, S. 163, ISBN 80-08-01427-X oder Milan S. Ďurica: Jozef Tiso (1887–1947). Životopisný profil, Ústav dejín kresťanstva na Slovensku, LÚČ, Bratislava 2006, S. 378 u. 393, ISBN 80-7114-572-6
  5. Tatjana Tönsmeyer: Das Dritte Reich und die Slowakei 1939–1945. Politischer Alltag zwischen Kooperation und Eigensinn. Schöningh, Paderborn 2003, S. 149, ISBN 3-506-77532-4
  6. Gabriel Hoffmann: Zamlčaná pravda o Slovensku, Garmond, Partizánske 1996, S. 667, ISBN 80-85587-04-1
  7. Milan S. Ďurica: Jozef Tiso (1887–1947). Životopisný profil, Ústav dejín kresťanstva na Slovensku, LÚČ, Bratislava 2006, S. 382, ISBN 80-7114-572-6
  8. Anton Rašla, Ernest Žabkay: Proces s dr. J. Tisom. Spomienky, Tatrapress, Bratislava 1990, S. 212, ISBN 80-85260-03-4
  9. Peter Heumos: Die Emigration aus der Tschechoslowakei nach Westeuropa und dem Nahen Osten, S. 106 (online)

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