- Judenstern
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Der Judenstern (auch: Gelber Stern) war eine im Nationalsozialismus eingeführte Zwangskennzeichnung für Personen, die nach nationalsozialistischem Recht als Juden galten. Er bestand aus zwei überlagerten, schwarzumrandeten gelben Dreiecken, die einen handtellergroßen sechszackigen Stern nach Art eines Davidsterns bildeten. Darin befand sich die schwarze Aufschrift „Jude“, deren nach links geschwungene Buchstaben die Hebräische Schrift verhöhnen sollten.[1]
Das Tragen des Kennzeichens wurde ab September 1939 im besetzten Polen und ab dem 1. September 1941 im Deutschen Reich und in weiteren von Deutschen besetzten Gebieten durch den Reichsinnenminister verordnet. Es markierte den Höhepunkt der 1933 begonnenen, nun öffentlich sichtbaren sozialen Ausgrenzung, Diskriminierung und Demütigung der jüdischen Minderheit. Gleichzeitig diente es ihrer Auffindung für die damals beginnenden planmäßigen Judendeportationen in die Ghettos und Konzentrationslager und schließlich in die Vernichtungslager in Osteuropa. Der Judenstern war damit eine sichtbare Maßnahme zur Durchführung des Holocausts.
Inhaltsverzeichnis
Historischer Hintergrund
Besondere Kleiderordnungen für Juden (vgl. Judentracht) waren seit dem 8. Jahrhundert zuerst in manchen vom Islam geprägten Ländern, seit dem Vierten Laterankonzil 1215 in vielen Gegenden Europas eingeführt worden. Dieses forderte die weltlichen Machthaber auf, Juden und „Sarazenen“ (Muslime, Araber) zum Tragen eines besonderen, jeweils vor Ort festzulegenden Kennzeichens zu verpflichten.
Vorbild des nationalsozialistischen Judensterns war der Gelbe Ring bzw. Gelbe Fleck aus Stoff, der in Brusthöhe an der Außenkleidung angebracht wurde. Er wurde parallel zur mittelalterlichen Ghettoisierung der Juden eingeführt und war sichtbarer Ausdruck für den Antijudaismus im Mittelalter.
1555 verpflichtete die Bulle Cum nimis absurdum von Papst Paul IV. die im Kirchenstaat lebenden Juden zum Tragen gelber Kleidungsstücke.[2]
Zwischen 1600 und 1800 wurden solche Kennzeichen in regional verschiedenen Schritten in Europa abgeschafft. Seit der jüdischen Emanzipation forderten manche Antisemiten ihre Wiedereinführung, so etwa Friedrich Rühs 1815[3] und Jakob Friedrich Fries 1816.[4] Fries, der den Aufsatz von Rühs herausgab und in seinem Aufsatz zitierte, forderte unter anderem ein Verbot jüdischer Religionsausübung und die Ausweisung von Juden, solange sie nicht zum Christentum konvertierten. Solange diese ihre erzwungene völlige Assimilation nicht akzeptierten, wäre es „sehr gut […], daß man ihnen, wie auch Rühs anräth, nach alter Sitte wieder ein Abzeichen in der Kleidung aufnöthigte.“ Erklärtes Ziel dieser Maßnahmen war die „Ausrottung“ dieser „Händlerkaste“, das heißt eines behaupteten jüdischen Kollektivs, das er als ökonomisch und kulturell übermächtig und „zersetzendes“ „Gewürm“ beschrieb.[5]
Kleiderkennzeichen für Juden standen im Antisemitismus also von Beginn an im Kontext einer eliminatorischen Rhetorik. Die Forderungen von Rühs und Fries fanden seinerzeit zwar kaum Beachtung, wurden von deutschen und österreichischen Antisemiten aber übernommen, verschärft und öffentlich propagiert. Sie versuchten ab 1879, sie auch mittels eigens gegründeter politischer Vereine und Parteien durchzusetzen. Kleiderkennzeichen waren Teil des Programms einer sogenannten Endlösung der Judenfrage, auf das sich rassistische Antisemiten im Kaiserreich bis 1914 verständigten. Auf diese Tradition konnten die Nationalsozialisten später zurückgreifen.
Nationalsozialistische Judenkennzeichnungen
Bald nach der nationalsozialistischen „Machtergreifung“ 1933 wurden deutsche Juden öffentlich aus der Gesellschaft ausgegrenzt. Unter dem Vorwand einer angeblichen „jüdischen Kriegserklärung“ gegen Deutschland wurde am 1. April 1933 der reichsweite Judenboykott durchgeführt: Dabei wurden jüdische Geschäfte, Notars- und Arztpraxen mit Plakaten, Spruchbändern und Aufschriften – darunter weißen oder gelben Davidsternen – versehen mit rassistischen Boykottaufrufen. Im Vorfeld wurden schon hunderte Juden enteignet, vertrieben und einige ermordet.
Dies weckte bei Betroffenen Erinnerungen an das Mittelalter. Der Journalist Robert Weltsch schrieb in der Jüdischen Rundschau am 4. April 1933: „Tragt ihn mit Stolz, den gelben Fleck!“[6] Damals plante das NS-Regime noch nicht, solche Kennzeichen zu erzwingen.
Auf der Basis der Nürnberger Gesetze 1935 verschärfte das NS-Regime mit Verboten, Auflagen, Sonderregeln ständig die Lage der deutschen Juden. Angesichts der Judenverfolgung seit 1933 gab Lion Feuchtwanger 1936 eine Sammlung von Zeitungsberichten unter dem Titel Der Gelbe Fleck heraus,[7] deren Autoren zahlreiche Gewalttaten und Morde an Juden und deren staatlich gewollte Folgen als „Erscheinungen des Aussterbens“ beschrieben: darunter Geburten- und Heiratsrückgang, gestiegene Selbstmord- und Sterblichkeitsrate. Feuchtwanger fasste zusammen:[8]
„Nein, es sind keine Exzesse! Nein, es sind keine 'Ausschreitungen'! Es ist der kalt-überlegte, zynisch ersonnene, mit dem nationalsozialistischen System unlösbar verbundene Meuchelmord an einer wehrlosen Minderheit…
Das Rezept sieht so aus: Zuerst organisieren die nationalsozialistische Partei, ihre Presse und SA die ‚Volkswut‘ und die Gewaltakte. Dann wird ‚die Ordnung‘ gesichert, die nationalsozialistischen Behörden greifen ein: aber nicht etwa gegen die Gewalttäter, sondern gegen deren Opfer. Am Ende der Maßnahmen steht ein Gesetz, das den Terror sanktioniert, der Gewaltakt erlangt Rechtskraft.“Vor allem die Kennzeichnung jüdischer Geschäfte wurde von Parteianhängern verlangt. 1937 nahm Adolf Hitler in einer Rede vor Funktionären der NSDAP dazu Stellung:
„Dieses Problem der Kennzeichnung wird seit zwei, drei Jahren fortgesetzt erwogen und wird eines Tages so oder so natürlich auch durchgeführt. […] Da muss man nun die Nase haben, ungefähr zu riechen: ‚Was kann ich noch machen, was kann ich nicht machen?‘“[9]
1938 trat die staatliche Judenverfolgung in ein neues Stadium: Ab 1. Januar bestimmte das Gesetz über die Änderung von Familiennamen und Vornamen in § 12:[10]
„Der Reichsminister des Innern kann Vorschriften über die Führung von Vornamen erlassen und von Amts wegen die Änderung von Vornamen, die diesen Vorschriften nicht entsprechen, veranlassen.“
Damit wurden tausende von Namen in Ausweisen und im täglichen Schriftverkehr als „jüdisch“ gekennzeichnet. Im April mussten Juden ihr Vermögen bei den Verwaltungsbehörden anmelden, im Juni ihre Geschäfte als „jüdische Gewerbebetriebe“ registrieren lassen und kennzeichnen, ab dem 17. August einen zusätzlichen „jüdischen“ Vornamen annehmen (siehe Namensänderungsverordnung), im Oktober ihre Reisepässe mit einem großen J abstempeln lassen, im Januar 1939 zusätzliche Kennkarten neben ihren Ausweisen mitführen. Im Dezember 1939 mussten Doktoranden die Zitate jüdischer Autoren in ihren Dissertationen farblich markieren, im Januar 1940 wurden auch die Lebensmittelkarten für Juden mit einem J gestempelt.[11]
Eine „allgemeine äußerliche Kennzeichnung für Juden“ wurde im Mai 1938 in einer von Joseph Goebbels angeregten Denkschrift erwogen, jedoch verworfen: Noch überwogen die Bedenken hinsichtlich einer eventuell negativen außenpolitischen Wirkung.[12] Nach den Novemberpogromen schlug Reinhard Heydrich auf einer Berliner Konferenz am 12. November 1938 die reichsweite Kennzeichnungspflicht für Juden erneut vor[13] und ließ sofort Entwürfe für entsprechende Abzeichen anfertigen[14]; eine Entscheidung wurde jedoch aufgeschoben.
Nach uneinheitlichen Regelungen im besetzten Polen trieb Goebbels seit April 1941 den Plan eines einheitlichen Judenabzeichens auch für das Deutsche Reich voran und drängte seit Juli 1941 auf Hitlers Genehmigung dafür. Dieser erteilte sie am 20. August 1941. Der geeignete Zeitpunkt schien ihm nun gekommen, außenpolitische Rücksichten außer acht zu lassen, da man keine Sanktionen durch die Vereinigten Staaten mehr fürchtete. Laut Goebbels sollte die Kennzeichnung die jüdische Minderheit isolieren, damit sie sich im Krieg nicht unerkannt als „Miesmacher und Stimmungsverderber“ betätigen könne. Tatsächlich sollte sie die im Oktober 1941 begonnenen Deportationen der Juden entscheidend erleichtern.[15]
Einführung des Judensterns im Deutschen Reich
Polizeiverordnung
Am 1. September 1941 verpflichtete die Polizeiverordnung über die Kennzeichnung der Juden fast alle Personen im Deutschen Reich, die nach den Nürnberger Gesetzen als Juden einschließlich der Geltungsjuden definiert waren, vom vollendeten sechsten Lebensjahr an einen gelben Judenstern „sichtbar auf der linken Brustseite des Kleidungsstückes in Herznähe fest aufgenäht zu tragen“. Nur die „Mischlinge“ und jüdischen Partner in „privilegierten Mischehen“ wurden davon ausgenommen. Jüdische Männer einer Mischehe, die kinderlos geblieben war, fielen nicht unter diese Ausnahmeregelung und waren zum Tragen des Judensterns verpflichtet.
Die Polizeiverordnung galt „mit der Maßgabe, daß der Reichsprotektor […] die Vorschrift […] den örtlichen Verhältnissen im Protektorat Böhmen und Mähren anpassen kann“, ebenso für das besetzte Tschechien. Sie verbot den von ihr Betroffenen, Orden und Ehrenzeichen zu tragen und den Wohnort ohne schriftliche polizeiliche Genehmigung zu verlassen. Beim Empfang der Judensterne mussten sie die Kenntnisnahme dieser Bestimmungen sowie Folgendes unterschreiben:
„Ich verpflichte mich, das Kennzeichen sorgfältig und pfleglich zu behandeln und bei seinem Aufnähen auf das Kleidungsstück den über das Kennzeichen hinausragenden Stoffrand umzuschlagen.“[16]
Bei Zuwiderhandlung drohte eine Geldbuße oder Haftstrafe bis zu sechs Wochen. Im Jüdischen Gemeindeblatt Berlins wurde gewarnt, dass das „Verdecken des Judensterns durch Kragen, Taschen oder Aktenmappen“ strafbar sei.[17] Später wurden Verstöße auch durch baldmöglichste Deportation oder Zuführung in das nächstgelegene Konzentrationslager geahndet.[18]
Weitere Maßnahmen
Am 24. Oktober 1941 erging ein Runderlass des Reichssicherheitshauptamtes, der denjenigen „deutschblütigen“ Bürgern eine Schutzhaft von drei Monaten androhte, die „in der Öffentlichkeit freundschaftliche Beziehungen zu Juden“ erkennen ließen.[19] In Hamburg wurde den „deutschblütigen Volksgenossen“ beim Abholen der Lebensmittelkarten ein Flugblatt ausgehändigt, das diesen Erlass im Wortlaut enthielt.[20]
Am 13. März 1942 ordnete die Geheime Staatspolizei reichsweit an, Judenhäuser „mit einem weißen Judenstern aus Papier“ zu kennzeichnen.[21]
Bereits am 18. April 1941 war Juden die Benutzung von Reisezügen und Schiffen ohne Sondergenehmigung untersagt worden. „Sternträger“ durften ab Oktober 1941 keine Telefonzellen mehr benutzen und ab September 1942 nur noch zu bestimmten Zeiten einkaufen. Am 24. März 1942 verbot das Reichsministerium des Inneren grundsätzlich auch die Benutzung von innerstädtischen Verkehrsmitteln; nur Fahrstrecken zur Arbeit über sieben Kilometer Entfernung galten als genehmigt.[22]
Reaktionen Betroffener
Der Linguist Victor Klemperer beschrieb den Stern in seinem Werk LTI – Notizbuch eines Philologen als Betroffener:
„… der 19. September 1941. Von da an war der Judenstern zu tragen, der sechszackige Davidsstern, der Lappen in der gelben Farbe, die heute noch Pest und Quarantäne bedeutet und die im Mittelalter die Kennfarbe der Juden war, die Farbe des Neides und der ins Blut getretenen Galle, die Farbe des zu meidenden Bösen; der gelbe Lappen mit dem schwarzen Aufdruck: ‚Jude‘, das Wort umrahmt von Linien der ineinandergeschobenen beiden Dreiecke, das Wort aus dicken Blockbuchstaben gebildet, die in ihrer Isoliertheit und in der breiten Überbetontheit ihrer Horizontalen hebräische Schriftzeichen vortäuschen.“[23]
Berühmt wurde das Selbstbildnis mit Judenpass von Felix Nussbaum.[24]
Reaktionen der nichtjüdischen Bevölkerung
Die Reaktionen der Mitbürger spiegeln sich hauptsächlich in zwei unterschiedlichen Quellensorten: Zum einen gibt es mit den sogenannten Meldungen aus dem Reich die Lageberichte des Sicherheitsdienstes der SS aus dieser Zeit. Zum anderen kann man auf Tagebuchnotizen, Briefe oder spätere Berichte der „Sternträger“ selbst zurückgreifen. Die Aussagekraft beider Quellenarten ist aus unterschiedlichen Gründen begrenzt und lässt abgeleitete Verallgemeinerungen unsicher erscheinen.
Unter dem 9. Oktober 1941 berichten die Meldungen aus dem Reich, die Polizeiverordnung sei „überwiegend begrüßt, in katholischen und bürgerlichen Kreisen aber auch mit Mitleid aufgenommen“ und es sei aber auch „von mittelalterlichen Methoden“ gesprochen worden.[25] Im November wird berichtet, dass die Forderung von Gemeindemitgliedern, die „Judenchristen“ in der Kirche beim Gottesdienst und Sakramentsempfang abzusondern, von den katholischen Bischöfen wie der Bekennenden Kirche abgelehnt worden sei.[26] Am ausführlichsten wird im Bericht Nr. 256 vom Februar 1942 auf die Auswirkungen der Verordnung eingegangen. Die Verordnung habe „einem lang gehegten Wunsch weiter Bevölkerungskreise“ entsprochen. Außerordentlich weiten Raum nehmen kritische Bemerkungen über die Ausnahmeregelungen ein. Ein in „privilegierter Mischehe“ lebender Jude sei nicht gekennzeichnet, somit unverdächtig, gleichsam getarnt und überdies nicht durch einen Zwangsvornamen im Ausweis zu erkennen. Es werde „allgemein erwartet, dass sämtliche Sonderbestimmungen zugunsten der Juden und der jüdischen Mischlinge aufgehoben“ würden und dass die jüdischen Wohnungen eine Kennzeichnung erhielten.[27] Es muss offen bleiben, ob diese Stimmungsberichte repräsentativ sind oder die Berichterstatter vorgesetzte Stellen zu beeinflussen suchten.[28]
In einer Konferenz des Propagandaministeriums warnte ein Sprecher vor einer Mitleidswelle „aus Kreisen der Intelligenzbestien“. Ablehnende Reaktionen der Bevölkerung lassen sich aus manchem Presseartikel ableiten, wenn über „falsches Mitleid und schlecht angewandte ‚Menschlichkeit’ gegenüber besternten Juden“ gewettert wurde.[29]
Eine überwiegend ablehnende Reaktion zumindest von Teilen der Bevölkerung wird auch von den betroffenen „Sternträgern“ selbst bezeugt: „Viel Freundlichkeit in der Öffentlichkeit und noch viel mehr im geheimen werden uns erwiesen“ – „Die Judensterne sind nicht populär. Das ist ein Misserfolg der Partei“.[30] „Fraglos empfindet das Volk die Judenverfolgung als Sünde“[31] Spöttisch wurde das Zeichen auch in Anspielung auf den preußischen Verdienstorden „Pour le Mérite“ als „Pour le Sémite“ bezeichnet.[32]
Victor Klemperer berichtet von einigen solidarischen Bekundungen, schreibt aber in seinem Tagebuch auch von Anpöbelungen. Antisemitische Bemerkungen gab es häufiger von Kindern und der Hitlerjugend.
Die als wohltuend empfundenen Solidaritätsbekundungen in einer sonst feindlich gesinnten Umwelt werden von den jüdischen Berichterstattern stets lobend hervorgehoben. Durch diese Betonung wird ihnen eine Gewichtung verliehen, die heutige Leser zu voreiligen Schlussfolgerungen auf die Stimmung in der Bevölkerung verleiten kann.
Besetzte Staaten
Polen und Sowjetunion
Ab September 1939 – noch vor dem Ende des Polenfeldzugs – zwangen einzelne deutsche Militärbehörden im besetzten Polen die örtlichen Juden erst ihre Läden, dann auch ihre Kleidung zu kennzeichnen. So mussten etwa die Juden Lublins ab November 1939 ein gelbes Abzeichen mit der Aufschrift „Jude“ auf der linken Brustseite tragen.
Am 14. November 1939 befahl SS-Brigadeführer Friedrich Uebelhoer für das ihm unterstellte Gebiet von Kalisz, dass alle Juden jeden Alters eine vier Zentimeter breite Armbinde in „judengelber Farbe“ am rechten Oberarm zu tragen hätten. Am 12. Dezember änderte er den Befehl: Nun mussten die Juden ein gelbes Stoffabzeichen in Form eines Davidsterns auf die rechte Brustseite und die Rückenseite ihrer Oberkleidung aufnähen.
Am 23. November 1939 befahl Hans Frank, dass alle Juden des Generalgouvernements ab ihrem 12. Lebensjahr vom 1. Dezember 1939 an auf dem rechten Ärmel ihrer Oberkleidung eine weiße, mindestens 10 Zentimeter breite Binde mit einem blau konturierten sechszackigen Stern tragen sollten. Dieser Befehl wurde dann auch für Ostoberschlesien übernommen.
Ab Juli 1941 wurden die in Polen gültigen Erlasse eines gelben Davidsterns oder einer weißen Armbinde mit blauer Davidsternkontur auf die besetzten sowjetischen Gebiete übertragen. Letztere sollten ab dem 13. August 1941 durch gelbe Davidsterne ersetzt werden.
Die Kennzeichnungspflicht galt auch für bereits durch Ghettos von der übrigen Bevölkerung getrennte Juden. Sie mussten selbst für Kauf und Verteilung der Abzeichen sorgen. In den Judenghettos gab es zeitweise 19 zusätzliche Kennzeichnungen für Hilfspolizisten, Ärzte, Angestellte eines Judenrates und Fabrikarbeiter. In der Öffentlichkeit nicht oder falsch gekennzeichneten Juden drohten die deutschen Behörden Strafen von Geldbußen bis hin zu Erschießung an.[33]
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Zwangsarbeiter im besetzten Mahiljou müssen vor ihrem Einsatz einen Judenstern annähen: Aufnahme einer Propagandakompanie vom Juli 1941
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Häftlinge im KZ Radogosc bei Litzmannstadt (Łódź) am 15. Februar 1940
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Sowjetische Kriegsgefangene mit Judenstern in der Sowjetunion, Aufnahme einer Propagandakompanie vom August 1941
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Frauen mit Judenstern im Ghetto von Chișinău, Moldauische SSR (1941)
Frankreich
Ab Dezember 1941 versuchte das NS-Regime, den Judenstern im besetzten Teil Frankreichs einzuführen, um die geplanten Deportationen französischer Juden einzuleiten. Dies stieß jedoch auf Widerstand bei der Bevölkerung und der Vichy-Regierung, vereinzelt auch bei lokalen deutschen Militärverwaltungen. Der damalige Premierminister Pierre Laval verweigerte die Kennzeichnungsverordnung mit dem Argument, die bisherigen antijüdischen Maßnahmen seien ausreichend und ein besonderes Abzeichen für Juden würde die Franzosen nur schockieren. Daraufhin wurde die Anordnung zunächst aufgeschoben.
Das „Judenreferat“ unter Adolf Eichmann machte die Durchsetzung des Abzeichens in ganz Westeuropa im März 1942 auf mehreren Konferenzen in Berlin und Paris zum Thema. Dabei erklärte der Befehlshaber der Sicherheitspolizei für das besetzte Frankreich und Belgien, Helmut Knochen, ausdrücklich, es handele sich dabei um einen notwendigen Schritt zur „Endlösung der Judenfrage“.
Am 7. Juni 1942 ordneten die deutschen Behörden schließlich selbst an, dass alle französischen Juden ab dem 6. Lebensjahr auf der linken Brustseite einen gelben Stern mit der Aufschrift „Juif“ (Jude) oder „Juive“ (Jüdin) zu tragen hätten. Das Vichy-Regime blieb jedoch weiterhin untätig. Etwa 17.000 von 100.000 zum Tragen verpflichteten Juden holten den Judenstern nicht ab. Viele nichtjüdische Franzosen trugen nun gelbe Kleidung oder sogar Sterne, um ihre Solidarität mit den verfolgten Juden zu zeigen. Die französische Polizei, die dafür bekannt war, Juden sonst nicht freundlich zu behandeln, verzichtete bei Ausweiskontrollen darauf, Verstöße gegen die Verordnung zu ahnden. Daraufhin wurden im bis November 1942 unbesetzten Teil Frankreichs keine Judenkennzeichen eingeführt.[34]
Benelux-Staaten
Für Belgien trat die Kennzeichnungspflicht für Juden am 3. Juni 1942 in Kraft; in den Niederlanden wurde sie mit Erlass vom 29. April 1942 eingeführt. Luxemburg wurde im August 1942 vom Großdeutschen Reich annektiert, so dass dessen Vorschriften in Kraft traten.
Dänemark
In Dänemark ließ sich der Judenstern nicht einführen. Die deutschen Besatzungsbehörden äußerten zwar den Wunsch nach einer Kennzeichnung, wagten aber nicht, diese selbst verbindlich anzuordnen. Doch am 1. Oktober 1943 begannen sie die bis dahin relativ unbehelligten dänischen Juden zu verhaften. Da die Nachricht von dieser Aktion vorher durchsickerte, konnten die Dänen in einer kollektiven Anstrengung ab Mitte September bis Ende Oktober etwa 7.200 Juden und 700 ihrer Angehörigen zur Flucht in das neutrale Schweden verhelfen (siehe Rettung der dänischen Juden).[35]
Nach einer populären Legende ritt König Christian X. dazu jeden frühen Morgen mit einem gelben Armband durch Kopenhagens Straßen, gefolgt von Dänen, die es ihm nachmachten. Auf diese Weise hätten die Nationalsozialisten keine dänischen Juden ausfindig machen können. Doch die dänische Königin Margrethe II. bestritt diese Geschichte: Dänen seien das Risiko, als Juden behandelt zu werden, auch ohne königliches Vorbild eingegangen. Die Legende hat keinen realen Hintergrund.[36]
Verbündete Staaten
Die Nationalsozialisten waren bestrebt, auch in den mit Deutschland verbündeten Staaten eine entsprechende Regelung einführen zu lassen. Dies geschah in der Slowakei bereits am 9. September 1941. In Rumänien folgte eine entsprechende Verordnung 1941 bzw. 1942, die aber nur für die neuerworbenen Gebiete galt. Auf Ungarn übte die deutsche Regierung im Jahre 1942 erheblichen Druck aus, doch kam es hier erst nach der Militärbesetzung am 31. März 1944 zur Kennzeichnungspflicht. In Bulgarien wurden derartige Pläne von einer starken Opposition abgelehnt. Im August 1942 wurde dort ein Abzeichen in Form eines kleinen gelben Knopfes eingeführt; doch diese Anordnung wurde nicht konsequent befolgt. In Finnland kam es zu keiner systematischen Diskriminierung der Juden (siehe Judentum in Finnland).
Literatur
- Konrad Kwiet: Nach dem Pogrom: Stufen der Ausgrenzung. In: Wolfgang Benz (Hrsg.): Die Juden in Deutschland, 1933–1945: Leben unter nationalsozialistischer Herrschaft. München 1988, ISBN 3-406-33324-9; vor allem S. 614–631
- Heinz Boberach (Hrsg.): Meldungen aus dem Reich. Auswahl aus den geheimen Lageberichten des Sicherheitsdienstes der SS 1939–1944. Dtv, München 1968
- Heinz Boberach: Überwachungs- und Stimmungsberichte als Quellen für die Einstellung der deutschen Bevölkerung zur Judenverfolgung. In: Ursula Büttner: Die Deutschen und die Judenverfolgung im Dritten Reich. Überarbeitete Neuauflage, Fischer, Frankfurt am Main 2003, ISBN 3-596-15896-6
- Philip Friedman: The Jewish Badge and the Yellow Star in the Nazi Era. (Historia judaica 17, 1955). In: Philip Friedman: Roads to extinction. Essays on the Holocaust. Jewish Publication Society, New York 1980, ISBN 0-8276-0170-0
- Peter Longerich: „Davon haben wir nichts gewusst!“ Die Deutschen und die Judenverfolgung 1933–1945. Siedler Verlag, München 2006; ISBN 3-88680-843-2; S. 163–181
- Jens J. Scheiner: Vom „Gelben Flicken“ zum „Judenstern“? Genese und Applikation von Judenabzeichen im Islam und christlichen Europa (841–1941). Lang, Frankfurt am Main 2004, ISBN 3-631-52553-2
- Alfred Worm: Vom „Menschensohn“ zum Judenstern. Die 7 Todsünden der römisch-katholischen Kirche. Edition Va Bene, Wien 1993, ISBN 3-85167-011-6
Weblinks
Commons: Judenstern – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien- Exponat: Judenstern (nach 1939) in der Sammlung des Deutschen Historischen Museums Berlin
- shoa.de Judensterne im Dritten Reich mit dem Text der Polizeiverordnung über die Kennzeichnung der Juden vom 1. Sep. 1941
- Peter Diem: Davidstern und Judenstern
- Schornsteinfeger … darin: Anzeigenerstattung wg. Fehlen des Judensterns
- Shoah Resource Center, Yad Vashem: Jewish Badge (PDF-Datei; 32 kB)
- Konrad Kwiet: Schrei, was du kannst; in: Der Spiegel, 26. September 1988. Auszug aus Konrad Kwiet: Der Weg in den Holocaust (III): Brandmarkung durch den „Judenstern“; C. H. Beck Verlag, München 1988.
Siehe auch
Einzelbelege
- ↑ Konrad Kwiet: „Judenstern“, in: Enzyklopädie des Nationalsozialismus 1998, S. 535.
- ↑ Bulle Cum nimis absurdum
- ↑ Friedrich Rühs: Über die Ansprüche der Juden auf das deutsche Bürgerrecht, Berlin 1815
- ↑ Jakob Friedrich Fries: Über die Gefährdung des Wohlstandes und Charakters der Deutschen durch die Juden (1816)
- ↑ Textauszug bei Christian Jansen/Henning Borggräfe: Nation – Nationalität – Nationalismus. Reihe Historische Einführungen Band 1; Gerald Hubmann: Ethische Überzeugung und politisches Handeln. Jakob Friedrich Fries und die deutsche Tradition der Gesinnungsethik. Heidelberg 1997
- ↑ Artikel „Kennzeichnung als Juden“, in: Enzyklopädie des Holocaust 1998, S. 750.
- ↑ Dokument des DHM, Berlin: Der Gelbe Fleck. Die Ausrottung von 500 000 deutschen Juden. Mit einem Vorwort von Lion Feuchtwanger. Editions du Carrefour, Paris 1936
- ↑ zitiert nach Holocaustreferenz: Lion Feuchtwanger: Der Gelbe Fleck
- ↑ Wolf Gruner (Bearbeiter:) Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933–1945. Bd. 1: Deutsches Reich 1933–1937. München 2008, ISBN 978-3-486-58480-6, S. 658 / irreführend, da in falschem Kontext: Konrad Kwiet: Nach dem Pogrom: Stufen der Ausgrenzung. In: Wolfgang Benz (Hrsg.): Die Juden in Deutschland 1933–1945 …; München 1988; ISBN 3-406-33324-9; S. 615.
- ↑ Gesetzestext auf Wikisource
- ↑ Artikel „Kennzeichnung“, in: Wolfgang Benz (Hrsg.): Lexikon des Holocaust, Becksche Reihe, München 1976, S. 119f.
- ↑ Wolf Gruner: „Lesen brauchen sie nicht zu können“ – Die Denkschrift über die Behandlung der Juden in der Reichshauptstadt auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens vom Mai 1938. In: Jahrbuch für Antisemitismusforschung 4 (1995), Frankfurt am Main 1995, ISBN 3-593-35282-6, S. 331f.
- ↑ Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933-1945. Band 2: Deutsches Reich 1938 – August 1939. München 2009, ISBN 978-3-486-58523-0; Dokument 146: Besprechung bei Göring, S. 432. Ebenfalls abgedruckt als PS-1816 in IMT: Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher, Bd. 38, S. 499ff.
- ↑ Dokument 149 (mit fünf Abbildungen) in: Die Verfolgung und Ermordung, Bd. 2, S. 442f.
- ↑ Peter Longerich: Davon haben wir nichts gewusst; S. 165f und S. 393, Anmerkung 36.
- ↑ Zitiert nach Peter Diem: Hexagramm und Davidstern
- ↑ Wolf Gruner: Judenverfolgung in Berlin 1933–1945. Eine Chronologie der Behördenmaßnahmen in der Reichshauptstadt. Berlin 1996, ISBN 3-89468-238-8, S. 80.
- ↑ Hans Mommsen und Dieter Obst: Die Reaktion der deutschen Bevölkerung auf die Verfolgung der Juden 1933–1943. In: Herrschaftsalltag im Dritten Reich, hrsg. von Hans Mommsen, Düsseldorf 1988, ISBN 3-491-33205-2, S. 401.
- ↑ Peter Longerich: Davon haben wir nichts gewusst; S. 181.
- ↑ Beate Meyer: „Goldfasane“ und „Narzissen“. Die NSDAP im ehemals „roten“ Stadtteil Hamburg-Eimsbüttel. Hamburg 2002, ISBN 3-9808126-3-4, S. 104.
- ↑ Wolf Gruner: Judenverfolgung in Berlin 1933–1945; Berlin 1996; ISBN 3-89468-238-8; S. 83. Bei Joseph Walk: Das Sonderrecht für Juden im NS-Staat. Heidelberg, Karlsruhe 1981; ISBN 3-8114-1081-4; S. 366 heißt es „schwarzer Stern“ – „Weißer Stern“ und vollständiger Erlass bei Wolfgang Benz (Hrsg.): Die Juden in Deutschland, 1933–1945: Leben unter nationalsozialistischer Herrschaft. München 1988, ISBN 3-406-33324-9, S. 618f.
- ↑ Wolf Gruner: Judenverfolgung in Berlin 1933–1945; Berlin 1996; ISBN 3-89468-238-8; S.79 bzw. 83.
- ↑ Victor Klemperer: LTI – Notizbuch eines Philologen. Leipzig 1975, S. 213.
- ↑ Felix-Nussbaum-Werkverzeichnis Nr. 439
- ↑ Meldungen aus dem Reich, S. 180.
- ↑ Meldungen aus dem Reich, S. 180ff (24. November 1941).
- ↑ Meldungen aus dem Reich, S. 205 (2. Februar 1942).
- ↑ Heinz Boberach: Überwachungs- und Stimmungsberichte; S. 57.
- ↑ Peter Longerich: Davon haben wir nichts gewusst; S. 172.
- ↑ Peter Longerich: Davon haben wir nichts gewusst; S. 175 und weitere Belege.
- ↑ Victor Klemperer: Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten. Tagebücher hrsg. Von Walter Nowoski, Berlin 1995 (4. Oktober 1941).
- ↑ Victor Klemperer: LTI – Notizbuch eines Philologen. Leipzig 1975, S. 218.
- ↑ Artikel „Kennzeichnung als Juden“, in: Enzyklopädie des Holocaust. Bd. 2, Piper, München 1998, ISBN 3-492-22700-7, S. 750f.
- ↑ Artikel „Kennzeichnung als Juden“, Enzyklopädie des Holocaust, S. 752f.
- ↑ Artikel „Dänemark“, Enzyklopädie des Holocaust. Band I, 1998, S. 307f.
- ↑ Enzyklopädie des Holocaust, Band 2, München 1998, S. 753.
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