Halbjude

Halbjude

Innerhalb des Judentums ist der Begriff Halbjude ungebräuchlich, da dieses nur „ganze“ Juden kennt, nämlich in die Kulturgemeinschaft hineingeboren („jüdisch ist, wer eine jüdische Mutter hat“) oder durch Giur konvertiert.

In der Zeit des Nationalsozialismus war Halbjude kein juristischer Fachterminus; der Begriff wurde in den Nürnberger Rassegesetzen und den sich darauf beziehenden Verordnungen nicht verwendet. 1941 wurde das Stichwort „Halbjude“ erstmals im Duden aufgenommen und dort definiert: Halbjude (jüdischer Mischling mit zwei volljüdischen Großeltern).[1]

Inhaltsverzeichnis

Situation innerhalb des deutschen Reiches

Gesetzlich wurde grundsätzlich zwischen zwei Gruppen unterschieden, nämlich zwischen „Juden“ und „jüdischen Mischlingen“[2]. Die Gruppe der „jüdischen Mischlinge“ wurde weiter unterteilt in „jüdische Mischlinge ersten Grades“ mit zwei jüdischen Großeltern und „jüdische Mischlinge zweiten Grades“ mit einem Großelternteil. Ungeachtet gleicher „biologisch-rassischer Abstammung“ galten "Mischlinge ersten Grades" jedoch dann als (Voll - ) „Juden“, wenn sie der jüdischen Kultusgemeinde angehörten, mit einem Juden verheiratet waren oder nach 1935 einen Juden ehelichten. Für diese Gruppe von „Halbjuden“ wurde später der Begriff Geltungsjude geprägt.

Diese differenzierte Einteilung, die durch den Begriff „Halbjude“ verwischt wird, war von existentieller Bedeutung für die Betroffenen. Bei ungünstiger Eingruppierung erhielten sie keine Zulassung zum Studium; sie wurden zur Zwangsarbeit herangezogen oder ihnen wurde eine Heiratsgenehmigung verweigert. Bei ehelicher Verbindung mit einem „Volljuden“ wurden als „Geltungsjuden“ eingestufte Halbjuden deportiert.

Situation in den besetzten Gebieten

In den besetzten Ostgebieten wurden „Halbjuden“ unterschiedslos wie die „Volljuden“ in den Vernichtungsprozess einbezogen. Das Judenreferat im Reichssicherheitshauptamt versuchte, die innerhalb des Reiches strittige Entscheidungsfindung zu beeinflussen, indem sie auch in den westlichen Besatzungsgebieten Fakten schuf. Im August 1941 entschied Adolf Eichmann im Einvernehmen mit Arthur Seyß-Inquart, die in den Niederlanden lebenden „Halbjuden“ grundsätzlich den Volljuden gleichzusetzen und sie zu deportieren. Ab Mai 1942 waren dort auch „Halbjuden“ verpflichtet, den Judenstern zu tragen.[3]

Begriff nach 1945

Der Begriff Halbjude wurde von verschiedenen Personen auch nach dem Krieg weiterbenutzt. So kritisiert Ignaz Bubis 1999:[4]

„Der Nationalsozialismus hat aus dem Juden eine Rasse gemacht und die Religion vollkommen außer Acht gelassen. […] Nach 1945 ist der Rassismus, nicht aber der Antisemitismus weitgehend verschwunden. In einigen Köpfen spielt der Rassismus, wenn auch unterschwellig, allerdings noch immer eine Rolle. Ich bin immer wieder erstaunt, wenn Leute auf mich zukommen und sich vorstellen mit den Worten, dass sie Halbjuden seien. Ich stelle dann die bescheidene Frage, welcher Teil von ihnen Jude sei, die untere oder die obere Hälfte oder ob es bei ihnen senkrecht gehe. Keiner kommt auf die Idee, von sich zu behaupten, er sei halbkatholisch, wenn er aus einer katholisch-protestantischen Familie stammt.“

Die Verwendung des Begriffes Halbjude ist an sich ein Phänomen des deutschen Sprachraumes. Teilweise hat sich der Begriff auch nach 1945 auch im englischen Sprachraum etabliert. In anderen Sprachen hat sich inzwischen das 1995 von Andreas Burnier eingeführte Wort „Vater-Jude“ verbreitet, das den Sachverhalt kennzeichnet, dass der Vater Jude ist, aber nicht die Mutter. Dieser Begriff steht in Zusammenhang mit den Bestimmungen der Halacha, wonach sich die jüdische Religionszugehörigkeit üblicherweise durch Geburt von einer jüdischen Mutter herleitet.

Ältere Geschichte des Begriffs

Es gibt wenige Fundstellen, dass der Begriff Halbjude verwendet wird. So wurde der unbeliebte Herrscher Herodes als Halbjude beschimpft, weil seine Familie aus Idumäa stammte, einem Gebiet, das zwangsweise zum Judentum bekehrt worden war.[5] Da er von Rom zum König von Judäa gekrönt war, kann der Begriff „halbjüdisch“ als vager, herabwürdigender Ausdruck für „Jude, aber nicht den jüdischen Interessen dienend“ interpretiert werden, ähnlich wie später in anderem Kontext "Hausneger" im Gegensatz zu "Feldneger" bei Malcolm X.

Eindeutig als herabsetzende erbbiologische Bezeichnung benutzt 1881 der Antisemit Eugen Dühring den Ausdruck in seiner Schrift „Die Judenfrage als Racen, Sitten- und Culturfrage” (vgl.: Cornelia Schmitz-Berning, 1998, Vokabular des Nationalsozialismus [6]).

Literatur

  • Helmut Krüger: Der halbe Stern. Leben als deutsch-jüdischer 'Mischling' im Dritten Reich, mit einem Nachwort von Götz Aly. Berlin: Metropol, 1993. ISBN 3-926893-16-8

Einzelnachweise

  1. Duden, 12. Auflage 1941, S. 222.
  2. Cornelis Schmitz-Berning: Das Vokabular des Nationalsozialismus. 2. Aufl. Berlin 2007, ISBN 978-3-11-019549-1, S. 293 mit Verweis auf Kommentar von Stuckart/Schiedermair 1942
  3. James F. Tent: Im Schatten des Holocaust. Schicksale deutsch-jüdischer "Mischlinge" im Dritten Reich Böhlau Verlag, Köln & Weimar 2007, ISBN 978-3-412-16306-8, S. 85-86.
  4. Ignatz Bubis. In: Kai Hafez/Udo Steinbach (Hrsg.): Juden und Muslime in Deutschland. Minderheitendialog als Zukunftsaufgabe. Deutsches Orient-Institut, Hamburg 1999, ISBN 3-89173-054-3 (Tagung Juden und Muslime in Deutschland – gemeinsam fremd, Hamburg, 21. Januar 1999).
  5. Prof. Dr. Boris Repschinski: Skriptum zur Vorlesung "Umwelt Neues Testament", Universität Innsbruck, WS 04/05 [1]
  6. Cornelia Schmitz-Berning: Vokabular des Nationalsozialismus. Walter de Gruyter, Berlin 1998, ISBN 3-11-016888-X, S. 292, 2.

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