Kolbenverschluss

Kolbenverschluss

Der Kolbenverschluss ist eine Verschlusskonstruktion, die vor allem bei relativ großkalibrigen Geschützen im Zeitraum von ungefähr 1840 bis 1880 zum Einsatz kam.

Inhaltsverzeichnis

Grundsätzliche Anforderungen

Der Verschluss des Geschützes schließt das Rohr nach hinten ab und muss bei Schussabgabe die Kräfte des Rückstoßes über das Rohr in die Lafettenkostruktion ableiten. Dazu muss er zuverlässig mit dem Rohr verriegeln. Zusammen mit der Kartusche muss er das Rohr gasdicht abschließen, um die Treibladung möglichst vollständig auszunutzen. Der Verschluss sollte einen Schutz gegen unbeabsichtigte Abfeuerung bieten. Grundsätzlich muss sich der Verschluss bei manueller Betätigung mit wenigen Handbewegungen schnell öffnen und schließen lassen. Gefordert werden weiterhin geringes Gewicht und geringe Abmessungen, um die tote Rohrlänge, das heißt die Länge des Rohres hinter der Patronen- bzw. Pulverkammer zu minimieren. Diese tote Rohrlänge bestimmt zusammen mit dem Rücklaufweg des Rohres die maximale Rohrerhöhung bei gegebener Lafettenkonstrunktion.

Geschichte

Vorderlader blieben bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts die bestimmende Konstruktionsform für Artilleriegeschütze. Da Artilleriegefechte sowohl zu Land als auch auf See auf wenige hundert Meter Entfernung geführt wurden, genügten die Schußleistungen den damaligen Anforderungen. Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts kamen wirksame Panzerungen für Kriegsschiffe auf. Ein Durchschlagen dieser Panzerungen mit herkömmlichen Vollgeschossen war praktisch nicht möglich. Auch zu Land wurde mit Abkehr von der herkömmlichen Lineartaktik eine höhere Reichweite und Durchschlagsleistung der Artillerie gefordert. Diese war jedoch nur mit Langgeschossen und damit einhergehend der Verwendung gezogener Rohre zu erreichen. Ein Laden dieser Langgeschosse durch die Mündung war jedoch nur schwer möglich. Wegen der geringen Differenz zwischen Kaliber der Granate und Kaliber des Rohres mussten diese mit erheblichen Kraftaufwand in das Rohr eingepresst werden. Dies war gerade bei größeren Kalibern - und damit potentiell weitreichenden Geschützen - praktisch unmöglich. Auf jeden Fall sank die Kadenz der Geschütze auf nicht mehr akzeptable Werte ab. Eine Vergrößerung der Kaliberdifferenz verbot sich aufgrund der schlechteren Ausnutzung der Treibladung. Durch Giovanni Cavalli und Martin von Wahrendorff in Piemont bzw. Schweden und William Armstrong in Großbritannien wurden ab Ende der 1840er moderne Hinterladergeschütze konstruiert. Da das Rohr zum Nachladen zwangsläufig offen war, musste es während des Schusses durch einen Verschluss abgeschlossen werden. Um das Nachladen zu ermöglichen, musste dieser Verschluss beweglich sein. Zur Anwendung kamen zunächst einfache, manuell betätigte Fallblockverschlüsse. Derartige Geschütze wurden in Piemont, in Schweden und in Großbritannien bei der Royal Navy und der British Army eingeführt. Großbritannien stellte jedoch bereits nach kurzer Zeit die Produktion derartiger Hinterlader wieder ein, da Herstellung und Unterhalt zu kostenintensiv waren und gegenüber Vorderladern taktisch kaum Vorteile boten. Als Nachteil der Hinterlader erwies sich auch zum damaligen Zeitpunkt die Tatsache, dass bei Vorderladern eine größere Treibladung benutzt werden konnte, dadurch waren bei ihnen Reichweite und Durchschlagsleistung höher. Der Grund für die geringere Leistungsfähigkeit der Hinterlader war die Belastung der Rohre und die Verwendung schnell abbrennender Treibladungspulver, die einen höheren Maximaldruck erzeugten.

In den 1860er Jahren wurde mit dem Kolbenverschluss eine Verschlusskonstruktion zur Einsatzreife gebracht, die gasdicht war und ein relativ schnelles Nachladen ermöglichte. Der erste Kolbenverschluss mit Nadelzündung soll 1833 vom Belgier P. C. Montigny erfunden worden sein. Wahrendorff setze bei seinen Konstruktionen ab 1845 ebenfalls einen Kolbenverschluss ein[1] In Preußen arbeitete man zwischen 1850 und 1860 an der Entwicklung des Kolbenveschlusses.[2] und führte ihn vor 1870/71 bei Geschützen ein. In der Österreich-ungarischen Armee wurde mit der 12-cm-Kanone M1861 ebenfalls ein Hinterlader mit Kolbenverschluss eingeführt. Daneben sollen dort auch noch 15-cm-Kanonen in langer und kurzer Ausführung sowie eine 9-cm-Kanone mit Kolbenverschluss eingeführt worden sein.[3] Wegen seiner konstruktionsbedingten Nachteile wurde der Kolbenverschluss jedoch schnell durch andere Verschlusstypen wie den Keilverschluss und den Schraubenverschluss abgelöst.

Konstruktionsprinzip

Kolbenverschluss, Preußen, ca. 1860
Nachbau einer preußischen C/61 mit geöffnetem Kolbenverschluss

Beim Kolbenverschluss wird ein Kolben von hinten in das Rohr eingeführt. Durch die konische Form des Kolbens bzw. das Aufbringen weicher Materialien wird die gasdichte Abdichtung erreicht. Bei den preußischen Geschützen wurde dazu vor jedem Schuss ein Bodenstück aus Hanfpappe vor den Verschlusskolben gesetzt. Zu Verriegelung wird ein Passstift quer zur Achse des Rohres durch Rohr und Verschluss geführt. Bei der Konstruktion von Wahrendorff wird der Passstift zusätzlich noch durch eine Schraubverbindung gesichert. Da die Führung des Passtiftes im Kolben ein gewisses Spiel aufwies, um den Passtift in Rohr und Kolben einführen zu können, wurde der Kolben zusätzlich noch mit einer Schraube (m) in das Rohr hineingepresst.

Die Verriegelung wurde bei dieser Konstruktion durch den Passtift sichergestellt. Da der Passtift jedoch manuell eingesetzt werden musste, war eine automatische Verriegelung nicht gegeben. Ebenso war keine automatische Sicherung gegen unbeabsichtigtes Abfeuern bei nicht vollständig geschlossenem Verschluss oder fehlender Verriegelung gegeben. Die Vielzahl der Bedienungselemente führt zur komplizierten Handhabung und damit langen Ladezeiten. Grundsätzlich war der Verschluss brauchbar, erschien aber aufgrund der dann zu bewegenden Massen für Geschütze mit einem Kaliber über 15 cm ungeeignet.

Bei Beibehaltung des Grundprinzips - Einführen des Verschlusses von hinten in das Rohr - wurde aus dem Kolbenverschluss der Schraubenverschluss entwickelt.

Einzelnachweise

  1. Brockhaus 1894-1896, S. 914
  2. Brockhaus 1894-1896, S. 914
  3. Brockhaus 1894-1896, S. 919

Literatur

  • Brockhaus' Konversationslexikon, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896
  • Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 7. Leipzig 1907, S. 692-709.

Weblinks


Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Поможем сделать НИР

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • K.u.k. Dragoner — Dragoneroffizier in Paradeadjustierung Die k.u.k. Dragoner bildeten neben den Husaren und Ulanen die Kavallerie der österreichisch ungarischen Monarchie. Bedingt durch die Eigenart Österreich Ungarns seit 1867 faktisch drei nebeneinander… …   Deutsch Wikipedia

  • K.u.k. Husaren — Die k.u.k. Husaren (in der ungarischen Landwehr: k.u. Husaren) waren neben den Dragonern und Ulanen eine der Truppengattungen der Kavallerie der k.u.k. Armee und der k.u. Landwehr in der Zeit von 1867 bis 1918. Die österreichische Monarchie… …   Deutsch Wikipedia

  • K.u.k. Ulanen — Ulan in Wintermarschadjustierung Die k.u.k. Ulanen (bzw. k.k. Landwehr Ulanen) bildeten neben den Dragonern und Husaren die Kavallerie der österreichisch ungarischen Monarchie. Bedingt durch die Eigenart Österreich Ungarns seit 1867 faktisch drei …   Deutsch Wikipedia

  • Verschluss (Waffentechnik) — Zerlegter Verschluss eines Repetiergewehres Der Verschluss ist eine Baugruppe eines Hinterladers und schließt den Lauf nach hinten ab. Der Verschluss verhindert das Austreten von Treibladungsgasen nach hinten. Er muss dabei stabil genug sein, um… …   Deutsch Wikipedia

  • Österreichisch-Ungarische Landstreitkräfte 1867–1914 — Militär Bauingenieur im Hauptmannsrang in Dienstadjustierung Die Landstreitkräfte Österreich Ungarns bestanden 1867–1918 aus der Gemeinsamen Armee[1] (die bis 1889 die vorangestellte Bezeichnung k.k. verwendete, ab 1889 dann das seit 1867… …   Deutsch Wikipedia

  • Gemeinsame Armee — Noch heute von der polnischen Armee genutzte Kaserne des k.u.k. Ulanen Regiments Nr. 3 in Bielitz Die von der k.u.k. Militäradministratur offiziell so bezeichnete Gemeinsame Armee, vom Kaiser und in Gesetzen auch einfach als Heer bezeichnet[1],… …   Deutsch Wikipedia

  • k.u.k. Dragoner — Dragoneroffizier in Paradeadjustierung Die k.u.k. Dragoner bildeten neben den Husaren und Ulanen die Kavallerie des österreichisch ungarischen Heeres. Bedingt durch die Eigenart Österreich Ungarns seit 1867 faktisch drei nebeneinander… …   Deutsch Wikipedia

  • k.u.k. Husaren — Die k.u.k. Husaren (in der ungarischen Landwehr: k.u. Husaren) waren neben den Dragonern und Ulanen eine der Truppengattungen der Kavallerie der Gemeinsamen Armee und der k.u. Landwehr in der Zeit von 1867 bis 1918. Die österreichische Monarchie… …   Deutsch Wikipedia

  • k.u.k. Ulanen — Ulan in Wintermarschadjustierung Die k.u.k. Ulanen (bzw. k.k. Landwehr Ulanen) bildeten neben den Dragonern und Husaren die Kavallerie der österreichisch ungarischen Monarchie. Bedingt durch die Eigenart Österreich Ungarns seit 1867 faktisch drei …   Deutsch Wikipedia

  • Keilverschluss — Krupp Querkeilverschluss. Schweizerische Ord. 8,4 cm Feldkanone 1879 Der Keilverschluss ist eine Verschlusskonstruktion, die vor allem bei relativ großkalibrigen Geschützen zum Einsatz kommt. Inhaltsverzeichnis …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”