- Armstrong-Kanone
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Der Begriff Armstrong-Kanonen bezeichnet üblicherweise Hinterladergeschütze mit einer nach ihrem Erfinder William George Armstrong, 1. Baron Armstrong benannte Verschlusskonstruktion.
Seltener wird der Begriff für eine ebenfalls von Armstrong entwickelte Konstruktionsform von Geschützrohren entwickelt.
Umgangssprachlich wird mit Armstrong-Kanone vor allem im deutschen Sprachraum auch die auf Malta noch vorhandene RML 17.72 inch gun bezeichnet.
Inhaltsverzeichnis
Konstruktion
1854 schlug Armstrong dem britischen Kriegsministerium (Secretary of State for War) eine 3-Pfünder-Hinterladerkanone mit gezogenem Rohr für Erprobungszwecke vor. Später wurde das Geschütz aufgebohrt, um 5-Pfünder-Granaten verschießen zu können. Das Ergebnis überzeugte sowohl in der Reichweite als auch Zielgenauigkeit. Armstrong entwickelte das Verschlusssystem weiter und setzte es bei Kanonen größeren Kalibers ein.
Waffen nach diesem Konstruktionsprinzip wurden 1858 bei der British Army eingeführt. Zunächst wurden nur Geschütze der Feldartillerie mit relativ kleinem Kaliber nach diesem Prinzip entwickelt. Zur Anwendung kam der Verschluss bei 9-Pfünder-Gebirgs- und leichten Feldgeschützen mit dem Kaliber 2,5 inch / 64 mm), dem pferdebespannten 9-Pfünder Kaliber 3 inch (76 mm) und den 12-Pfünder-Feldgeschützen Kaliber 3 inch.
Armstrong hielt das Verschlusssystem für Geschütze größeren Kalibers prinzipiell für nicht geeignet, entwickelte jedoch auf Anweisung der zuständigen Stellen entsprechende Waffen: einen 20-Pfünder (3,75 inch / 95 mm) als Feld- und Schiffsgeschütz, einen 40-Pfünder (4,75 inch /121 mm) als Belagerungsgeschütz und eine schwere 110-Pfünder-Kanone (7 inch/ 180 mm). Alle dieser Kaliber kamen bei der Royal Navy zum Einsatz und wurden - außer dem 20-Pfünder - auch in Neuseeland als Feldgeschütz bzw. der Küstenartillerie eingesetzt.
Hergestellt wurden die Geschütze bei Elswick und Royal Arsenal.
Konstruktion des Rohres
Armstrong benutzte für seine Waffen ein Seelenrohr, das anfänglich aus nach dem Puddelverfahren gewonnenem Eisen hergestellt war. Ab 1863 wurde Stahl mit einem Kohlenstoffgehalt von 0,05–0,15% genutzt, der im Ölbad gehärtet wurde. Das Seelenrohr war von Ringen aus Schmiedeeisen umgeben, die das Rohr unter Vorspannung zusammenhielten. Am hinteren Teil des Rohres befand sich das Verschlussstück, seitlich Schildzapfen, die an einem trunnion ring genannten Ring angegossen waren.[1] Die Züge waren polygonal, der Querschnitt bestand aus einem 38-seitigem Vieleck.
Das Geschoss aus Gusseisen, dessen Form an ein Minié-Geschoss angelehnt war, war mit einer dünnen Ledermanschette umgeben, so dass der Durchmesser des Geschosses insgesamt geringfügig größer als die Bohrung des Rohres war. Die Umhüllung mit Leder sorgte im Zusammenwirken mit den Züge für den Drall des Geschosses. Dieses System wurde ursprünglich von Martin von Wahrendorff und Giovanni Cavalli in Schweden entwickelt. Der Drall des Geschosses und die durch das Zusammenwirken von Polygonalzügen und Lederflecken bewirkte höhere Gasdichtigkeit sorgten für eine größere Reichweite und Genauigkeit im Vergleich zu herkömmlichen Vorderladern.
Ein weiteres, von Armstrong eingeführtes Element war die von ihm "grip" genannte Verengung des Rohres. An der Mündung der Geschosskammer (shot chamber) wies das Rohr auf einer Länge von ca. 6 Fuß einen geringfügig kleineren Durchmesser auf. Durch diesen "grip" wurde das Geschoss vor Verlassen des Rohres zentriert, was zu einer besseren Genauigkeit beitrug. Gleichzeitig wurde die Lederumhüllung abgestreift.
Auf dem granatseitigem Ende der Treibladung befand sich ein "Öler" (lubricator). Er bestand aus zwei dünnen Blechen, zwischen denen sich Talg und Leinöl befanden. Zum Rohr wurde der Öler mit einer Pappscheibe und Bienenwachs abgedichtet. Er wurde durch die Treibladung nach der Granate aus dem Rohr getrieben und reinigte es dabei zuverlässig von Rückständen der Lederverkleidung des Geschosses.[2]
Die von Armstrong eingeführten Elemente - der Aufbau mit Seelenrohr und verstärkenden Mantelringen - kam auch beim später erfolgten zeitweiligen Übergang auf Vorderlader und zusammen mit dem polygonal gebohrten Rohr teilweise auch bei den moderneren britischen Hinderladergeschützen gegen Ende des 19. Jahrhunderts zur Anwendung. Als für die Hülse der Granate weichere, aber dennoch stabile Materialien zur Verfügung standen, konnte auf den Lederflecken verzichtet werden. Die Verstärkungsringe verliehen britischen Geschützen der damaligen Zeit ihr charakteristisches Aussehen.
Konstruktion des Verschlusses
Konstruktiv handelt es sich um einen Fallblockverschluss. Der Block aus massivem Material, als vent-piece bezeichnet, besaß an der Vorderseite einen konischen Ring aus Kupfer, der die Pulverkammer (powder chamber) abdichtete. Eine von hinten in das Rohr eingedrehte Schraube, screw breech, hielt Block und Kupferring kraftschlüssig an ihrem Platz.
Das Laden und Feuern lief wie folgt ab:
- die Verschlussschraube wurde aus ihrem Sitz im Rohr herausgedreht, bis der Verschlussblock frei beweglich war
- der Verschlussblock wurde nach oben gezogen, bis das Rohr frei war
- Geschoss und Treibladung (zur damaligen Zeit in Form von Kartuschbeuteln) wurden von hinten durch den Sitz der Verschlussschraube in das Rohr eingeführt
- die Zündladung wurde in die vertikale Aufnahmebohrung des Verschlussblockes eingesetzt
- der Verschlussblock wurde in das Rohr herabgelassen
- die Verschlussschraube wurde angezogen
- der Zünder wurde in die Zündladung eingeführt
- der Kanonier zündete den Zünder, der wiederum die Zündladung zündete, welche wiederum durch den L-förmigen Zündkanal im Verschlussblock die Treibladung zur Zündung brachte
Der Aufbau des Verschlusses war insgesamt kompliziert und bestand aus mehreren beweglichen Teilen. Die Synchronisation dieser Teile beim Ladevorgang bedurfte entweder besonderer mechanischer Konstruktionen oder - falls diese nicht vorhanden waren - der besonderen Umsicht der Geschützbedienung beim Laden und Feuern. Das Problem der Gasdichtigkeit des Verschlusses war ebenfalls nicht zufriedenstellend gelöst. Schließlich wurde das Rohr durch die Aussparung für den Verschlussblock an einer hochbelasteten Stelle - der Pulverkammer - geschwächt.
Dennoch setzten die Briten derartige Geschütze im Zweiten Opiumkrieg erfolgreich ein. Der Übersetzer Robert Swinhoe berichtete nach dem Angriff auf Pehtang:
„Numbers of dead Chinese lay about the guns, some most fearfully lacerated. The wall afforded very little protection to the Tartar gunners, and it was astonishing how they managed to stand so long against the destructive fire that our Armstrongs poured on them; but I observed, in more instances than one, that the unfortunate creatures had been tied to the guns by the legs.[3]“
Im Jahr 1863 wurde durch ein Ordnance Select Committee die Eignung von Hinterladern des Systems Armstrong (RBL - Rifle Breech Loading) und Vorderladern (ML- Muzzle Loading) untersuchen, jedoch wurde bereits 1864 auf Regierungsbeschluß die Herstellung von Armstrong - Hinterladern gestoppt. Das Komitee stellte in seinem Abschlußbericht fest:
„The many-grooved system of rifling with its lead-coated projectiles and complicated breech-loading arrangements is far inferior for the general purpose of war to the muzzle-loading system and has the disadvantage of being more expensive in both original cost and ammunition. Muzzle-loading guns are far superior to breech-loaders in simplicity of construction and efficiency in this respect for active service; they can be loaded and worked with perfect ease and abundant rapidity.“
Obwohl der Armstrong-Hinterlader sicherer als Vorderlader waren (in einigen Fällen kam es zum Aufreißen des gegossenen Rohrs), wurden insgesamt die Vorteile beim Vorderlader gesehen. Eine große Rolle spielten bei dieser Bewertung die höheren Kosten für Waffe und Munition der nach dem System Armstrong hergestellten Kanonen.[4] Sowohl Royal Navy als auch British Army gingen in Folge wieder zu Vorderladern über. Armstrong konstruierte zwar noch einen 40-Pfünder und einen 64-Pfünder mit verbessertem Verschluss(horizontal laufender Block und ohne Verschlussschraube), die Entscheidung war jedoch bereits getroffen.
Als gravierender Nachteil stellte sich jedoch die geringe Durchschlagsleistung der Vorderlader heraus. Diese Kanonen waren als Glattrohrkanonen konstruiert, da ein Laden der Granate von vorn bei einem gezogenen Rohr nicht möglich war. Armstrong entwickelte daraufhin spezielle Geschosse mit warzenförmigen Erhebungen, die in den Feldern der Kanone glitten und so ein Laden von vorn ermöglichten. Allerdings musste auf das sehr gasdichten Polygonalrohr verzichtet werden, die Rohre besaßen herkömmliche Felder und Züge. Diese Kanonen wurden als RBL - Rifle Breech Loading - geführt. Die polygonale Bohrung kam erst wieder beim erneuten Übergang zum Hinterlader zur Anwendung.
Armstrong-Kanone auf Malta
Eine Armstrong-Kanone steht in Kalkara auf der Insel Malta in der ehemals britischen Befestigungsanlage Rinella Battery (erbaut 1878). Bei dem 1882 ausgelieferten Geschütz handelt es sich um eine 100-t-Kanone (Kaliber 17,72 inches = 45 cm), deren 1000 kg schwere Geschosse etwa 13 km weit fliegen und bis zu 65 cm dicke Panzerungen durchbrechen konnten.
Die Besonderheit liegt nicht nur in der Größe, sondern auch in der Bedienung: Das Geschütz wurde mittels einer unterirdischen Dampfmaschine hydraulisch betrieben, so dass ein einzelner Soldat in der Lage war, das Geschütz horizontal und vertikal auszurichten und abzufeuern.
Unmittelbar vor der Kanone sind links- und rechtsseitig zwei Magazinbunker vorgelagert. Damit war es möglich, die Waffe wechselseitig zu beladen und zwei Schuss innerhalb von 6 Minuten abzugeben.
Ursprünglich war das Geschütz zur Abschreckung gedacht, weil die italienische Marine 1882 einige Armstrong-Kanonen ähnlicher Größe auf Kriegsschiffe montiert hatte. Das damals britische Malta sah sich somit im Zugzwang, wenigstens gleichgroße Kanonen mit mindestens gleicher Reichweite auf der Insel stationiert zu haben, so dass diese verteidigt werden konnte. Eine Stationierung kleinerer Kanonen hätte Angreifer aufgrund ihrer Reichweitenüberlegenheit bevorteilt und die Verteidiger der Insel in praktisch wehrlosem Zustand belassen, da der von seewärts kommende Angreifer mit den an Land stationierten eigenen Geschützen nicht hätte erreicht werden können.
Früher gab es noch eine zweite 100 t Armstrong-Kanone in der Cambridge Battery auf Malta, die jedoch heute nicht mehr vorhanden ist. Zwei weitere Geschütze waren in Gibraltar stationiert. Eines dieser Gibraltar-Geschütze ist beim Abfeuern explodiert, das andere kann heute noch besichtigt werden.
Das Malta-Geschütz wurde zur Kriegszeit lediglich zweimal zur Funktionsüberprüfung abgefeuert und blieb, da es abschreckend genug war, in dieser Zeit unbenutzt. Später gab es modernere Hinterladerkanonen bzw. Hinterladergeschütze, die schließlich die Vorderlader ablösten, so dass das Geschütz letztlich obsolet wurde.
Das Malta-Geschütz wird obligatorisch einmal im Jahr zu Nationalfeierlichkeiten abgefeuert, was derzeit jedoch aufgrund eines Geschütz-Defektes nicht möglich ist. Hierfür würde dann eine 100 kg schwere Pulver-Kartusche in den Lauf gelegt - die genug Energie abliefern würde, um ein 1000 kg Explosivgeschoss abfeuern zu können.
Einzelnachweise
- ↑ nach Holley, Treatise on Ordnance and Armour, 1865, Seiten 863–870, ist das Armstrong zugesprochene Patent strittig, da bereits Daniel Treadwell eine entsprechende Konstruktion patentieren ließ und Armstrong diese Konstruktion exakt kopierte
- ↑ Treatise on Ammunition 1877, Seiten 166–167
- ↑ Robert Swinhoe, Narrative of the North China Campaign of 1860 (London: Smith, Elder & Co, 1861) S. 105.
- ↑ WL Ruffell: The Gun - Rifled Ordnance: Whitworth. The Gun. Abgerufen am 6. Februar 2008.
Weblinks
Commons: Armstrong-Kanone – Album mit Bildern und/oder Videos und AudiodateienLiteratur
- Treatise on Ammunition. War Office, UK, 1877
- Alexander Lyman Holley, "A Treatise on Ordnance and Armor" published by D Van Nostrand, New York, 1865
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