Regierung Zdeněk Fierlinger I.

Regierung Zdeněk Fierlinger I.

Die Regierung Fierlinger I., auch die Kaschauer Regierung (tschechisch: Košická vláda) beziehungsweise provisorische Regierung Fierlinger genannt, war im Amt vom 4. April bis 6. November 1945. Der Ministerpräsident war der (damals) Sozialdemokrat Zdeněk Fierlinger. Es war die erste Regierung der Tschechoslowakei, die nach dem Zweiten Weltkrieg auf dem Territorium des Landes regieren konnte.

Inhaltsverzeichnis

Zustandekommen

Im März 1945 trafen sich in Moskau Vertreter der tschechoslowakischen Londoner Exilregierung mit führenden Funktionären der Kommunistichen Partei der Tschechoslowakei, unter anderem mit Klement Gottwald. Hier wurde nicht nur die Zusammensetzung der künftigen Regierung besprochen, sondern vor allem ihre Aufgaben, die im Regierungsprogramm, dem sogenannten Kaschauer Programm festgehalten wurden, der mit Billigung des Exilpräsidenten Edvard Beneš eine deutliche außenpolitische wie wirtschaftliche Orientierung auf die Sowjetunion festschrieb und die Stellung der kommunistischen Partei unterstrich.[1]

Nach der Meinung von Präsident Beneš sollte die neue Regierung erst auf dem befreiten Gebiet der Tschechoslowakei zustande kommen (bis dahin sollte die Londoner Exilregierung im Amt bleiben), sie sollte als Regierung der Nationalfront gebildet werden, und sie sollte provisorisch bleiben, bis die Verhältnisse geklärt sind und Wahlen stattfinden.[2]

Die Regierung wurde in Amt eingeführt am 5. April 1945 in Košice (Kaschau) in der Ostslowakei, nachdem dieses Gebiet bereits befreit wurde. Hier wurde das zuvor ausgearbeitete Kaschauer Programm als Regierungsprogramm angenommen und der bisherige Botschafter der Londoner Exilregierung in Moskau, der Sozialdemokrat und spätere Kommunist Zdeněk Fierlinger, zum Ministerpräsidenten ernannt. Edvard Beneš blieb nach wie vor Präsident.

Programm: Grundsteine der weiteren Entwicklung

Diese erste Regierung Fierlingers dauerte zwar nur wenige Monate, doch sie prägte die künftige Entwicklung des Landes. Es waren vor allem sechs Gesetze, die zwar entsprechend den Vorgaben des Kaschauer Programms durch die Regierung eingebracht, jedoch auf Wunsch des Präsidenten als Dekrete des Präsidenten erlassen wurden und somit nicht auf parlamentarischem Weg verabschiedet werden mussten[1]:

  • Mit den Dekreten Nr. 12 und 21 (vom 21. Juni 1945 bzw. vom 20. Juli 1945) wurde die erste Phase der Bodenreform eingeleitet. Etwa 2,946 Mio Hektar Grund und Boden (samt landwirtschaftlicher Gebäuden) wurden konfisziert; 1,22 Mio Hektar wurden an Kleinwirte oder Bauern ohne Besitz verteilt, der Rest fiel dem Staat zu. Ein großer Teil dieser Fläche lag im Grenzgebiet, also im ehemaligen Sudetenland: deshalb konnte auch behauptet werden, der an Tschechen und Slowaken verteilte Land wurde "Deutschen, Ungarn, Kollaborateuren und Verrätern" genommen. Gleichzeitig konnten so die infolge der Vertreibungen dünn besiedelte Grenzgebiete neu besiedelt werden.
  • Mit den Dekreten Nr. 100, 101, 102 und 103 (alle vom 24. Oktober 1945) wurden wesentliche Teile der Industrie und des Finanzkapitals verstaatlicht. Es betraf Bergwerke und einige Industriebetriebe sowie alle Banken und Versicherungen. 3348 Betriebe mit 55,3 % der Industriebeschäftigten, die etwa zwei Drittel der Produktion erzeugten, wurden mit weiteren kleineren Betrieben der Regierungsverwaltung unterstellt.

Diese volkswirtschaftlichen Veränderungen hatten weitreichende Folgen auch für die soziale Struktur: Während das Finanz- und Großkapital sowie das Grundbesitz eliminiert bis vernichtet wurden, konnten die unteren sozialen Schichten zuerst ihre Stellung verbessern; es kam zu großen Eigentumsverschiebungen. Diese Politik wurde durch seine folgenden zweiten Regierung fortgesetzt.

Regierungszusammensetzung

Die Regierung Zdeňek Fierlinger I. befand sich im Amt vom 5. April 1945 bis 6. November 1945 auf dem Gebiet der (befreiten) Tschechoslowakei. Sie setzte sich aus folgenden Regierungsmitgliedern zusammen[3]:

  • Zdeněk Fierlinger – Premierminister
  • Josef David – stellvertr. Premierminister
  • Klement Gottwald – stellvertr. Premierminister
  • Viliam Široký – stellvertr. Premierminister
  • Jan Šrámek – stellvertr. Premierminister
  • Ján Ursíny – stellvertr. Premierminister
  • Jan Masaryk – Außenminister
  • Ludvík Svoboda – Innenminister
  • Hubert Ripka – Min. für Außenhandel
  • Václav Nosek – Innenminister
  • Vavro Šrobár – Finanzminister
  • Zdeněk Nejedlý – Minister für Bildung
  • Jaroslav Stránský – Justizminister
  • Václav Kopecký – Informationsminister
  • Bohumil Laušman – Industrieminister
  • Július Ďuriš – Landwirtschaftsminister
  • Ivan Pietor – Handelsministerinistr
  • Antonín Hasal – Verkehrsminister
  • František Hála – Postminister
  • Jozef Šoltész – Minister für Soziales und Arbeit
  • Adolf Procházka – Gesundheitsminister
  • Václav Majer – Ernährungsminister
  • Vladimír Clementis – Staatssekretär im Außenministerium
  • Mikuláš Ferjenčík – Staatssekretär im Verteidigungsministerium
  • Ján Lichner – Staatssekretär im Ministerium f. Außenhandel

Während der Amtszeit kam es zu keinen personellen Änderungen.

Parteizugehörigkeit

Die Parteizugehörigkeit wurde bereits im Artikel I. des Regierungsprogramm präjudiziert. Die Regierung der Nationalen Front wurde dort definiert als die Regierung „aller sozialen Bestandteile und politischer Richtungen, die im Innland wie im Ausland den nationalen Befreiungskampf für die Niederwerfung der deutschen und ungarischen Tyranei geführt haben“.[2] Dies führte dazu, dass bereits im Vorfeld einige Parteien in die Nationalfront nicht aufgenommen wurden und somit in der Regierung nicht vertreten wurden.

Der Regierung gehörten bis auf wenige Ausnahmen (einige slowakische Politiker) Angehörige des politischen Exils. Sie vertraten insgesamt sechs politische Parteien[1]:

  • vier slowakische Kommunisten der Komunistická strana Slovenska, KSS
  • drei tschechische Kommunisten der Komunistická strana Československa, KSČ
  • drei Sozialdemokraten der Československá sociálně demokratická strana dělnická, ČSDSD
  • drei Volkssozialisten der Československá strana národně socialistická, ČSNS
  • drei slowakische Demokraten der Demokratická strana, DS
  • zwei Mitglieder der Volkspartei Československá strana lidová, ČSL

Daneben gab es noch einige parteilose Regierungsmitglieder. Die 1939 gegründete Kommunistische Partei der Slowakei KSS war formell eine selbständige, der gesamttschechoslowakischen KSČ nicht untergeordnete Partei, während es für die Länder Böhmen und Mähren keine gesonderte ("tschechische") kommunistische Partei gab.

Verweise

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. a b c Karel Kaplan, Das verhängnisvolle Bündnis. Unterwanderung, Gleichschaltung und Vernichtung der Tschechoslowakischen Sozialdemokratie 1944 - 1954, Pol-Verlag, Wuppertal 1984, ISBN 3-9800905-0-7 (Kapitel I., S. 25ff.)
  2. a b Zitiert nach: Doba poválečná 1945 - 1948, eine Veröffentlichung der tschechischen Regierung, online auf: www.vlada.cz, tschechisch, abgerufen am 2. Dezember 2010
  3. icv.vlada.cz/.../zdenek-fierlinger-1

Literatur


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