Tschechoslowakische Exilregierung

Tschechoslowakische Exilregierung

Die tschechoslowakische Exilregierung war die Exekutive der Tschechoslowakei während der Besetzung des Landes im Zweiten Weltkrieg in London, die vom Präsident Edvard Beneš ernannt und vom 21. Juli 1940 bis 5. April 1945 in zwei Amtsperioden vom Ministerpräsident Jan Šrámek geleitet wurde: die Regierung Jan Šrámek I. vom 21. Juli 1940 bis 12. November 1942 und die Regierung Jan Šrámek II. vom 12./14. November 1942 bis 5. April 1945.

Inhaltsverzeichnis

Bezeichnungen

Die „tschechoslowakische Exilregierung“ bzw. die „Exilregierung der Tschechoslowakei“ wird im Tschechischen häufig auch Prozatímní státní zřízení, englisch meist „Czechoslovak government-in-exile“, sind die häufigsten Bezeichnungen.

Der tschechische Begriff Prozatímní státní zřízení (etwa „Vorläufiges staatliches System“) bezieht sich jedoch nicht nur auf die Exilregierung selbst, sondern auf das gesamte System einschließlich des Amtes des Präsidenten, wozu später noch Staatsrat, Rechtsrat und andere Organe hinzukamen.[1]

Die ebenfalls in vielen Sprachen verwendete Form „Beneš-Regierung“ ist insofern nicht richtig, als der nominelle Chef der Regierung der Ministerpräsident Jan Šrámek war und die beiden nur unwesentlich unterschiedlichen Regierungen auch offiziell Jan Šrámek I. und Jan Šrámek II. bezeichnet werden. Aufgrund Beneš’ Engagement, Rolle und aufgrund seiner internationalen Bekanntheit hat sich die Bezeichnung „Beneš-Regierung“ jedoch ebenfalls etabliert.

Geschichte, Entstehung

Nach der Besetzung der Tschechoslowakei durch die deutsche Wehrmacht flohen die meisten politischen Repräsentanten und fingen umgehend einen Widerstand im Exil zu formieren. Am 17. November 1939 entstand in Paris offiziell Československý národní výbor (das Tschechoslowakische Nationalkomittee), das nach der Besetzung Frankreichs nach London verlegt wurde. Nachdem die britische Regierung schließlich auch eine tschechoslowakische Exilregierung anzuerkennen gewillt war, ernannte Beneš am 21. Juli 1940, in Übereinstimmung mit der Verfassung von 1920, Jan Šrámek zum Ministerpräsidenten und am folgenden Tag die übrigen Regierungsmitglieder. Diese Regierung war formell die Fortsetzung des Tschechoslowakischen Nationalkomittees.[1]

Nach und nach erreichte Beneš die Anerkennung seiner Exilorganisationen durch die Verbündeten:[2]

  • eingeschränkte Anerkennung des Tschechoslowakischen Nationalkomitees durch Frankreich am 14. November 1939, durch Großbritannien am 20. Dezember 1939 sowie durch Australien, Neuzeeland und Südafrikanische Union während des Jahres 1940;
  • Anerkennung der provisorischen Regierung der Tschechoslowakei durch Großbritannien am 21. Juli 1940;
  • volle Anerkennung der Exilregierung und von Beneš als Präsident de jure durch die Sowjetunion am 18. Juli 1941, Großbritannien am 18. Juli 1941 sowie USA am 26. Oktober 1942.

Ende des Jahres 1942 kam es wegen der Finanzierung des Widerstandes im Protektorat zu einer Krise, die mit Rücktrittserklärungen von elf Ministern gipfelte. Am 12. November 1942 trat dann die gesamte Regierung zurück und musste am 14. November 1942 neu ernannt werden.[1]

Das Ende der Londoner Exilregierung wurde beschlossen während der Verhandlungen in Moskau vom 22. bis 29. März 1945 zwischen Beneš’ Regierung und der Führung der Kommunisitschen Partei der Tschechoslowakei. Als Ergebnis sollte eine neue Regierung der Nationalen Front gebildet werden, die allerdings erst zusammentreten sollte auf dem befreiten Gebiet der Vorkriegstschecholowakei, bis zu diesem Punkt sollte Beneš’ Regierung im Amt bleiben. Am 3. April 1945 kam Beneš in die ostslowakische befreite Stadt Košice, am 4. April 1945 haben die neuen Minister den Eid geleistet, so dass die neue erste Regierung unter Zdeňek Fierlinger am 5. April 1945 zusammentreten konnte und die alte entlassen wurde.[3]

Schwerpunkte der Regierungsarbeit

Die Tätigkeit der Exilregierung war ausgerichtet primär auf ihre eigene Anerkennung als Grundlage der weiteren Arbeit, in der Folge dann auf die Befreiung des Landes und auf die Absicherung der künftigen Entwicklung.

Noch durch das Tschechoslowakische Nationalkomitee wurde am 2. Oktober 1939 mit dem französischen Premierminister Daladier ein Vertrag über die Errichtung einer tschechoslowakischen Armee in Frankreich unterzeichnet, die bereits am 11. Juni 1940 in einen Kampf mit deutschen Truppen verwickelt war.[4] Später wurden durch die Exilregierung weitere ähnliche Verträge abgeschlossen, insbesondere der Vertrag mit der Regierung des Vereinigten Königreichs vom 25. Oktober 1940 bzw. 16. Dezember 1941, wodurch die Tschechoslowakischen Luftwaffenverbände im Rahmen der Royal Air Force entstehen konnten.[5]

Aus den internationalen Verträgen, welche die zukünftige Orientierung des Landes beeinflussten, spielte besonders der Freundschaftsvertrag mit der Sowjetunion vom 12. Dezember 1943 eine Rolle.

Die Entscheidungen wurden in Form von sogenannten Dekreten des Präsidenten herausgegeben, auch bekannt unter der Bezeichnung Beneš-Dekrete. Zwischen 1940 und 1945 wurden im Exil insgesamt 143 solche Dekrete erlassen, darunter 11 sogenannte Verfassungsdekrete, die später durch die Nationalverfassung rückwirkend ratifiziert wurden.[6]

Völkerrechtliche Bedeutung

„Die ununterbrochene Kontinuität des tschechoslowakischen Staates nach den Märzereignissen 1939 wurde durch die Organe des tschechoslowakichen politischen Exils unter der Leitung von E. Beneš repräsentiert“, stellt auf einer ihrer offiziellen Webseiten die Regierung der Tschechischen Republik fest.[1] Diese Meinung ist in völkerrechtlicher Hinsicht umstritten und insofern eine Besonderheit, als es zu dem Zeitpunkt kein Territorium gab, das zu regieren wäre: ein Teil wurde nach der Zerschlagung der Rest-Tschechei durch das Dritte Reich annektiert und hieß Protektorat Böhmen und Mähren, der Rest des ursprünglichen Staates war bereits ein von Adolf Hitler abhängiger Satellitenstaat: die Slowakische Republik. President Beneš trat zudem am 5. Oktober 1938, fünf Tage nach der Verabschiedung des Münchner Abkommens, zurück. Der Status dieser Regierung insbesondere hinsichtlich der staatlichen Kontinuität passt aufgrund der Begleitumstände nicht in die sonst gängigen Schemata. Das Konzept der ununterbrochenen Rechtsstaatlichkeit wird auch häufig in Frage gestellt.

Beneš entwickelte zu diesem Zweck eine sogenannte „Theorie der Rechtskontinuität“, die er am 26. Juni 1940 in einer Rundfunksendung in London vorstellte[4] und die von den Alliierten auch anerkannt wurde. Die Theorie besagte, dass sämtliche Rechtsakte, die auf dem Territorium der Tschechoslowakei nach dem 30. September 1938 vollzogen wurden, ungültig seien, somit auch seine Abdankung. Untermauert wurde seine Theorie im Spätsommer 1942, als selbst die britische wie auch französische Regierungen das Münchner Abkommen für nichtig erklärten. Bereits im Juli 1940 erreichte Beneš die Anerkennung seiner provisorischen Regierung und seines Amtes durch Großbritannien. Er und seine Regierung genoss in Großbritannien die gleiche Stellung wie die ebenfalls geflüchteten, legalen Regierungen der Niederlande, Norwegens und Griechenlands.[7] Seine Amtszeit als Präsident wird in vielen Biografien auch mit der Jahresangabe 1935–1948 angegeben.

Diese Tatsache, untermauert durch den Einsatz der tschechoslowakischen Armeeeinheiten (in der französischen, später britischen Armee sowie in der Roten Armee) und der Slowakische Nationalaufstand von 1944 wie auch der Widerstand im Protektorat selbst trugen dazu bei, dass die Tschechoslowakei nach dem Kriegsende zu den Siegermächten gezählt wurde.

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. a b c d Československý národní výbor a prozatímní stání zřízení ČSR v emigraci, eine Veröffentlichung der tschechischen Regierung, online auf: www.vlada.cz, tschechisch, abgerufen am 2. Dezember 2010 (etwaige Übersetzungen: Wikipedia)
  2. O příčinách vítězství komunistů v únoru 1948, 1. Teil, online auf: www.totalita.cz, tschechisch, abgerufen am 2. Dezember 2010
  3. Doba poválečná 1945–1948, eine Veröffentlichung der tschechischen Regierung, online auf: www.vlada.cz, tschechisch, abgerufen am 2. Dezember 2010
  4. a b F. Čapka: Dějiny zemí Koruny české v datech (tabellarischer Geschichtsabriss), online auf: www.libri.cz, tschechisch, abgerufen am 5. Dezember 2010
  5. Beide Verträge online auf: ceskoslovenstiletci.wz.cz, tschechisch, abgerufen am 5. Dezember 2010
  6. Alle Dekrete erschienen 1947 in der Gesetzessammlung, online auf: aplikace.mvcr.cz, tschechisch, abgerufen am 5. Dezember 2010
  7. Karel Kaplan, Das verhängnisvolle Bündnis. Unterwanderung, Gleichschaltung und Vernichtung der Tschechoslowakischen Sozialdemokratie 1944–1954, Pol-Verlag, Wuppertal 1984, ISBN 3-9800905-0-7 (Einleitung des Verfassers, S. 15 ff.)

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