mendelsche Regeln

mendelsche Regeln
Gregor Mendel (1865)

Die mendelschen Regeln[1] beschreiben den Vererbungsvorgang bei Merkmalen, deren Ausprägung von nur einem Gen bestimmt wird (einfacher Erbgang). Sie sind nach ihrem Entdecker Gregor Mendel benannt, der sie 1866 publizierte.

Die mendelschen Regeln gelten nur für diploide Organismen mit haploiden Keimzellen – also solche, die von beiden Eltern je einen Chromosomensatz erben. Dazu gehören neben den Menschen auch die meisten anderen Tiere und die meisten Pflanzen. Für Organismen mit höherem Ploidiegrad lassen sich entsprechende Regeln ableiten.

Klassische, bereits von Mendel untersuchte Beispiele für diesen Regeln folgende Merkmale sind die Form und die Farbe von Erbsensamen und die Farbe von Erbsenblüten. Auch die AB0-Blutgruppen des Menschen wird nach den mendelschen Regeln vererbt.

Die frühere Bezeichnung mendelsche Gesetze ist ungebräuchlich geworden, da diverse genetische Phänomene entdeckt wurden, aufgrund derer ein Erbgang von den „Regeln“ abweichen kann. Beispiele dafür sind die Genkopplung und die extrachromosomale Vererbung.

Inhaltsverzeichnis

Entdeckung

Die mendelschen Regeln wurden in den 1860er Jahren von dem Augustinermönch und Hilfslehrer Gregor Mendel durch Kreuzungsversuche an Erbsenpflanzen ermittelt und in einer zunächst wenig beachteten Publikation[1] formuliert. Mendel führte dafür die Begriffe „rezessiv“ und „dominierend“ ein (statt des letzteren wird heute „dominant“ verwendet). Erst 1900 wurden seine Erkenntnisse von den Botanikern Hugo de Vries (Amsterdam), Carl Correns (Tübingen) sowie Erich Tschermak (Wien) unabhängig voneinander wiederentdeckt.[2] Zwischenzeitlich waren die Chromosomen und ihre Verteilung an die Nachkommen beschrieben worden, so dass die mendelschen Regeln jetzt mit diesen Beobachtungen zur Chromosomentheorie der Vererbung vereinigt werden konnten. Heute gehören sie zum Gemeingut der klassischen Genetik.

Mendel entdeckte Gesetzmäßigkeiten, die anderen zuvor verborgen geblieben waren. Der Erfolg seiner Untersuchungen lässt sich im Nachhinein mit folgenden Faktoren begründen:[3]

  1. die Beschränkung auf wenige, klar unterscheidbare Merkmale,
  2. die Auswahl reinerbiger Stämme,
  3. der Schutz vor Fremdbestäubung,
  4. die großangelegten Versuchsreihen sowie
  5. die statistische Auswertung.

Die mendelschen Regeln

Die mendelschen Regeln beziehen sich auf Merkmale, die von einem einzigen Gen festgelegt werden. Jedes Gen liegt in zwei Kopien („Allelen“) vor, von denen je eines von jedem Elternteil stammt.

Regel 1: Uniformitätsregel

Die Briefmarke von 1984 zum 100. Todestag Mendels zeigt Regel 1

Die Uniformitätsregel oder Reziprozitätsregel gilt, wenn zwei Eltern (Parentalgeneration P) miteinander verpaart werden, die sich in einem Merkmal unterscheiden, für das sie beide jeweils homozygot (reinerbig) sind. Die Nachkommen der ersten Generation (Tochtergeneration F1) sind dann uniform, d. h. bezogen auf das untersuchte Merkmal gleich. Dies gilt sowohl für den Phänotyp als auch für den Genotyp, welcher bei allen Nachkommen der ersten Generation heterozygot (mischerbig) ist.

Für die Ausprägung des Merkmals tritt je nach dessen Erbgang eine von drei Möglichkeiten ein:

  • Beim dominant-rezessiven Erbgang haben alle Mitglieder der F1-Generation denselben Phänotyp wie ein Elternteil. Beispiel: Bei Erbsen ist die rote Blütenfarbe dominant gegenüber der weißen, die Anlage für weiße Blüten wird daher als rezessiv bezeichnet. Wenn reinerbige rotblühende und reinerbige weißblühende Individuen gekreuzt werden, haben alle Mitglieder der F1-Generation ein Allel für weiß und ein Allel für rot vererbt bekommen, sie sind heterozygot. Trotzdem sind sie alle rotblühend, weil rot gegenüber weiß dominant ist.
  • Beim intermediären Erbgang haben alle Mitglieder der F1-Generation eine Mischform der elterlichen Merkmale. Ein Beispiel ist die Blütenfarbe von Mirabilis jalapa: Wenn rot- und weißblütige Exemplare gekreuzt werden, so haben alle Nachkommen rosafarbene Blüten.
  • Beim kodominanten Erbgang bilden alle Mitglieder der F1-Generation beide Merkmale der Eltern separat aus. Ein Beispiel dafür sind die Allele A und B im AB0-System der menschlichen Blutgruppen.

Ausnahmen von der 1. Regel können auftreten, wenn sich das Gen für ein untersuchtes Merkmal auf einem Geschlechtschromosom (Gonosom) befindet. Dann kann es sein, dass die F1-Generation nicht uniform ist.

Regel 2: Spaltungsregel

Die Spaltungsregel oder Segregationsregel gilt, wenn zwei Individuen gekreuzt werden, die beide gleichartig heterozygot sind, also z. B. zwei Pflanzen, die für die Blütenfarbe beide die beiden Erbanlagen „weiß“ und „rot“ haben. Das kann etwa die F1-Generation des vorherigen Abschnitts sein. In Beschreibungen der mendelschen Regeln werden die Nachkommen einer solchen Heterozygoten-Kreuzung daher als Enkel- oder zweite Filialgeneration (F2) bezeichnet. Die Nachkommen aus dieser Paarung sind untereinander nicht mehr uniform, sondern spalten sich sowohl im Genotyp als auch im Phänotyp auf.

  • Handelt es sich um eine dominant-rezessive Vererbung, so sind durchschnittlich ein Viertel der F2-Individuen reinerbig mit zwei rezessiven Erbanlagen und zeigen eine entsprechende Merkmalsausprägung (z. B. weiße Erbsenblüten). Die anderen drei Viertel zeigen im dominant-rezessiven Erbgang den Phänotyp der dominanten Erbanlage. Diese drei Viertel setzen sich zusammen aus reinerbigen (ein Viertel) und mischerbigen (zwei Viertel) Individuen. Insgesamt besteht also im Phänotyp ein Verhältnis von 3:1, im Genotyp eines von 1:2:1.
1. + 2. Regel im dominant rezessiven Erbgang: Dominant-rezessiver Erbgang wie er z. B. bei der Blütenfarbe der Erbse auftritt.
(1) Elterngeneration mit reinerbigen Anlagen (w/w oder R/R).
(2) F1 Generation: Alle Individuen sehen gleich aus, die dominante rote Erbanlage setzt sich gegen die rezessive weiße durch.
(3) F2 Generation: Dominante (rot) und rezessive (weiße) Erscheinungsformen zeigen ein Verhältnis von 3:1.
  • Bei intermediärer Vererbung weist je ein Viertel der Nachkommen eine der beiden reinerbigen Varianten und die Hälfte der Individuen die Mischform der 1. Generation auf (Verhältnis von 1:2:1, da der Genotyp am Phänotyp erkennbar bleibt).
1. + 2. Regel im intermediären Erbgang: Intermediärer Erbgang wie er z. B. bei der Blütenfarbe der Wunderblume Mirabilis jalapa auftritt.
(1) Elterngeneration mit reinerbigen Anlagen (w/w oder r/r).
(2) F1 Generation: Alle Individuen sehen gleich aus, Die „roten“ und „weißen“ Erbanlagen ergeben eine rosa Blütenfarbe.
(3) F2 Generation. Rote, rosa und weiße Blütenfarben treten mit einem 1:2:1 Verhältnis auf.
  • Bei kodominanter Vererbung gilt die Aufspaltung im Verhältnis 1:2:1 analog.

Regel 3: Unabhängigkeitsregel/Neukombinationsregel

Die Unabhängigkeitsregel beschreibt das Vererbungsverhalten von zwei Merkmalen (z. B. Schwanzlänge und Haarfarbe) bei der Kreuzung reinerbiger Individuen und derer Nachkommen. Beide Merkmale werden unabhängig (daher der Name der Regel) voneinander vererbt, wobei ab der F2-Generation neue, reinerbige Kombinationen auftreten.

Zwei Merkmale (weißes/braunes Haar und kurzer/langer Schwanz, wobei „braun“ und „kurz“ dominant sein sollen) zeigen in der F2-Generation im Phänotyp ein Verhältnis von 9:3:3:1. (S = kurz (short), s = lang, B = braun, b = weiß)
oben: Eltern-Generation,
Mitte: F1-Generation,
unten: F2-Generation
Ergebnis:
9 × kurzer Schwanz, braunes Haar
3 × langer Schwanz, braunes Haar
3 × kurzer Schwanz, weißes Haar
1 × langer Schwanz, weißes Haar
Zu beachten ist, dass es sich bei beiden Merkmalen um dominant-rezessive Erbgänge handelt. Werden ein oder beide Merkmale intermediär vererbt, so werden die Phänotypen nicht im Verhältnis 9:3:3:1 ausgebildet. Im Genotyp bleiben die Verhältnisse bei allen Erbformen gleich. Alle Verhältnisse lassen sich durch Ausrechnen der obigen Matrix (Punnett-Quadrat) leicht ermitteln.

Diese Regel gilt allerdings nur dann, wenn sich die für die Merkmale verantwortlichen Gene auf verschiedenen Chromosomen befinden oder wenn sie auf dem gleichen Chromosom so weit voneinander entfernt liegen, dass sie während der Meiose durch Crossing-over regelmäßig getrennt voneinander vererbt werden. Befinden sich Gene auf dem gleichen Chromosom nahe beieinander, so werden sie in Kopplungsgruppen vererbt.

Genetische Hintergründe

Spaltungsregel und Unabhängigkeitsregel in Einklang mit der Chromosomentheorie der Vererbung
F2 am Beispiel von Vergissmeinnicht

Mendel kannte weder den Begriff der Gene noch den der Chromosomen. Die biologische Grundlage der Vererbung war ihm somit nicht bekannt. Erst 1904 wurde durch Walter Sutton und Theodor Boveri die Chromosomentheorie der Vererbung begründet. Mit Hilfe dieser Theorie können die Mendelregeln widerspruchsfrei erklärt werden.

In den Körperzellen diploider Organismen treten die Chromosomen paarweise auf. So besitzt der Mensch 23 Chromosomenpaare, also 46 Chromosomen. Je eines der Chromosomen in einem Chromosomenpaar stammt vom Vater und eines von der Mutter. Die beiden Chromosomen eines Paares werden auch als homologe Chromosomen bezeichnet. In einer Körperzelle sind die Erbanlagen pro Merkmal somit immer doppelt vorhanden.

Bei der Bildung der Geschlechtszellen werden die homologen Chromosomenpaare in der Meiose getrennt. In einer Eizelle bzw. einem Samenfaden befindet sich also nur der einfache Chromosomensatz, die Erbanlagen pro Merkmal (Genabschnitte) sind somit immer nur einmal vorhanden. Dies erklärt die Spaltungsregel.

Bei der Befruchtung, also der Verschmelzung von Eizelle und Samenfaden, bringen beide Geschlechtszellen jeweils eine Erbanlage pro Merkmal mit. Die durch diese Verschmelzung entstehende befruchtete Eizelle (Zygote) hat also wieder den doppelten Chromosomensatz. Die Erbanlagen können so neu kombiniert werden. Dies erklärt die Unabhängigkeitsregel.

Anwendung

Die mendelschen Regeln werden insbesondere in der Tier- und Pflanzenzucht angewendet, z. B. bei der Zucht von Hybriden. Sie können auch für Abstammungsgutachten verwendet werden, z. B. um nachzuweisen, dass bestimmte Menschen nicht als Elternteil eines bestimmten Kindes in Frage kommen.

Einzelnachweise

  1. a b Gregor Mendel: Versuche über Pflanzenhybriden. Verhandlungen des Naturforschenden Vereines in Brünn. Bd. IV. 1866. S. 3–47.
  2. Bezüglich der Bedeutung Tschermaks als Wiederentdecker bestehen allerdings Zweifel, siehe Ernst Mayr: The Growth of Biological Thought, Belknap Press, S. 730 (1982); Floyd Monaghan, Alain Corcos: Tschermak: A non-discoverer of Mendelism, Journal of Heredity 77: 468f (1986) und 78: 208-210 (1987) (Abstract)
    Nach einer Pressemitteilung der Universität Jena vom 3. Mai 2011 scheint auch Tschermaks Bruder Armin beteiligt gewesen zu sein. idw-online.de vom 3. Mai 2011: „Frühe Geschichte der Genetik revidiert. Wissenschaftlerteam aus Jena und Prag gelangt zu erstaunlichen Erkenntnissen in der Mendel-Forschung“. Michal Simunek, Uwe Hoßfeld, Florian Thümmler, Olaf Breidbach (Hg.): The Mendelian Dioskuri – Correspondence of Armin with Erich von Tschermak-Seysenegg, 1898-1951; „Studies in the History of Sciences and Humanities“, Band Nr. 27; Prag 2011; ISBN 978-80-87378-67-0
  3. Abiturwissen Biologie. Bibliographische Informationen der Deutschen Bibliothek, 2004, ISBN 3-411-00222-0.

Literatur

  • H. Frederik Nijhout: Der Kontext macht’s!. Spektrum der Wissenschaft, April 2005, ISSN 0170-2971, S. 70–77.

Weblinks


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