Naturethik

Naturethik

Die Naturethik beschäftigt sich mit dem Wert der Natur. Unter Natur wird hier das gesamte Inventar des Lebens auf der Erde und alle biologischen, ökologischen, physischen und chemischen Prozesse verstanden.

Inhaltsverzeichnis

Abgrenzung und Fragestellung

Die Naturethik ist eine Wissenschaftsdisziplin, eine Disziplin der Ethik, die ihre Fragestellung im Umfeld der Biologie und Philosophie stellt, jedoch spielen häuftig auch theologische, politische und soziologische Argumente mit in den Diskurs. Sie stellt ihre Fragen in Abgrenzung zur Umweltethik aus einer rein biologischen, physiozentrischen Perspektive (im Gegensatz zum Anthropozentrismus) und ordnet den Menschen als "höheres Wirbeltier" ein.

Eine zentrale Frage der Naturethik ist, welchen Wesen oder Dingen ein Eigenwert beigemessen werden sollte, welche Wesen also um ihrer Selbst willen zu berücksichtigen sind. Hierzu gibt es unterschiedliche Positionen. Während der Pathozentrismus allen schmerzempfindlichen Wesen einen Eigenwert zuschreibt, gehen Biozentrismus und Ökozentrismus bzw. Holismus darüber hinaus. Im Biozentrismus werden alle lebendigen Wesen als moralisch wertvoll betrachtet, im Holismus zusätzlich sogar unbelebte Wesenheiten der Natur (wie zum Beispiel Berge oder Arten).

Aus dem Naturethischen Ansatz folgen eine Reihe von Fragen, die sich auf das praktische gesellschaftliche und politisch Handeln und den Umgang mit der uns umgebenden Natur beziehen. Einige Fragen hat die Philosophin Angelika Krebs formuliert:[1]

  • Ist globaler Naturschutz etwas, was wir den von der Natur abhängigen Menschen schulden, oder ist er etwas, was wir der Natur selbst schulden?
  • Haben wir Pflichten in Ansehung von oder auch Pflichten gegenüber der Natur?
  • Hat nur der Mensch eine Würde? Oder gebührt auch der Natur: der Erde, den Meeren, den Wäldern, den Flüssen, den Pflanzen, den Tieren Ehrfurcht?
  • Ist die traditionelle anthropozentrische Ethik angesichts ökologischer Krisenerfahrungen heute noch zu rechtfertigen, oder muss sie einer neuen physiozentrischen Ethik weichen?

Biozentrismus

Dem Biozentrismus liegt, wie allen Naturethischen Sichtweisen ein ethisches Modell zugrunde, das allem 'Lebendigen' einen ethischen Eigenwert zuordnet. Ist dieser Eigenwert für alle Entitäten derselbe, also ohne Abstufung, spricht man von einem radikalen Biozentrismus oder egalitärem Biozentrismus, sonst von einem hierarchischen beziehungsweise schwachen Biozentrismus. [2]

Holismus

In der Naturethik wird der Holismus als eine Sichtweise für den Eigenwert der Natur angeführt. Jan Christiaan Smuts baute seine Theorie des Holismus auf der Grundlage des Gedankens einer schöpferischen Evolution auf. Hierzu versuchte er eine Synthese von Wissenschaft und Philosophie, indem er sagte, dass zur Erklärung der Evolution beides nötig ist, zum einen die Strukturen (Gegenstand der Wissenschaften) und die Prinzipien (Gegenstand der Philosophie). Um die Natur zu verstehen, muss ein Teil von ihr genommen werden, der beides beinhaltet. Materie und Leben bestehen beide aus Teilstrukturen, deren Anordnung zu natürlichen Ganzen führt. Diese Teilstrukturen sind ebenso jeweils ein Ganzes. Ob es sich um ein Atom, ein Molekül, eine chemische Verbindung, Pflanzen, Tiere oder Staaten handelt, alles ist jeweils ein Ganzes. Konglomerate dieser Ganzheiten bilden wieder ein neues Ganzes mit neuen Funktionen und Fähigkeiten. Diese Ganzheit bzw. dieser Holismus ist die treibende Kraft der Evolution, ihre vera causa, wie Smuts sagt.[3] Aus der Verbindung von gedachten Prinzipien und biologisch Vorhandenem leitet sich der Eigenwert der Natur als Ausdruck der Ganzheit ab.

Pathozentrismus

Wenn man Moral charakterisiert als etwas, das sich für den gleichen Respekt vor dem guten Leben aller Kreaturen einsetzt, folgt das Argument, dass ein gutes Leben, auch Tiere führen können und es daher nicht einleuchtet, wieso sich der moralische Mensch nur um das gute Leben von anderen Menschen kümmern soll. Dabei wird davon ausgegangen, dass zumindest Tiere, in radikaler Sichtweise auch Pflanzen und die unbelebte Natur etwas fühlen und ihnen dadurch ein moralischer Eigenwert zu kommt. Damit wären sie ihrer selbst willen zu schützen, d.h. auch dann, wenn dies der Menschheit zum Nachteil gereicht, wie beim Verzicht auf medizinische Tierversuche und kritischen Varianten der Tierhaltung. Dieses "pathozentrische" Argument wird u.a. von Peter Singer, Tom Regan und Ursula Wolf vertreten.

Gegen dieses Leidens-Argument gibt es eine Reihe von Einwänden. Eines ist der "Policing-Nature-Einwand", wonach der Pathozentrismus zu der absurden Konsequenz führe, dass wildlebende Beutetiere vor Raubtieren zu schützen seien.

Siehe auch

Literatur

  • Vittorio Hösle: Philosophie der ökologischen Krise, München 1991 (ISBN 3-406-38368-8)
  • Angelika Krebs: Ethics of Nature. A Map. Mit einem Vorwort von Bernard Williams, DeGruyter, Berlin/New York 1999
  • Angelika Krebs (Hrsg.): Naturethik. Grundtexte der gegenwärtigen tier- und ökoethischen Diskussion. Suhrkamp, Frankfurt 1997
  • Reichholf: Stabile Ungleichgewichte: Die Ökologie der Zukunft. Suhrkamp, 2008

Einzelnachweise

  1. http://www.bpb.de/themen/4R6GQQ,0,Naturethik.html 20. Oktober 2010
  2. Dokumentation bei der Uni Hannover
    → Vgl. auch Kirsten Schmidt in Blinde Hühner als Testfall tierethischer Theorien in Zeitschrift für philosophische Forschung Bd. 62 Heft 4, Oktober/Dezember 2008
  3. Jan Christiaan Smuts: Die holistische Welt, Berlin 1938, S. 215.

Weblinks


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