Pathozentrismus

Pathozentrismus

Pathozentrismus (Gr. πάθος (Pathos): Das Leid und κέντρον (kéntron): Der Mittelpunkt; auch Sentientismus[1] von lat. sentire = empfinden,fühlen) ist ein ethischer Ansatz, der allen empfindungsfähigen Wesen einen moralischen Eigenwert zuspricht, weil sie empfinden können und anderen Wesen aus demselben Grund einen solchen abspricht. Pathozentrische Ansätze gehen häufig von einer utilitaristischen Grundposition aus. Der Pathozentrismus stellt eine normative Ausgangsposition dar, aus der sich eine moralische Notwendigkeit des Tierschutzrechtes ableiten lässt. Die Ansicht, dass sich aus der Leidensfähigkeit eines Lebewesens das Gebot zum besonderen Schutz ergibt, findet heute in vielen Rechtssystemen (Tierschutzgesetz) und Selbstverpflichtungen (Unternehmensgrundsätze, Forschungsrichtlinien) Ausdruck.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Historisch ist der Begriff Pathozentrismus als Gegenbegriff zum Anthropozentrismus entstanden, der Tiere und außermenschliche Natur nur aufgrund ihres Nutzens für den Menschen als ethisch relevant betrachtet. Physiozentrische, also nicht-anthropozentrische, Ansätze gelangten mit dem Erstarken der umweltethischen Diskussion in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts verstärkt ins Zentrum ethischer Debatten. [2] Als einer der ersten Vertreter pathozentrischer Ethik im 18. Jahrhundert gilt der Begründer des klassischen Utilitarismus Jeremy Bentham. [3] Benthams Formulierung „The question is not, Can they reason?, nor Can they talk? but, Can they suffer?” [4] wird heute insbesondere von der Tierrechtsbewegung zitiert.

Kritik, wissenschaftliche Basis

Die moderne Kritik an einer pathozentrischen Ethik argumentiert mit der Subjektivität des Leidbegriffs (sowie des Gegenteils), was eine objektive Ermittlung des Nutzens beziehungsweise Schadens einer Handlung oder Unterlassung unmöglich macht.[5] Man könne pathozentrisch großes Leid für wenige Individuen mit wenig Freude für eine große Menge an Individuen legitimieren.[6] Aus vertragstheoretischen Positionen wird argumentiert, man könne nicht vernünftigerweise wollen, dass die Entscheidung darüber, was als leidvoll oder beglückend zu gelten hat, von den gesellschaftlichen Institutionen der Gerechtigkeit getragen wird.[7]

Der Pathozentrismus ist, wie alle normativen Konzepte, keine wissenschaftliche Theorie, da seine Aussagebildung nicht den wissenschaftlichen Geboten der Wertungsfreiheit und der Falsifizierbarkeit entspricht. Am Beginn der Argumentation steht eine normative Aussage, („Leidensfähigkeit verleiht moralischen Eigenwert“) die weder empirisch belegbar noch widerlegbar ist. Die pathozentrische Ethik ist daher abzugrenzen von der Axiologie bzw. der sich mit der Ethik überschneidenden Praktische Philosophie, die als Wissenschaftsdisziplin moralische Werte und moralisches Handeln untersuchen.

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Etwa in K. Ott, R. D\öring: Theorie und Praxis starker Nachhaltigkeit. Metropolis-Verl. 2004
  2. Vgl. Angelika Krebs. Naturethik im Überblick. In: Angelika Krebs (Hrsg.): Naturethik. Grundtexte der gegenwärtigen tier- und ökoethischen Diskussion. Frankfurt am Main 1997. Seite 337-379. S. 337 f.
  3. http://www.treffpunkt-umweltethik.de/umweltethische-modelle/pathozentrisch.htm
  4. "Die Frage ist nicht, Jeremy Bentham: An Introduction to the Principles of Morals and Legislation (1789)
  5. Kritik am Pathozentrismus, Martin Balluch 2007.
  6. Tierrechte und Utilitarismus, Helmut F. Kaplan 2006
  7. Martha Nussbaum: Frontiers of Justice (2006)

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