Pagenstecher (Familie)

Pagenstecher (Familie)

Pagenstecher ist der Name einer aus Westfalen stammenden Juristen- und Gelehrtenfamilie.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Die Familie stammt aus Warendorf in Westfalen, wo sie urkundlich im Jahr 1415 mit Cordt Pagensteker erstmals auftritt. Der in älteren Familienüberlieferungen als Stammvater genannte Joachim Pagensteker, der um 1360 in Warendorf gelebt haben soll, ist nach neuerer Quellenlage nicht nachweisbar.

Die ununterbrochene Stammreihe beginnt 1457 mit Cort Pagensteker, 1480 Gildemeister der Wandmacher („Wand“ steht hier für „Gewand“; gemeint ist also die Gilde der Tuchschneider und -händler) in Warendorf. Das Geschäft mit der Bearbeitung und dem Handel von Tuchen ist so einträglich, dass es in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts den Aufstieg der Familie in das regierende Bürgertum der Stadt und den Zugang zu höherer Bildung ermöglicht: Henrich Pagensteker wird 1476 als Student in Erfurt erwähnt. Der Sohn des Gildemeisters, Cort Pagenstecher, Wullner und Kaufmann, wird in den Jahren 1507 bis 1521 mehrfach Ratsherr in Warendorf.

Mit seinen Söhnen Carsten († 1574) und Everwin († 1573) teilt sich die Familie in die heute noch bestehende Ältere und Jüngere Linie.

Ältere Linie

E. A. O. C. Pagenstecher, Jurist, Rektor der Hohen Schule Herborn

Mit Johann Pagenstecher (1575–1650), Enkel des Carsten, der um 1595 das reformiert-calvinistische Glaubensbekenntnis annimmt, gelangt diese Linie 1602 in den Dienst der Grafen von Bentheim nach Burgsteinfurt. An der dortigen Hohen Schule sowie an verschiedenen, gleichfalls calvinistisch orientierten Universitäten in den Niederlanden, begründen er und zahlreiche seiner Nachkommen in den nächsten 120 Jahren den Ruf und das Ansehen der Juristen- und Gelehrtenfamilie Pagenstecher. Aufgrund der konfessionell-dynastischen Verbindungen der nassau-oranischen Niederlande in das nassauische Stammland, erhält der in Groningen geborene Urenkel des Johann Pagenstecher, Ernst Alexander Otto Cornelius Pagenstecher (1697–1752), 1722 den Ruf an die Hohe Schule Herborn. Aus seiner Nachkommenschaft gehen im 19. Jahrhundert bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts zahlreiche Mediziner hervor, von denen die Brüder Alexander Pagenstecher (1828–1878) und Hermann Pagenstecher (1844–1932) aus dem Wiesbadener Ast durch die Gründung der Armen-Augenheilanstalt und Behandlungserfolge in der Augenheilkunde einen internationalen Ruf genießen. Ihr Vetter Arnold Pagenstecher (1837–1913) ist ein angesehener Ohrenarzt, Entomologe und Ehrenbürger der Stadt Wiesbaden. Aus dem Elberfelder Ast stammen weitere Persönlichkeiten, wie der Abgeordnete der Frankfurter Nationalversammlung, Heinrich Carl Alexander Pagenstecher (1799–1869), der Zoologe Heinrich Alexander Pagenstecher (1825–1889), der Archäologe Rudolf Pagenstecher (1879–1921) und der Heraldiker Wolfgang Pagenstecher (1880–1953).

Jüngere Linie

Johann Pagenstecher, 1689–1703 Bürgermeister von Osnabrück

Die jüngere Linie der Familie Pagenstecher ist seit 1585 in Osnabrück nachweisbar. Dort Aufstieg in hohe Ämter, wie Johann Pagenstecher (1628–1719), langjähriger zweiter Bürgermeister und Albrecht Pagenstecher (1800–1863), Stadtrichter und Syndikus. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts befindet sich das Amt des königlich-britannisch und Braunschweig-lüneburgischen Oberpostmeisters in der Familie (Gabriel Pagenstecher (1708–1786) und Heinrich Pagenstecher (1765–1804)). Aus diesem Postmeister-Zweig geht auch Rudolf Pagenstecher (1802–1889), der seinerzeit der „einzige bürgerliche Generalleutnant Preußens“ sowie dessen Sohn, Rudolf Pagenstecher (1838–1903), Generalmajor, hervor. Der Kaufmann Albrecht Pagenstecher (1839–1926) geht 1859 in die Vereinigten Staaten von Amerika (New York) und führte dort das Holzschliffverfahren ein. Er gilt als einer der Pioniere der nordamerikanischen Papierindustrie. Aus anderen Zweigen der Jüngeren Linie stammen der Parapsychologe Gustav Pagenstecher (1855–1942) sowie der Schweizer Pharmazeut Johann Pagenstecher (1783–1856), der um 1828 das Salicylaldehyd aus dem Mädesüß isoliert.

Die Angehörigen der Familie Pagenstecher leben heute in Deutschland, den Vereinigten Staaten von Amerika und Australien. Sie gehören, soweit in Deutschland lebend, überwiegend dem evangelisch-reformierten Bekenntnis an; die heute lebenden Namensträger des Wiesbadener Zweiges sind römisch-katholisch.

Bedeutung des Namens

Der Name stammt aus dem Mittelniederdeutschen und ist zusammengesetzt aus „Pag(h)e“ für Pferd, und dem Wort „ste(c)ker“, das sich vom Verb „stechen“ beziehungsweise „stecken“ ableitet. Die einschlägigen etymologischen Namensbücher verweisen auf eine oder mehrere der nachfolgenden Deutungen, wonach es sich um eine Bezeichnung für jemanden handelt, der:

  • an einer Pferdekoppel (Pagenstecke, Pagenstake, Pagenstege) arbeitet, lebt, oder Besitzer einer solchen ist (Herkunftsname)
  • lästig wie eine Hornisse (Pagensteker) ist (Spottname)
  • Pferde schlachtet oder kastriert (Berufsname)

Keines der Namensbücher nennt für die oben genannten Deutungen des Namens eine Quelle, die zum Entstehungsort und Zeitraum passt, in dem dieser Familienname geformt und angenommen wurde (Westfalen im 14.–15. Jahrhundert). Die Bezeichnung für einen Fohlenbeschneider scheint zudem erst seit dem 20. Jahrhundert bezeugt zu sein. Die recht unterschiedlichen Interpretationen legen außerdem nahe, dass es sich bei den oben genannten Deutungen um Analogieschlüsse aufgrund anderer, ähnlich zusammengesetzter Namen handelt, deren zeitgenössische Bedeutung besser belegt ist. Dagegen findet sich im 14. Jahrhundert, unweit von Warendorf bei Münster, ein Grundstück mit dem Namen „Pagenstege“. Dies stützt die Annahme, dass es sich ursprünglich um einen Herkunftsnamen handelt.

In Lüneburg wird im 13. und 14. Jahrhundert ein ähnlicher Name genannt: „Peckestoc“ auch „Paghenstoke“, ohne dass sich bislang ein genealogischer Zusammenhang mit der hier beschriebenen Familie herstellen lässt.

Wappen

Wappen der Pagenstecher

Von blau über Silber geteilt, oben ein goldgeflügelter rechtsgewandter, halber, silberfarbener Pegasus, unten ein grüner dreiblättriger Stechpalmenzweig. Auf dem Helm, mit blau-silbernem Wulst und gleicher Decke, der halbe Pegasus.

Das Wappen erscheint in oben genannten Form erstmals im Siegel des gräflich bentheimischen Kanzlers, Dr. jur. Johann Pagenstecher (1575–1650), auf einer Urkunde vom 25. Juni 1631.

Straßen, Wege und öffentliche Einrichtungen

Nach dem Geschlecht beziehungsweise Mitgliedern des Geschlechts wurden in Deutschland insgesamt 7 Straßen und Wege benannt, nämlich in Osnabrück, Wallenhorst, Wiesbaden, Wuppertal, Warendorf, Hennef (Sieg) und Steinfurt.

In den Vereinigten Staaten gibt es darüber hinaus ein Pagenstecher-Pulp-Museum in Lake Luzerne, NY, das an den Begründer der kommerziellen Papierherstellung in Amerika mittels des Holzschliffverfahrens, Albrecht Pagenstecher, erinnert. Ebenfalls im Bundesstaat New York befindet sich ein Pagenstecher-Park in Cornwall-on-Hudson[1] der 1937 von Bertha Pagenstecher, einer Tochter von Albrecht Pagenstecher, im Andenken an ihre Eltern gestiftet wurde.

Persönlichkeiten

Ältere Linie:

  • Johann Pagenstecher (1575–1650), Jurist, Professor an der Hohen Schule in Steinfurt[2]
  • Alexander Arnold Pagenstecher (1659–1716), Jurist, Professor an den Universitäten Duisburg und Groningen[3]
  • Johann Friedrich Wilhelm Pagenstecher (1686–1746), Jurist, Professor an den Universitäten Marburg und Harderwijk[4]

Wiesbadener Ast:

  • Friedrich Pagenstecher (1793–1865), Hessisch Naussauischer Oberforstrat in Wiesbaden.
  • Alexander Pagenstecher (1828–1879), Gründer und Direktor der Augenheilanstalt 1856–1879 in Wiesbaden.
  • Hermann Pagenstecher (1844–1932), Direktor der Augenheilanstalt 1880–1909 in Wiesbaden.
  • Max Pagenstecher (1874–1952), Jurist in Frankfurt und Hamburg.
  • Arnold Pagenstecher (1837–1913), Ohrenarzt und Entomologe in Wiesbaden.
  • Ernst Pagenstecher (1913–1984), Ministerialdirigent, Agronom und Interpret des Buddhismus.

Elberfelder Ast:

Jüngere Linie:

  • Johann Pagenstecher (1783–1856), Pharmazeut und Apotheker, isolierte um 1828 das Salicylaldehyd aus dem Mädesüß, Bern.
  • Albrecht Pagenstecher (1800–1863), Syndikus und Verwaltungsbürgermeister in Osnabrück.
  • Albrecht Pagenstecher (1839–1926), Kaufmann, führte 1867 das Holzschliffverfahren in den Vereinigten Staaten in Cornwall on Hudson, New York, ein.
  • Ludovic Pagenstecher (1849–1930), Großkaufmann, Belgischer Konsul, Haiti, seit 1891 in Hamburg.
  • Gustav Pagenstecher (1855–1942), Parapsychologe, entwickelte die Imprägnationstheorie, Mexiko-Stadt.

Literatur

Allgemein:

Zum Namen:

  • Albert Heintze: Die Deutschen Familiennamen. 7. Auflage. Buchhandlung des Waisenhauses, Halle 1927.
  • Adolf Bach: Registerband. Winter, Heidelberg 1956 (Deutsche Namenkunde. Band 3).
  • Josef K. Brechenmacher: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Familiennamen. Starke, Limburg 1963.
  • Hans Bahlow: Deutsches Namenlexikon. Keyser, München 1967.
  • Wilhelm Kohl, Helmut Müller, Klaus Scholz: Das Stift Alter Dom St. Pauli in Münster. In: Germania sacra. Abteilung 3. Die Bistümer der Kirchenprovinz Köln. Das Bistum Münster 1955. 1955, S. 209.

Weblinks

 Commons: Pagenstecher (Familie) – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. http://www.cornwall-on-hudson.com/article.cfm?page=712
  2. Biografie Johann Pagenstecher auf der Universitäts-Website
  3. Biografie Alexander Arnold Pagenstecher auf der Universitäts-Website
  4. Biografie Johann Friedrich Wilhelm Pagenstecher auf der Universitäts-Website

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