Rechtsentscheid

Rechtsentscheid

Der Rechtsentscheid war im deutschen Wohnraummietrecht eine bindende Entscheidung eines Oberlandesgerichts, bei der dem Oberlandesgericht von einem Landgericht eine einzelne Rechtsfrage zur Entscheidung vorgelegt wurde. Das Institut des Rechtsentscheids wurde zum 1. Januar 2002 abgeschafft.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Nach § 541 ZPO in der bis zum 1. Januar 2002 geltenden Fassung hatten die Landgerichte, wenn sie in Berufungsverfahren bei der Entscheidung einer Rechtsfrage, die sich aus einem Mietvertragsverhältnis über Wohnraum ergibt oder den Bestand eines solchen Mietvertragsverhältnisses betrifft, von einer Entscheidung des Bundesgerichtshofes oder eines Oberlandesgerichts abweichen wollten, vorab eine Entscheidung des im Rechtszug übergeordneten Oberlandesgerichts über diese Rechtsfrage herbeizuführen. Das gleiche galt, wenn eine solche Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung war und durch Rechtsentscheid noch nicht entschieden wurde. Wenn das Oberlandesgericht von der Entscheidung des Bundesgerichtshofes oder eines anderen Oberlandesgerichts abweichen wollte, so hatte es seinerseits die Rechtsfrage dem Bundesgerichtshof vorzulegen. Die im Rechtsentscheid getroffene Entscheidung war für das Landgericht bindend.

Diese Regelung galt in dieser Form seit 1980 und wurde 1990 unverändert in die ZPO eingefügt. Durch das am 1. Januar 2002 in Kraft getretene ZPO-Reformgesetz vom 27. Juli 2001 ist die Vorschrift ersatzlos gestrichen worden.

Zweck des Rechtsentscheides war die Wahrung einer einheitlichen Rechtsprechung in Wohnraummietsachen. Diese Wirkung ergab sich insbesondere daraus, dass das vorlegende Landgericht an den Rechtsentscheid gebunden war. Zudem durften die Berufungskammern obergerichtlich und höchstrichterlich geklärte Rechtsfragen nicht abweichend beantworten. Sie waren vielmehr bei abweichender Auffassung verpflichtet, die Rechtsfrage dem Obergericht vorzulegen.

Die Abschaffung des Rechtsentscheid durch das ZPO-Reformgesetz rechtfertigte der Gesetzgeber damit, dass aufgrund der weiteren Änderungen des ZPO-Reformgesetzes, insbesondere der Herabsetzung der Berufungssumme auf 600 € und der Möglichkeit der Zulassungsberufung, nunmehr ausreichend gewährleistet wird, dass die Rechtsprechung auch im Wohnraummietrecht vereinheitlicht wird, ohne dass es der bisherigen Sonderbestimmung noch bedarf [1].

Anders als bei einer Berufung oder Revision wurde der zum Rechtsentscheid vorgelegte Rechtsstreit dem übergeordneten Gericht nicht als Ganzes vorgelegt. Es wurde nur eine einzelne Rechtsfrage aus dem Prozessstoff herausgelöst und dem Obergericht zur Beantwortung vorgelegt. Insofern weist das Rechtsentscheidverfahren gewisse Ähnlichkeiten mit der konkreten Normenkontrolle auf[2].

Das Institut des Rechtsentscheides wurde aber ansonsten in der Rechtswissenschaft auch in seinem Wesen als ein verbindliches Rechtsgutachten, und damit einer dem deutschen Justizsystem gänzlich fremden Entscheidungsform angesehen. Insgesamt wurde der Rechtsentscheid dabei zwar dahingehend begrüßt, dass dadurch die Obergerichte Einfluss auf den Wohnraummietprozess nehmen konnten. Kritisiert wurde aber auch der Umfang der Bindungswirkung. Insbesondere könne bei Rechtsentscheiden die Würdigung der Umstände des Einzelfalles zu kurz kommen. Außerdem war bei gesetzlichen Änderungen im Mietrecht stets zweifelhaft, ob die zur alten Gesetzesfassung ergangenen Rechtsentscheide dadurch ihre Bindungswirkung verlieren[3]. Problematisch war auch, dass die Bürde, über die Einheitlichkeit der Rechtsprechung zu wachen, dabei zunächst dem mit der Sache befassten Landgericht oblag. Das in der Berufungsinstanz zuständige Landgericht musste selbst prüfen, ob die Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat oder ob die Auffassung des befassten Gerichts von einem bereits ergangenen Rechtsentscheid abweicht. Allen Landgerichten musste also bei der Entscheidung wohnraummietrechtlicher Prozesse die gesamte einschlägige obergerichtliche Rechtsprechung genau bekannt sein[4].

Literatur

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Bundestagsdrucksache 14/4722, S. 103
  2. Landfermann: Rechtsentscheid am Scheideweg In: Neue Juristische Wochenschrift Heft 44, 1985, S. 2609, 2610.
  3. Hinz: ZPO-Reforum und Mietprozess In: Neue Zeitschrift für Miet- und Wohnungsrecht Heft 13, 2001, S. 601, 608.
  4. Landfermann: Rechtsentscheid am Scheideweg In: Neue Juristische Wochenschrift Heft 44, 1985, S. 2609, 2610.

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