- Rechtsextreme Gewalt in Deutschland
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Rechsextreme Gewalt in Deutschland ist ein viel diskutiertes Thema. Seit Jahren gehen die meisten politisch motivierten Gewaltakte in Deutschland von der rechten Szene aus.[1] Rechtsextreme Gewalt geht häufig mit Formen der Abwertung gegenüber Menschen aufgrund verschiedener Merkmale einher. Grundlage rechtsextremer Gewalt bilden menschenfeindliche Einstellungen. Den Opfern wird häufig das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit abgesprochen. Damit wendet sich rechtsextreme Gewalt gegen ein durch das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verbriefte Menschenrecht. Rechtsextreme Gewalt löst nicht zuletzt deswegen politische Diskussionen aus, die sich auch in Gesetzesvorhaben niederschlagen. Von zivilgesellschaftlichen Akteuren wird kritisiert, dass viele Formen rechtsextremer Gewalt ignoriert werden oder nicht thematisiert werden.
Eine extreme Form rechtsextremer Gewalt bildet der Rechtsterrorismus, sowie die Tötung von Menschen (siehe dazu: Liste der Todesopfer rechtsextremer Gewalt in Deutschland).
Inhaltsverzeichnis
Geschichte
Weimarer Republik
Der Beginn rechtsextremer Gewalt in Deutschland und des völkisch-antisemitischen Terrorismus kann mit den Morden an Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und Kurt Eisner 1919 angegeben werden. Eine der aktivsten, deutschlandweit verzweigten Terrorgruppen war in den Jahren 1920 bis 1922 die Organisation Consul (O.C.), die aus der wesentlich am Kapp-Putsch beteiligten Marinebrigade Ehrhardt hervorgegangen war. Teile der Organisation waren beteiligt am Aufbau der SA. Untergruppen der O.C. ermordeten beispielsweise den Zentrumspolitiker Matthias Erzberger (1921) und den damaligen Außenminister der Weimarer Republik Walther Rathenau (1922). Nachdem die Organisation Consul durch das Republikschutzgesetz von 1922 verboten worden war, wurde der Bund Wiking, eine Art paramilitärisch organisierte „Wehrsportgruppe“ der 1920er Jahre, als Nachfolgeorganisation gegründet.[2] Im Überblick begingen Rechtsradikale in den ersten fünf Jahren der Weimarer Republik bis zu 400 „Fememorde“, unter den Opfern der oft in Freikorps organisierten Täter waren vor allem Sozialdemokraten und Kommunisten. Nur selten wurden diese Verbrechen aufgeklärt. Die wenigen Täter, die angeklagt wurden, wurden von der Justiz in der Weimarer Republik vergleichsweise milde bestraft, wie der Statistiker Emil Julius Gumbel bereits in den frühen Jahren dieser ersten deutschen Republik nachwies.[3]
Bundesrepublik Deutschland
Nachdem die rechtsextreme NPD nach den Wahlen 1969 den Einzug in den Bundestag nur knapp verfehlte, zersplitterte sich die rechtsextreme Szene. Ein Teil wählte terroristische Mittel, um ihre Vorstellungen durchzusetzen. Höhepunkt war das Oktoberfestattentat in München 1980, bei dem 13 Menschen ums Leben kamen.
Nach der deutschen Wiedervereinigung kam es zu Gewaltausbrüchen, die sich vor allem gegen Asylsuchende richtete. Die Ausschreitungen von Hoyerswerda (1991) und die Ausschreitungen von Rostock-Lichtenhagen (1992) waren pogromartig. Es folgten die Mördanschläge von Mölln (1992) und Solingen (1993).[1] Weitere Übergriffe, die eine breites mediale Öffentlichkeit hervorriefen waren die sogenannten Magdeburger Himmelfahrtskrawalle (1994) und die Hetzjagd in Guben (1999).
Eine breite Debatte im Vorfeld der Fußball-WM 2006 in Deutschland löste die afrikanische Gemeinde in Berlin aus, als sie ausländischen Besuchern eine Liste mit so genannten No-go-Areas zur Verfügung stellen wollte. Die gewalttätigen Auseinandersetzungen in Mügeln (2007) waren ein weiterer öffentlich beachteter Fall.
Im November 2011 wurde bekannt, dass einige seit 2000 begangene und bislang ungeklärte Verbrechen und zehn Morde mutmaßlich von der rechtsterroristischen Gruppe Nationalsozialistischer Untergrund begangen worden waren, ohne dass diese ermittelt werden konnte. Dringender Tatverdacht besteht in den Fällen der neun Opfer der Mordserie Bosporus von 2000 bis 2006, des Nagelbomben-Attentat in Köln 2004 und des Polizistinnenmords von Heilbronn im Jahr 2007.
Todesopfer rechtsextremer Gewalt
Siehe auch: Liste der Todesopfer rechtsextremer Gewalt in DeutschlandIn Deutschland kam es in den 1980er Jahren, insbesondere im Zusammenhang mit dem Anwachsen des Rechtsterrorismus, zu zahlreichen Todesopfern rechtsextremer Gewalt. Nach der deutschen Wiedervereinigung eskalierte die Gewalt erneut. Vor allem Asylsuchende kamen damals ums Leben. Exemplarisch dafür stehen die Mordanschläge von Mölln 1992 und Solingen 1993.
Die tatsächliche Gesamtzahl der Todesopfer rechtsextremer Gewalt in Deutschland ist umstritten. 2000 legten der Berliner Tagesspiegel und die Frankfurter Rundschau einen Bericht zu Todesopfern rechtsextremer Gewalt vor, der eine erhebliche Diskrepanz zur offiziellen Statistik aufwies. Dies löste eine Kontroverse, um die polizeiliche Kriminalstatistik aus. Die polizeiliche Kriminalstatistik wurde daraufhin geändert. Es wurden zwar mehr Todesopfer erfasst, aber immer noch blieb eine erhebliche Differenz. Nach der Mordserie der rechtsterroristischen Organisation Nationalsozialistischer Untergrund 2011, wird diese Diskrepanz erneut thematisiert.[4][5] So erfasst etwa die Liste der Todesopfer rechtsextremer Gewalt im wiedervereinigten Deutschland derzeit 182 Todesopfer (Stand 2011)[6], während die Bundesregierung im selben Zeitraum von 47 Todesopfern (Stand 2009). Die Bundesminister Hans-Peter Friedrich (CSU) und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) gehen mitlerweile ebenfalls von höheren Opferzahlen aus und kündigten bereits an, die Zahlen erneut überprüfen zu lassen.[7]
Erfassung
Die erstmalige Veröffentlichung der alternativen Liste über Todesopfer rechtsextremer Gewalt hatte dazu geführt, dass die Innenministerkonferenz (IMK) die Kriterien für die Erfassung von politisch motivierten Straftaten im Jahr 2001 änderte. Bis zu diesem Zeitpunkt wurden nur solche Straftaten in die Staatsschutzstatistiken aufgenommen, in denen eine Bestrebung zur Überwindung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung erkannt wurde. Fremdenfeindliche Straftaten, aber auch Angriffe auf Obdachlose und Homosexuelle wurden bis dato nicht als Staatschutzdelikte registriert. Auch nach dieser Änderung bestehen Differenzen zwischen den Einschätzungen der amtlichen Statistik und ihren Kritikern. Die Diskussion um die Kriterien der Erfassung hält nach wie vor an.[8] Eine rechtsextreme Gesinnung eines Täters führt nicht automatisch zur Erfassung einer Tat als politisch motiviert. Die Bundesregierung zählt nur solche Taten zu den politischen Straftaten, bei denen eine politische Tatmotivation zu erkennen ist. Dies wird damit begründet, dass kriminell auffällige Personen aus dem rechtsextremen Milieu oftmals auch Delikte in der Allgemeinkriminalität aufweisen.[9]
Verfassungsschutz
Im Verfassungsschutzbericht des Bundes werden jährlich die Zahlen zur rechtsextremistisch motivierten Gewalt erhoben. Damit ist ein zeitlicher Vergleich von Quantität und Qualität rechtsextremer Gewalt möglich.
Rechtsextremisten in Deutschland (1990–2007)[10] 1954 1964 1967 1979 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 Rechtsextremismuspotential (Gesamt)[11] 76.000 21.000 39.000 17.000 32.200 39.800 61.900 64.500 56.600 46.100 45.300 48.400 53.600 51.400 50.900 49.700 45.000 41.500 40.700 39.000 38.600 31.000 30.000 Zahl der gewaltbereiten Rechtsextremisten k. A. k. A. k. A. k. A. k. A. 4.200 6.400 5.600 5.400 6.200 6.400 7.600 8.200 9.000 9.700 10.400 10.700 10.000 10.000 10.400 10.400 10.000 9.500 Mitglieder rechtsextremer Parteien[11] k. A. k. A. k. A. k. A. 28.600 31.030 51.980 55.130 45.400 35.900 33.500 34.800 39.000 37.000 36.500 33.000 28.100 24.500 23.800 21.500 21.500 14.200 13.000 Neonazis k. A. k. A. k. A. k. A. 2.220 2.420 1.820 1.520 2.670 2.380 3.420 2.400 2.400 2.200 2.200 2.800 2.600 3.000 3.800 4.100 4.200 4.400 4.800 politisch motivierte Gewalttaten mit rechtsextremistischem Hintergrund[12] k. A. k. A. k. A. k. A. 309 1.492 2.639 2.232 1.489 837 781 790 708 746 998 709 772 759 776 958 1.047 980 1.042 sonstige politisch motivierte Straftaten mit rechtsextremistischem Hintergrund[12] k. A. k. A. k. A. k. A. k. A. 2.401 4.537 8.329 6.463 7.059 7.949 10.929 10.341 9.291 14.953 9.345 10.130 10.033 11.275 14.403 16.550 17.176 19.894 Der Verfassungsschutz greift auf Zahlen des „Kriminalpolizeilichen Meldedienst in Fällen Politisch motivierter Kriminalität“ (KPMD-PMK) zurück. Die "Polizeiliche Kriminalstatistik - Staatsschutz" erfasst seit 1959 Daten, die für die Ermittlung politisch motivierter Gewalt herangezogen werden. Seit 1961 wurde parallel dazu durch den "Kriminalpolizeilichen Meldedienst in Staatsschutzsachen" (KPMD-S) Straftaten erfasst, die aus einer extremistischen Motivation heraus erfolgten. Erst seit 1992 werden dort Straftaten mit fremdenfeindlichen und seit 1993 Straftaten mit antisemitischem Hintergrund erfasst. Nach Kritik an dieser Statistik wurde 2001 die Erfassungsmethode geändert. Der KPMD-S als auch die PKS-S wurden durch den „Kriminalpolizeilichen Meldedienst in Fällen Politisch motivierter Kriminalität“ (KPMD-PMK) ersetzt. Die Einführung dieses neuen Erfassungssystems machen einen direkten Vergleich der Zahlen vor und nach 2001 nicht mehr möglich.[13]
Rechtslage
Stellt ein Gericht bei einer Straf- oder Gewalttat ein rassistisches oder fremdenfeindliches Motive fest, kann es zu einer Verschärfung des Strafmaßes führen. Der Nachweis ist dabei durch die Gerichte nicht immer einfach zu erbringen. Eine Verurteilung erhöht die Erfolgsaussichten für die Täter bei einem Revisionsverfahren.[14]
Gegeninitiativen und Formen des Gedenkens
Besonders Todesopfern rechtsextremer Gewalt wird bleibende Erinnerung zuteil. Ihnen werden Gedenksteine oder -tafeln gewidmet. Zu den Jahrestagen des Vorfalles finden sich oft Organisationen und Einzelpersonen, die in Form einer Demonstration des Vorfalls gedenken (siehe beispielsweise Nihat Yusufoğlu).
Nach Amadeu Antonio, der 1990 ermordet wurde, hat sich die Amadeu Antonio Stiftung benannt. In Eberswalde wurde 2011 eine Straße symbolisch nach ihm benannt. Eine Initiative arbeitet auf die dauerhafte Umbenennung der Straße hin.[15]
Mahnmale und Gedenksteine sind zum Teil von erheblicher Sachbeschädigung betroffen (siehe beispielsweise Frank Böttcher#Weitere Straftaten und Gedenken nach der Tat).
Einzelnachweise
- ↑ a b Markus Gamper, Helmut Willems: Rechtsextreme Gewalt - Hintergründe, Täter und Opfer, S. 439, in: Wilhelm Heitmeyer, Monika Schröttle (Hg.): Gewalt. Beschreibungen, Analysen, Prävention, Bonn 2006, S. 435-482
- ↑ Martin Sabrow: Organisation Consul (O.C.), 1920-1922, in: Historisches Lexikon Bayerns
- ↑ Emil Julius Gumbel: Vom Fememord zur Reichskanzlei. Mit einem Vorwort von Walter Fabian, Heidelberg, Lambert Schneider 1962
- ↑ http://www.welt.de/politik/deutschland/article13725571/182-Todesopfer-durch-rechte-Gewalt-in-Deutschland.html
- ↑ http://www.zeit.de/politik/2011-11/morde-neonazis
- ↑ http://www.mut-gegen-rechte-gewalt.de/news/chronik-der-gewalt/todesopfer-rechtsextremer-und-rassistischer-gewalt-seit-1990/
- ↑ http://www.welt.de/politik/deutschland/article13725571/182-Todesopfer-durch-rechte-Gewalt-in-Deutschland.html
- ↑ http://www.opferperspektive.de/Chronologie/474.html
- ↑ Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE, 27. 9. 2011
- ↑ Alle Daten aus: Bundesamt für Verfassungsschutz (Hrsg.): Verfassungsschutzbericht 1992, 1994, 1996, 1998, 2000, 2002, 2004, 2006, 2007. Die Zahlen dazwischen liegender Jahre wurden aus dem jeweiligen Bericht des Folgejahres übernommen. (k. A. = keine Angabe). Die Zahlen vor 1990 stammen aus unterschiedlichen Quellen:
- 1954, 1964, 1967, 1979: Richard Stöss: Geschichte des Rechtsextremismus, in: www.bpb.de, 2006.
- ↑ a b Seit 2006 werden die Mitglieder der Partei "Republikaner" nicht mehr im rechtsextremistisches Personenpotential erfasst.
- ↑ a b Die Zählung wurde seit 2001 verändert. Die neuen Zahlen leigen dabei systematisch über denen der vorangegangenen.
- ↑ http://www.lobbi-mv.de/downloads/todesopfer.pdf, S. 2f.
- ↑ http://www.netz-gegen-nazis.de/artikel/todesopfer-rechtsextremer-gewalt-eine-furchtbare-bilanz-2267
- ↑ http://www.amadeu-antonio-stiftung.de/aktuelles/amadeu-antonio-strasse-zum-49-geburtstag/
Literatur
- Richard Faber, Hajo Funke und Gerhard Schoenberner (Hg.): Rechtsextremismus. Ideologie und Gewalt, Edition Hentrich Druck, 1995.
- Wolfgang Frindte (1998). Rechtsextreme Gewalt - sozialpsychologische Erklärungen und Befunde. In H. W. Bierhoff & U. Wagner (Hrsg.), Aggression und Gewalt. Phänomene, Ursachen und Interventionen (S. 165-205). Stuttgart: Kohlhammer.
- Markus Gamper, Helmut Willems: Rechtsextreme Gewalt - Hintergründe, Täter und Opfer, in: Wilhelm Heitmeyer, Monika Schröttle (Hg.): Gewalt. Beschreibungen, Analysen, Prävention, Bonn 2006, S. 435-461.
- Benno Hafeneger (2000): Rechtsextreme Gewalt und Demokratie - Ein Gesamtkonzept gegen Demokratiegefährdung von rechts ist nicht zu erkennen, in: Sozialextra, Heft 9, S. 12-13.
- Kurt Möller: Schlussfolgerungen aus Empirie und Theorie zu rechtsextrem orientierter Gewalt, in: Wilhelm Heitmeyer, Monika Schröttle (Hg.): Gewalt. Beschreibungen, Analysen, Prävention, Bonn 2006, S. 462-468.
- Christian Seipel, Susanne Rippl (2003): Rechtsextreme Gewalt in Deutschland. Theoretische Erklärungen und empirische Ergebnisse der Hell- und Dunkelfeldforschung, in: Jürgen Raithel und Jürgen Mansel, (Hg.): Kriminalität und Gewalt im Jugendalter. Hell- und Dunkelfeldbefunde im Vergleich. Weinheim und München: Juventa, S. 264-284.
- Dierk Borstel, Bernd Wagner: Chancen und Grenzen der Maßnahmen gegen rechtsextreme Gewalt, in: Wilhelm Heitmeyer / Monika Schröttle (Hrsg.): Gewalt. Beschreibungen, Analysen, Prävention, Bonn, S. 469-482.
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