Reparativtherapie

Reparativtherapie

Reparativtherapie im eigentlichen Sinn bezeichnet ein Behandlungsverfahren für eine ich-dystone homosexuelle Orientierung. Gemäß dem ICD 10 F66.1 („ich-dystone Sexualorientierung“) ist das Leiden an der eigenen sexuellen Orientierung als krankhaft und damit therapiewürdig anerkannt.

Unter dem Begriff Reparativtherapie fasst man fälschlicherweise auch Therapien zusammen, die die Abnahme homosexueller Neigungen und die Entwicklung heterosexueller Potentiale zum Ziel haben.[1] Diese werden Konversionstherapie oder Reorientierungstherapie genannt und von verschiedenen Gruppen der umstrittenen Ex-Gay-Bewegung propagiert.

Reparativtherapie wird spezifisch für eine von Joseph Nicolosi entwickelte Behandlungsform verwendet,[2] so von vielen aber nicht allen Mitgliedern von NARTH.

Weltweit führende psychiatrische und psychologische Fachgesellschaften lehnen solche Behandlungsversuche ab, da sie im Widerspruch zu den heute in Psychiatrie und Psychologie etablierten Auffassungen von Homosexualität stünden[3][4] und potentiell schädigende Wirkung für die Therapierten hätten.[5] Der Begriff selbst stößt dabei auf Ablehnung, da er missverständlich und durch religiöse Werturteile geprägt sei.[6]

Inhaltsverzeichnis

Reparativer Antrieb

Der Begriff des reparativen Antriebs stammt ursprünglich von Anna Freud.[7] Laut Carl Gustav Jung habe Homosexualität damit zu tun, dass der Mann seine Männlichkeit nicht aus den Tiefen seine Psyche entwickelt habe, deshalb suche er die Männlichkeit auf der biologischen Ebene durch sexuelle Verbindung mit einem anderen Mann.[8]

In diesem Konzept der Homosexualität, das von Elizabeth Moberley und Joseph Nicolosi weiterentwickelt wurde, werden homosexuelle Beziehungen als Mittel gesehen, um durch die dabei gefundene Bestätigung und emotionale Intimität das Gefühl der geschlechtlichen Identität zu reparieren, das durch Kindheitserfahrungen geschädigt wurde. Die reparative Therapie bezweckt, diesen reparativen Trieb auf nicht-sexuelle gleichgeschlechtliche Beziehungen auszurichten und hat von daher ihren Namen.[9][10]

Laut Nicolosi soll der reparative Antrieb ein Entwicklungsproblem kompensieren.[11] Durch Suche und Behandlung des Entwicklungsproblems soll dem reparativen Antrieb der Nährboden entzogen und ein Leben ohne Leiden an der sexuellen Orientierung ermöglicht werden.[12]

Mit der Reparativtherapie verbunden ist die These, dass Homosexualität nicht wesentlich genetisch begründet und angeboren sei, sondern auf einer Kombination von Veranlagung und verschiedenen komplexen Lebenserfahrungen in der Kindheit und Jugend der Betroffenen zurückzuführen sei. Zu diesen Lebenserfahrungen werden unter anderem die Herkunft, das Temperament, Verletzungen durch das gleichgeschlechtliche Elternteil, Verletzungen durch das gegengeschlechtliche Elternteil, Verletzungen durch Geschwister, Familienentwicklungen, sexueller Missbrauch, soziale Verletzungen und kulturelle Verletzungen gezählt.

Exodus International befürwortet die reparative Therapie als ganzheitlichen, beratenden Ansatz, um ungewollter Homosexualität zu begegnen, sie soll vielen innerhalb ihres Netzwerkes geholfen haben.[13]

Problematik des Begriffes

Es ist unter Therapeuten umstritten, ob man einen Klienten, der seine sexuelle Orientierung hin zur Heterosexualität verändern möchte, eher im Sinne seiner Homosexualität bestärken (Gay Affirmative Psychotherapy) oder ob man ergebnisoffen therapieren sollte.

Throckmorton und Yarhouse haben 2007 als Vertreter der reparativen Therapie Richtlinien vorgeschlagen, nach denen ein Therapeut, ungeachtet seiner eigenen Einstellung, mit dem Klienten aufgrund von dessen persönlichen Werten, religiöser Einstellung und sexuellen Gefühlen erarbeiten kann, welches die geeignete Therapie für den sexuellen Identitätskonflikt des Klienten ist. Demnach soll der Klient selbst entscheiden, ob seine religiösen oder seine sexuellen Gefühle zu respektieren seien, soweit er sie als konfliktträchtig erachtet. Während die Veränderung der sexuellen Gefühle ausführlicher beschrieben wird, werden Therapiemöglichkeiten für die Veränderung der religiösen Gefühle von Yarhouse und Throckmorton nur knapp beschrieben.[14][15]

Der Sexualwissenschaftler Erwin J. Haeberle bemängelt die Verwendung des Begriffes Reparativtherapie, da er missverständlich sei und fälschlicherweise nahelegte, dass Homosexualität eine Fehlfunktion und damit zu korrigieren sei.[16]

Anwendung

Heutige wichtige Vertreter der Reparativtherapie sind der der Psychologe Joseph Nicolosi und die Psychologieprofessoren Mark A. Yarhouse, Warren Throckmorton und Richard Cohen. In Deutschland wird diese Therapie vor allem vom Deutschen Institut für Jugend und Gesellschaft (DIJG)[17] und von Wüstenstrom unterstützt.

Der Psychologieprofessor Nicholas A. Cummings, früherer Präsident der American Psychological Association, berichtet, dass er in seiner persönlichen Praxis etwa 2000 Patienten mit Konflikten auf Grund ihrer Einstellung zu Homosexualität ergebnisoffen behandelt habe. Im kalifornischen Gesundheitskonzern Kaiser-Permanente, wo er langjähriger Vorgesetzter von über 600 Psychotherapeuten war, wurden nach seiner Schätzung etwa 16.000 Patienten mit Konflikten bezüglich ihrer Einstellung zur eigenen sexuellen Identität behandelt. Nach seinen Angaben war bei einem Drittel der Behandlungen keine wesentliche Verbesserung festzustellen. Von den zwei Dritteln, bei denen die Behandlung erfolgreich gewesen wäre, hätten 80% nachher ein gesundes, sexuell verantwortungsvolles Leben als Homosexuelle gelebt, bei 20 % sei eine Umorientierung erfolgt. Er bekomme im Ruhestand immer noch Dankesschreiben von einigen heterosexuell verheirateten Klienten, aber noch mehr von solchen, die eine glückliche gleichgeschlechtliche Langzeitbeziehungen führen würden.[18]

Berufsorganisationen, die gegenüber der Reparativtherapie positiv eingestellt sind, sind NARTH, die American Association of Christian Counselors und die Catholic Medical Organization in den Vereinigten Staaten.[19]

Rezeption

Die als Reparative Therapien bezeichneten Behandlungsansätze werden von etlichen psychiatrischen und psychologischen Fachgesellschaften abgelehnt.

Der US-amerikanische Fachverband der Psychologen, American Psychological Association nahm am 5. August 2009 eine Entschließung an, die feststellt, dass Fachleute auf dem Gebiet der seelischen Gesundheit es vermeiden sollen, ihren Klienten zu erklären, dass sie ihre sexuelle Orientierung durch Therapie oder andere Behandlung ändern können. Die Resolution zu geeigneten affirmativen Antworten auf Spannungen im Zusammenhang mit sexueller Orientierung und zu Veränderungsanstrengungen empfiehlt Eltern, Erziehungsberechtigten, junge Menschen und ihren Familien, Behandlungen zu vermeiden, die Homosexualität als geistige Krankheit oder als Entwicklungsstörung darstellen. Statt dessen sollten sie sich nach Psychotherapie, sozialen Unterstützung und Erziehungsdiensten umsehen, die genaue Information zu sexueller Ortientierung und Sexualität böten, die Unterstützung durch Familie und Schule vergrößerten und die Ablehnung von Jugendlichen, die einer sexuellen Minderheit angehören, reduzierten.[20][21]

Zehn der bedeutendsten US-amerikanischen Fachgesellschaften aus den Bereichen Gesundheit und Geistesgesundheit[22] stufen solche Behandlungsversuche als unwirksam und potentiell gefährlich für die Ratsuchenden ein.[23] Die Grundannahme, dass Homosexualität eine psychische Störung oder dass Auftauchen von gleichgeschlechtlichen Wünschen unter einigen Heranwachsenden in irgendeiner Weise abnormal oder mental ungesund sei, stehe zudem im Gegensatz zu heute in Psychiatrie und Psychologie etablierten Auffassungen von Homosexualität.

Die Fachgesellschaften American Medical Association, American Psychological Association[24], American Psychiatric Association[25], die American Counseling Association,[26] und die National Mental Health Association[27] haben sich einhellig gegen den Ansatz der Reparativen Therapie ausgesprochen und geben mögliche Schäden zu bedenken.

Laut Christl Ruth Vonholdt, Leiterin des DIJG, sei die Reparativtherapie eine erprobte und bewährte Therapieform. Die umfangreiche Studie von Robert Spitzer belege, dass bei vielen Menschen eine Abnahme der homosexuellen Empfindungen und sogar eine Verringerung depressiver Verstimmungen erreicht worden sei.[28]

Quellen

  1. http://www.hv-cv.de/10.html
  2. Warren Throckmorton: What is reparative therapy
  3. Royal College of Psychiatrists Submission to the Church of England's Listening Exercise on Human Sexuality, Punkt 5 (S.3): Psychotherapy and reparative therapy for LGB people, gesehen 22. Juli 2008.
  4. Just the Facts Coalition, American Psychological Association et al.: Just the facts about sexual orientation and youth: A primer for principals, educators, and school personnel.
  5. http://www.apa.org/topics/orientation.html
  6. Glossar: Unsachgemäße „Fachausdrücke“. Aus: E.J. Haeberle, dtv-Atlas Sexualität. Deutscher Taschenbuch Verlag, 2005
  7. http://www.narth.com/docs/ger_vonholdt.pdf
  8. Siehe: Jacobi, J., „A Case of Homosexuality“, J. Analytical Psychology, 14, 1969, S. 51, zitiert nach Nicolosi, Josef, „Reparative Therapy of Male Homosexuality“, London 1991, S. 76.
  9. Christl Ruth Vonholdt: Homosexualität verstehen, DIJG, Sonderdruck Herbst 2006
  10. Warren Throckmorton: I Am Not a Reparative Therapist
  11. Ben Newman: Mein Weg heraus aus der Homosexualität, NARTH.com, 3. Februar 2005.
  12. Joseph Nicolosi und Linda Ames Nicolosi: Herausforderung Adoleszenz, NARTH.com, 25. Jänner 2006
  13. http://www.exodusinternational.org/content/view/34/117/
  14. Warren Throckmorton und Mark Yarhouse: Sexual identity therapy: Practice guidelines for managing sexual identity conflicts
  15. Stephanie Simon: Approaching agreement in debate over homosexuality in Los Angeles Times, 18. Juni 2007
  16. Erwin J. Haeberle, Glossar: Unsachgemäße „Fachausdrücke“, dtv-Atlas Sexualität, 2005
  17. OJC: Stellungnahme zur Presseerklärung des Antidiskriminierungsbüros in Leipzig, gesehen 27. März 2010.
  18. Warren Throckmorton: Homosexuality and Psychotherapy: An Interview with Dr. Nicholas Cummings, auf der Webseite des Center for Vision and Values der christlichen Hochschule Grove City College
  19. Homosexuality & Hope Booklet, Statement of the Catholic Medical Association. Text
  20. HuK:Positionserklärung (Press Release) der American Psychological Association (APA) zu Konversionstherapien, 5. August 2009
  21. http://www.queer.de/detail.php?article_id=10863 Queer: Einmal schwul, immer schwul !
  22. Das sind: American Academy of Pediatrics, American Counseling Association, American Association of School Administrators, American Federation of Teachers, American Psychological Association, American School Health Association, Interfaith Alliance Foundation, National Association of School Psychologists, National Association of Social Workers und National Education Association.
  23. Die American Psychological Association „Just the facts“ Gesehen am 20. Oktober 2007.
  24. Committee on Lesbian, Gay, & Bisexual Concerns der APA: Just the Facts
  25. COPP Position Statement on Therapies Focused on Attempts to Change Sexual Orientation (Reparative or Conversion Therapies).
  26. American Counseling Association: Ethical issues related to conversion or reparative therapy.
  27. NMHA FAQ: What Does Gay Mean?
  28. Dr. med. Christl Ruth Vonholdt, DIJG: Stellungnahme zur Presseerklärung des Antidiskriminierungsbüros in Leipzig vom 7. November 2006, gesehen 27. März 2010.

Literatur

Für Reparativtherapie

  • Deutsch
Christel Ruth Vonholdt: Homosexualität verstehen, Reichelseim Bulletin des Deutschen Institiuts für Jugend und Gesellschaft 2/2006 S. 1 ff., auch online als PDF
  • englisch

gegen Reparativtherapie

  • Valeria Hinck: Streitfall Liebe. Biblische Plädoyers wider die Ausgrenzung homosexueller Menschen, Claudius Verlag 2003, ISBN 3-532-62293-9
  • M. Forstein: Overview of ethical and research issues in sexual orientation therapy, 2001, Journal of Gay and Lesbian Psychotherapy, 5(3/4), 167-179 (englisch).
  • Einen Überblick über die Standpunkte der führenden USA Fachgesellschaften gibt diese Website (Englisch).

Weblinks


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