Anna Freud

Anna Freud
Sigmund und Anna Freud.

Anna Freud (* 3. Dezember 1895 in Wien; † 9. Oktober 1982 in London), Tochter Sigmund Freuds, war eine österreichisch-britische Psychoanalytikerin. Geboren im Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn, emigrierte sie mit Eltern und Geschwistern 1938 von Wien aus nach Großbritannien und erwarb die britische Staatsbürgerschaft. Ihre Verdienste lagen vor allem im Bereich der Kinderanalyse.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Anna war das jüngste der sechs Kinder Sigmund Freuds. Von Beruf war sie Lehrerin, doch galt ihr Interesse immer der Psychoanalyse. Sie absolvierte ihre Lehranalyse bei ihrem Vater und wurde selbst als Psychoanalytikerin tätig. Anna Freud war eine treusorgende Tochter. Für Sigmund Freud war sie Sekretärin, Assistentin, organisierte seine Auftritte, pflegte den Krebskranken und vertrat ihn auf Kongressen. Ungefähr von 1925 an lebte sie mit Dorothy Tiffany Burlingham, einer New Yorker Millionenerbin, zusammen. Beide wiesen jedoch Vermutungen auf eine homosexuelle Beziehung von sich. 1938, nach der Annexion Österreichs durch Deutschland, emigrierten Sigmund Freud und seine Frau Martha mit ihren Kindern, darunter Anna, zusammen mit Dorothy und deren vier Kindern nach London.

Leistungen

Anna Freud wurde Lehranalytikerin der British Psycho-Analytical Society. Nach dem Tod Freuds 1939 kam es zwischen Anna Freud und Melanie Klein und ihren jeweiligen Anhängern zu äußerst kontroversen Diskussionen, die nicht nur die Kinderanalyse, sondern die gesamte Ausrichtung der Psychoanalyse betrafen. Die Spaltung der britischen psychoanalytischen Vereinigung konnte mit Mühe verhindert werden. Neben den beiden Hauptgruppen bildete sich eine dritte Gruppe der „Unabhängigen“.

Gemeinsam gründeten Anna Freud und Dorothy Tiffany Burlingham zusammen mit Josefine Stross, [1][2] die Hampstead Nurseries, ein Heim, in dem sie Kriegskinder und Kriegswaisen betreuten. 1945 holte Anna Freud eine kleine Gruppe von Kindern aus Theresienstadt nach London. Sie wurden unter ihrer Aufsicht (Supervision) versorgt und betreut. Die Erinnerungen einiger Kinder wurden mit deren Erlaubnis veröffentlicht. Anna Freud selbst schrieb einen Artikel über sie, der 1951 in der von ihr gegründeten Zeitschrift veröffentlicht wurde.[3] Nach dem Zweiten Weltkrieg bauten sie die Nurseries aus: Die Hampstead-Klinik für Kinder wurde ab 1947 zu einem international renommierten Lehrinstitut für Kindertherapie. In Übereinkunft mit der British Psychoanalytical Society wurde die Hampstead Clinic von Anfang an The Hampstead Child-Therapy Clinic genannt, obwohl die an der Klinik praktizierte und gelehrte Therapie-Methode die der Kinderpsychoanalyse war und ist. Anna Freud stand der Klinik ab 1952 als Direktorin vor. Anna Freuds Arbeiten konzentrierten sich vor allem auf Jugendliche und Kinder. Sie gilt neben Melanie Klein als Mitbegründerin der Kinderanalyse. Neben ihrem Schwerpunkt, den kriegstraumatisierten Kindern, analysierte sie auch Erwachsene, darunter beispielsweise Marilyn Monroe. Nach Sigmund Freuds Tod im Jahr 1939 übernahm Anna das Erbe ihres berühmten Vaters, wurde zur Doyenne der Psychoanalyse und verbrachte viel Zeit auf Vortragsreisen und Kongressen.

1945 gründete sie zusammen mit anderen die Zeitschrift Psychoanalytic Study of the Child.[4]

Mit ihrem 1936 erschienenen Buch Das Ich und die Abwehrmechanismen schuf sie ein Grundlagenwerk auf dem Gebiet der Ich-Psychologie, das noch heute zur Standardliteratur der Psychoanalyse zählt. Es versammelt zehn aus der psychoanalytischen Literatur bekannte Abwehrmechanismen:

  1. Verdrängung
  2. Regression
  3. Reaktionsbildung
  4. Isolierung
  5. Ungeschehenmachen/Verleugnung
  6. Projektion
  7. Introjektion (= Identifizierung)
  8. Wendung gegen die eigene Person
  9. Verkehrung ins Gegenteil
  10. Verschiebung des Triebziels (Sublimierung)

Anna Freud fügt diesen aus der eigenen Beobachtung und Praxis gewonnene komplexe Abwehrtypen hinzu, die als Mischformen elementarer Abwehrreaktionen gelten können:

  1. die Identifikation mit dem Aggressor (Introjektion und Projektion)
  2. sowie die altruistische Abtretung als Projektion & Identifizierung/Identifizierung & Projektion

Der Begriff altruistische Abtretung stammt von Edward Bibring.[5] Anna Freud schreibt hierzu: „Das schönste und ausführlichste Beispiel einer solchen altruistischen Abtretung an das geeignetere Objekt findet sich in dem Schauspiel Cyrano de Bergerac von Edmond Rostand.“[6]

Weitere Abwehrmechanismen sind Rationalisierung, Konversion, Kompensation, Vermeidung und Substitution.

Schriften (Auswahl)

  • Einführung in die Technik der Kinderanalyse (1927)
  • Einführung in die Psychoanalyse für Pädagogen (1930)
  • Das Ich und die Abwehrmechanismen (1936)
  • Normality and pathology in childhood (1965)

Zitate aus Das Ich und die Abwehrmechanismen:

  • Die Entstehung der psychoanalytischen Lehre aus der Neuroseforschung macht es verständlich, dass die analytische Beobachtung vor allem immer auf den inneren Kampf zwischen Trieb und Ich gerichtet war, dessen Folgezustände die neurotischen Symptome sind. Die Arbeit des kindlichen Ich zur Unlustvermeidung in direkter Gegenwehr gegen die Eindrücke aus der Außenwelt gehört der Normalpsychologie an. Ihre Folgen sind vielleicht schwerwiegend für die Ich- und Charakter-Bildung, aber sie sind nicht pathogen. Wo immer wir diese Ich-Leistung in klinischen analytischen Arbeiten geschildert finden, erscheint sie deshalb nicht als das eigentliche Objekt der Untersuchung, sondern ist immer nur ein Nebenprodukt der Beobachtung.[7]
  • Aber auch dort in der infantilen Neurose, wo die Abwehr aus Realangst [= Angst vor der Außenwelt] erfolgt war, hat die analytische Therapie sehr gute Aussicht auf Erfolg. Am einfachsten und unanalytischsten ist der Versuch des Analytikers, nach Rückgängigmachen des Abwehrvorgangs im Kind selbst, die Realität, nämlich die Erzieher des Kindes, so zu beeinflussen, dass weniger Realangst vorhanden ist.[8]

Briefwechsel

  • Anna Freud, Briefe an Eva Rosenfeld,[9] Stroemfeld 1994, ISBN 978-3-86109-118-9
  • Lou Andreas-Salomé und Anna Freud: »...als käm ich heim zu Vater und Schwester«, Briefwechsel 1919-1937 (2 Bde.), herausgegeben von Daria A. Rothe und Inge Weber (2001), Wallstein Verlag; Taschenbuchausgabe: München: dtv, 2004
  • Sigmund Freud und Anna Freud: Briefwechsel 1904-1938. Hg. von Ingeborg Meyer-Palmedo. Frankfurt/M. 2006

Literatur

  • Kinderanalyse. Gespräche mit Anna Freud von J. Sandler, H. Kennedy, R.L. Tyson, ISBN 3-10-071305-2, ISBN 3-596-12501-4
  • Robert Coles, Anna Freud oder Der Traum der Psychoanalyse, Frankfurt am Main: S. Fischer 1995
  • Claudine Geissmann; Pierre Geissmann, Histoire de la psychanalyse de l'enfant : mouvements, idées, perspectives, 2. Auflage, Paris : Bayard, 2004
  • Phyllis Grosskurth: Melanie Klein, ihre Welt und ihr Werk, Verlag Internationale Psychoanalyse, Stuttgart 1993, ISBN 3-608-95902-5 (Grosskurth stellt die Kontroverse zwischen Anna Freud und Melanie Klein sehr gründlich dar.)
  • Wilhelm Salber Anna Freud Roro Monographie ISBN 3499503433
  • Elisabeth Young-Bruehl , Anna Freud: A Biography, Revised Edition, W W Norton & Co, 1994

Weblinks

Nachweise

  1. Angaben über Josefine Stross (1901–1995) im Biografischen Lexikon Psychoanalytikerinnen in Europa.
  2. Kurzbiographie
  3. nach der Biographie von Erna Furman S. 107, Fußnote 66, Anna Freud in collaboration with Sophie Dann, An experiment In Group Upbringing, in: 'The Psychoanalytic Study of the Child', VI, 1951. A group of six three-year-old former Terezin children is observed as regards group behavior, psychological problems and adaption.
  4. The Psychoanalytic Study of the Child Series Yale University Press
  5. Edward Bibring (1894-1959), kurze Biographie
  6. Anna Freud: Das Ich und die Abwehrmechanismen. Fischer Taschenbuchverlag, 19. Auflage, Frankfurt am Main 2006, ISBN 978-3-596-42001-8, S. 129.
  7. Anna Freud: Das Ich und die Abwehrmechanismen. Fischer Taschenbuchverlag, 19. Auflage, Frankfurt am Main 2006, ISBN 978-3-596-42001-8, S. 74.
  8. Anna Freud: Das Ich und die Abwehrmechanismen. Fischer Taschenbuchverlag, 19. Auflage, Frankfurt am Main 2006, ISBN 978-3-596-42001-8, S. 69.
  9. Eva Rosenfeld (1892–1977) im Biographischen Lexikon Psychoanalytikerinnen in Europa

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