Selektivvertrag

Selektivvertrag
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Selektivvertrag ist ein Begriff aus der Gesetzlichen Krankenversicherung. Er bezeichnet die Regelung vor allem der ambulanten ärztlichen Versorgung über Verträge außerhalb der von den Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) organisierten sog. Regelversorgung, die im Kollektivvertrag geregelt wird. Selektivvertrag und Kollektivvertrag sind komplementäre Begriffe. In Selektivverträgen können für Teile der ambulanten ärztlichen Versorgung für gesetzlich Krankenversicherte Versorgungsinhalte außerhalb der sogenannten Regelversorgung vereinbart werden. Selektivvertrag und Regelversorgung sind komplementäre Teile der vertragsärztlichen Versorgung. Wenn Vertragsarzt und Kassenpatient (ein bei einer gesetzlichen Krankenkasse Versicherter) beide dem entsprechenden Selektivvertrag beigetreten sind, gelten die Regelungen des Selektivvertrags. Ansonsten gilt die Regelversorgung, bei der jeder Kassenpatient mit der Chipkarte jeden Vertragsarzt in Deutschland aufsuchen kann.

Inhaltsverzeichnis

Vertragstypen

Die Regelversorgung wird mit Verträgen zwischen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) bzw. der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) des Bezirks und den entsprechenden Verbänden der Gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) geregelt. Für die Vereinbarung von Selektivverträgen (ohne Beteiligung der KV) hat der Gesetzgeber im 5. Sozialgesetzbuch (SGB V) folgende Vertragstypen geschaffen:

Modellvorhaben gem. § 63 SGB V

Krankenkassen können „zur Verbesserung der Qualität und der Wirtschaftlichkeit der Versorgung Modellvorhaben zur Weiterentwicklung der Verfahrens-, Organisations-, Finanzierungs- und Vergütungsformen der Leistungserbringung“ (§ 63 Abs. 1) vereinbaren. Gem. Abs. 5 sind Modellvorhaben auf längstens acht Jahre zu befristen und gem. § 65 im Hinblick auf ihre Ziele wissenschaftlich auszuwerten. Ein bundesweit durchgeführtes Modellvorhaben zur Akupunktur hatte nach der Evaluation zur Einführung der Akupunktur bei bestimmten medizinischen Indikationen in den Leistungskatalog der GKV geführt.

Hausarztzentrierte Versorgung (HZV) gem. § 73b SGB V

Die hausärztliche Versorgung wird gem. § 73 Abs. 1a durch Allgemeinärzte, Kinderärzte und hausärztlich tätige Internisten wahrgenommen. Alle gesetzlichen Krankenkassen müssen ihren Versicherten eine HZV anbieten (§ 73b Abs. 1). Um diese Pflicht der Krankenkassen und die Art und Weise der Verwirklichung dieser Pflicht hat sich seit 2008 ein gesundheitspolitischer Konflikt entzündet, der immer noch anhält (s.u.).

Besondere ambulante ärztliche Versorgung gem. § 73c SGB V

Mit Verträgen nach § 73c können beliebige Bereiche der vertragsärztlichen Versorgung geregelt werden. § 73 b und c entsprechen sich inhaltlich weitgehend. Wesentlicher Unterschied ist, dass der Abschluss von Verträgen nach § 73b durch Krankenkassen freiwillig ist. Nach § 73c könnten auch hausärztliche Versorgungsbereiche geregelt werden. Da hierfür aber die obligaten Verträge nach § 73 b zur Verfügung stehen, werden Verträge nach § 73c überwiegend Facharztverträge sein. Bisher gibt es nur sehr wenige Prototypen, v.a. von der AOK Baden-Württemberg.

Integrationsverträge gem. §§ 140 a ff. SGB V

Mit sog. Integrationsverträgen können ambulante und stationäre Versorgungsbereiche geregelt werden. Bedingung ist gem. § 140a Abs. 1, dass es sich um eine „verschiedene Leistungssektoren übergreifende Versorgung oder eine interdisziplinär-fachübergreifende“ handeln muss. Möglich sind also nur „Kombinationen“ wie bspw. ambulant-stationär oder ambulant-Reha oder hausärztlich-fachärztlich. Zwischen 2004 und 2008 gab es gem. § 140d eine sog. Anschubfinanzierung von bis zu 1 Prozent der Gesamtvergütung der jeweiligen KV. Damit wollte der Gesetzgeber den Abschluss solcher Verträge fördern. Um die Verteilung dieser Anschubfinanzierung hatte sich ein Konflikt zwischen den Leistungserbringern (v.a. Hausärzte, Fachärzte, Krankenhäuser, Reha-Einrichtungen und Apotheken) entwickelt, der seit dem Ende der Anschubfinanzierung im Jahr 2009 abgeklungen ist.

Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Vertragstypen

Die Modellvorhaben spielen in der Versorgungrealität und der politischen Diskussion keine große Rolle mehr. Vertragsärzte und Versicherte haben in Selektivverträgen Vertragsfreiheit: Sie können sich, sofern sie die dort geregelten Teilnahmevoraussetzungen erfüllen, in einen Selektivvertrag einschreiben, müssen aber nicht. Nur wenn Arzt und Kassenpatient beide in den selben Selektivvertrag eingeschrieben sind, findet die Versorgung nicht mehr über die Regelversorgung statt. Soweit in Verträgen nach §§ 73b, 73c oder 140a ff. vertragsärztliche Leistungen aus der Regelversorgung enthalten sind, muss die Krankenkasse ihre Gesamtvergütung gegenüber der KV bereinigen. Dabei wird die Gesamtvergütung um denjenigen Teil gekürzt, der nicht mehr über die Regelversorgung sondern über den Selektivvertrag erbracht und abgerechnet wird. Die Bereinigung erfolgt personenbezogen für die eingeschriebenen Versicherten anhand sog. historischer Abrechnungsdaten, also für alle Leistungen aus dem Selektivvertrag, die in bestimmten Vorquartalen für diese Versicherten über die Regelversorgung erbracht worden waren. Die Höhe der Bereinigungsbeträge ist meist zwischen Krankenkasse und KV umstritten.

Für Leistungen, die über die Regelversorgung hinausgehen, gibt es logischerweise keine solche Bereinigung. Die Leistungen nach Selektivverträgen unterliegen aber - wie die gesamte Versorgung in der GKV - dem Wirtschaftlichkeitsgebot nach § 12 SGB V. Für Integrationsverträge gilt darüber hinaus gem. § 140b Abs. 4 der Grundsatz der Beitragssatzstabilität. Demnach müssen höhere Vergütungen als in der Regelversorgung über Einsparungen aus dem Vertrag refinanziert werden. Der aktuelle Gesetzentwurf des Bundeskabinetts vom 22. September 2010 sieht für Verträge nach § 73b eine ebensolche Regelung vor.

Vertragspartner der Krankenkassen können bei den Selektivverträgen v.a. Vertragsärzte und Gemeinschaften von Vertragsärzten sein. Bei den Integrationsverträgen kommen auch Träger von Krankenhäusern sowie Reha- und Pflegeeinrichtungen in Frage. KVen sind bei Integrationsverträgen kein zugelassener Partner.

Welcher der Vertragstypen bei der Regelung eines bestimmten Teils der Versorgung zur Erreichung der Ziele gewählt wird, ist v.a. eine Frage der Zweckmäßigkeit. Mit 73b können nur hausärztliche Themen geregelt werden, mit 73c nur ambulant vertragsärztliche, also in beiden Fällen keine stationären. Die Verknüpfung von ambulant und stationär geht nur mit einem Integrationsvertrag.

Versorgungsziele bei Selektivverträgen

Das deutsche Gesundheitswesen ist international eines der besten, birgt aber noch zahlreiche Optimierungspotenziale. Mit Selekivverträgen greifen die Vertragspartner (meist kleinere Teile) der Versorgung heraus und definieren sie neu. Aus Sicht der GKV können dabei legitime Ziele nur eine Verbesserung der Qualität und Wirtschaftlichkeit der Versorgung sein. Der Begriff der Qualität ist dabei weit gefasst und enthält u.a.

- bessere Kommunikation zwischen Leistungserbringern, Kasse und Patient

- bessere Koordination der Leistungserbringung

- schnellerer Heilerfolg

- Vermeidung von Wiedererkrankungen („Drehtüreffekt“) und Chronifizierung

- weniger Nebenwirkungen

Es kann also nur darum gehen, eine zusätzliche Qualität gegenüber der Regelversorgung zu erreichen, die ggf. auch mehr Geld kosten kann, oder das qualitativ gleiche Ergebnis wie in der Regelversorgung wirtschaftlicher, also kostengünstiger, zu erreichen.

Jüngster Konflikt um Hausarztverträge

Der Gesetzgeber hatte die Pflicht der Krankenkassen zum Anbieten von HZV-Modellen zum 1. Januar 2009 in § 73b Abs. 4 mit folgendem Wortlaut konkretisiert und aus Kassensicht verschärft: „Zur flächendeckenden Sicherstellung des Angebots nach Absatz 1 haben Krankenkassen allein oder in Kooperation mit anderen Krankenkassen spätestens bis zum 30. Juni 2009 Verträge mit Gemeinschaften zu schließen, die mindestens die Hälfte der an der hausärztlichen Versorgung teilnehmenden Allgemeinärzte des Bezirks der Kassenärztlichen Vereinigung vertreten. Können sich die Vertragsparteien nicht einigen, kann die Gemeinschaft die Einleitung eines Schiedsverfahrens nach Absatz 4a beantragen.“

Um solche Gemeinschaften gem. Abs. 4 zu bilden, hat daraufhin der Deutsche Hausärzteverband in den meisten Bundesländern (in Kooperation mit der eigenen Managementgesellschaft HÄVG und teilweise mit anderen Ärzteverbänden) ein entsprechendes Mandatierungsverfahren bei den Hausärzten durchgeführt. Versehen mit diesem Mandat haben die Landesverbände des Deutschen Hausärztverbands allen Krankenkassen in Deutschland Verhandlungen über HZV-Verträge angeboten. Gegen die Krankenkassen, die auf das Verhandlungsangebot bzw. den angebotenen Vertrag nicht eingehen wollten, hat der Hausärzteverband das in Abs. 4 genannte Schiedsverfahren eingeleitet. Die Aufsichtsbehörden der Krankenkassen hatten hierzu bundesweit vier Schiedsrichter bestellt, die bis dato für die Versicherten bestimmter Krankenkassen in verschiedenen Bundesländern HZV-Verträge geschiedst haben. V.a. in Bayern und Baden-Württemberg wurden Verträge geschiedst, die sich inhaltlich weitgehend an dem BKK-Vertrag aus Baden-Württemberg orientieren, der seinerseits auf dem Vertrag der AOK Baden-Württemberg basiert. Einige Krankenkassen betrachten die Honorare in den Verträgen nach diesem Muster als wesentlich höher als in der Regelversorgung und sehen damit die Wirtschaftlichkeit nicht gegeben. Durch die Schiedsverfahren werden Krankenkassen zu solchen Verträgen gezwungen und manche Krankenkasse sieht vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Unterfinanzierung aus dem Gesundheitsfonds die Gefahr, Zusatzbeiträge erheben zu müssen und daraufhin viele Mitglieder zu verlieren.

Am 12.November 2010 hat der Bundestag eine Änderung des § 73b beschlossen die den Bundesrat am 17. Dezember 2010 passiert hat. Sie tritt zum 1. Januar 2011 in Kraft und bringt folgende wesentliche Änderungen:

  • Die ärztliche Honorierung in HZV-Verträgen darf nicht höher sein als in der Regelversorgung über die KV. Eine höhere Vergütung muss über Einsparungen aus dem Vertrag refinanziert werden.
  • Jede Kasse muss neue HZV-Verträge ihrer Aufsicht vorlegen, die den Vertrag beanstanden kann.
  • Für vor dem 22. September 2010 bestehende Verträge – insbesondere deren Vergütungsregelungen - gibt es einen Bestandschutz bis zum 30. Juni 2014.

Diese Regelungen gelten auch für Verträge, die im Rahmen eines Schiedsverfahrens zustande kommen.

Quellen

  • Sozialgesetzbuch 5 (SGB V)
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