- Sentimentanalyse
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Mittels der Sentimentanalyse versucht man, Stimmungen von Investoren an der Börse in ihrer Bedeutung für die Entwicklung von Wertpapierkursen zu interpretieren. Die Sentimentanalyse geht dabei über die Chartanalyse hinaus, indem sie nicht nur die Kursverläufe selbst betrachtet, sondern im Sinne der Behavioral Finance direkt auf die Auslotung der Anlegerpsychologie in einer bestimmten Marktsituation abzielt. Anlegerstimmungen können nach Auffassung der Sentimentanalytiker zusätzliche Hilfen darstellen, begründete Vermutungen über zukünftige Kursverläufe zu erarbeiten, die dann Grundlage von Investitions- oder kurzfristigen Handelsentscheidungen sind.
Inhaltsverzeichnis
Beispiel
Geht das Ausmaß des festgestellten Optimismus („bullische Stimmung“) oder Pessimismus („bärische Stimmung“) über ein bestimmtes empirisch bekanntes Normalmaß hinaus, kann dies als „Kontraindikator“ dienen, d.h., es wird davon ausgegangen, dass solche stärkeren Stimmungsausschläge Kurswendepunkte ankündigen. Dahinter stehen zwei Grundannahmen:
Erstens: Wenn die große Masse von Anlegern bereits investiert hat, bleiben eben wenige übrig, die noch zusätzlich kaufen und damit die Kurse in die Höhe treiben könnten; umgekehrt gilt natürlich Entsprechendes: Wenn die Anleger mehrheitlich nicht investiert haben, können nur noch wenige verkaufen und damit die Kurse drücken[1].
Zweitens: Wenn Anleger investiert haben, werden sie sich optimistisch über den erwarteten weiteren Kursverlauf äußern, wenn sie nicht investiert haben, pessimistisch. Denn für den zukünftigen Verlauf von Wertpapieren etwa pessimistisch zu sein, aber gleichzeitig investiert zu haben, würde unter normalen Umständen natürlich wenig sinnvoll erscheinen.
Zur Feststellung der vorherrschenden Stimmung in einer Marktlage werden direkte Verfahren verwendet (etwa Umfragen in einem Panel von Investoren) und vielfältige indirekte. Zu letzteren gehören beispielsweise die Put-Call-Ratio oder auch die Betrachtung, in welcher Relation die Käufe von „in-the-money“-Discountzertifikaten zu „out-of-the-money“-Papieren stehen.
Jenseits der den Börsenhandel direkt betreffenden Sentimentanalysen gibt es noch andere, gesamt-volkswirtschaftlich relevante Sentimenterhebungen, wie zum Beispiel den Stimmungsteil des IFO-Geschäftsklimaindex und den „ZEW“.
Probleme
Dem interessierten Nutzer von Sentimentdaten bietet sich heute eine fast unübersehbare Fülle von verschiedensten Indikatoren, die in der ein oder anderen Weise geeignet sein sollen, das "Anlegersentiment" quantitativ darzustellen. Sehr häufig ist der erste Eindruck der, dass sich die Ergebnisse diametral widersprechen. Dies hat mehrere Ursachen. Die im Börsenbereich durch direkte Befragung erhobenen Stimmungsdaten kranken in den meisten Fällen daran, dass die Art der Erhebung, besonders die Auswahl der Stichprobe (Panel) in keiner Weise die in den Sozialwissenschaften gängigen Grundqualitätsanforderungen (Randomisierung, Stichprobengrösse, etc.) erfüllt. Oft ist nicht einmal klar, welcher Grundgesamtheit (Menge von Daten/Objekten/Personen, die von einer Probe repräsentiert werden sollen) die gehobenen Stichproben zuzuordnen sind. Denn da sich das Anlegerverhalten und damit auch das Sentiment von kurz-, mittel- und langfristigen, von institutionellen und privaten Anlegern oft signifikant unterscheidet, könnte man hier durchaus von unterschiedlichen Grundgesamtheiten ausgehen.
Es kommt auch vor, dass Anleger zwar "im Prinzip" positiv für den Markt eingestellt sind und sich entsprechend bullisch äußern, dass sie aber nur mit kleinen Beträgen ("Veroptionierung") im Markt sind und mit größeren Engagements warten, bis bestimmte charttechnische Widerstände nachhaltig überwunden sind.
Da auch Goldpreisentwicklung, Bondmarkt (z.B. der Bund-Future), Volatilität, Marktumsätze oder die Kursentwicklungen von sogenannten "safe-haven"-Währungen wie US-Dollar oder Schweizer Franken oft als indirekte Indikatoren für Marktstimmungen herangezogen werden, bleibt das Bild oft sehr diffus. Dem professionellen Nutzer von Börsendaten bleibt daher nichts anderes übrig, als sich aus den verschiedenen Mosaiksteinen für seinen spezifischen Erkenntniszweck einen Gesamteindruck zu erarbeiten, wohl berücksichtigend, dass sich gerade die gewichtigsten, längerfristig agierenden Marktteilnehmer nicht "in die Karten" schauen lassen.
Einzelnachweise
- ↑ Die Psyche der Privatanleger, Basler Zeitung, im Web abgerufen am 29. November 2010
Literatur
- Joachim Goldberg/Rüdiger von Nitzsch. Behavioral Finance. München, Verlag FinanzBuch 1999. ISBN 9783898791007.
Siehe auch
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