- Stasis (Polis)
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Als Stásis (altgriechisch στάσις stásis; Plural στάσεις stáseis)[1] bezeichnet die Altertumswissenschaft Bürgerkriege und bürgerkriegsähnliche Zustände in antiken griechischen Stadtstaaten (poleis).
Seit der Entstehung der Polis in archaischer Zeit finden sich in den Quellen immer wieder Hinweise auf Spaltungen und Zerwürfnisse innerhalb der Bürgerschaft in zahlreichen griechischen Städten. Zumindest anfangs spielten dabei oftmals rivalisierende Aristokraten mit ihren Anhängern eine bedeutende Rolle, und oft eskalierten diese Konflikte und führten zu Bürgerkriegen. Gerade im 6. Jahrhundert v. Chr. gelang es dabei einigen Adligen, sich durchzusetzen und eine Tyrannis zu errichten (z. B. Peisistratos in Athen). Auch nach dem Ende der archaischen Tyrannis um 500 v. Chr. kam es immer wieder zu Staseis; nun wurden die Konflikte zwischen den Gruppen (die man teils ebenfalls staseis nannte) oft durch soziale Spannungen verstärkt. Letztlich ging es meist um Rivalitäten und Machtfragen, aber zugleich gab man sich oft auch als Anhänger unterschiedlicher Staatsformen: So standen im 5. Jahrhundert v. Chr. vielfach Vertreter einer Oligarchie den Anhängern einer Demokratie gegenüber. Die Anhänger der unterlegenen „Partei“ mussten, sofern sie überlebten, oft ins Exil gehen, was die große Zahl an Verbannten in der griechischen Welt erklärt.
Während des Peloponnesischen Krieges kam es in mehreren kleineren Poleis zu sehr blutigen Staseis, die sich quasi im Windschatten des größeren Konfliktes entfalteten, indem sich die Bürgerkriegsparteien den unterschiedlichen Machtblöcken (in diesem Fall Sparta bzw. Athen) anschlossen. Berühmt ist in diesem Fall der Bericht des Thukydides über die Stasis auf Korkyra (Thuk. 3, 79-84).
Auch nach dem faktischen Ende der Unabhängigkeit der griechischen Stadtstaaten seit dem Hellenismus konnten Spaltungen innerhalb der Bürgerschaft immer wieder zur offenen Stasis werden, wenn es die äußeren Bedingungen zuließen. Während der Diadochenzeit konnte es durchaus von Vorteil sein, sich an rivalisierende Großmächte anzulehnen. Nachdem Griechenland im 2. Jahrhundert v. Chr. unter römische Herrschaft gelangt war, führten Unruhen im römischen Reich nicht selten auch zu Staseis in griechischen Poleis. In der Spätantike trug diese offenbar strukturell bedingte Neigung zu Spaltungen nach Ansicht einiger Forscher dazu bei, die dogmatischen Auseinandersetzungen innerhalb des Christentums zu verschärfen und zu brutalisieren, da die bestehenden Konflikte innerhalb der griechischen Städte nun religiös aufgeladen worden seien, indem sich die Parteiungen zu unterschiedlichen Dogmen bekannten.
Literatur
- Mark Barnard: Stasis in Thucydides. Narrative and analysis of factionalism in the polis. Chapel Hill 1982.
- Cinzia Bearzot: Stasis e polemos nel 404. In: M. Sordi (Hrsg.): Il pensiero sulla guerra nel mondo antico. Mailand 2001, S. 19ff.
- Paula Botteri: Stasis: Le mot grec, la chose romaine. In: Metis 4, 1989, S. 87ff.
- Iain Bruce: The Corcyraean Civil War of 427 B. C. In: Phoenix 25, 1971, S. 108ff.
- Hans-Joachim Gehrke: Stasis. Untersuchungen zu den inneren Kriegen in den griechischen Staaten des 5. und 4. Jh. v. Chr. München 1985.
- Nick Fisher: Hybris, revenge and stasis in the Greek city-states. In: H. van Wees (Hrsg.): War and Violence in Ancient Greece. London 2000, S. 83ff.
- Karl-Joachim Hölkeskamp: Bürgerzwist und politische Gewalt in den griechischen Poleis. In: Gymnasium 96, 1989, S. 149ff.
- Andrew Lintott: Violence, Civil Strife and Revolution in the Classical City. London 1982.
- Jonathan Price: Thucydides and internal war. Cambridge 2001.
- Ronald Weed: Aristotle on Stasis. A Moral Psychology of Political Conflict. Berlin 2007.
Einzelnachweise
- ↑ Wilhelm Gemoll: Griechisch-Deutsches Schul- und Handwörterbuch. G. Freytag Verlag/Hölder-Pichler-Tempsky, München/Wien 1965.
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