Tyrannis

Tyrannis

Der Begriff der Tyrannis (gr. τυραννίς) umschreibt eine Herrschaftsform der griechischen Antike, die besonders im Zeitraum zwischen 600 v. Chr. und 200 v. Chr. vorkam. Es handelte sich um eine Art von Alleinherrschaft, wobei man in der Regel zwei Phasen unterscheidet: die Ältere (oder Archaische) Tyrannis, die im 7. Jahrhundert v. Chr. aufkam und spätestens 461 v. Chr. endete, sowie die Jüngere Tyrannis, die gegen Ende des 5. Jahrhunderts v. Chr. aufkam und vor allem außerhalb des griechischen Mutterlandes (vor allem auf Sizilien) verbreitet war. Im Gegensatz zur Basileia („Königtum“) bezeichnete der Begriff Tyrannis dabei in der Regel eine illegitime Form der Alleinherrschaft über eine Polis, in der eine monarchische Staatsform eigentlich nicht vorgesehen und mit den nomoi („Gesetzen“) schwer oder gar nicht vereinbar war.

Inhaltsverzeichnis

Die Bewertung der Tyrannis im 5. und 4. Jahrhundert v. Chr.

Während der Begriff tyrannos ursprünglich wertneutral einen Alleinherrscher bezeichnet haben dürfte, war er spätestens ab dem 5. vorchristlichen Jahrhundert fast durchweg negativ besetzt.

Herodot bietet viele wichtige (aber zum Teil auch sagenhafte und verzerrte) Informationen über die frühen Tyrannen. Thukydides[1] führt dann als erster wirtschaftliche Gründe an, die eine Tyrannis entstehen lassen: Demnach sei sie die Folge der höheren Einkünfte von Handel und Handwerk. Diese führen dazu, dass eine reiche, politisch benachteiligte Adelsschicht sich gegen den führenden Adel aufzulehnen beginnt. Unklar ist, in welchem Umfang dies eine spätere Konstruktion ist.

Die negative Bewertung der Tyrannis wird bis heute aber vor allem von Platon, Aristoteles[2] und Polybios[3] bestimmt. Aristoteles legt den Maßstab der politischen Theorie und persönlicher Erlebnisse im 4. Jahrhundert v. Chr. an das Herrschaftsphänomen an. Aus seiner Perspektive ist die Tyrannis eine absolute Herrschaft, die die überkommene Ordnung und die überkommenen Gesetze sprengt und allein dem persönlichen Willen des Herrschers gehorcht. Als schlechtestmögliche Regierungsform wird sie vom Königtum (Basileia) abgegrenzt, das auf der Grundlage der überkommenen Gesetze und Ordnung aufbaut und dem Gemeinwohl dient. Gründe für die Entstehung sieht er im Auftreten der Hopliten, die die Umwandlung der alten aristokratischen in eine neue, von den Hopliten bestimmte Verfassung vorangetrieben haben.

Diese einerseits kritische – Tyrannis –, andererseits idealisierende – Basileia – Sichtweise hat als Hintergrund die Krise der Poliswelt im 4. Jahrhundert v. Chr. und die Erfahrungen mit der Jüngeren Tyrannis, auf die die Beschreibung zugeschnitten ist. Diese Herrscher stützten sich meist nach inneren, gewaltsamen Unruhen eines aufgestachelten Volkes auf ihre materielle Basis, auf Söldnertruppen und die Macht von Verbündeten – in der späten Ausformung dann etwa auf die hellenistischen Könige. Die Machtübernahme ging zudem mit der Vertreibung politischer Gegner aus der Polis in ein Exil einher. Sehr viel stärker als bei der Älteren Tyrannis sind hier maßlose Machtgier und das Streben nach einer absoluten Alleinherrschaft feststellbar.

Der idealtypisch gedachte Ablauf der Entstehung einer Tyrannis

Das wichtigste Merkmal einer Tyrannis ist, dass der Tyrann (Alleinherrscher) durch Gewalt an die Macht gekommen ist. Er regiert durch Gewalt und wird meist auch durch Gewalt gestürzt.

Die klassische, heute aber nicht mehr unumstrittene Rekonstruktion der Errichtung einer „typischen“ Tyrannis sieht aus wie folgt: Ausgangspunkt ist demnach eine innere Krise in einer Polis, die es einzelnen Adeligen ermöglicht, sich zum Fürsprecher des (sozial benachteiligten) Volkes zu machen. Während der volksverbundenen Regierung werden die Interessen breiterer Volksgruppen aufgegriffen, Zugeständnisse gemacht und Wohltaten vollbracht. Gerichtet ist die Herrschaft vor allem gegen die adligen Konkurrenten innerhalb der Polis. Verliert der Alleinherrscher dann aber bei dem (in seiner Bedeutung) erstarkenden Volk die Basis, weil er sich außerhalb des Rahmens und der Normen der Polis stellt, und geht das Volk mit anderen Aristokraten zusammen, entwickelt sich aus dem Kampf um den Machterhalt der Tyrann: Er greift zu Willkürakten und Brutalität. Ein Angriff von außen oder eine Revolution innerhalb der Polis führen schließlich zum Tyrannensturz.

Betrachtet man Auftreten und Häufigkeit der Älteren Tyrannis im 6. und 5. Jahrhundert v. Chr., wird – im Gegensatz zur Jüngeren Tyrannis in Sizilien und Süditalien – allerdings kein gemeingriechisches Phänomen erkennbar. In den insgesamt etwa 700 Poleis lassen sich lediglich 27 Tyrannenherrschaften sicher nachweisen, die zudem über 150 Jahre verteilt sind. Die Tyrannenherrschaften sind dabei eher ein Phänomen der größeren und reicheren Poleis mit einer größeren Bürgerschaft und einer breiteren Oberschicht. Aus dieser Perspektive kann die Ältere Tyrannis vielleicht als Kampf von Adelsfraktionen in ihrer Konkurrenz um die begrenzten Führungspositionen in der Polis bewertet werden, bei dem es einzelnen herausragenden Persönlichkeiten im Verlauf einer Stasis gelang, sich längerfristig an die Spitze ihrer Bürgerschaft zu bringen.

Repräsentanten der Älteren Tyrannis

Bedeutende Vertreter waren

Repräsentanten der Jüngeren Tyrannis

Bedeutende Vertreter waren

Heute werden selbstsüchtige Alleinherrschaften als autoritäres Regime oder Diktatur bezeichnet.

Siehe auch: Despotie, Aisymnetie

Literatur

  • Greg Anderson: Before Turannoi were Tyrants. Rethinking a Chapter of Early Greek History. In: Classical Antiquity. 24, 2005, ISSN 0278-6656, S. 173–222.
  • Helmut Berve: Die Tyrannis bei den Griechen. 2 Bände. Beck, München 1967.
  • Hans-Joachim Gehrke: Stasis. Untersuchungen zu den inneren Kriegen in den griechischen Staaten des 5. und 4. Jahrhunderts v. Chr. (= Vestigia 35). Beck, München 1985, ISBN 3-406-08065-0.
  • Konrad H. Kinzl (Hrsg.): Die Ältere Tyrannis bis zu den Perserkriegen. Beiträge zur Griechischen Tyrannis (= Wege der Forschung 510). Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1979, ISBN 3-534-07318-5.
  • Loretana de Libero: Die archaische Tyrannis. Steiner, Stuttgart 1996, ISBN 3-515-06920-8 (Zugleich: Göttingen, Univ., Habil.-Schr., 1995).
  • Oswyn Murray: Das frühe Griechenland (= dtv. Geschichte der Antike 4400). 5. Auflage. Deutscher Taschenbuch-Verlag, München 1995, ISBN 3-423-04400-4.
  • Victor Parker: Vom König zum Tyrannen. Eine Betrachtung zur Entstehung der älteren griechischen Tyrannis. In: Tyche. 11, 1996, ZDB-ID 624502-x, S. 165–186.
  • Karl-Wilhelm Welwei: Die griechische Polis. Verfassung und Gesellschaft in archaischer und klassischer Zeit. 2. durchgesehene und erweiterte Auflage. Steiner, Stuttgart 1998, ISBN 3-515-07174-1.

Weblinks

Anmerkungen

  1. 1, 13, 1
  2. Politeia 1305a, 7 ff.; 1310b, 12 ff.
  3. Der Historiker Polybios entwickelte auf Basis der Ideen von Platon und Aristoteles und empirischer Analysen griechischer Stadtstaaten ein Verfassungsschema, das zwischen solchen Herrschaftsformen differenziert, die am Gemeinwohl orientiert sind (Monarchie (auch: Basileia), Aristokratie, Demokratie), und anderen, die aus dem Eigennutz der Regierenden motiviert sind (Tyrannis, Oligarchie, Ochlokratie). Aus der Erkenntnis heraus, dass diese Grundformen der Verfassungen notwendigerweise instabil sind, hat vor allem Polybios die Idee des Verfassungskreislaufs entwickelt, die diese Herrschaftsformen zueinander in Beziehung setzt. Vgl. auch: Polybios 1,1,6,3–10.

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