- Diamantsutra
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Das ca. im 1. Jh. u.Z. verfasste Diamant-Sutra (Vajracchedikā-prājñāpāramitā-sūtra) zählt zu den wichtigsten Texten des Mahayana-Buddhismus. Es hat in den verschiedensten asiatischen Ländern schon früh eine weite Verbreitung gefunden und ist Bestandteil der "Prajnaparamita-Sutras" (sanskr. "prajnaparamita" = Vollkommenheit der Weisheit). Die erste Druckversion des Sutra stammt aus China, wurde als Holztafeldruck hergestellt und ist vom 11. Mai 868 datiert. Dieses Dokument gilt als das erste Buch-Druckerzeugnis der Menschheitsgeschichte, fast 600 Jahre vor der Gutenberg-Bibel. Es wurde im Jahre 1907 vom Archäologen Aurel Stein in den Mogao-Grotten bei der chinesischen Stadt Dunhuang entdeckt.
Der vollständige Titel des Sutra lautet "Vajracchedika Prajnaparamita" und bedeutet "Die Vollkommenheit der Weisheit, die [so scharf ist, dass sie] selbst einen Diamanten spalten kann".
Inhaltsverzeichnis
Form
Das relativ lange Diamant-Sutra untergliedert sich in 32 Abschnitte. Die Rezitation des gesamten Sutra nimmt etwa 45 Minuten in Anspruch. Das Sutra ist ein durch Fragen und Antworten strukturierter Dialog zwischen "Subhuti", einem erfahrenen Schüler des Buddha, und dem Buddha selbst. Formal bemerkenswert ist auch die modern anmutende selbstreflexive Qualität des Sutra: im Sutra wird über das Sutra, seine segensreichen Auswirkungen und auch seine künftige Rezeption gesprochen. Der Text thematisiert sich also selbst.
Inhalt
Die Illusion durchschneiden
Das Sutra soll auf einer Predigt basieren, die Buddha im Jetavana in Śrāvastī gehalten hat. Dabei beantwortet er Fragen seines Anhängers Subhūti.
"Form ist Leerheit - Leerheit ist Form": Der buddhistische Kerngedanke aus dem Herz-Sutra zieht sich (wenn auch nicht explizit) wie ein roter Faden auch durch das Diamant-Sutra. Nach der Lehre des Buddha existieren zwei Wirklichkeiten/zwei Wahrheiten: 1.) einerseits die Welt der Form, die Welt der sinnlich erfahrbaren Phänomene, die Welt der in Zeichen und Begriffen geronnenen trügerischen, da einseitigen, Wahrnehmungen und 2.) auf der anderen Seite: die Welt der Leerheit (Shunyata), die Welt der "Soheit", eine Sphäre jenseits der Form, jenseits von Geburt und Tod, Anfang und Ende, Selbst und Nichtselbst, eine Welt jenseits aller Begriffe. Der Buddha wäre aber nicht der Buddha, wenn er sich darauf beschränkte, diese beiden Wirklichkeiten einander gegenüber zu stellen. Form und Leerheit sind letztlich eins, es gibt keine Dualität von Form und Nicht-Form - beide sind Ausdrucksformen ein und derselben Wirklichkeit, zwei Gesichter ein und der gleichen Welt.
Diese Kernaussage wird im Diamant-Sutra in zahlreichen Varianten ausgebreitet. Das Sutra fordert uns auf, hinter die Oberfläche der Phänomene zu schauen und die Illusion zu durchschauen, die Wirklichkeit erschöpfe sich in der Oberfläche der sinnlich erfahrbaren und begrifflich fixierbaren Phänomene. Darum lautet der eigentliche Titel des Sutra auch korrekt und vollständig übersetzt: "Der Diamant, der die Illusion durchschneidet" (vajracchedika sutra). Der Diamant - das ist die Lehre des Buddha, und eigentlich sind es gleich mehrere Illusionen, die in diesem Sutra durchschnitten werden:
- die Illusion, man habe eine unabhängige Selbstexistenz, sei getrennt und unabhängig,
- ferner die Illusion, man könne das wahre Wesen derselben von Zeichen (Begriffen) erfassen, aber letztlich auch
- die Illusion, man ginge völlig auf und habe keinerlei Existenz jenseits der Leerheit. "Form ist Leerheit - Leerheit ist Form".
Die Weisheit des Buddha überschreitet die Grenzen der Sprache - die rätselhaften Paradoxa des Diamant-Sutras sind Ausdruck dieser alle Logik sprengenden und alle Begriffe transzendierenden Weisheit. "Subhuti, du musst wissen, dass die Bedeutung dieses Sutras jenseits von Gedanken und Worten liegt".
Vier falsche Wahrnehmungen
Die Lehre des Buddha hat viele philosophische Elemente. Daher wird im Buddhismus auch der menschliche Wahrnehmungsakt immer wieder problematisiert und in Frage gestellt: Was sehen wir? Sehen wir die wahre Natur der Dinge oder nur unsere Vorstellungen/Bilder/Zeichen der Dinge? Im Diamant-Sutra sind es Vier Falsche Vorstellungen/Wahrnehmungen, die immer wieder angesprochen werden:
- die Vorstellung von einem Selbst (abgetrenntes, für sich stehendes Selbst)
- die Vorstellung von einer Person (Trennung von Mensch und Nicht-Mensch)
- die Vorstellung von einem Lebewesen (Trennung von belebter und unbelebter Materie)
- die Vorstellung von einer Lebensspanne (Geburt und Tod)
Alle diese Vorstellungen sind der Sphäre der Phänomene verhaftet, verbleiben im Bereich begrifflich-rationaler Unterscheidung und verfehlen damit die wahre Natur der Dinge, die diese Vorstellungen überschreitet.
Die Dialektik des Diamant-Sutra
Formulierungen wie die folgende finden wir in fast jedem Abschnitt des Sutra: "Das, was alles Dharmas (Phänomene) genannt wird, sind in Wirklichkeit alles Nicht-Dharmas. Darum werden Sie alle Dharmas genannt." Der paradoxe Dreischritt all dieser - die Grenzen der Logik sprengenden - Sätze ist der folgende:
- 1) Was man A nennt 2) ist nicht A 3) und deshalb ist es A
Diese Paradoxie hat der vietnamesische Zen-Meister Thich Nhat Hanh in seinem Kommentar zum Sutra wie folgt aufgelöst:
- 1) „Betrachten wir A ganz sorgfältig und genau 2) und erkennen wir, dass A nicht A ist, 3) dann sehen wir A in seiner höchsten Blüte” (Das Diamant-Sutra, S. 59).
Oder anders formuliert:
- 1) „Betrachten wir eingehend ein Dharma 2) und sehen alles darin, was nicht dieses Dharma ist, 3) dann beginnen wir dieses Dharma zu sehen” (Ebenda, S. 69)
- Oder: “Können wir bei der Betrachtung einer Rose die Nicht-Rose-Elemente sehen, dann ist es für uns ungefährlich, das Wort Rose zu benutzen.” (Ebenda, S. 117)
Die Paradoxie löst sich in dem Moment auf, in dem klar wird, dass diese Sätze zwischen den eingangs erwähnten Realitäten hin- und herspringen, sich jeweils auf andere Wahrheiten, oder besser: andere Seiten/Aspekte der gleichen Wahrheit beziehen.
Literatur
- Cowell, E. G.; Vagaakkedikā or Diamond Cutter; in: Sacred Books of the East (XLIX, S 109-144); Oxford 1894 (Claredon), reprint: New York 1969 (Dover).
- Price, A. F.; The Jewel of Transcendental Wisdom; London 1947 (Buddhist Society); 1955 u.d.T.: The Diamond Sutra
- Thich Nhat Hanh: Das Diamant Sutra. Kommentare zum Prajnaparamita Diamant-Sutra (verfasst 1988) Theseus 1996. Sutra-Text + Kommentar.
Sino-japanische Ausgaben
Existiert in einer Reihe von Japan-Abschriften aus dem 4. Jahre Tempyō 732: a) Nanjio-Kanonkatalog [NJ] 10; Taishō VIII, 748c.17-752c.7: Übersetzung des Kumārajīva (späte Qin-Dynastie 384-417) 14 Blätter in 2 Faszikeln (ch. W.-G.: Chin-kang-ching; jp.: Kogō-kyō); b) NJ 11: Übersetzung des Bodhiruci (Nord-Wei) 12. Kapitel, 17 Blatt, 1 Faszikel; c) NJ 12: übs. von Paramārtha (jp.: Shin tai) † 1. Jahr Datjiän der Ch'in-Dynastie, 71 Jahre alt. Abschrift 1 Faszikel; d) NJ 15: übs. von Dharmagupta, Sui-Dynastie, die wörtlichste aller. Daher genauer Titel Vajracchedikā-prajñāpāramitā-sūtra (Diamant-schneidende-Weisheits-Paramitta-Sutra, jp.: Kongō hannya haramitsu-kyō; e) NJ 14: übs. von Yì Jìng (Tang), vgl. d; f) NJ 13: übersetzt von Xuanzang.
Gleichzeitig ist es das neunte der 16 Sutras, die das jap. Daihannya-kyō ausmachen. Häufig kommentiert u.a. von: Asanga, ins ch. übs. von Dharmagupta (NJ 1167), dies kommentiert von Vasubandhu, ch. von Bodhiruci d.Ä. 509 (NJ 1168). NJ 1192 vermutlich von Guṇada, ins ch. 683 von Dīvakara. Ein weiterer Kommentar von Asaṇga, ins ch. 711 durch Yì Jìng (NJ 1208), der auch NJ 1168 im selben Jahr neu übersetzte, dies ist NJ 1231. Die Belehrungen des 4. Tien-tai Patriarchen Zhi Yi (538-597; chin. 智顗, Zhìyǐ, W.-G. Chih-i), wie immer von seinem Schüler herausgegeben, bilden NJ 1550. Der 5. Huayan Patriarch Zongmi (780-841; 宗密) gab eine summarische Kommentierung (NJ 1630), die von seinem Nachfolger im Jahre 1024 erläutert wurde (NJ 1631). Ein Zen-Kommentar aus der frühen Ming ist NJ 1615.
Weblinks
- Deutsche Übersetzung von der Seite der Foundation for the Preservation of the Mahayana Tradition
- Englische Übersetzung von Charles Muller mit chinesischem Quelltext
- British Library Online Gallery
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