Durchhörbarkeit

Durchhörbarkeit

Durchhörbarkeit ist ein Begriff aus der Musikwissenschaft, der von der Tontechnik und Medienwissenschaft übernommen wurde und mit der Homogenität einer Musik oder eines Hörfunkprogramms verbunden ist.

Inhaltsverzeichnis

Durchhörbarkeit von Rundfunkprogrammen

In der Medienwissenschaft wird der Begriff in Bezug auf den Hörfunk verwendet. In Deutschland wurde die Durchhörbarkeit 1984 mit der Zulassung der Privatsender zu einem programmentscheidenden Kriterium. Die Privatsender versuchten, das gesendete Material samt Moderation, Nachrichten etc. einem Profil zu unterwerfen, das die Durchhörbarkeit garantiert. Der Grund dafür war neben dem Wiedererkennungswert (Corporate Identity) der Quotenzwang: Durchhörbarkeit schien zu garantieren, den Hörer bei der Stange zu halten, statt ihn durch unerwartete Töne oder Ansprachen abzuschrecken und zur Konkurrenz abwandern zu lassen. „Das Programm sollte kontinuierlich rezipiert werden können, ohne dass Brüche erkennbar waren.“[1]

In die Praxis umgesetzt wurde die Durchhörbarkeit durch die Beschäftigung bestimmter Moderatoren nach Kriterien ihres Temperaments und Dialekts und durch die Bildung von Musikpools. Diese Pools wurde von DJs und Redaktion so bestückt, dass keine auffälligen Spitzen vorkamen und bestimmte Hits aus den Charts regelmäßig auftauchten - „rotiert“ wurden. In den 1990er-Jahren übernahmen Computer zudem eine Feinabstimmung der Musikauswahl, indem sie etwa für die Position nach den Nachrichten automatisch schnellere Stücke auswählten und in den Sendeablaufplan schoben. Wortbeiträge galten zwar als Futter des Programms, aber auch als Brüche für die Durchhörbarkeit, sprich: als Ausschaltkriterium. Sie mussten deswegen besonders „bunt“ produziert sein und durften eine bestimmte Länge nicht überschreiten. Als Standardlänge in den 1980er-Jahren galt bei Privatsendern 3 Minuten 30 Sekunden. Mehr "Wort" war, nach der vorherrschenden Auffassung, dem Zuhörer nicht zumutbar.

Die öffentlich-rechtlichen Hörfunksender zögerten zunächst in dieser Entwicklung. Die 3'30-Regelung der Privaten wurden sogar als „Kulturverfall“ gewertet. Die Durchhörbarkeit galt als Mittel der „Hörerverdummung“. Der anspruchsvolle Hörer, so argumentierte man, verkrafte Brüche im Programm nicht nur, er fordere sie sogar.

Erst in den 1990er-Jahren begann auch die ARD im Rahmen von Programmstrukturreformen Sender auf Durchhörbarkeit umzustellen. Beim WDR etwa begann man mit 1Live (1995), wo von Anfang an zum Beispiel die Nachrichten über einem rhythmischen Musikbett verlesen wurden, und keine ausgewiesenen Musikjournalisten mehr ihre eigenen Platten ins Studio mitbrachten und anmoderierten.

Inzwischen sind auch bei den öffentlich-rechtlichen Programmen fast alle Kanäle im Rahmen mehrerer Strukturreformen geglättet worden, um sie durchhörbarer zu machen. Die 3'30-Regelung wird von manchen ARD-Programmen teilweise unterschritten. Bislang unberührt davon waren die Kulturprogramme mit ihrem hohen Wortanteil bzw. „ernster“ Musik geblieben. Inzwischen werden aber auch diese Programme dem Kriterium der Durchhörbarkeit unterzogen.

Zwar erhielten manche reformierten Pop-Wellen Hörerzuwächse, bei anderen jedoch brach die Quote ein. Es gibt keine verlässliche Statistik, die die Durchhörbarkeit als Garant für den Erfolg eines Radioprogramms belegt.

Für viele Hörer gilt die Durchhörbarkeit sogar als abschreckend, weil sie als „einlullend“ bzw. Radio als reines Begleitprogramm empfunden wird. In den USA führte diese Unzufriedenheit zu zahlreichen „Freeform Radio Stations“ - einer Gegenbewegung zum gängigen Formatradio[2].

Durchhörbarkeit in digitalen Radiovarianten

Mit der zunehmenden Verbreitung digitaler Hörfunkkanäle und vor allem von Internetradio bekommt die Diskussion um die Durchhörbarkeit eine weitere Dimension. Wer ein durchhörbares Programm hören möchte, findet im Internet tausende von Sendern mit homogenen Musikgenres nach seinem Geschmack und ohne Moderation, aber auch Qualitätsprogramme, die bewusst Kontraste schaffen wie etwa ByteFM. Neben den Nischensendern des Internets mit lediglich von Werbung und kurzen Moderationen unterbrochenen homogenen Musikfarben haben sich Modelle algorithmischer Musikstreams etabliert, allen voran Last.fm und Pandora. Beide Portale streamen nicht von DJs, also Menschenhand, sondern vielmehr von Software ausgesuchte Musik. Der Anwender gibt dem System nur einen Startpunkt, etwa Punk oder Beethoven oder Downbeat, und bekommt dann stundenlang Musik geliefert, die sich entlang dieses Genres bewegt. Pandora nennt das in Anlehnung an genetische Mutationsprozesse Music Genome Project.

Musikpsychologie

In der Musikpsychologie bezieht sich der Begriff auf die hörpsychologische Durchdringung von musikalischen Strukturen, z.B. auf die musikalisch-analytische Wahrnehmung der einzelnen Tonkomponenten oder Intervallqualitäten eines Akkordes, einer Kadenz oder eines ganzen Satzgefüges.

Tontechnik

Ein Audioinhalt gilt in sich und im Kontext mit anderen als „durchhörbar“, wenn er keine großen Schwankungen in der Lautheit und im Frequenzspektrum aufweist. Diese Schwankungen können zum Teil objektiv messbar sein oder rein subjektiv empfunden werden. Ein wichtiger Prozess in der Musikproduktion ist das Mastering mehrerer fertig gemischter Musiktitel zu einem homogen klingenden Album. Hierbei spielen Parameter wie die Verteilung von Frequenzen (Equalizer) und Kompression zentrale Rollen.

Literatur

  • Bernd Enders: Studien zur Durchhörbarkeit und Intonationsbeurteilung von Akkorden. Regensburg: Bosse, 1981. ISBN 3-7649-2235-4
  • Martin Werle: Eingeschaltet oder abgemeldet? Interessen des Publikums im deutschen Radio- und Fernsehmarkt. Wiesbaden : VS, Verlag für Sozialwissenschaft, 2008. ISBN 978-3-531-15792-4

Einzelnachweise

  1. Martin Werle: Eingeschaltet oder abgemeldet? 2008, S. 101.
  2. siehe Freeform Radio in der englischen Wikipedia

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