Eingriff (Grundrechte)

Eingriff (Grundrechte)

Ein Eingriff ist eine rechtfertigungsbedürftige Auswirkung einer staatlichen Maßnahme auf das Schutzgut eines Grundrechts und ist damit die zweite Stufe einer Grundrechtsprüfung. Das Bundesverfassungsgericht spricht innerhalb der deutschen Grundrechtsdogmatik insoweit von einem Eingriff in den eröffneten Schutzbereich eines Grundrechts.

Inhaltsverzeichnis

Terminologie und Kritik

Gegen den Ausdruck "Eingriff" wird mitunter eingewandt, er impliziere einen räumlichen Schutzbereich, in den "hineingegriffen" werde. Der Qualität der Grundrechte als subjektive Rechte werde das nicht gerecht. Stattdessen wird der Überbegriff "Einwendungen" vorgeschlagen, der sich in "Eingriff", soweit als unverletzlich gewährleistete Schutzgüter (Leben, Wohnung) vorliegen, und "Einschränkung", soweit es sich um bestimmte Handlungsmöglichkeiten ("Freiheiten") handelt, aufgliedere.

"Klassischer" Eingriffsbegriff

Dem "klassischen" Eingriffsbegriff genügten nur solche staatlichen Maßnahmen, die von Finalität, Unmittelbarkeit, Rechtsförmigkeit, Zwang gekennzeichnet sind. Bloß mittelbar-faktische Einwirkungen wären demnach nicht erfasst: ihnen könnte, obwohl ein Grundrecht einschlägig - der Schutzbereich also eröffnet - ist, das Grundrecht nicht entgegengehalten werden, der Bürger wäre, ohne dass es einer Rechtfertigung bedürfte, nicht in seinem Grundrecht verletzt. Man spricht insoweit auch von einem engen Eingriffsverständnis.

Moderner (erweiterter) Eingriffsbegriff

Unter dem Grundgesetz wird der klassische Eingriffsbegriff heute allgemein als zu eng empfunden. Deshalb ist das Bundesverfassungsgericht dazu übergegangen, für einen Eingriff jedes staatliche Handeln genügen zu lassen, das dem Einzelnen ein Verhalten, das in den Schutzbereich eines Grundrechts fällt, erheblich erschwert oder unmöglich macht (vgl. BVerfG, 1 BvR 670/91 vom 26.6.2002, Absatz-Nr. 77 ff.). Demnach sind grundsätzlich auch eingriffsgleiche Einwirkungen von entsprechendem Gewicht ausreichend. Finden mittelbar-faktische Grundrechtsbeeinträchtigungen gezielt statt, soll es nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes nicht einmal mehr auf das Gewicht der Beeinträchtigung ankommen.

Als Beispiel für mittelbare Einwirkungen lässt sich die staatliche Warnung vor Produkten eines Herstellers anführen. Solche Warnungen richten sich (gezielt) an potentielle Käufer, führen im Ergebnis zu geringeren Verkäufen und beeinträchtigen damit mittelbar den Hersteller.

Sonderfragen zu einzelnen Grundrechten

Im Hinblick auf einzelne Grundrechte werden mitunter dennoch besondere Anforderungen an die Qualität des Eingriffs gestellt.

Insbesondere fordert das Bundesverfassungsgericht in Hinblick auf Art. 12 GG eine "objektiv berufsregelnde Tendenz". Nur vereinzelte Stimmen fordern dagegen für die Allgemeine Handlungsfreiheit als Ausgleich zum weiten Schutzbereich eine Beschränkung auf den "klassischen" Eingriffsbegriff. Nach verbreiteter Ansicht, die das Bundesverfassungsgericht freilich nicht teilt (BVerfG v. 17. März 2004 - 1 BvR 1266/00 Rn. 34), soll dies auch für die Freizügigkeit gelten.

Besondere Relevanz hat der Streit um die erforderliche Eingriffsqualität im Hinblick auf die negative Religionsfreiheit des Art. 4 Abs. 1, 2 GG erhalten. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 93 1 (18) - Kruzifix; 108, 202 (302) - Kopftuch) bejaht im Hinblick auf die Schulpflicht einen Eingriff in die negative Religionsfreiheit der Schüler durch eine kopftuchtragende Lehrerin oder ein an der Wand befestigtes Kreuz. Andere sehen hier die Eingriffsqualität nicht erreicht, ebenso wenig, wie in die Religionsfreiheit des einzelnen etwa durch ein am Feld aufgestelltes Wegkreuz oder ein Gipfelkreuz eingegriffen werde. Nach dieser Ansicht liegt zwar möglicherweise ein Verstoß gegen die weltanschauliche Neutralität des Staates vor, nicht aber ein Eingriff in die negative Religionsfreiheit - das Bundesverfassungsgericht versubjektiviere die Pflicht zur weltanschaulichen Neutralität zu einem darauf gerichteten Recht.

Folgende Stufe der Grundrechtsprüfung

Ist festgestellt, dass ein Eingriff in den Schutzbereich eines Grundrechts vorliegt, so ist damit das entsprechende Grundrecht noch nicht automatisch verletzt, der Eingriff nicht verfassungswidrig. Vielmehr können Grundrechtseinschränkungen (Freiheitsstrafe, Verkehrsregeln, ...) durchaus rechtmäßig sein, sofern sie verfassungsmäßig gerechtfertigt sind.

Allerdings setzt die Verfassung auch den Einschränkungen selbst Schranken (siehe auch Schranken-Schranken): Gesetzesvorbehalt, Übermaßverbot, Wesensgehaltsgarantie, Zitiergebot, Verbot des Einzelfallgesetzes usw.

Ausnahme ist die Menschenwürdegarantie (Art. 1 GG): Sie ist als "unantastbar" geschützt, woraus in Verbindung mit Systematik und Geschichte die ganz herrschende Meinung folgert, dass ein Eingriff in die Menschenwürde nicht gerechtfertigt sein kann, also automatisch Verletzung des Grundrechts ist. Die Menschenwürde ist daher abwägungsresistent und uneinschränkbar, selbst im Hinblick auf die Menschenwürde anderer. Dies spielt insbesondere eine Rolle im Hinblick auf die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Folter etwa zum Schutz von Entführungsopfern: Die Menschenwürde des Entführers kann nicht einmal zugunsten der des Entführten eingeschränkt werden - selbst in dieser Extremsituation wäre Folter demnach verfassungswidrig.

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