- Engadinerhaus
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Das Engadinerhaus ist ein Bauernhaus-Typ aus dem Engadin, dem Vinschgau und dem Tiroler Oberinntal.
Typisch für das Engadinerhaus sind die wuchtigen Steinmauern, die oftmals mit der Sgraffito-Technik verziert sind, die tiefen Fensterfluchten, der Erker und die beiden Eingangstore an der Stirnseite.
Es handelt sich um ein dreistöckiges Wohnstallhaus.
Inhaltsverzeichnis
Geschichte
1100 – 1300
Aus der Römerzeit bis ins mittelalterliche Burgenzeitalter ist wenig über das Engadiner Haus bekannt. Fest steht, dass sich bis zum 12. Jahrhundert quadratische Turmhäuser oder rechteckige Saalhäuser entwickelt haben. Da diese Bauten meist einräumig sind, schlafen und wohnen die Bewohner im selben Raum. In einer Ecke befindet sich jeweils eine Aussparung in der Aussenwand, durch welche der Rauch der Feuerstelle abziehen kann. Solche Steinbauten sind massiv und feuersicher gebaut und überdauern viele Kriege und Dorfbrände. Die Stallbauten, vermutlich aus Holz gefertigt, befinden sich etwas abseits des Wohnteiles.
1300 – 1500
Unter den Wohnraum mit Feuerstelle wird ein Keller eingebaut, welcher ganz oder halb eingegraben ist. In den Wohnraum gelangt man über einen Hocheingang. Über dem Wohnraum befindet sich der Schlafraum. Oft befindet sich dieser auch neben dem Feuerraum als Strickbau auf Pfählen oder niedrigen Fundamenten. Schlaf- und Wohnraum verfügen über separate Eingänge.
1500 – 1800
Durch Wiederaufbauten der Häuser nach Kriegen oder Bränden rücken die einzelnen Elemente immer näher zusammen und neue werden angebaut. Im Untergeschoss befindet sich nun um einen Hof (Cuort), welcher durch eine steile Einfahrt erreichbar ist, Vorratskammern und Stallungen. Im Erdgeschoss bleiben die drei Räume bestehen. Diese sind durch eine steile Treppe aus dem Hof und über einen kleinen Gang erreichbar. Der ursprüngliche Schlafraum wird aus dem Erdgeschoss in den oberen Stock verlegt, wo sich, in der Fortsetzung des Strickbaus, eine Schlafkammer befindet. Der Raum im Erdgeschoss wird nun als Wohnstube gebraucht. Erstmals sind Wohn und Feuerraum getrennt. Der Stall mit der darüberliegenden Scheune wird gleich an das Feuerhaus angebaut und überdacht. Später wird auch noch der halb unterirdisch liegende Hof mit Zugängen zu Kellern und Vorratsräumen überdacht. So gelangt man ebenerdig zu Küche und Stube. Die Zimmer im ersten Stock sind mit einer Laube untereinander- und über eine steile Treppe mit dem Erdgeschoss verbunden. In die Scheune über dem Heustall fährt der Landwirt über die leicht ansteigende Bedachung des Hofs. Als letztes wird zwischen Küche und Scheune eine Vorratskammer eingebaut. Der beschriebene Aufbau bildet grundsätzlich bis heute die Basis des klassischen Engadiner Bauernhauses.
Gruppierung der Häuser in einem Dorf
Das Engadinerhaus wird selten als einzelner Bau wahrgenommen; meist steht es in einem Bezug mit den umliegenden Häusern. [1] Als die Engadiner Dörfer durch diverse Kriege dem Erdboden gleichgemacht und anschliessend wieder aufgebaut wurden, rückten die Häuser immer näher zusammen. Zur besseren Verteidigungsmöglichkeit und zu mehr Sicherheit wurden die Dörfer so eng wie nur möglich gebaut. Die einzelnen Häuser stehen seither einander zugewandt um kleine Plätze mit Brunnen in der Mitte. Alle Eingänge einer solchen Brunnenschaft gehen vom gleichen Platz aus und dieser ist auch durch sämtliche Stubenfenster sichtbar. Da jedoch die Heuwagen durch das Haus fahren müssen und deshalb eine Einfahrtsmöglichkeit im rechten Winkel benötigen, sind diese oft in sich verdreht gebaut. So hat jedes Haus eine individuelle Grundrissgestaltung.
Grundrissgestaltung
Untergeschoss
Der untere Torbogen führt in den Cuort, einem gedeckten Stallhof, der den Zugang zum Viehstall im hinteren Gebäudeteil unter dem Heustall, zum Hühnerstall und zu Vorratskellern unter der Küche erschließt. Im Court befindet sich der Misthaufen, Wagen und Schlitten. Das ganze Untergeschoss ist aus dicken Bruchsteinmauern gebaut und mit Balken und Bohlen aus Lärchenholz überdeckt.
Erdgeschoss
Das obere Tor, welches genügend groß für ein beladenes Heufuder ist, führt in den Sulèr, den Vorraum für die Erdgeschossräume, der gleichzeitig Zufahrt zur Scheune über dem Stall ist. Längs des Sulèr befindet sich auf der Eingangsseite die Stüva, die Wohnstube, dahinter die Küche (chadafö) und eine Vorratskammer (Chombra oder Chamineda). Der Küchenboden ist auf gleicher Ebene wie der Sulèr, die Stüva liegt ein oder zwei Stufen höher. Gegenüber dem Eingangstor führt ein weiteres Tor zum Eral, einer festen Brücke von der aus die Quartas, die Heubühnen erreicht werden können. Die Quartas nehmen die gesamte Breite und Höhe des Hauses ein und haben oft eine grössere Grundfläche als der Wohnteil. Sie werden nur über diesen erschlossen. Der Sulèr war im Bauernhaus traditionell Arbeitsraum, oft auch Tenne und diente im Sommer auch als Esszimmer. In vornehmeren Häusern hatte der Sulèr als Eingangsraum auch repräsentative Funktionen. Im Holztor, das nur bei der Heuernte ganz geöffnet wird, befindet sich eine zweiteilige Türe, deren oberer Teil im Sommer offen steht.
Stube (Stüva)
Die Stube besteht aussen aus einem rohen Strickbau. Zusammen mit dem obenliegenden Schlafzimmer war dies einst der einzige Wohnteil des Hauses. In Häusern nach 1600 ist die Stube innen mit Arve getäfert und verziert. Die Decke, welche wie der Boden auch aus Holz gefertigt ist, liegt auf einem etwa 20cm hohen Rahmen über einem hölzernen Fries. Sie wird durch einen Mittelbalken getragen. Neben der Türe und an der Wand zur Küche befindet sich ein grosser Ofen, der von der Küche aus beheizt wird und das ganze Haus wärmt. Gleich daneben ist die Durchreiche zur Küche. Dazwischen befindet sich ein Klapptisch. Hinter dem Ofen geht eine kleine steile Treppe ins Schlafzimmer im Obergeschoss. In der traditionellen Stüva war der hintere Teil des Ofens durch ein Gitter oder einen Vorhang abgetrennt und diente zum Trocknen der Kleider und Schuhe sowie als Ankleideraum vor der nicht geheizten Schlafkammer. Falls die Sicht zum Brunnen dies erfordert, ist an der Aussenmauer ein kleiner Erker angebaut.
Küche (Chadafö)
Die Küche war bis zum 19. Jahrhundert der einzige Ort des Hauses, in welchem Feuer entfacht wurde. Neben dem Feuerloch und der Durchreiche in die Stube befindet sich der Herd. An der Aussenwand kragt oft ein Backofen aus der Fassade, wenn der Platz in der Küche dafür nicht ausreicht. Da die Feuerstellen lange keinen eigenen Rauchabzug hatten, war die Küche russgeschwärzt und diente auch als Räucherkammer. Einige Häuser verfügen über ein kleines Loch unterhalb der Küchendecke, welches als Kamin diente. Anderorts zog der Rauch durch den Sulèr ab. Nebst Tisch und Geschirrschrank befanden sich keine anderen Möbel in der Küche.
Vorratskammer (Chaminada)
Die Vorratskammer ist in der Regel etwas geräumiger als die Küche und mit einer Gewölbe- oder einer Holzdecke versehen. Hier wurden Lebensmittel in Truhen oder an (mäusesicheren) Rundhölzern unter der Decke gelagert.
Obergeschoss (Palatschin)
Das Obergeschoss wird auch durch ein abschliessbares Treppenhaus auf der Rückseite des Sulèr erreicht und war ursprünglich zum Dach und zur Scheune hin geöffnet. Im Laufe der Zeit wurden Ökonomie- und Wohnteil durch ein Tor getrennt. Über der Stube befindet sich das Schlafzimmer. Über Küche und Vorratskammer sind weitere Vorratsräume oder Schlafkammern für Knechte etc. zu finden. In den Häusern reicher Familien befindet sich eine Prunkstube (Stüva Sura) im freien Raum gegenüber den übrigen Zimmern. Um Platzproblemen bei Güterzusammenlegungen (z. B. bei Heirat) vorzubeugen, konnte der Heustall in manchen Häusern über den Schlafkammern erweitert werden. Davon zeugen kleine Lüftungsfenster.
Das Engadiner Haus in der heutigen Zeit
Das Engadiner Haus ist wie die meisten traditionellen alpenländischen Bauformen vom Verschwinden bedroht. Besonders im Oberinntal wurde es größtenteils durch Hotelbauten im sogenannten Alpenländischen Stil ersetzt. Im Engadin und im Vinschgau werden zwar auch keine neuen Engadiner Häuser mehr gebaut, doch hier achtete man eher auf den Erhalt der malerischen Ortsbilder, wodurch viele Dörfer ihr typisches Aussehen in unsere Zeit hinüberretten konnten.[2] Bei Neubauten im Ober- und Unterengadin dominiert der sog. Engadinerstil, welcher diverse Merkmale des Engadiner Hauses (Fensterfluchten, Sgraffito- Technik, Rundbogentore) beinhaltet. Im Vinschgau und auch im Engadin bemüht man sich, die Engadiner Bauform zu bewahren und modernen Wohnwünschen anzupassen, wodurch sich diese Häuser gut in die Landschaft integrieren.
Literatur
- Iachen Ulrich Könz: Das Engadiner Haus. Schweizer Heimatbücher, Bündner Reihe, 2. Band. Verlag Paul Haupt, Bern 1952/1966.
- Duri Gaudenz: Das Engadiner Haus. In: Hans Hofmann „Unterengadin“ Calanda Verlag Chur, 1982
- Tino Walz: Wohnen in alten Engadiner Häusern. Exposizium, Zuoz, 1975
- Christoph Simonett: Die Bauernhäuser des Kantons Graubünden. Gesellschaft für Volkskunde, Basel
Einzelnachweise
- ↑ Aus Duri Gaudenz: Das Engadiner Haus. In: Hans Hofmann „Unterengadin“ Calanda Verlag Chur, 1982
- ↑ Zur Problematik des Erhalts siehe: Susanna Fanzun: Da vender: chasa engiadinaisa (Zu verkaufen: Engadiner Haus.) Dokumentarfilm (rätoromanisch mit dt. Untertiteln) bei Televisiun Rumantscha 2010, abgerufen am 10. November 2010.
Weblinks
Commons: Engadinerhaus – Album mit Bildern und/oder Videos und AudiodateienKategorien:- Lokale Bauform
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