Erbgesundheitsgesetz

Erbgesundheitsgesetz
Reichsgesetzblatt vom 25. Juli 1933

Das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses (GezVeN) vom 14. Juli 1933 (RGBl. I, S. 529) war ein deutsches Gesetz. Es trat zum 1. Januar 1934 in Kraft. Das Gesetz diente im nationalsozialistischen Deutschen Reich der Rassenhygiene. Zur Begutachtung eines Sterilisationsverfahrens wurden formal rechtsförmig agierende „Erbgesundheitsgerichte“ geschaffen.

Bis Mai 1945 wurden mindestens 400.000 Menschen zwangssterilisiert.[1] Insgesamt sind durch Anwendung des Gesetzes schätzungsweise 6.000 Frauen und 600 Männer durch Komplikationen während der medizinischen Prozedur gestorben[2].

Das Gesetz basierte auf einem bereits vor der nationalsozialistischen Machtübernahme geplanten Gesetzesentwurf, welcher 1932 vom preußischen Gesundheitsamt unter Federführung von Eugenikern wie Hermann Muckermann, Arthur Ostermann, dem Direktor des Berliner Kaiser Wilhelm Instituts für Biologie, Richard Goldschmid und anderen ausgearbeitet wurde. Der Entwurf enthielt Sterilisationsgesetze auf freiwilliger Basis; allerdings erfuhr dieser Punkt bei den Beratungen Kritik seitens des Gesundheitsexperten der sozialdemokratischen Fraktion im preußischen Parlament Benno Chajes, welcher mit Hinweis auf Gesetzgebung in einigen Bundesstaaten der USA und dem Schweizer Kanton Waadt Zwangssterilisation für bestimmte Fälle vorschlug[3]. Obwohl dieser Gesetzesvorschlag breite Unterstützung erhielt, wurde er auch auf Grund des politischen Chaos infolge der Absetzung der preußischen Regierung nicht mehr Gesetz.

Im Gegensatz zu diesem frühen Gesetzentwurf, welcher Sterilisation auf freiwilliger Basis vorsah, war das unter den Nationalsozialisten beschlossene Gesetz in mehreren Punkten verschärft; so war nun die Möglichkeit der Zwangssterilisation gegeben[4][5].

Das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ wurde 1945 nicht durch die Kontrollratsgesetze aufgehoben, sondern durch den Chef der Legal Devision, Office of Military Government, United States, Charles Fahy, nur bis zu einem Zeitpunkt suspendiert, ab dem seine Anwendung möglicherweise wieder im öffentlichen Interesse läge. Die Bundesregierung hatte am 7. Februar 1957 im Deutschen Bundestag erklärt:

  • Das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14. Juli 1933 ist kein typisch nationalsozialistisches Gesetz, denn auch in demokratisch regierten Ländern - z. B. Schweden, Dänemark, Finnland und in einigen Staaten der USA - bestehen ähnliche Gesetze; das Bundesentschädigungsgesetz gewährt aber grundsätzlich Entschädigungsleistungen nur an Verfolgte des NS-Regimes und in wenigen Ausnahmefällen an Geschädigte, die durch besonders schwere Verstöße gegen rechtsstaatliche Grundsätze Schäden erlitten haben.[6]

Mit dieser Einschätzung waren die Opfer des Gesetzes nicht berechtigt zum Erhalt von Entschädignung. Erst 1988 verabschiedete der Bundestag einen Beschluss, in dem es hies:

  • 1. Der Deutsche Bundestag stellt fest, dass die in dem Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14. Juli 1933 vorgesehenen und auf der Grundlage dieses Gesetzes während der Zeit von 1933 bis 1945 durchgeführten Zwangssterilisierungen nationalsozialistisches Unrecht sind. 2. Der Deutsche Bundestag ächtet die Maßnahmen, die ein Ausdruck der inhumanen nationalsozialistischen Auffassung vom "lebensunwerten Leben" sind. 3. Den Opfern der Zwangssterilisierung und ihren Angehörigen bezeugt der Deutsche Bundestag Achtung und Mitgefühl.[7]

Obwohl die Anwendung des Gesetzes bereits nach Kriegsende von einigen Bundesländern ausgesetzt wurde, war es vom Bundestag erst 1974 außer Kraft gesetzt worden. Es wurde bis heute nicht aufgehoben, nur die Entscheidungen der aufgrund des Gesetzes erlassenen Sterilisationsurteile der Erbgesundheitsgerichte wurden aufgehoben[8]. Allerdings hat das Amtsgericht Kiel 1986 festgestellt, dass das Erbgesundheitsgesetz dem Grundgesetz widerspricht.

Einzelnachweise

  1. Gisela Bock: Sterilisationspolitik im Nationalsozialismus. Die Planung einer heilen Gesellschaft durch Prävention. In: Klaus Dörner (Hrsg.): Fortschritte der Psychiatrie im Umgang mit Menschen. Wert und Verwertung im 20. Jahrhundert Rehburg-Loccum 1985, S. 88-104.
  2. Andreas Scheulen: Zur Rechtslage und Rechtsentwicklung des Erbgesundheitsgesetzes 1934 auf Lichtblick-newsletter.de (2005)
  3. außerdem forderte er neben der eugenischen und medizinischen auch soziale Indikation in den Entwurf einzuführen. Siehe Hans W. Schmuhl: The Kaiser Wilhelm Institute for Anthropology, Human Heredity, and Eugenics, 1927 -1945 Springer Verlag, 2008
  4. Sheila Faith Weiss: The Race Hygiene Movement in Germany. OSIRIS, 2nd series, 3, 1987 Seite 225f
  5. Peter Malina: Pädagogik und Therapie ohne Aussonderung. in Grundsätzliches zu den Lebensrechten behinderter Menschen TAFIE (Hrsg.) 5. Gesamtösterreichisches Symposium 1989, S. 131-164
  6. Plenarprotokoll 2/191, S. 10876 (A).
  7. Bundestagsdrucksache 11/1714.
  8. Andreas Scheulen: Zur Rechtslage und Rechtsentwicklung des Erbgesundheitsgesetzes 1934 auf Lichtblick-newsletter.de (2005)

Weblinks


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