Zwangssterilisation

Zwangssterilisation

Unter Zwangssterilisation versteht man die Sterilisation von Menschen ohne deren Einwilligung.

In großem Umfang wurde sie im Rahmen der Eugenik im 20. Jahrhundert ausgeübt. Auf Grundlage des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ (GzVeN) vom 14. Juli 1933[1] wurden zwischen 1934 und 1945 etwa 400.000 Menschen zwangssterilisiert.[2] Durch eugenische Politik motivierte Zwangssterilisationen fanden jedoch auch in anderen Ländern, unter anderem den USA und Kanada, statt. Das Vorgehen der Länder wurde beziehungsweise wird in Sterilisationsgesetzen geregelt.

In anderen Ländern, wie Indien und China, ordnete die Regierung Zwangssterilisationen an, um das Bevölkerungswachstum zu verlangsamen.

Inhaltsverzeichnis

Rechtliche Situation in der Bundesrepublik Deutschland

Das Betreuungsgesetz vom 1. Januar 1992 verbietet die Sterilisation im angeblichen Interesse der Allgemeinheit oder im Interesse von Familienangehörigen. Eine Sterilisation gegen den Willen des Betroffenen ist in der Bundesrepublik Deutschland verboten, weder die Eltern noch das Kind selbst können darin einwilligen (§ 1631c BGB).

Nach § 1900 Abs. 5 BGB darf die Entscheidung über eine Sterilisation eines volljährigen, unter Betreuung stehenden Menschen auch nicht einem Verein oder einer Behörde überlassen werden. Es ist ein separater Sterilisationsbetreuer zu bestellen (§ 1899 Abs. 2 BGB).

Eine Sterilisation aus medizinischen Gründen darf nach § 1905 BGB nur erfolgen,

  • wenn sie nicht gegen den Willen des Betreuten geschieht,
  • wenn der Betroffene auf Dauer einwilligungsunfähig bleibt,
  • wenn ohne den Eingriff eine Schwangerschaft wahrscheinlich wäre,
  • wenn die Schwangerschaft eine Gefahr für die körperliche oder seelische Gesundheit darstellen würde und
  • wenn die Schwangerschaft nicht durch andere Verhütungsmethoden verhindert werden kann.

Des Weiteren erfordert die Einwilligung des Betreuers in die Sterilisation eine Genehmigung des Vormundschaftsgerichtes, der einige Anhörungen und Sachverständigengutachten sowie die Bestellung eines Verfahrenspflegers vorhergehen müssen (§ 67, § 69d FGG).

Zwangssterilisation und Menschenwürde

Artikel 3 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte sichert jedem Menschen „das Recht auf Leben, auf Sicherheit der Person und auf Freiheit“ zu. Artikel 5 verbietet jede Art der „Folter, grausame und erniedrigende Behandlung“. Eine zwangsweise Sterilisation wäre somit eine Verletzung der Menschenrechte.

Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union, die mit dem Vertrag von Lissabon Bindungswirkung erlangt hat, sichert im Art. 3 des Kapitels I jeder Person das Recht auf körperliche und geistige Unversehrtheit. Im Rahmen der Medizin muss insbesondere die freie Einwilligung der betroffenen Person nach vorheriger Aufklärung und das Verbot eugenischer Praktiken beachtet werden.

Verwandte Themen

Siehe auch

Literatur

  • Udo Benzenhöfer: Zur Genese des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses. Klemm & Oelschläger, Münster 2006. ISBN 978-3-932577-95-6
  • Gisela Bock: Zwangssterilisation im Nationalsozialismus. Studien zur Frauenpolitik und Rassenpolitik. Opladen 1986
  • Harry Bruinius: Better for All the World: The Secret History of Forced Sterilization and America's Quest for Racial Purity, Alfred A. Knopf 2006, ISBN 0375413715
  • J. Busch: Zum Fragenkreis der Sterilisation bei Menschen mit geistiger Behinderung. Eine Dokumentation. Bethel-Verlag, Bielefeld 1988.
  • Sonja Endres: Zwangssterilisation in Köln 1934–1945 (Schriften des NS-Dokumentationszentrums Band 16), Emons, Köln 2009, ISBN 978-3-89705-697-8.
  • P. Finger: Die Sterilisation geistig Behinderter nach §1925 BGB in der Fassung eines Entwurfs des Betreuungsgesetztes (BtG). In: Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie 39 (4), S. 132-138 (1990)
  • Betsy Hartmann: Reproductive Rights and Wrongs: The Global Politics of Population Control. Revised edition, South End Press, 1994
  • Corinna Horban: Gynäkologie und Nationalsozialismus: Die zwangssterilisierten ehemaligen Patientinnen der I. Universitätsfrauenklinik heute – eine späte Entschuldigung. Herbert Utz Verlag, München 1999, ISBN 3-89675-507-2
  • Thomas Huonker: Diagnose 'moralisch defekt'. Kastration, Sterilisation und Rassenhygiene im Dienst der Schweizer Sozialpolitik und Psychiatrie 1890–1970. Verlag Orell Füssli, Zürich 2003. ISBN 3-280-06003-6
  • Molly Ladd-Taylor: Eugenics, Sterilisation and Modern Marriage in the USA: The Strange Career of Paul Popenoe. In: Gender & History 13 (2),(2001), 298–327.
  • Astrid Ley: Zwangssterilisation und Ärzteschaft. Hintergründe und Ziele ärztlichen Handelns 1934-1945. Campus, Frankfurt/M. 2004, ISBN 359337465X
  • Gunther Link: Eugenische Zwangssterilisationen und Schwangerschaftsabbrüche im Nationalsozialismus. Dargestellt am Beispiel der Universitätsfrauenklinik Freiburg. Peter Lang, Frankfurt/M. u.a. 1999
  • Gunther Link: Eugenische Zwangssterilisationen und Zwangsabtreibungen an der Universitätsfrauenklinik Freiburg im Nationalsozialismus. B. Grün, H.-G. Hofer, K.-H. Leven (Hrsg.): Medizin und Nationalsozialismus. Die Freiburger Medizinische Fakultät und das Klinikum in der Weimarer Republik und im „Dritten Reich“. (Medizingeschichte im Kontext; Bd. 10). Peter Lang, Frankfurt/M. u.a. 2002, 301–330.
  • C. Noack, H. J. Schmidt: Sexuelle Gewalt gegen Menschen mit geistiger Behinderung. Eine verleugnete Realität. Verband evangelischer Einrichtungen für Menschen mit geistiger und seelischer Behinderung e.V., Stuttgart 1994
  • Thomas Oelschläger: „... dass meine Tochter von diesem jüdischen Balg schnellstens befreit wird.“ Die Schwangerschaftsunterbrechungen des „Reichsausschuß zur wissenschaftlichen Erfassung von erb- und anlagebedingten schweren Leiden“. In: Kopke, Christoph (Hrsg.): Medizin und Verbrechen. Klemm & Oelschläger, Münster, Ulm 2001. ISBN 978-3-932577-32-1
  • Harry Seipolt: Zwangssterilisation und NS-„Euthanasie“ in der Region Aachen. Alano Herodot, Aachen 1995, ISBN 978-3-89399-217-1.

Filme

  • „Komm doch mit, sei ganz ruhig, wir gehen mal dahin…“ - Die Zwangssterilisation des Hans Lieser, (Regie/Kamera: Harry Günzel, Buch/Redaktion: Bettina Leuchtenberg, Wissenschaftliche Mitarbeit: Dr. Thomas Schnitzler) (Sprache: Deutsch, mit Gebärdendolmetschereinblendung) Deutschland 2006. Der 20 minütige Dokumentarfilm beleuchtet anhand des Gehörlosen Hans Lieser, die an Tausenden durchgeführte zwangsweise Sterilisation im 3. Reich.

Fußnoten und Einzelnachweise

  1. Reichsgesetzblatt, 1933 I, S. 529-531.
  2. Projektgruppe für die vergessenen Opfer des NS-Regimes in Hamburg: Verachtet - verfolgt - vernichtet - zu denn 'vergessenen' Opfern des NS-Regimes. Hamburg 1986. S. 103.

Weblinks


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