Etymologie

Etymologie

Etymologie im Verständnis der modernen Sprachwissenschaft ist die Erklärung der Entstehung eines Wortes oder Morphems in einer gegebenen Gestalt und Bedeutung. Als sprachgeschichtlich (diachron) ausgerichtete Erklärungsweise ist sie Bestandteil der Historischen Sprachwissenschaft, ihre Ergebnisse werden gesammelt in etymologischen Wörterbüchern und werden als Zusatzinformation auch in Wörterbücher und Lexika anderer Art aufgenommen.

Älteren Epochen diente die Etymologie als Erklärung einer im Wort angelegten "Wahrheit" (το ἔτυμον), die mithilfe von Ähnlichkeiten der Wortgestalt zu anderen Wörter erschlossen und als Aussage über die vom Wort bezeichnete Sache und/oder als eigentliche, ursprüngliche Wortbedeutung verstanden wurde. Als rhetorisches Argument (argumentum a nomine) dient die Etymologie in Form eines Hinweises oder einer Berufung auf die angenommene Herkunft und ursprüngliche Bedeutung eines Wortes traditionell dem Zweck, die eigene Argumentation durch einen objektiven sprachlichen Sachverhalt zu stützen und ihr so besondere Überzeugungskraft zu verleihen.

Inhaltsverzeichnis

Etymologie des Wortes Etymologie

Etymologie ist ein griechisches Fremdwort und leitet sich her von altgriechisch ἐτυμολογία etymología, das seinerseits auf die Bestandteile ἔτυμος étymos ‚wahr‘ und λόγος lógos ‚Wort‘ zurückgeht und in einem umfassenderen Sinn soviel wie "Erklärung der jedem Wort innewohnenden Wahrheit" bedeutet.[1]

Die Verbindung der Bestandteile ist im Griechischen seit dem 1. Jahrhundert v. Chr. belegt (Dionysios von Halikarnassos), ebenso auch schon die Entlehnung etymologus ins Lateinische (Varro), doch soll nach dem späterem Zeugnis von Diogenes Laertius (VII.7) auch schon Chrysippos im 3. Jahrhundert v. Chr. Werke mit dem Titel Περὶ τῶν ἐτυμολογικῶν ‚Über etymologische Themen‘ und ἐτυμολογικόν ‚Etymologisches‘ verfasst haben.

Geschichte der Etymologie

Altertum

Bereits im griechischen Altertum gab es philosophische Strömungen, die der „Richtigkeit“ der „Namen“ nachgingen, allerdings wurde für diese Tätigkeit in der Regel nicht der Begriff „Etymologie“ verwendet. So fragte sich bereits Heraklit von Ephesos (um 500 v. Chr.), inwiefern der Name eines Dinges die Wahrheit einer Sache widerspiegelt. Also, inwiefern der Name tatsächlich dem durch ihn bezeichneten Gegenstand entspricht. Später beschäftigte sich Platon in seinem Dialog Kratylos eingehend mit der Richtigkeit der Namen. In diesem Dialog lässt Platon einen Vertreter der mystisch-religiösen These, laut derer alle Wörter ihre Bedeutung von Natur aus haben und keiner Definition bedürfen, antreten gegen einen Vertreter der eher modernen, im Kratylos erstmals bezeugten Gegenthese, laut derer der Zusammenhang von Wörtern und ihrer Bedeutung auf der willkürlichen Festlegung durch den Menschen beruht. (Zur Diskussion um die Sprachrichtigkeit in der Antike vgl. Siebenborn 1976). Die Etymologie war ein Teil der antiken Grammatik und wurde neben den Philosophen vornehmlich von den sogenannten Grammatikern betrieben, allerdings aus heutiger Sicht ohne verläßliche Methodik, so das die auf bloßer Spekulation aufgrund vager Analogien in Klang oder Schriftbild beruhenden Herleitungen einer kritischen Prüfung durch die moderne Sprachwissenschaft meist nicht standgehalten haben. Man spricht daher von Pseudetymologien (auch Pseudo-Etymologien), die sich nicht wesentlich von sogenannten Vulgäretymologien oder Volksetymologien unterscheiden, einem Pänomen, das auch heute noch im außerwissenschaftlichen Bereich eine nicht unerhebliche Rolle spielt und nicht selten sogar argumentative Verwendung findet, z. B. die fälschliche Herleitung von Dichten von dicht statt von lateinischem dictare. Die Etymologie eines Wortes wurdein der Antike als so bedeutender Teil der Bedeutungserklärung angesehen, dass sogar Enzyklopädien wie die des spätantiken Grammatikers Isidor von Sevilla den Titel Etymologiarum sive originum libri (Etymologien oder Ursprünge [der Wörter], kurz: Etymologiae) tragen konnten.

Auch andere Kulturen, insbesondere solche mit langer Schrifttradition wie in Indien und China, haben sich früh mit Etymologie beschäftigt, die ihnen unter anderem ein tieferes Verständnis der überlieferten Texte ermöglichen sollte.

Mittelalter

Den Höhepunkt der „wahrheitssuchenden Etymologie“ finden wir bei Isidor von Sevilla Anfang des 7. Jh. n. Chr., also im Frühmittelalter. In seinem Hauptwerk Etymologiae libri viginti gibt er zahlreiche Beispiele von Etymologien, deren Wahrheitsgehalt jedoch im Zweifel steht. Auch Isidor von Sevilla benannte viele Etymologien, um Dinge verständlich zu erklären, die historisch gesehen zu bezweifeln sind. Zum Beispiel: „persona est Exegese, Physiologus“, (der Tiernamen aus der Wortgestalt zu erklären sucht), oder die Legenda aurea, die vor der Vita eines Heiligen zunächst seinem Namen breite Aufmerksamkeit widmet. Auch Petrus Heliae versteht die etymologische Bedeutung von Wörtern als Synonym für einen „Wahrspruch“ an sich (veriloquium): „denn wer etymologisiert, zeigt den wahren, d. h. den ersten Ursprung des Wortes an.“ (Übersetzung in: Arens 1969, 39)

Gegenwart

Heutzutage ist Etymologie innerhalb der historisch vergleichenden Sprachwissenschaft die Disziplin, welche Entstehung und geschichtliche Veränderung einzelner Wörter aufspürt und in etymologischen Wörterbüchern festhält. Historische Linguistik sucht nach wiederkehrenden Erscheinungen des Sprachwandels und leitet aus ihnen Lautgesetze ab, die es ihrerseits erleichtern, Veränderungen eines Wortes im Verlaufe der Geschichte zu beobachten. Zusätzlich zur rein linguistischen Beschäftigung mit Etymologie bringt die sprachgeschichtliche Forschung außerdem Nutzen für das genauere Verständnis von Texten und einzelnen Begriffen. Ein weiteres Anwendungsgebiet besteht in der Übertragung der Ergebnisse auf die Archäologie. Hier können sprachgeschichtliche Verhältnisse Anhaltspunkte für verschiedene archäologische Fragestellungen liefern, so etwa im Fall der Rekonstruktion von frühzeitlichen Wanderungsbewegungen. Auch soziolinguistische Rückschlüsse auf Sozial- und Kulturgeschichte stehen dabei im Blickfeld.

Etymologie in Wissenschaft und Gesellschaft

Im Rahmen der Sprachwissenschaft ist die Beschäftigung mit Etymologie in erster Linie Selbstzweck, das heißt, es gilt als interessant genug, mehr über die einzelnen Phänomene der geschichtlichen Veränderung einer Sprache herauszufinden. Aus dem so gewonnenen Wissen erhofft man sich außerdem, ein erweitertes Verständnis über die Entwicklungsgeschichte einer Einzelsprache sowie der Umstände des Sprachwandels im Allgemeinen zu erhalten. Das klassische Verständnis der Etymologie und praktische Anwendungen wie oben erwähnt steht dabei zumeist im Hintergrund. In der alltäglichen, nicht-wissenschaftlichen Beschäftigung mit Etymologie hat sich hingegen der normative Charakter der frühen Etymologie mehr oder weniger ausgeprägt erhalten. So wird etwa anhand der Geschichte eines Wortes demonstriert, dass eine bestimmte, moderne Verwendungsweise falsch ist, da sie nicht der historischen entspricht, bzw. sich nicht an der in der Wortgeschichte offenbar werdenden eigentlichen Wort-Bedeutung orientiert.

Vertreter einer abgeschwächten Variante dieses Arguments lehnen diese moderne Auffassung nicht grundsätzlich ab, erhoffen sich jedoch aus der Beschäftigung mit der Entwicklungsgeschichte eines Wortes neue und weitere, vertiefende Aspekte für ein Verständnis seiner Bedeutung. Hier wird davon ausgegangen, dass diese Aspekte im Laufe der Zeit gleichsam verloren gegangen sind und durch sprachgeschichtliche Untersuchungen wieder bewusst gemacht werden können. Begründet wird dies damit, dass das Denken nur in den Bildern der Wahrnehmung als Abbild der Wirklichkeit erfolgen könne und somit allein schon die Wahrnehmung und in der Folge auch das Denken sowohl vom bewussten wie auch vom unbewussten Inhalt eines Begriffes wie auch dessen Gestalt geprägt sei. Die Etymologie wird hier als Weg gesehen, diese unbewussten Teile wahrnehmbar zu machen und so der Wahrnehmung und dem Denken diese verloren gegangenen Inhalte erneut erschließen zu können. So soll – ganz in der Tradition antiker Denker – ein Beitrag zum Reichtum der Sprache und des Denkens geleistet werden.

Unabhängig von der Frage, ob die jeweils angeführte wortgeschichtliche Herleitung inhaltlich korrekt ist oder nicht, geraten Vertreter beider Auffassungen dann in Widerspruch zu modernen sprachwissenschaftlichen Grundannahmen, wenn sie auf einer engen und unmittelbaren Beziehung zwischen einem gedanklichen Konzept und der Gestalt des Wortes, mit dem es ausgedrückt wird, bestehen. Dieser Auffassung steht die funktionale Ansicht der Sprachwissenschaft entgegen, dass eine konkrete Wortform ihre Bedeutung ausschließlich per Arbitrarität und Konvention erhalte. Arbitrarität und Konvention sind Schlüsselbegriffe des Verständnisses von Zeichen in der Linguistik seit Beginn des 20. Jahrhunderts; man beruft sich dazu auf Ferdinand de Saussure (frz. 1916; dt. Übers. 1931/1967). Sie besagen, dass das Verhältnis zwischen der Form und der Bedeutung von Zeichen, d.h. auch von Wörtern, arbiträr (willkürlich) und durch gesellschaftliche Konvention bedingt sei. Für sich genommen habe ein Wort somit keine eigentliche Bedeutung und Wirkung außer der, die sich in der jeweiligen Gegenwart aus der üblichen Verwendung ergibt. Die Existenz einer darüber hinaus dem Wort in irgendeiner Weise noch zusätzlich anhängenden Bedeutung, die man in irgendeiner Form herausfinden könnte oder sollte, wird hier bezweifelt. Unter einer solchen Annahme können die von den „normativen“ Etymologen vorgebrachten Interpretationen der Wortbedeutung nicht mehr Gültigkeit für sich beanspruchen als jede alternativ vorgeschlagene Neuinterpretation auch.

Die Auffassung von der Arbitrarität der Zeichen wird durch die Natürlichkeitstheorie in der modernen Linguistik durch die Entdeckung ergänzt, dass viele Aspekte der Sprache ikonisch (abbildend) sind, also gar nicht ausschließlich arbiträr (willkürlich).

Etymologische Erklärungen werden darüber hinaus auch häufig zur Untermauerung von Ideologien jedweder Couleur herangezogen, z. B. Esoterik, politische Religionen, u. v. a. m. So versuchen beispielsweise Nationalisten, die vermeintliche Überlegenheit der eigenen Kultur anhand ihrer Wirkung auf den Wortschatz einer anderen Sprache zu „beweisen“ oder erwünschte verwandtschaftliche Beziehungen zweier Kulturen aus einer vermuteten Sprachverwandtschaft zu rekonstruieren. Der etymologischen Erklärung scheint eine besondere, unmittelbar einleuchtende „Beweiskraft“ zu eigen zu sein, indem schon Bekanntes (ein Wort) von bislang unbekannter Seite dargestellt wird.

Siehe auch

Literatur

Für etymologische Wörterbücher der deutschen Sprache siehe den Artikel Etymologisches Wörterbuch.

  • Hans Arens: Sprachwissenschaft. Der Gang ihrer Entwicklung von der Antike bis zur Gegenwart. Zweite, durchgesehene und stark erweiterte Auflage. Alber, Freiburg/München 1969
  • Heike Olschansky: Volksetymologie. Niemeyer, Tübingen 1996 (= Germanistische Linguistik, 175), ISBN 3-484-31175-4
  • Rüdiger Schmidt: Etymologie. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1977 (= Wege der Forschung, 373), ISBN 3-534-06946-3
  • Elmar Seebold: Etymologie. Eine Einführung am Beispiel der deutschen Sprache. Beck, München 1981, ISBN 3-406-08037-5
  • Jost Trier: Art. Etymologie, in: Joachim Ritter (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, Band 2, Basel 1972, Sp. 816-818

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Formuliert in Anlehnung an Max Pfister, Einführung in die romanische Etymologie, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1980, S. 9: "Gr. ἐτυμολογία ist eine Zusammensetzung aus ἔτυμος ‚wahr‘ und λόγος ‚Wort‘ und bezeichnet das Suchen nach dem jedem Wort innewohnenden Wahren".

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