- Grammatik
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Die Grammatik (Sprachlehre, griechisch [τέχνη] γραμματική, [technē] grammatikē „Kunst des Lesens und Schreibens“, von γράμμα, gramma, „Geschriebenes, Buchstabe“; lat. [ars] grammatica) bezeichnet in der Linguistik und Sprachforschung jede Form einer systematischen Sprachbeschreibung. Dabei steht der Begriff der Grammatik einmal für das Regelwerk selbst, auf der anderen Seite wird Grammatik auch für die Theorie über eine bestimmte Sprache oder Sprachfamilie verwendet. Teile der neueren grammatischen Forschung bestehen in der Frage, wie weit sich vor allem natürliche Sprachen auf formale Sprachen reduzieren lassen (siehe Noam Chomsky).
Die Adjektive grammatisch und grammatikalisch (von spätlateinisch grammaticalis) werden heute meist synonym in den Bedeutungen „die Grammatik betreffend“[1][2] oder „den Regeln der Grammatik entsprechend“[1] verwendet.[3] Teilweise wird dem Wort grammatikalisch die letztere Bedeutung jedoch nicht zugewiesen.[4][5] Entsprechend ist als negierte Form ungrammatisch (für „nicht den Regeln der Grammatik entsprechend“, dafür auch agrammatisch) deutlich gebräuchlicher.[4]
Inhaltsverzeichnis
Die Abgrenzung der Grammatik von anderen Gebieten
In einem engeren Sinn (und umgangssprachlich) bezeichnet der Begriff Grammatik die Formenlehre von Wörtern (Morphologie) und den Bau von Sätzen (Syntax). In einem weiteren Sinn (und in der Linguistik) zählen zur Grammatik alle Bereiche, in denen die äußere Beschaffenheit oder Struktur sprachlicher Einheiten untersucht wird, also auch die Lautlehre Phonologie, sowie die Bedeutungslehre Semantik, soweit sie sich auf Regeln zum Aufbau von sprachlicher Bedeutung bezieht. Oft in Grammatiken mitbehandelt, wenn auch nicht eigentlich zugehörig, werden Stilistik, Rhetorik und Metrik, in Grammatiken historischer Sprachen auch Zahlendarstellungssysteme, Maße und Gewichte sowie Zeitrechnung. Nicht zur Grammatik zählt hingegen die Untersuchung der Vorgänge im Gebrauch einer Sprache, wie bei Pragmatik, Diskursanalyse oder Soziolinguistik. Allerdings ergeben sich aus diesen Gebieten sehr wohl oft Rückwirkungen auf die Beschreibung des Sprachsystems.
Grammatiken in der Antike und im Mittelalter
Verschiedene Grammatiken lassen sich nach ihrer Funktion in präskriptive oder deskriptive Grammatiken unterteilen. Präskriptive und normative Grammatiken enthalten Regeln, durch die explizite Ausdrücke einer Sprache erzeugt werden. Im Gegensatz zu den natürlichen und vor allem gesprochenen Sprachen, deren Kriterien vager sind und sich vor allem auf eine gewisse Akzeptanz einer Sprachgemeinschaft stützen, gehören Ausdrücke, wenn sie nicht regelkonform sind, entweder gar nicht zur Sprache (wie in den formalen Sprachen) oder zeugen zumindest von einem schlechten Stil. Doch schon in der Antike, mit der Schaffung erster grammatischer Systeme, stritt man sich auch über ihren Sinn und Nutzen.
Trotz dieser Kritik setzte sich die präskriptive Einstellung schon allein deswegen durch, weil das Latein als Schriftsprache schulmäßig zu erlernen war. So wurde die Grammatik, die über das Erlernen der Regeln der Sprache hinaus auch den Erwerb textpragmatischer Kenntnissen umfasste, in der Spätantike die erste der sieben Artes liberales. Zusammen mit Rhetorik und Dialektik, d. h. Logik, bildete sie hier das Trivium. Viele der Regeln und Termini wurden von römischen Gelehrten und Grammatikern übernommen und auf das Latein übertragen und hielten so Einzug in das europäische, kirchlich geprägte Mittelalter. Dabei blieben auch die logischen und philosophischen Überlegungen erhalten und schlugen sich im Universalienstreit nieder. Die Beschäftigung mit Grammatik beschränkte sich daher lange Zeit auf die Sprachen der Bibel, das Latein und, in geringerem Umfang, auch auf das Hebräische und das Griechische (Eco 1997). Ein großer Teil der Diskussionen bezog sich allerdings hauptsächlich auf semantische Aspekte und ihre theologischen Implikationen. Denn die Grammatik wurde wie die übrigen Artes liberales zu allererst als eine Propädeutik der Bibelhermeneutik betrachtet. Erst mit Luthers Bibelübersetzung und dem Zeitalter der Reformation löste man sich von der Fixierung auf das Lateinische.[6]
Grammatiken in der Neuzeit
Lag der Schwerpunkt des Interesses im Mittelalter noch bevorzugt in semantischen Fragen, so setzten sich mit der Erforschung des Sanskrit durch Friedrich Schlegel und Franz Bopp und mit der Entdeckung der indogermanischen Sprachen wieder grammatische Interessen und konventionalistische und relativistische Positionen durch.
Aus der Vergleichenden Sprachwissenschaft entwickelte Anfang des 20. Jahrhunderts Ferdinand de Saussure die Theorie von der Sprache als synchronem System, die die Grundlage der strukturalistischen Linguistik des 20. Jahrhunderts darstellt. Ohne Einflüsse aus der Philologie entstanden durch die Arbeiten von George Boole und Gottlob Frege zur selben Zeit die ersten formalen Systeme, die sich von den Vorlagen einer bestimmten Sprache zu lösen versuchten.
Eine Einteilung solcher formalen Sprachen und der ihnen zugrunde liegenden Grammatiken entwickelte Noam Chomsky. Dabei erzeugen Grammatiken eines bestimmten Typs innerhalb der Chomsky-Hierarchie genau die Sätze und Ausdrücke einer Sprache, die von einem bestimmten Interpreten erkannt werden, und sie erzeugen alle Sätze und Ausdrücke, die erkannt werden können. Interpreten sind in solchen Fällen einer formalen Grammatik Rechenmaschinen aus der Automatentheorie. Solche formalen Grammatiken, besonders die kontextfreie Grammatik, finden Verwendung in der Informatik in Untersuchungen über Compiler und Interpreter. Aber auch in der Philosophie und Wissenschaftstheorie finden solche Sprachen Verwendung, genauso wie in Forschungsrichtungen der deskriptiven Grammatik.
Deskriptive Grammatiken unterscheiden sich von formalen Grammatiken insofern, als sie sich aus einem empirischen Forschungsansatz ergeben. Sie beschäftigen sich mit den natürlichen Sprachen, denen im Allgemeinen eine größere Ausdrucksstärke zugesprochen wird. Der Linguist sichtet erst eine bestimmte Menge an Ausdrücken und Sätzen, die zu einer Sprache gehören. Kriterium dafür, dass bestimmte Ausdrücke und Sätze zu einer Sprache gehören, kann vor allem ihr Vorkommen in der geschriebenen Sprache und Literatur sein, aber auch die Akzeptanz der Ausdrücke in einer Sprachgemeinschaft. Dann versucht er, diese Ausdrücke durch Regeln zu erzeugen. Dabei steht die Vollständigkeit der erklärten Phänomene im Gegensatz zu einem ökonomischen Prinzip der Einfachheit.
Eher regelgeleitete, auf der Syntax basierende Grammatiken, die mit möglichst wenig Annahmen und Regeln auskommen, sind vor allem die aus Chomskys Generativer Grammatik entstandene Rektions- und Bindungstheorie und das Minimalistische Programm. Erweiterungen rein syntaktischer Regeln durch semantische findet man in der Generalised Phrase Structure Grammar, sowie in den Unifikationsgrammatiken, zum Beispiel der Head-driven Phrase Structure Grammar oder der lexikalisch-funktionalen Grammatik. Semantische Ansätze, die vor allem mit Strukturen von Lexikoneinträgen arbeiten, sind die Dependenzgrammatiken und die Grammatik Richard Montagues.
Siehe auch
- Portal:Sprache – Übersicht zu Wikipedia-Inhalten zum Thema Sprache
- Deutsche Grammatik
- Deklination, Konjugation
- Universalgrammatik
- Pivot-Grammatik
- Grammatikbegriffe im Deutschen
- Liste der grammatischen Klassifizierer
Literatur
- Frederick Bodmer: The Loom of Languages. (deutsch: Die Sprachen der Welt), Kiepenheuer & Witsch, 1944, Neuauflage im Parkland Verlag 1997, ISBN 3-88059-880-0.
- Franz Bopp: Über das Konjugationssystem der Sanskritsprache in Vergleichung mit jenem der griechischen, lateinischen, persischen und germanischen Sprache. 1816.
- Noam Chomsky: Syntactic Structures. The Hague: Mouton, 1957, Reprint, Berlin and New York 1985.
- Umberto Eco: La ricerca della lingua perfetta nella cultura europa. Laterza (dtsch: Die Suche nach der vollkommenen Sprache, 1993, dtv, 1997, ISBN 3-423-30629-7)
- Helmut Glück (Hrsg.): Metzler Lexikon Sprache. Metzler, Stuttgart Weimar 1993, ISBN 3-476-00937-8.
- Hadumod Bußmann: Lexikon der Sprachwissenschaft. Stuttgart 1990, ISBN 3-520-45202-2.
- Gerhard Helbig und Joachim Buscha: Leitfaden der deutschen Grammatik. Mai 2000, ISBN 3-468-49495-5, ISBN 978-3-468-49495-6.
- Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion (Hg.): Duden. Die Grammatik. (Band 4), Mannheim 2005, ISBN 3-411-04047-5.
Weblinks
Wiktionary: Grammatik – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, ÜbersetzungenWikiquote: Grammatik – ZitateWikibooks: Deutsche Grammatik – Lern- und LehrmaterialienWikisource: Grammatiken – Quellen und Volltexte- grammis: grammatisches Informationssystem am Institut für Deutsche Sprache (IDS)
- Ausführliches Grammatik-Glossar
- Wissensc haft.de: Forscher entdecken, in welchen Hirnregionen Grammatik verarbeitet wird
- Peter Ives: Grammar Stichwortartikel für das Historisch-Kritische Wörterbuch des Marxismus, erschienen in: Historical Materialism, Band 13:4, Leiden 2005, Seite 393–399
Einzelnachweise
- ↑ a b Duden - Deutsches Universalwörterbuch, 6. Aufl. Mannheim 2006
- ↑ „zur Grammatik gehörend“ Brockhaus Wahrig Deutsches Wörterbuch (sechs Bände)
- ↑ Duden - Richtiges und gutes Deutsch. 5. Aufl. Mannheim 2001. [CD-ROM]
- ↑ a b Wortgebrauch und Verwechslungen: grammatisch oder grammatikalisch?, FAQL.de (abgerufen am 14. Juli 2010).
- ↑ Nach der achten Auflage des Dudens von 1905 hatte grammatisch sogar ausschließlich die letztgenannte Bedeutung (vgl. Wortgebrauch und Verwechslungen: grammatisch oder grammatikalisch?, FAQL.de (abgerufen am 14. Juli 2010).
- ↑ Zu diesem Wandel: Stangel, Ursula (2010): Grammatikschreibung im Wandel. Von der Grammatiktradition des Mittelalters bis zur Beschreibung von Sprachen der Neuen Welt. In: Helikon. A Multidisciplinary Online Journal, 1, S. 78-88.
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