Etüde

Etüde

Eine Etüde (oV Etude) (frz.) ist in ihrem ursprünglichen Wortsinn („les études“ = Studium; „étudier“ = studieren) ein Instrumentalwerk für ein Soloinstrument, das dem Musizierenden zu größeren Fertigkeiten auf seinem Instrument verhelfen soll. Viele Klavierschüler verbinden mit dem Begriff Etüde - häufig auch in unangenehmer Erinnerung - den Namen Carl Czerny.

Inhaltsverzeichnis

Vorläufer der Etüde

Klavierstücke welche, ohne explizit als Etüde bezeichnet zu sein, die Funktion einer Etüde für gewisse technische und/oder musikalische Probleme haben, gibt es fast schon seit Beginn der Klaviermusik. So schreibt Oscar Bie über die Klaviermusik Johann Sebastian Bachs:

Sie [Anm.: gemeint ist hier die Etüde] ist in nuce bei Bach da, sie ist aus der Thematik halb herausgewachsen, nur der Sehwinkel ändert sich mit der Zeit. In einer Bachschen Inventio oder Sinfonia wird ein Motiv nach freien Gesetzen der Imitation bearbeitet, es wird für alle Stimmen, für alle Finger ausgenutzt. In einem Preludio über irgendein thematisches Grundsujet, in einer Fuge mit ihrem strengen Kodex der kanonischen Aufeinanderfolge geschieht nur dasselbe: das Motiv an sich wird ausgenutzt. [1]

Im Gegensatz zur den meisten späteren explizit als Etüde benannten Stücken ist aber der technische Übungswert noch nicht klar vom intendierten musikalischen Ausdrucksgehalt getrennt.

Bach schrieb manche seiner Preludes aus Unterrichtsgründen, aber er komponierte sie noch nicht streng nach ihrer vollen praktischen Verwertung. Wie in der Theorie das Musikalische und das Mechanische nicht scharf auseinandergehalten werden, so sind auch die Stücke halb Musikbringer, halb nur Lehrmittel. Das Mechanische musste sich erst emanzipieren, ehe man den Begriff der Etüde rein fasste. [2]

19. Jahrhundert

Der von Muzio Clementi zwischen 1817 und 1826 verfasste Gradus ad parnassum als ein aus 100 Studien bzw. Etüden bestehendes Klavierlehrbuch zeigt die Schwerpunktverschiebung vom musikalische Ausdruckswerte und technische Aspekte verbindenden "Etüdenverständnis" des 18. Jahrhunderts zum eher technisch/virtuosen Verständnis des 19. Jahrhunderts. Clementis Werk folgten im selben Sinn die Etüdensammlungen von Johann Baptist Cramer und Johann Nepomuk Hummel. [3]

Ab 1830, in der Zeit der Romantik, entwickelte sich aus den Etüden eine eigenständige Musikform, die zwar auch dem Studium besonderer Fertigkeiten diente, aber darüber hinaus als konzertantes Werk einem Publikum zu Gehör gebracht wurde. Beispiele hierfür sind die Etüden für Violine von Niccolò Paganini.

Revolutioniert wurde die Klavieretüde in technischer, musikalischer und gesellschaftlicher Hinsicht durch Frédéric Chopin. Es war vollkommen neuartig, dass ein Pianist Etüden öffentlich vortrug. Chopin machte die Etüde damit kunst- und salonfähig . Seine virtuosen Etüden waren auch die Stücke mit denen er die Zuhörer in den Salons am meisten begeisterte. [4] Die - ohnehin schon fingertechnisch anspruchsvollen - Chopinschen Etüden erfuhren später in einer Fassung von Leopold Godowsky sogar noch eine weitere Erschwerung.

Chopin folgten Franz Liszt, Sergei Rachmaninow und Alexander Skrjabin mit eigenen Klavieretüden, welche die technischen Anforderungen noch einmal steigerten.

Im Verlauf der Zeit entfernte sich diese Musikform von ihrem ursprünglichen Sinn, dem Erlangen einer größeren Fingerfertigkeit. Das zeigt sich in Ansätzen bereits bei einigen Skrjabinschen Etüden, die zum Teil eher als formlose Moments musicaux denn als Etüden angelegt sind. Aber auch die Symphonischen Etüden (für Klavier) von Robert Schumann sind ein Beispiel für die Abkehr vom ursprünglichen Gedanken einer Etüde, handelt es sich dabei doch vielmehr um Variationen über ein Thema. Ebenso handelt es sich bei den Paganini-Variationen op. 35 (zwei Bände) von Johannes Brahms um eine Sammlung von Etüden; sie tragen unmissverständlich im Untertitel den Namen Studien für Pianoforte.

20. Jahrhundert

Die Klaviertechnik hat sich radikal erweitert und es sind entsprechend Etüden wie die von György Ligeti entstanden.

Sammlungen von Etüden

Etüden für das Klavier

Deutsche Briefmarke von 2011 zum 200. Geburtstag von Franz Liszt: Die Notensequenz stammt aus der Konzert-Etüde Waldesrauschen.
  • Chopin
    • Etüden op. 10
    • Etüden op. 25

Etüden für die Violine

Niccolo Paganini

  • Op. 14: Etude in 60 Variationen über das Lied “Baracubà“ für Violine und Gitarre

Etüden für die Akustische Gitarre

Einzelbelege

  1. Oscar Bie: Das Klavier, Verlag Paul Cassirer, 1921, S. 190
  2. Oscar Bie: Das Klavier, Verlag Paul Cassirer, 1921, S. 191
  3. Dieter Hildebrandt: Pianoforte der Der Roman des Klaviers im 19. Jahrhundert, Carl Hanser Verlag, 2. Aufl., München, 1985, S. 139 und 140
  4. Dieter Hildebrandt: Pianoforte der Der Roman des Klaviers im 19. Jahrhundert, Carl Hanser Verlag, 2. Aufl., München, 1985, S. 138

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