Fersentalerisch

Fersentalerisch
Fersentalerisch (Bersntolerisch)

Gesprochen in

Italien, Trentino in den Gemeinden Fierozzo/Florutz/Vlarotz, Palù/Palai/Palae und Frassilongo/Gereut/Garait, einschließlich Roveda/Eichleit/Oachlait)
Sprecher etwa 2.278 (unterschiedliche Dialektkenntnisse)
Linguistische
Klassifikation

Indoeuropäisch

Germanisch
Westgermanisch
Hochdeutsch
Oberdeutsch
Bairisch
  • Fersentalerisch
Offizieller Status
Amtssprache von Geschützt im Trentino
Sprachcodes
ISO 639-1:

-

ISO 639-2:

gem (sonstige Germanische Sprachen)

ISO 639-3:

mhn

Das Fersentalerische oder Mochenische (fersentalerisch: Bersntolerisch, bersntoler Sproch oder taitsch, „Deutsch“, italienisch: mòcheno) ist ein oberdeutscher Dialekt, der in drei Gemeinden des Fersentals im Trentino, Trentino-Südtirol im Nordwesten Italiens gesprochen wird.

Inhaltsverzeichnis

Sprachliche Zuordnung

Fersentalerische ist verwandt mit den bairischen Dialekten und wird unterschiedlich als südbairischer Dialekt oder als eigenständige Sprache angesehen. Es ist nicht mit dem Zimbrischen zu verwechseln.

Die Sprecher des Fersentalerischen verstehen angeblich auch teilweise Bairisch, Zimbrisch und Hochdeutsch, was dafür spricht, es als Dialekt einzustufen. Die zahlreichen grundlegenden Unterschiede in Grammatik, Vokabular und Aussprache bereiten Hochdeutschsprechern allerdings Probleme, es zu verstehen.

Sprachliche Merkmale

Das Fersentalerische teilt die meisten phonetischen und grammatischen Merkmale mit den anderen bairischen Mundarten. So ist mittelhochdeutsch ei zu oa, ie zu ia, uo zu ua und iu zu ai geworden: hoas (heiß), boachen (weichen), schiasn (schießen), guat (gut), schua (Schuh), taitsch (deutsch), hait (heute). Wie auch im Standarddeutschen sind mittelhochdeutsch î zu ai und û zu au gebrochen: aisn (Eisen), bail (Weile), haus (Haus), sauber (sauber).

Mit den anderen Sprachinselmundarten der Ostalpen, darunter dem Zimbrischen und im Gottscheerischen, teilt es Veränderungen von f/v und w. Das v [*f] des Mittelhochdeutschen – im Neuhochdeutschen anlautendes f oder v – wird stets stimmhaft wie Standarddeutsch w [v] gesprochen: vimva (fünf), laven (laufen). Für mittelhochdeutsches w [*β] – und neuhochdeutsches w [v] – steht b: boch (Woche), schbai (Schwein), baschn (waschen).

Wie im Zimbrischen und anderen oberbairischen Mundarten wird k aus germanisch *k gehaucht: khloa (klein), khotz (Katze).

Ursprüngliches auslautendes n entfällt oft: mai (mein), khoa (kein). Es bleibt aber beim Infinitiv der Verben erhalten: èssn (essen), hòltn (halten).

Grammatik

Die Konjugation der Verben ist weithin vereinfacht. Anders als in vielen anderen bairischen Mundarten, aber wie im Schriftdeutschen enden die Formen der 3. Person Plural wie die der 1. Person Plural auf -n. Im Präsens werden bei der Konjugation keine Umlaute ä, äu und ö gebildet: vòlln - er vòllt (fallen - er fällt). Es gibt allerdings noch einen Umlaut i aus e, und zwar in allen drei Personen des Singulars: sechen (sehen): ich sich, du sichst, er sicht, biar sechen, ir secht, sei sechen.

Wie in den anderen oberdeutschen Mundarten ist das Präteritum verloren gegangen und wird durch das Perfekt ersetzt. Das Partizip Perfekt wird bei schwachen Verben mit der Endung -t gebildet, bei starken Verben durch Ablaut und die Endung -(e)n. Das Präfix ge- des Partizip Perfekt wird meist reduziert: i hon tschrim (ich habe geschrieben), i pin khemmen (ich bin gekommen).

Der Konjunktiv II ist erhalten und wird bei schwachen Verben mit -at gebildet, bei starken Verben durch Ablaut.

Anders als in Bayern werden keine alten Dualformen in der 2. Person Plural verwendet, sondern wie im Schriftdeutschen alte Pluralformen. So steht für „ihr“ nicht es/ös, sondern ir. Deshalb erhalten die entsprechenden Verbformen kein -s: ir mòcht (ihr macht, vgl. in Bayern: es måchts). Im Akkusativ und Dativ hat allerdings das Personalpronomen der 2. Person Plural wie im Bairischen die alte Dualform enkh und das Possessivum lautet enkher.

Die Deklination ist stark vereinfacht. Nominativ und Akkusativ fallen meist zusammen. Das Substantiv wird durch den Kasus nicht verändert, jedoch hat der Artikel im Dativ eigene Formen. Bei den Personalpronomina gibt es noch die Unterscheidung Nominativ, Dativ und Akkusativ, z.B. i - mir - mi (ich - mir - mich), du - dir - di (du - dir - dich). Der Genitiv ist wie anderswo im Bairischen verloren gegangen und wird durch den Dativ mit va (von) ersetzt.

Wortschatz

Es herrscht Wortschatz des Bairischen vor, aber es gibt sehr viele Entlehnungen aus dem Italienischen, z.B. macchina (Auto), appuntamento (Treffen) oder veramente (wirklich).

Verbreitung

Der Volkszählung im Jahre 2001 zufolge, in der zum ersten Mal Daten über die Muttersprache aufgenommen wurden, wurde Fersentalerische von einer Mehrheit in den folgenden Gemeinden gesprochen (Mitgliederanzahl der fersentalerischen Sprachgemeinschaft): Florutz/Vlarotz/Fierozzo (423 Personen, 95,92%), Palai/Palae/Palù (184 Personen, 95,34%), Gereut/Garait/Frassilongo (340 Personen, 95,24% - zusammen mit dem Dorf Eichleit/Oachlait/Roveda). In anderen Gemeinden des Trentino gaben 1.331 Personen an, zur fersentalerischen Sprachgemeinschaft zu gehören.[1] Beobachtungen vor Ort weisen darauf hin, dass die gesamte Bevölkerung von Eichleit und Palai, eine Mehrheit in Florutz sowie nur noch einige ältere Menschen im Dorf Gereut Fersentalerisch sprechen. Eine Umfrage 2007 unter Grundschülern in Florutz ergab, dass 47 % kein Fersentalerisch sprechen und 19 % es nicht einmal verstehen.[2] Die hohen Zahlen bei der Volkszählung sprechen dafür, dass es auch bei Personen mit begrenzten oder ohne Kenntnisse der Mundart eine starke Identifikation mit der Sprachgruppe gibt.

Offizieller Status und Verwendung in der Schule

Seit 1987 ist Fersentalerisch im Trentino neben dem Zimbrischen und dem Ladinischen als Minderheitensprache anerkannt. In der Grundschule von Florutz wird seit einigen Jahren die Mundart als Pflichtfach von der ersten Klasse an angeboten. Darüber hinaus gibt es an dieser als bisher einziger Schule im Trentino - zunächst versuchsweise - zwei Unterrichtssprachen: Italienisch und Deutsch. Eine Untersuchung im Jahre 2009 ergab, dass Kinder mit Kenntnissen in der Mundart erhebliche Vorteile im deutschsprachigen Unterricht gegenüber bisher einsprachig italienischen Mitschülern hatten.[3]

Anders als die Zimbern, die ihre zimbrische Sprache mit einer eigenen Schrifttradition in den Sieben Gemeinden eher als eigene Sprache auffassen, verstehen sich die Fersentaler eher als deutschsprachig - taitsch gegenüber balsch (welsch). Eine Rolle mag hierbei spielen, dass es von 1860 bis 1918 im Fersental Schulen mit deutscher Unterrichtssprache gab.[4]

Einzelnachweise

  1. Appartenenza alla popolazione di lingua ladina, mochena e cimbra, per comune di area di residenza (Censimento 2001). Annuario Statistico 2006. Provincia Autonoma di Trento. 2007. Gelesen am 21. August 2011.
  2. Anthony Rowley (2008), S. 8.
  3. Giulia Gatta: Der Einfluss des Fersentalerischen auf das Erlernen der deutschen Sprache - Eine in der Grundschule Florutz durchgeführte Studie. LEM, Bersntoler Kulturinstitut, 5. Dezember 2010. S. 12-17.
  4. Anthony R. Rowley: "Mòcheno e Cimbro": Von Dialekt(en) zu Sprache(n)? In: Dieter Stellmacher: Dialektologie zwischen Tradition und Neuansätzen. Beiträge der Internationalen Dialektologentagung, Göttingen, 19.-21. Oktober 1998. S. 213-221. Steiner Verlag, Stuttgart 2000. S 216, 214.

Literatur

Grammatik
  • Anthony Rowley: Liacht as de sproch. Grammatica della lingua mòchena / Grammatik des Deutsch-Fersentalerischen. Istituto Culturale Mòcheno-Cimbro / Kulturinstitut für das Fersental und Lusern / Kulturinstitut Bersntol-Lusérn, Palù del Fèrsina (Trento) 2003, ISBN 88-900656-1-3 (Digitalisat: PDF)
Wörterbuch
  • Anthony Rowley: Fersentaler Wörterbuch. Wörterverzeichnis der deutschen Sprachinselmundart des Fersentals in der Provinz Trient/Oberitalien. Buske, Hamburg 1989 (= Bayreuther Beiträge zur Sprachwissenschaft, Dialektologie, 2), ISBN 3-87118-593-0
Sekundärliteratur
  • Federica Cognola: Costruzioni infinitivali e fenomeni di trasparenza nel dialetto della Valle del Fèrsina In: Quaderni patavini di linguistica 22 (2006), S. 3-48
  • Hans Mirtes: Das Ferstental und die Fersentaler. Zur Geographie, Geschichte und Volkskunde einer deutschen Sprachinsel im Trentino/Norditalien. Institute für Geographie, Regensburg 1996 (= Regensburger geographische Schriften, Heft 26)
  • Giovanni Battista Pellegrini (Hrsg.): La Valle del Fèrsina e le isole linguistiche di origine tedesca nel Trentino: Atti del convegno interdisciplinare, Sant'Orsola (Trento), 1 - 3 settembre 1978. Museo degli usi e costumi della gente trentina, S. Michele all'Adige 1979
  • Anthony Rowley: Fersental (Val Fèrsina bei Trient/Oberitalien) - Untersuchung einer Sprachinselmundart. Niemeryer, Tübingen 1986 (= Phonai. Lautbibliothek der deutschen Sprachen und Mundarten, Deutsche Reihe, Bd. 28; Monographien, Bd. 18), ISBN 3-484-23131-9
  • Anthony Rowley: Die Mundarten des Fersentals. In: Maria Hornung (Hrsg.), Die deutschen Sprachinseln in den Südalpen. Mundarten und Volkstum, Olms, Hildesheim / Zürich / New York, 1994 (= Studien zur Dialektologie, 3; Germanistische Linguistik, 124/125), S. 145-160, ISBN 3-487-09957-8
  • Anthony Rowley: Die Sprachinseln der Fersentaler und Zimbern. In: Robert Hinderling / Ludwig M. Eichinger (Hrsg.): Handbuch der mitteleuropäischen Sprachminderheiten, Narr, Tübingen 1996, S. 263-285, ISBN 3-8233-5255-5
  • Anthony Rowley: "Mocheno e Cimbro". Von Dialekt(en) zu Sprache(n)? In: Dieter Stellmacher (Hrsg.), Dialektologie zwischen Tradition und Neuansätzen: Beiträge der Internationalen Dialektologentagung, Göttingen, 19. - 21. Oktober 1998, Steiner, Stuttgart 2000 (= Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik, Beiheft 109), S. 213-221, ISBN 3-515-07762-6
  • Bernhard Wurzer: Die deutschen Sprachinseln in Oberitalien. 5. erw. Aufl., Athesia, Bozen 1983, ISBN 88-7014-269-8

Weblinks


Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Нужно сделать НИР?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Mochenisch — Fersentalerisch (Bersntolerisch) Gesprochen in Italien, Trentino in den Gemeinden Fierozzo/Florutz/Vlarotz, Palù/Palai/Palae und Frassilongo/Gereut/Garait, einschließlich Roveda/Eichleit/Oachlait) Sprecher etwa 2.278 (unterschiedliche… …   Deutsch Wikipedia

  • Trentino-Südtirol — Basisdat …   Deutsch Wikipedia

  • Fersental — Lage des Fersentals im Trentino Das Fersental, Fersentalerisch Bersntol, italienisch Val Fersina, Val dei Mocheni, ist eine der deutschen Sprachinseln der Zimbern in Oberitalien. Das Fersental liegt in der Region Trentino Südtirol, Provinz Trient …   Deutsch Wikipedia

  • Frassilongo — Frassilongo …   Deutsch Wikipedia

  • Gereut — Frassilongo …   Deutsch Wikipedia

  • Fersina — Lage des Fersentals im Trentino Das Fersental (ital. Val Fersina oder auch Val dei Mocheni, zimbrisch: Bersntol) ist eine der deutschen Sprachinseln der Zimbern in Oberitalien. Das Fersental liegt in der Region Trentino Südtirol, Provinz Trient,… …   Deutsch Wikipedia

  • Fierozzo — Fierozzo …   Deutsch Wikipedia

  • Florutz — Fierozzo (Florutz) Vorlage:Infobox Gemeinde in Italien/Wartung/Wappen fehlt …   Deutsch Wikipedia

  • Palù del Fersina — Palù del Fersina …   Deutsch Wikipedia

  • Alto Adige (Zeitung) — Alto Adige Beschreibung italienischsprachige Tageszeitung Sprache Italienisch, Ladinisch, Zimbrisch, Fersentalerisch Verlag …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”