Frauentausch

Frauentausch

Als Frauentausch wird in der Ethnologie die Praxis in patriarchalen und patrilokalen, Ackerbau treibenden segmentären Gesellschaften bezeichnet, gebärfähige Frauen in Anwendung des Exogamie-Gebots nach bestimmten Regeln zwischen den einzelnen Clans bzw. Familien auszutauschen und mit einem Mitglied des anderen Clans oder der anderen Familie zu verheiraten. Die Wünsche der Frau spielen dabei im Allgemeinen nur eine untergeordnete Rolle.

Inhaltsverzeichnis

Ursprung

Der Ethnologe Claude Meillassoux nimmt an, dass sich die Praxis des Frauentausches aus dem Frauenraub entwickelt hat (vgl. den „Raub der Sabinerinnen“). Ursprünglich waren die Ackerbau treibenden segmentären Gesellschaften seiner Meinung nach matriarchal und matrilokal organisiert. Wenn jedoch innerhalb einer Familie zu wenig Frauen geboren werden, was in kleinen Einheiten, die dem statistischen Gesetz der großen Zahl nicht unterliegen, relativ häufig vorkommt, kann diese Produktionszelle in der nächsten Generation nur dann fortbestehen, wenn Frauen von außerhalb in sie eingegliedert werden. Unter den Bedingungen der Matrilokalität kann die Eingliederung der Frauen nur durch deren Raub von anderen Familien vorgenommen werden. Allein durch diese Praxis geraten die Frauen in eine untergeordnete Position und zwar sowohl gegenüber den Männern der eigenen Gruppe, die sie beschützen, wie gegenüber den Männern der anderen Gruppe, die sie rauben.

Erst diese ständigen Kriegszüge führen dazu, dass die Stellung der Frauen selbst in matrilokalen Gesellschaften sinkt und diejenige des Mannes steigt. Möglicherweise werden erst jetzt die Frauen förmlich von allen Tätigkeiten der Jagd und der Kriegsführung ausgeschlossen, was bei Gesellschaften der Jäger und Sammler so nicht der Fall war.

Ein Resultat dieser Unterwerfung der Frauen unter die Männer ist, dass sie jetzt unter männlichem Schutz an die Arbeit gestellt werden und mit den undankbarsten, verdrießlichsten und unbefriedigendsten Aufgaben der Landwirtschaft und der Küche betraut werden.[1]

Wird der Ackerbau für das Überleben der Gruppe wichtiger und sind die Männer in stärkerem Maße gezwungen, sich daran zu beteiligen, dann bedroht der ständige Krieg die Produktionsbedingungen durch die Todesfälle und Abwesenheiten, die er verursacht. Dies macht es sinnvoll, die matrimonialen Beziehungen möglichst auf eine andere Art und Weise als durch Gewalt zu regeln. Aus dem kriegerischen Raub der Frauen entsteht ein geregelter gegenseitiger Frauentausch, die matrilokale Form der Zirkulation wird durch die patrilokale ersetzt.[2]

Regeln des Frauentausches

Die Zirkulation der Frauen zwischen den Familien erfolgt in der Regel auf der Grundlage der absoluten Gegenseitigkeit, denn eine geschlechtsreife Frau hat kein anderes funktionelles Äquivalent als eine andere geschlechtsreife Frau. Daher kann jede Gemeinschaft von den anderen nur so viele Gattinnen erhalten, wie sie Frauen weggegeben hat.

Andererseits soll die Zahl der gebärfähigen Frauen in den einzelnen Familien möglichst gleichmäßig verteilt sein. So kann zum Beispiel eine Frau heute einer bestimmten Gemeinschaft übergeben werden, die im Augenblick keine geschlechtsreifen jungen Frauen zur Verfügung hat, die sie anderen Gemeinschaften übergeben könnte. Diese Gemeinschaft kann zu einem späteren Zeitpunkt der anderen Gemeinschaft eine Frau zurückerstatten, so dass die Schuld ausgeglichen ist. Dabei kann es sich z.B. auch um die Tochter der zuerst übergebenen Frau handeln.

Der Tausch der Frauen kann auf zwei verschiedene Arten stattfinden:

  1. bilateraler bzw. beschränkter Austausch In dieser Form des Frauentausches erwirbt Gruppe A eine Frau von Gruppe B. Später erstattet Gruppe A eine Frau an Gruppe B zurück. Der Frauentausch wird ausschließlich zwischen diesen Gemeinschaften praktiziert.
  2. multilateraler oder verallgemeinerter Austausch Die Männer der Gruppe A heiraten eine Frau der Gruppe B, diese eine Frau der Gruppe C, diese wiederum eine Frau der Gruppe A usf.

Die in diesem komplizierten Kreislauf multilateraler Tauschaktionen befangenen Gemeinschaften müssen jederzeit über den Stand der matrimonialen Transaktionen sowie über die Zirkulation der Außenstände an Frauen unterrichtet sein, damit keine mehr Frauen erhält, als sie geliefert hat.

Bei einer großen Anzahl dieser Transaktionen können sie nicht mehr alle im Gedächtnis behalten werden. Aus diesem Grund findet häufig vertragsgemäß eine umgekehrte Zirkulation stellvertretender Gegenstände statt, die als Gedächtnisstütze der matrimonialen Transaktionen dienen. Diejenige Gemeinschaft, die eine Frau abtritt, erhält von der die Frau empfangenden Gemeinschaft bestimmte Güter, die als Heiratsgüter bezeichnet werden. Dabei handelt es sich meistens um relativ dauerhafte Konsumgüter, weniger um Nahrung oder Gegenstände des täglichen Bedarfs. Das Heiratsgut unterscheidet sich von der Mitgift, denn darunter versteht man persönliche Gegenstände, welche die Braut zu ihrem Gatten mitnimmt und die in ihrem Besitz bleiben. Die gleichzeitige Existenz von Heiratsgut und Mitgift schließt sich demnach nicht aus.

Unter bestimmten Umständen verwandeln sich die Heiratsgüter von einem Pfand, das den zu künftigen Anspruch auf eine heiratsfähige Frau der empfangenden Gruppe symbolisiert, in eine „Ware“, mit der die Frauen quasi „gekauft“ werden können. Dies geschieht dann, wenn sich im Rahmen des multilateralen Tausches der Kreislauf der matrimonialen Transaktionen so weit ausdehnt, dass trotz der Existenz der Heiratsgüter nicht mehr genau festgestellt werden kann, welche Gemeinschaft der anderen wie viel Frauen schuldet, und die Heiratsgüter auch um ihrer selbst willen begehrt werden. Hinzu kommt, dass die Anzahl der Heiratsgüter möglicherweise nicht mehr mit derjenigen der ausgetauschten Frauen übereinstimmt. Denn da die Heiratsgüter aus relativ dauerhaften Gegenständen bestehen, können sie immer wieder in Umlauf gebracht werden, selbst wenn die ursprüngliche Schuldforderung, die sie repräsentieren, also diejenige, eine heiratsfähige Frau zu liefern, längst eingelöst ist. Das Heiratsgut wird zum Ausdruck eines festen Wertes, der dem einer geschlechtsreifen Frau entspricht. Es erwirbt somit im Rahmen der matrimonialen Zirkulation einen Tauschwert. Das Heiratsgut wird damit zum Brautpreis.[3]

Literatur

  • Claude Lévi-Strauss: Die elementaren Strukturen der Verwandtschaft, (frz. Erstausgabe) 1948, (dt.) Frankfurt am Main 1993
  • Claude Meillassoux: Die wilden Früchte der Frau, Frankfurt am Main 1976

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Meillassoux 1976, S. 42
  2. Meillassoux 1976, S. 44
  3. Meillassoux 1976, S. 86 ff.

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