Patriarchat (Soziologie)

Patriarchat (Soziologie)

Als Patriarchat, auch Androkratie genannt, wird eine Herrschaftsform bezeichnet, die durch die Vorherrschaft von Männern über Familien, Sippen, Gemeinden, Diözesen oder Völker gekennzeichnet ist.

Inhaltsverzeichnis

Wortherkunft

Das Wort ‚Patriarchat‘ ist ein aus dem Kirchenlatein stammendes, sekundär gebildetes Abstraktum zu Patriarch πατριάρχης patriarchos ‚Erster unter den Vätern‘ bzw. ‚Stammesführer‘ oder ‚Führer des Vaterlandes‘ (aus πατήρ patér „der Vater“ und ἄρχων archon ‚Erster, Führer‘), später übertragen auf ‚Führer (Erste) einer von Männern (Vätern) dominierten Gemeinschaft‘, und mit der Neubildung Androkratie ‚Herrschaft des Mannes‘ zu ἀνήρ ‚Mann‘, Genitiv ἀνδρός andros mit -kratie ‚Herrschaft‘.

Gegenbegriff dazu ist das Matriarchat (Analogbildung lat. mater „Mutter“ zu pater) bzw. die Gynaikokratie (zu γυνή ‚Frau‘). Im Sinne ‚Herrschaft der Alten [Männer]‘ steht Gerontokratie (γέρων géron ‚Greis‘).

Merkmale

Das Patriarchat hat in der Regel folgende Merkmale:

Kennzeichnend für patriarchalische Gesellschaften ist, dass die Vaterschaft zuvorderst über die biologische Abstammung festgelegt wird. Demgegenüber tritt die soziale Vaterschaft in den Hintergrund. Weil es für die biologische Abstammung, abgesehen von den neu entwickelten genetischen Vaterschaftsfeststellungsverfahren, keine mit der Mutterschaft vergleichbaren augenscheinlichen Beweise (Austritt der Leibesfrucht aus dem Mutterleib) gibt, muss in patrilinear-abstammungsgeleiteten Gesellschaften die Geschlechtlichkeit der Frau an die Ehe gebunden werden, um sicherzustellen, dass der Ehemann der Mutter auch biologisch der Vater ist. Verstöße gegen die Eingrenzung der weiblichen Sexualität werden mit strafrechtlichen (→ Ehebruch) und zivilrechtlichen Sanktionen und gesellschaftlicher Ächtung geahndet.

Diskussion über die Entstehung des Patriarchats

Die Entstehung des Patriarchats ist nach wie vor umstritten.

Je stärker die Merkmale des Patriarchats ausgeweitet sind, desto schwieriger ist es zu bestimmen, wie alt es ist. Marija Gimbutas, Humberto Maturana und Wilhelm Reich - siehe auch James DeMeo und dessen auf Wilhelm Reichs Arbeit aufbauende Saharasia-Theorie - haben unabhängig voneinander Theorien vorgelegt, denen zufolge patriarchale Herrschaftsstrukturen vor ca. 7000 Jahren entstanden sind; und zwar auf Grund von Klimaveränderungen, die zu Wanderungen der Menschen führten. Anhand von archäologischen, paläoklimatischen, sprachwissenschaftlichen und soziologischen Studien gehen diese Forscher davon aus, dass der Übergang von egalitären, als friedlich angenommenen Verhältnissen zu gewaltsamen, kriegerischen in besonderen Gegenden der Alten Welt, nämlich in Nordafrika, im Nahen Osten und in Zentralasien stattgefunden habe: Diese relativ feuchten Gebiete trockneten allmählich aus und wurden mit der Konsequenz verlassen, dass durch den Zusammenbruch der Umwelt- und Kulturbedingungen die Bindungen zwischen Mutter und Kind sowie zwischen Frau und Mann in traumatisch prägender Weise zerstört worden seien, so wie es aktuelle Vergleichsstudien aus den Hungergebieten Afrikas plausibel gemacht hätten.

Sollte die weitergehende Hypothese eines „Ur-Matriarchates“ zutreffen (→ Urgesellschaft), so gelten die vorliegenden Forschungsergebnisse zur Entstehung des Patriarchats heute als die wahrscheinlichsten. Ein „Ur-Patriarchat“ wird zwar von zahlreichen Mythen nahegelegt (siehe auch Adam), sie spiegeln aber lediglich eine Weltsicht im Kontext ihrer Entstehungszeit wider und stellen darüber hinaus allenfalls Hypothesen ohne beweisende Kraft dar.

Die Theorien der Matriarchatstheoretikerinnen wurden von der Feministin Cynthia Eller kritisiert. Ihr zufolge gibt es keine Beweise, dass es ein Patriarchat in Europa erst nach der Einwanderung indogermanischer Völker gegeben habe. Sie zieht allerdings oben genannte Studien nicht heran, sondern beschränkt sich auf die 'Göttin-Bewegung' in den USA.[1]

Politik

In zeitgenössischen Gesellschaften werden die meisten Regierungen von Männern geführt. Derzeit führen weltweit elf Frauen die Regierung ihres Landes (Stand: Juni 2010).[2] Die Frauenbewegung des 20. Jahrhunderts öffnete Frauen den Weg zur Verhütung und verbesserte ihre Gleichberechtigung. Dies ermöglichte es Frauen, politische Posten zu bekleiden und sich in machtpolitische, bis dahin androkratische, Entscheidungsprozesse einzubringen. [3]

Studien aus Afrika, Australien und Europa zeigen, dass deutlich mehr Männer leitende Positionen innehaben als Frauen. Die skandinavischen Länder haben mit fast 40% die größte Zahl an Frauen in leitenden Positionen, wohin gegen die arabischen Länder nur einen Anteil von rund 6% aufweisen.

Gynokratie/Matriarchat

Die logisch entgegengesetzte Herrschaftsform zu Patriarchat/Androkratie wäre die Frauenherrschaft (Gynokratie/Matriarchat), die es allerdings nach übereinstimmender Auffassung von Historikern und Feministinnen nie gegeben habe. Den Begriff Matriarchat definierte 1980 die Gesellschafts- und Genderforscherin Cäcilia Rentmeister "in der sinngemäßen Übersetzung von Mutter-Anfang - nicht Mutter-Herrschaft"[4]. Die Philosophin Göttner-Abendroth definiert Matriarchat als Gesellschaftsform, in denen Frauen kulturschöpferisch und prägend tätig seien, aber nicht herrschten.

Literatur

Deutschsprachig

  • Pierre Bourdieu: Die männliche Herrschaft, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2005
  • Ernest Bornemann: Das Patriarchat, Fischer, Frankfurt am Main 1991 (Erstauflage 1975), ISBN 3-596-23416-6
  • Robert W. Connell: Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeiten. Opladen 1999
  • Heide Göttner-Abendroth: Für Brigida. Göttin der Inspiration. Neun patriarchatskritische Essays und Thesen zum Matriarchat, Frankfurt am Main 1998.
  • Gerda Lerner: Die Entstehung des Patriarchats, München: dtv 2002
  • Gerda Lerner: Die Entstehung des feministischen Bewußtseins, Frankfurt/ New York 1993
  • Horst Herrmann, Vaterliebe. Ich will ja nur dein Bestes, Reinbek 1989, ISBN 3-499-18248-3
  • Frank Lohscheller: Typisch Junge? Kommunikations- und Konflikttraining für Jungen an Schulen. ISBN 3-89771-355-1
  • Maria Mies, Patriarchat und Kapital: Frauen in der internationalen Arbeitsteilung, Zürich: Rotpunktverlag, 3. Auflage 1990
  • Frank Wichert (2004): Der VorBildliche Mann. Die Konstituierung moderner Männlichkeit durch hegemoniale Print-Medien, ISBN 3-89771-736-0

Englischsprachig

Bücher

  • Flanders, Laura. (2004). Bushwomen: Tales of a Cynical Species. Verso. ISBN 1-85984-587-8.
  • Flanders, Laura (ed). (2004). The W Effect: Bush's War on Women. The Feminist Press at CUNY. ISBN 1-55861-471-0
  • Martin, Mart. (2001). The Almanac of Women and Minorities in American Politics 2002. Westview Press. ISBN 0-8133-9817-7
  • Matland, Richard E. Montgomery, Kathleen A. (2003). Women's Access to Political Power in Post-Communist Europe. Oxford University Press. ISBN 0-19-924685-8
  • Melich, Tanya. (1996). The Republican War Against Women: An Insider's Report from Behind the Lines. Bantam. ISBN 0-553-37816-3
  • Pusey, Michael. (1989). Economic Rationalism in Canberra: A Nation-Building State Changes its Mind. Cambridge University Press. ISBN 0-521-33661-9
  • Sylvia Walby (1991). Theorizing Patriarchy. ISBN 978-0-631-14769-5.

Aufsätze

  • Studler, Donley T. Welch, Susan. (1987). Understanding the Iron Law of Andrarchy: The Effects of Candidate Gender on Voting Scotland. Comparative Political Studies. 20. Juli. 174-191.
  • Hakim, C. (2003). Family Matters. Australian Institute of Family Studies. 52. September
  • Boris, E. Kleinberg, S.J. (2003). Mothers and other workers: (re)conceiving labor, maternalism, and the state. Journal of Women's History. 15. März 1990. September
  • Maddison, Sarah. (2003). Bombing the patriarchy or outfitting a cab: challenges facing the next generation of feminist activists. Women in Action. August

Filme

  • L’aggettivo donna, Annabella Misuglio, Italien 1971, Dokumentarfilm - Kritik des Patriarchats in Italien. L’aggettivo donna analysiert die doppelte Ausbeutung der Arbeiterinnen, die Isolation der Hausfrauen und die Abrichtung der in die Schulen einsperrten, von den anderen Menschen getrennten Kindern.
  • Padre Padrone – Mein Vater, mein Herr, Paolo Taviani & Vittorio Taviani, Italien 1977, 114 min, "Meisterwerk der Tavianis über die Unterdrückung eines Sohnes durch seinen Vater" [5]

Siehe auch

Quellen

  1. Cynthia Eller: The Myth of Matriarchal Prehistory, Beacon Press 2000.
  2. Frauen an die Macht. Ein Überblick über die Entwicklung abseits der Kanzlerin. Abgerufen am 16. Mai 2011.
  3. Regina Richter, Frauen in politischen Machtpositionen, Dissertation an der Universität Hamburg 2006. Abgerufen am 16. Mai 2011.
  4. Das Rätsel der Sphinx – Matriarchatsthesen und die Archäologie des nicht-ödipalen Dreiecks, in: Brigitte Wartmann (Hrsg.): “Männlich – Weiblich”. Berlin 1980, S.155
  5. Programm des Kino Arsenal Juni 2008 - http://www.fdk-berlin.de/de/arsenal/kalender.html

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