- Fremdenfeindlichkeit
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Fremdenfeindlichkeit, gelegentlich auch Xenophobie (gr. ξενοφοβία „Fremdenangst“, von ξένος xénos „Fremder“ und φοβία phobia „Angst“, „Furcht“), bezeichnet eine ablehnende, ausgrenzende oder feindliche Haltung gegenüber Personen oder Gruppen, die als andersartig gesehen werden. Dabei kann die Ablehnung mit echten oder angeblichen sozialen, religiösen, ökonomischen, kulturellen oder ethnischen Unterschieden begründet werden. Weil Fremdenfeindlichkeit damit auch auf Gruppen abzielt, die nicht klassisch mit dem Begriff „Ausländer“ bezeichnet werden, hat das Wort den Begriff Ausländerfeindlichkeit zunehmend abgelöst.[1]
Sozialpsychologisch gesehen wird mit der Feindseligkeit gegenüber ‚Fremden‘ ein negativ konnotiertes Fremdbild geschaffen, um ein überlegenes Selbstbild zu erzeugen. Ein solches Verhalten wird sozial gelernt und kann somit verändert und abgelegt werden. An den Prozessen der Konstruktion von Bildern über vermeintlich „Fremde“ oder „Andere“ sind wissenschaftliche, mediale, politische und andere Akteure der Gesellschaft beteiligt.[2] Der Begriff wird in der Rassismusforschung dort vermieden, wo er die Prozesse der Stigmatisierung durch Psychologisierung und Biologisierung übersieht und eine quasi kausale naturgegebene Erklärung für Gewalt und Ausgrenzung nahelegt.[3]
Der Begriff der Fremdenfeindlichkeit überlappt sich mit dem des Rassismus und lässt sich oft nur ungenau von diesem unterscheiden. Während Teile der Sozialwissenschaft einen Unterschied zwischen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus sehen, lehnen andere den Begriff als unwissenschaftlich ab und sehen in ihm einen bloßen Euphemismus für rassistische Haltungen und Taten.
Inhaltsverzeichnis
Begriff
Etymologie und Begriffsgeschichte
Der Begriff Xenophobie wurde im Französischen bereits im Jahre 1901 in Anatole Frances Roman Monsieur Bergeret à Paris verwendet und 1906 in Albert Dauzats französischem Wörterbuch Nouveau Larousse illustré als Stichwort aufgenommen. In Verbindung mit der Dreyfus-Affäre bezeichnete der Schriftsteller die antisemitischen Demagogen als „misoxènes, xénophobes, xénoctones et xénophages“ [4]. Das Grand Dictionnaire Terminologique de l’Office Québécois de la Langue Française hat zwei Einträge für den Begriff der Xenophobie: einen soziologischen (auf Stereotypen und unbegründeten Generalisierungen gründende Vorurteile gegenüber Ausländern, die auf Gerüchten, Missverständnissen und unterschiedliche Sitten beruhen)[5] und einen psychologischen (Feindseligkeit gegenüber Ausländern mit sozialem und nicht krankhaftem Hintergrund). [6][7]
Sozialpsychologische Erklärungsmodelle
In der Sozialpsychologie werden diskriminierende Verhaltensweisen mit dem Begriff der Xenophobie unter sozialen und psychologischen Aspekten betrachtet.
- Rebellierende Selbstunterwerfung
Als Erklärungsmodell für das Auftreten von Fremdenfeindlichkeit schuf Nora Räthzel den Terminus „Rebellierende Selbstunterwerfung“. Als rebellierende Selbstunterwerfung bezeichnet sie ein Phänomen, bei dem Widerstand gegen soziale Ausgrenzung nicht gegen dessen Verursacher gerichtet werde, sondern in Form eines Sündenbocks gegen einen unbeteiligten Dritten in Form des Anderen, des Fremden. Diese Ersatzhandlung diene letztlich der eigenen Unterwerfung unter die Zustände, die man zu bekämpfen suche.[8]
Evolutionsbiologisches Erklärungsmodell
Evolutionsbiologisch gilt Xenophobie als wahrscheinlich überlebensdienliches Erbe aus dem Tier-Mensch-Übergangsfeld.[9]
Individualpsychologisches Erklärungsmodell
Individualpsychologisch ist der – weit ältere – Begriff der „Xenophobie“ vor allem durch eine latente Scheu oder Furcht der Kleinkinder vor Ungewohntem oder Fremdem abgestützt. Sie wird in unterschiedlichen Kulturen unterschiedlich sozial ausgeformt, zum Beispiel in Deutschland als "Schwarzen Mann". Entsprechend kann sie später im Leben vertieft, ideologisiert oder abgelegt werden.
In der klinischen Psychologie gilt Xenophobie als Angststörung.
Legitimierende Erklärungsmodelle
Der Begriff Xenophobie wird auf unterschiedliche Weise auch dazu benutzt, um Rassismus und Diskriminierung als Resultat biologischer, kultureller oder ökonomischer Gegebenheiten zu legitimieren:
- Beispiele für biologisierende Erklärungsmodelle: Tierarten verteidigen das eigene „Territorium“ gegen Eindringlinge. Inwieweit es sich bei Xenophobie des Menschen um biologische Determinanten, durch Sozialisation erworbenes Verhalten bzw. in engem Rahmen freie Entscheidungen handelt, ist umstritten. Was im konkreten Fall als „fremd“ wahrgenommen (und abgelehnt) wird, hängt allerdings nachweislich in erster Linie von historisch-kulturellen Faktoren ab.
Der Ethologe Irenäus Eibl-Eibesfeldt deutet die Abwehr des Fremden bzw. als Fremd empfundenen sowie die sich historisch unterschiedlich darstellende Abgrenzung von Gruppen als anthropologisches Erfordernis zur Aufrechterhaltung einer stabilisierenden Gruppennorm. [10] Normen machten „das Verhalten voraussehbar, tragen Ordnung in die Gemeinschaft und vermitteln damit Sicherheit“[11] Eibesfeldt verweist auf die prägende Funktion kultureller Normen:
- „Die Gruppennorm äußert sich in Sprache, Brauchtum, Kleidung, Körperschmuck und vielen anderen Alltäglichkeiten. Die materielle wie geistige Kultur ist nach ihr ausgerichtet. Kultur erweist sich hier prägend und legt uns als zweite Natur insofern fest, als uns auch der Schatz tradierten Brauchtums nicht allzuviel Bewegungsfreiheit lässt.“[11]
Für das kulturalisierende Erklärungsmodell ist alles soziale Handeln kulturell überformt, d. h. kollektive Distanz und Feindseligkeit ist erworbene Grundstimmung (siehe auch Mentalität einer Gesellschaft). Dennoch werden Behauptungen aufgestellt, nach denen sogenannte Stammesgesellschaften, aber auch ländliche Gesellschaften mit Grundbesitzerstrukturen, deren Traditionen stark auf fixierten Regeln beruhen würden, Neubürgern gegenüber eher zurückhaltend bis ablehnend eingestellt sein. Vielfach werden dieselben Gesellschaften als ausgesprochen gastfreundlich dargestellt; handeltreibende Kulturen (wie das antike Griechenland – vgl. Homer, Herodot oder Aischylos) gelten in diesen Konstruktionen als eher vorurteilsarm. Auch die vorherrschende Religion habe großen Einfluss auf die beobachtbare Haltung gegenüber „Fremden“. Ein vergleichbar langsamer sozialer Wandel begünstige xenophobe Reaktionen. Nach Pierre Bourdieu steige mit der Komplexität der Gesellschaft die Möglichkeit, Xenophobie zu verringern.
Gemeinsam sind diesen Erklärungsmodellen, dass geschichtliche und gesellschaftliche Konstruktionsprozesse für Selbst- und Fremdbilder nicht untersucht werden, sondern als quasi natürliche Gegebenheiten akzeptiert werden.
Sonstiges
Die Anschläge in Norwegen 2011 führten zu Diskussionen über Islamophobie.
Siehe auch
Literatur
- Ulrich Arnswald, Heiner Geißler, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Wolfgang Thierse: Sind die Deutschen ausländerfeindlich?: 49 aktuelle Stellungnahmen zu einem aktuellen Thema, Zürich; München: Pendo 2000, ISBN 3-85842-389-0
- Jan Christopher Cohrs: Von konstruktiven Patrioten und schwarzen Schafen: Nationale Identifikation und Engagement gegen Fremdenfeindlichkeit. Dissertation. Univ. Bielefeld 2004 urn:nbn:de:hbz:361-5004
- Eva-Maria & Lothar Elsner: Ausländerpolitik und Ausländerfeindschaft in der DDR 1949 - 1990. Reihe Texte zur politischen Bildung H. 13, Rosa Luxemburg-Verein, Leipzig 1994 ISBN 3-929994-14-3 (Dokumentarteil: Gesetze, bilaterale Abkommen etc. S. 53 - 90)
- Elke M. Geenen: Soziologie des Fremden. Leske + Budrich, Opladen 2002 ISBN 3-8100-3599-8
- Hans-Gerd Jaschke: Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit: Begriffe, Positionen, Praxisfelder. VS Verlag, 2001. ISBN 3-531-32679-1.
- Corinna Kleinert: Fremdenfeindlichkeit: Einstellungen junger Deutscher zu Migranten. VS Verlag, 2004. ISBN 3-531-14202-X.
- Günther Rathner: Xenophobie, Autoritarismus und Antisemitismus.
- Ulrike & Peter Riemer: Xenophobie - Philoxenie. Franz Steiner Verlag 2005, ISBN 3-515-08195-X
- Hans-Jürgen Wirth: Fremdenhaß und Gewalt als familiäre und psychosoziale Krankheit.in: Psyche. Stuttgart 2001, H. 11 (Nov.), S.1217 - 1244 ISSN 0033-2623
- Cornelia Weins: Fremdenfeindliche Vorurteile in den Staaten der EU. VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2004. 978-3531144658
Weblinks
- Gudrun Hentges: Rassismus − Streit um die Ursachen, 1. Juni 2005
- Zusammenfassende Darstellung des Forschungsprojekts Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit
- Oliver Decker und Elmar Brähler unter Mitarbeit von Norman Geißler: Vom Rand zur Mitte, November 2006 (PDF-Datei; 732 kB)
- Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ 37/2007) Fremdenfeindlichkeit und Gewalt
- Fremdenfeindlichkeit im Historischen Lexikon der Schweiz
- Michael Kubink: Fremdenfeindliche Straftaten - Ein Überblick
Einzelnachweise
- ↑ Corinna Kleinert: Fremdenfeindlichkeit: Einstellungen junger Deutscher zu Migranten. VS Verlag, 2004. ISBN 3-531-14202-X, S. 82.
- ↑ Damir Skenderovic, „Fremdenfeindlichkeit“, in: Historisches Lexikon der Schweiz s. Weblinks
- ↑ Christoph Butterwegge: Globalismus, Neoliberalismus und Rechtsextremismus. [1]
- ↑ La Base Historique du Vocabulaire Français (BHVF): « Xénophobe ».
- ↑ Original: Préjugé défavorable à l'égard des étrangers. Note : La xénophobie est fondée sur des stéréotypes, généralisations sans fondement, nées de rumeurs, d'incompréhensions, de mœurs différentes.
- ↑ Original: Hostilité vis-à-vis des étrangers, d'origine sociale, et non pathologique.
- ↑ Le grand dictionnaire terminologique de l’ Office Québécois de la Langue Française : xénophobie
- ↑ Kalpaka, Annita / Räthzel, Nora (Hrsg.): Die Schwierigkeit, nicht rassistisch zu sein, Köln: Dreisam Verlag, 1994, ISBN 3-89607-022-3
- ↑ Bert Hölldobler: Die Angst vor dem Fremden: Die evolutionsbiologischen Wurzeln der Xenophobie. Tele-Akademie, SWR 3, 11. Mai 2003
- ↑ Irenäus Eibl-Eibesfeldt: Die Biologie des menschlichen Verhaltens - Grundriß der Humanethologie, Vierkirchen 2004, Blank Media, ISBN 3-937501-01-0, Seite 409 ff. und 443
- ↑ a b Irenäus Eibl-Eibesfeldt: Die Biologie des menschlichen Verhaltens - Grundriß der Humanethologie, Vierkirchen 2004, Blank Media, ISBN 3-937501-01-0, Seite 409
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