Geschichte Madagaskars

Geschichte Madagaskars

Die geschichtlichen Aufzeichnungen über Madagaskar beginnen mit dem 7. Jahrhundert, damals errichteten die Araber erste Handelsstützpunkte an der Nordwestküste. Es ist jedoch sehr wahrscheinlich, dass die ersten madagassischen Siedler aus Südostasien kamen, was die ethnischen Eigenschaften, eine Mischung austronesischer Asiaten und afrikanischer, sowie später hinzugekommener arabischer, indischer und europäischer Einflüsse erklärt. Britische und französische Imperialisten lieferten sich vom 17. bis 20. Jahrhundert einen Wettlauf um Madagaskar, bis die Insel 1890 französische Kolonie wurde. Madagaskar errang 1960 seine Unabhängigkeit von Frankreich.

Inhaltsverzeichnis

Frühgeschichte

Nach der madagassischen Mythologie wurde die Insel zuerst durch ein hellhäutiges „Zwergenvolk“, die Vazimba, bewohnt. Einige Madagassen glauben, dass diese Ureinwohner noch im tiefen Wald leben. Auf der Insel, deren Einwohner den Ahnenkult praktizieren, werden die Vazimba als die ältesten Ahnen verehrt. Die Könige einiger madagassischer Stämme behaupten, in direkter Verwandtschaft mit den Vazimba zu stehen.

Die Archäologen gehen von einer Ankunft der Menschen auf der Insel zwischen 200 und 500 aus. Demnach waren die ersten Einwohner Madagaskars Seefahrer aus Südostasien, vermutlich Borneo oder Süd-Celebes in ihren Auslegerkanus. Diese ursprünglichen Madagassen besiedelten die Insel im Zuge der großen austronesischen Expansion, die zur Besiedlung des malaiischen Archipels Java, Sumatra, Neuseeland, Polynesien und Mikronesien, sowie Hawaii und der Osterinsel führte. Ein Beleg für die Ankunft von Indonesiern, die die Ostküste Afrikas kolonisierten, ist nicht gefunden worden. Es scheint, dass die ersten Einwohner von Madagaskar direkt über den Indischen Ozean aus Indonesien kamen, eine Reise von 5.000 km, indem sie sich dem Wind und dem äquatorialen Ost-Weststrom anvertrauten. Zusammen mit Neuseeland bildete Madagaskar die letzte von Menschen besiedelte Landfläche. Der Ethnologe Jared Diamond beschreibt die austronesische Expansion nach Madagaskar:

Diese Austronesier mit ihrer austronesischen Sprache und modifizierten austronesischen Kultur lebten bereits auf Madagaskar, als die Insel 1500 von den Europäern besucht wurde. Dies erscheint mir als die erstaunlichste Tatsache der Humangeographie der Welt. Es ist, als ob Columbus bei der Landung auf Kuba die Insel mit blonden blauäugigen schwedisch sprechenden Skandinaviern, vorgefunden hätte, obwohl der nahe nordamerikanische Kontinent von indianischsprachigen Indianern bewohnt ist, die. Wie ist es möglich, das Menschen der prähistorische Kultur Borneos auf Booten ohne Karte und Kompass Madagaskar erreichen konnten?

In Technologie und Landwirtschaft weisen die Madagassen viele gemeinsame Merkmale mit den Indonesiern auf. Die Methoden der Reisbearbeitung gleichen einander. Wie die Indonesier benutzen die Madagassen Auslegerkanus (Katamarane). Beide Kulturen praktizieren den Ahnenkult und glauben, dass Tote einen Einfluss auf die Lebenden haben. Anders als ihre Nachbarn auf dem afrikanischen Kontinent, die Rundhütten bevorzugen, leben die Madagassen in viereckigen Wohngebäuden. Sie verwendeten zum Eisenschmieden Zweiklappenbälge, eine malaysische Erfindung. Sie kleideten sich in aus Pflanzenfasern oder Raffiabast gesponnenes Tuch, nicht in Leder, Fell oder Wolle wie Afrikaner oder Europäer. Angehörige des Merina-Stammes, des größten Stammes in Madagaskar, gleichen den Indonesiern im äußeren Ansehen vollkommen.

Die Einwanderung der Bantu und Araber

Dass die mittelalterlichen arabischen Seefahrer und Geografen Madagaskar kannten, war lange Zeit umstritten. Durch die Ausgrabungen in Mahilaka konnte aber eine Handelsstadt mit Moscheen und Steingebäuden belegt werden, die vom zehnten bis zum 14. Jahrhundert blühte. Die der Südküste Ophirs (Afrika) gegenüber liegende Insel war als Phebol, Cernea, Menuthias, Medruthis, Sherbezat, Camarcada oder Mondinsel bekannt.

Der Name Madagaskar stammt von Marco Polo, dem italienischen Forscher, der eine afrikanische Insel mit unaussprechlichem Reichtum als Madeigascar beschrieb. Marco Polo hatte über die Existenz der Insel indirekt aus Erzählungen während seiner Reisen in Asien Kenntnis bekommen. Die meisten Gelehrten nehmen an, dass er wohl Mogadischu, den Hafen des heutigen Somalia beschrieben habe. Dennoch verwendeten die italienischen Kartographen der Renaissance den Namen Madagaskar für die Insel.

Die Bantu-Siedler überquerten vermutlich die Straße von Mosambik nach Madagaskar, etwa während oder kurz nach der Ankunft der Indonesier. Obgleich die Mehrheit der Wörter in der madagassischen Sprache malaiisch-polynesischen Ursprungs sind, wurden außerdem einige Brocken der Bantu Wörter gesprochen wie omby (Rind), ondry (Schaf) und andere. Einige Ethnologen sehen darin den Beweis, dass sich indonesische und Bantu-Siedler bald in der Inselgeschichte miteinander vermischten.

Die Bantu brachten die kürbisähnliche Jejolava und die mehrsaitige Valiha mit, Musikinstrumente, auf denen heute die madagassische Musik gespielt wird. Die Bantu führten auch ein für Ostafrika einmaliges Kulturmerkmal ein: den Viehbesitz. Besonders in den südlichen Savannen Madagaskars, in dem die afrikanischen Einflüsse am stärksten sind, werden Reichtum und sozialer Status am Besitz von Vieh gemessen; die Zahl der Zebus übersteigt die der Einwohner um das zwei- bis dreifache.

Anfang des 10. oder 11. Jahrhunderts verkehrten entlang der afrikanischen Ostküste in ihren Dhaus arabische und sansibarische Sklavenhändler und ließen sich an der Westküste Madagaskars nieder. Ihre heutigen Nachkommen bilden den Antaimoro Stamm an der Südostküste nahe Manakara. Die arabischen Einwanderer bildeten verglichen mit den Indonesiern und den Bantu eine Minderheit, übten aber einen umso nachhaltigeren Einfluss aus: Die madagassischen Namen für Jahreszeiten, Monate, Tage und Münzen sind arabischer Herkunft, ebenso die Beschneidung, der gemeinsame Getreidevorrat und verschiedene Grußformen. Arabische Medizinmänner, Ombiasy genannt, etablierten sich als Richter bei zahlreichen madagassischen Stammeskönigtümern. Arabische Einwanderer führten ein patriarchales Familien- und Clansystem in Madagaskar ein. Zuvor hatten die Madagassen das polynesische matriarchale System praktiziert, bei dem Rechte, Privilegien und Besitz den Männern und Frauen in je gleicher Weise zugeteilt waren.

Die Europäische Kolonialisierung

Bis zum 15. Jahrhundert hatten die Europäer den Muslimen den Gewürzhandel abgerungen. Er verlief vorher, auf dem Umweg über den Nahen Osten, direkt von Indien zum Mittelmeer. Nachdem ihre Frachtschiffe das Kap der guten Hoffnung umrundet hatten, verlief der Gewürzhandel von Indien direkt nach Portugal. Der portugiesischer Seemann Diogo Dias setzte 1500 als erster Europäer seinen Fuß auf madagassischen Boden, als sein Schiff auf der Fahrt nach Indien vom Kurs geriet. In den folgenden zweihundert Jahren strebten Engländer und Franzosen erfolglos nach der Herrschaft über die Insel.

Karte von Fort Dauphin um 1650

Fieber, Dysenterie, die feindliche madagassische Bevölkerung und das harte trockene Klima Südmadagaskars setzen 1646 der englischen Ansiedlung bei Toliary (Tuléar) ein baldiges Ende. Eine weitere Siedlung im Norden in Nosy Be wurde 1649 aufgegeben. Die seit 1643 im Inselsüden bestehende französische Kolonie bei Taolañaro (Fort Dauphin) hielt sich länger. Nach dreißigjähriger Existenz kam es Weihnachten 1672 zu Unruhen unter den ansässigen Antanosy. Sie waren offenbar aufgebracht, weil vierzehn französische Soldaten des Forts sich von ihren madagassischen Frauen hatten scheiden lassen, um vierzehn in die Kolonie entsandte französische Frauen zu heiraten und massakrierten dreizehn der vierzehn Bräute. Die Antanosy belagerten achtzehn Monate lang die Palisaden von Taolañaro. Ein Schiff der französisch-ostindischen Kompanie evakuierte 1674 die überlebenden dreißig Männer und eine Witwe auf die Insel Reunion.

Die Franzosen behaupteten bis 1736 noch einen Handelsposten in der Baie d'Antongil im Inselnorden, ab 1750 dann die Insel Sainte Marie. Während der Herrschaft des französischen Königs Ludwig XV. 1766 nahmen sie erneut Fort Dauphin in Besitz, gaben es aber schon 1771 wieder auf. In französischen Diensten eroberte der Abenteurer Moritz Benjowski 1774 wieder die Atongil-Bucht und gründete Louisbourg. Ein von ihm gegründetes unabhängiges Königreich wurde jedoch schon 1776 von Franzosen aus Reunion vernichtet. Benjowski suchte nun Verbündete in Europa und bot 1783 sogar dem Kaiser Josef II. Madagaskar als österreichische Kolonie an, ohne jedoch finanzielle oder militärische Unterstützung zu erhalten. 1785 kehrte er nach Madagaskar zurück und versuchte, sein Königreich wiederaufzurichten, fiel aber 1786 im Kampf gegen französische Truppen und deren madagassische Verbündete.

Von 1807 bis 1811 befand sich in Toamasina ein französischer Handelsposten, der von den Briten zerstört wurde.

Piraten und Sklavenhändler

Zwischen 1680 und 1725 war Madagaskar ein Piratenstützpunkt. Bekannte Piraten wie Kapitän William Kidd, Henry Every, John Bowen und Thomas Tew machten die Antongil Bay und Nosy Boraha (St. Marys Insel), eine kleine 15 km vor der Nordostküste Madagaskars gelegene Insel, zu ihrer Basis. Die Piraten plünderten Handelsschiffe im Indischen Ozean, Roten Meer und persischen Golf. Sie raubten die für Europa beladenen Handelsschiffe mit ihrer Seiden-, Tuch-, Gewürz- und Juwelenfracht aus. Schiffe, die in umgekehrter Richtung nach Indien fuhren, überfiel man wegen ihrer Münzen, sowie Gold- und Silberschätze. Ziele der Piraten waren die zwischen den Häfen des Indischen Ozeans verkehrenden indischen Frachtschiffe sowie die von Frankreich, England und den Niederlanden beauftragten Handelsschiffe der Ostindien-Kompanien. Die zwischen Surat in Indien und Mokka an der Spitze der arabischen Halbinsel segelnde Pilgerflotte bildete ein Lieblingsziel der Piraten, weil die reichen muslimischen Pilger häufig Juwelen und andere Kleinodien nach Mekka mit sich führten.

Die indischen Kaufleute der unterschiedlichen Häfen von Afrika und Réunion waren wohl bemüht, den Diebstahl der Waren durch die Piraten einzudämmen. Die niedrigbezahlten Mannschaften der Handelsschiffe im Indischen Ozean waren jedoch kaum zum Kämpfen zu bewegen und sahen wenig Grund, ihr Leben zu riskieren. Die Piraten rekrutierten häufig aus den Mannschaftsmitgliedern der geplünderten Schiffe weitere Bundesgenossen.

Vor der Ankunft der Europäer führten die madagassischen Stämme gelegentliche Kriege zum Sklavenfang. Die Sklaven wurden entweder an arabische Händler verkauft oder in Diensten gehalten. Mit der Ankunft der europäischen Sklavenhändler stieg der Wert der menschlichen Handelsware und damit die Zahl der Kriege der madagassischen Küstenstämme zum Sklavenfang. An Stelle von Spießen und Macheten setzten die Einheimischen Musketen, Pulver und Blei ein, das sie von Europäern erhielten. Die Kriegführung war grausam und brutal.

Wegen ihrer Beziehungen zu den Piraten auf Nosy Boraha verfügten die Betsimisaraka in Ostmadagaskar über mehr Feuerwaffen als alle anderen Stämme. Sie überwältigten die benachbarten Antakarana und Tsimihety und überfielen sogar die Komoren. Die Sakalava hatten auf der Westküste die meisten Beziehungen zum Sklavenhandel, wodurch sie ebenfalls den Zugang zu Gewehren und Pulver erlangten. Sie besiegten die anderen Stämme der Westküste. Häuptlinge, die keine Gefangene für den Sklavenhandel gemacht hatten, verkauften zuweilen ihre eigenen Leute in die Sklaverei.

Im äußersten Norden Madagaskars unterhielt das Sultanat Sansibar einige Niederlassungen, vergeblich jedoch bemühte sich Sultan Said ibn Sultan um engere Kontakte zu Königin Ranavalona I., um mehr Einfluss auf die Insel zu gewinnen.

Piratenrepublik Libertalia

Im zweiten Band seiner General History of the Pyrates erzählt Charles Johnson 1728 die Geschichte eines gewissen Kapitäns Misson und seiner Freunde. Johnsons Erzählung zufolge hatten sie auf Madagaskar eine utopische Republik errichtet, die den Namen Libertalia bzw. Libertatia trug und auf den Idealen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit gründen sollte. Die Piraten von Libertalia sollten wachsame Hüter der Rechte und Freiheiten der Völker sein, sowie eine Schutzmauer gegen die Reichen und Mächtigen ihrer Zeit. Indem sie um der Unterdrückten willen in den Krieg gegen die Unterdrücker zogen, wollten sie dafür sorgen, dass die Gerechtigkeit gleich verteilt wurde. In puncto Selbstverwaltung orientierten sich Missons Piraten angeblich an einer demokratischen Form, bei der das Volk selbst Urheber und Richter seiner eigenen Gesetze war. Die Monarchie, damals die vorherrschende Staatsform, lehnten sie ab. Verwundete Piraten wurden gepflegt, gefangene Sklaven wurden befreit, und es herrschte allgemeine Religionsfreiheit.

Möglicherweise hat die Geschichte von Libertalia keinen historischen Kern, sondern stellt nur ein, als Piratengeschichte getarntes, politisches Essay dar, wie der Historiker Christopher Hill meint. Das Piratenmuseum von Antananarivo geht hingegen von der tatsächlichen Existenz der Piratenrepublik aus.

Die Merina-Monarchie

Hauptartikel: Königreich Madagaskar

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