- Glockenbecher
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Als Glockenbecherkultur wird eine endneolithische Kultur, die in Süd-, West- und Mitteleuropa (im Osten bis nach Ungarn) ab 2600 v. Chr. aufkommt, etwa bis 2200 v. Chr. andauert und nur in Großbritannien bis ca. 1800 v. Chr. besteht, bezeichnet. Sie erreichte z. B. auch Sardinien. Ihre Einstufung als Kultur ist strittig (s. Forschungsgeschichte).
Inhaltsverzeichnis
Forschungsgeschichte
1900 verwendete der damals in Mainz arbeitende Prähistoriker Paul Reinecke den Ausdruck Glockenbecher, den zuvor schon italienische und tschechoslowakische Prähistoriker benutzt hatten, und führte ihn in die deutsche Terminologie ein.
Gordon Childe sah die Glockenbecherleute als Missionare, die sich, von Spanien kommend, über den atlantischen Rand Europas ausbreiteten und die Kenntnis der Kupfermetallurgie mit sich brachten. Dass es sich bei der typischen Glockenbecherausstattung um die Prestigegüter einer neuen Oberschicht handelt, ist eine Meinung, die vor allem von Stephen Shennan (UCL) vertreten wird. Christian Strahm (Freiburg) prägte den Begriff "Glockenbecherphänomen", um den Ausdruck "Kultur" zu vermeiden.
Verbreitung
Ihre Verbreitung umfasste Mittel-, West- und Südwesteuropa. Glockenbecherfunde gibt es von der Tschechischen Republik, Österreich und Ungarn bis nach Großbritannien und Irland, Frankreich (evtl. auch Korsika), Italien (auch auf Sardinien und Sizilien) und der Iberischen Halbinsel (incl. der Balearen), vereinzelt auch in Marokko.
Totenritual
Typisch für das Totenritual der GBK sind Einzelbestattungen in Erdgräbern oder in Steinkisten. In einigen Fällen lässt sich deren ehemalige Überhügelung rekonstruieren. Im westlichen Verbreitungsgebiet kommen häufig Nachbestattungen in Megalithanlagen und Beisetzungen in Höhlen vor - mitunter, auch an die vorherigen megalithischen Traditionen angepasst, als Mehrfachbestattung. In der Westschweiz wurde beobachtet, dass sich die Gräber der Glockenbecherkultur besonders häufig im Umfeld von Menhiren und Steinreihen fanden.
Die Toten wurden als Hocker in geschlechtsspezifischer Orientierung und Seitenlage beigesetzt:
- weibliche Individuen mit dem Kopf im Süden, Füße im Norden, die Extremitäten nach rechts gewandt
- männliche Individuen mit Kopf im Norden, Füße im Süden, nach links gewandt.
Beide Geschlechter wurden demnach mit dem "Blick" nach Osten bestattet. Diese Art der strikten geschlechtlich bipolaren Bettung erinnert an das Totenritual der zum Teil zeitgleichen Schnurkeramik, steht aber in seiner Ausführung in augenfälligem Gegensatz dazu - die Hauptorientierungsachse der Glockenbechkultur ist Nord-Süd, nach Osten gewandt, die der Schnurkeramik jedoch Ost-West, nach Süden gewandt. Einige Forscher sehen darin eine bewusste Abgrenzung der Träger der GBK von den Schnurkeramikern[1]. Die bipolare Lage der Toten hält sich in einigen Regionen, z. B. der Unterwölblinger Gruppe Niederösterreichs bis in die Bronzezeit. Hin und wieder, jedoch nicht regelmäßig, treten auch Brandbestattungen auf. Als eine Ausnahme hat hier die Csepel-Gruppe im östlichen Randgebiet der GBK zu gelten, bei der die Verbrennung des Leichnams häufiger als die Körperbestattung praktiziert wurde.
Zu den Grabbeigaben zählen die namengebenden Glockenbecher, Dolche aus Kupfer, sogenannte Armschutzplatten und Pfeilspitzen aus Silex - diese vier Beigabenkategorien werden als "Beaker Package" bezeichnet und kommen im gesamten Verbreitungsgebiet nur in herausragenden Männergräbern vor. In seltenen Fällen werden diese Gegenstände auch noch von Goldschmuck (z. B. Amesbury Archer) oder Bernstein begleitet.
Weitere besondere, aber häufiger vorkommende Trachtbestandteile sind Knochenschmuck, etwa v-förmig durchbohrte Knochenknöpfe und Beinknebel. Auf der iberischen Halbinsel wurden diese Formen außerdem auch aus Elfenbein gefertigt. Die überwiegende Mehrheit der Gräber jedoch wurde weniger aufwendig ausgestattet. In der Anfangsphase enthalten die "gewöhnlichen" Gräber Gegenstände, v.a. Keramik der vor Ort ansässigen Kulturen, später wird diese durch die sogenannte Begleitkeramik ersetzt.
In der älteren Forschung verband man diese Kultur mit dem plan-occipitalen Steilschädel (Gerhardt), einer besonderen Schädelform, deren stärkste Verbreitung heute im Nahen Osten und auf dem Balkan liegt. Sie tritt jedoch in den Gräbern der GBK zu vereinzelt (wenn auch in Europa erstmals nachweisbar) auf und ist zudem zu unscharf definiert, als dass sich die Behauptung eines eindeutigen und populationsspezifischen Typus der GBK halten ließe.
Siedlungen und Funde
Über die Siedlungen ist bis jetzt wenig bekannt. Lediglich aus den Niederlanden, Großbritannien (z. B. Gwithian, Belle Tout), Irland (Knowth, Monknewton) und aus der Schweiz sind eindeutige Häuser belegt. In Cortaillod-Sur Les Rochettes-Est (Kt.Neuchâtel, Schweiz) wurden Überreste eines zweiphasigen Dorfes mit sieben erhaltenen Hausgrundrissen entdeckt. Ein fast vollständiger Grundriss eines Hauses konnte in Bevaix Le Bataillard (Schweiz) freigelegt werden. Die Einstufung der Funde ist am verlässlichsten über die Leittypen kammstempelverzierte Glockenbecher und Armschutzplatte zu bewerkstelligen, ansonsten sind viele der Funde über C14-Datierungen bestimmt.
Ursprung
Den Ursprung der Glockenbecherkultur suchen einige Forscher, wie E. Sangmeister, in Spanien und Portugal (Zambujal), andere in der Kontaktzone zur Schnurkeramik am Niederrhein [2]. Wieder andere verweisen auf Ungarn, den östlichen Rand des Verbreitungsgebietes, und die Vučedol-Kultur. Zumindest für die Metallgegenstände ist ein Ursprung aus iberischen Lagerstätten belegt.
Quellenangaben
- ↑ z. B. Alexander Häusler: Struktur und Evolution der Bestattungssitten im Neolithikum und in der frühen Bronzezeit Mittel- und Osteuropas. Habil.-Schrift, Halle 1991.
- ↑ Lanting, van der Waals 1976
Literatur
- Alexander von Burg: Die Glockenbecherkultur auf dem Plateau von Bevaix. Archäologie der Schweiz 25, 2002, 2. ISSN 0255-9005
- Richard J. Harrison: The Beaker Folk, Copper Age archaeology in Western Europe. Thames and Hudson, London 1980.
- Volker Heyd: Die Spätkupferzeit in Süddeutschland. in: Saarbrücker Beiträge zur Altertumskunde. Habelt, Bonn 73.2000. ISSN 0080-5181
- Volker Heyd, Ludwig Husty, Ludwig Kreiner: Siedlungen der Glockenbecherkultur in Süddeutschland und Mitteleuropa. Arbeiten zur Archäologie Süddeutschlands. Bd 17. Dr. Faustus, Büchenbach 2004. ISBN 3933474272
- J.N. Lanting, J.D. van der Waals (Hrsg.): Glockenbecher Symposion Oberried. Bussum 1974.
- Johannes Müller (Hrsg.): Vom Endneolithikum zur Frühbronzezeit. Muster sozialen Wandels? Tagung Bamberg 14. - 16. Juni 2001. Habelt, Bonn 2002. ISBN 3-7749-3138-0
- Franco Nicolis (Hrsg.): Bell Beakers Today. Pottery, people, culture and symbols in prehistoric Europe. International Colloquium Riva del Garda (Trento, Italy), 11-16 May 1998. Ufficio Beni Culturali, Trento 2001. ISBN 88-86602-43-X
- Christian Strahm (Hrsg.): Das Glockenbecher-Phänomen. Ein Seminar. Freiburger Archäologische Studien. Bd 2. Freiburg 1995. ISSN 1437-3327
- Rosa Schreiber: Die Glockenbecherkultur in Budapest. Budapest 1973.
- Otto Helmut Urban: Der lange Weg zur Geschichte. Die Urgeschichte Österreichs. Wien 2003. ISBN 3800037734
- Bärbel Metzinger-Schmitz: "Die Glockenbecherkultur in Mähren und Niederösterreich". Diss. Saarbrücken 2004. (liegt auch gedruckt vor)
Weblinks
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