Glockenbecherkultur

Glockenbecherkultur
Glockenbecherkultur
Zeitalter: Kupfersteinzeit,
in Großbritannien bis frühe Bronzezeit
Absolut: 2900 v. Chr. bis 2200 v. Chr.
bzw. bis 1800 v. Chr. (Großbritannien)
Ausdehnung
Verbreitung der Glockenbecherkultur
Verbreitungskarte nach Harrison 1980;
Unterteilung in Ostgruppe (Ungarn bis oberes Donaugebiet), Westgruppe (Rheingebiet bis Pyrenäen, Großbritannien) und Südgruppe (Iber. Halbinsel, Mittelmeer)
Leitformen

Glockenbecher, Armschutzplatte, Griffzungendolch aus Kupfer, V-förmig durchbohrter Beinknopf, verzierter Eberhauer, Begleitkeramik

Als Glockenbecherkultur wird eine endneolithische Kultur bezeichnet, die in Süd-, West- und Mitteleuropa (im Osten bis nach Ungarn) ab 2600 v. Chr. aufkommt, etwa bis 2200 v. Chr. andauert und nur in Großbritannien bis ca. 1800 v. Chr. besteht. Sie stellt in diesen Regionen Europas eine Kultur am Übergang von der Jungsteinzeit zur Bronzezeit dar.

Inhaltsverzeichnis

Forschungsgeschichte

1900 verwendete der damals in Mainz arbeitende Prähistoriker Paul Reinecke den Ausdruck Glockenbecher (Gefäße mit flachem Standboden und S-förmigen Profil, meist flächendeckend verziert), den zuvor schon italienisch- und tschechischsprachige Prähistoriker benutzt hatten, und führte ihn in die deutsche Terminologie ein.

Die Einstufung der Glockenbecherkultur (GBK) als eigenständige archäologische Kultur ist strittig (s. Forschungsgeschichte). Gordon Childe sah die Glockenbecherleute als Missionare, die sich, von Spanien kommend, über den atlantischen Rand Europas ausbreiteten und die Kenntnis der Kupfermetallurgie mit sich brachten. Dass es sich bei der typischen Glockenbecherausstattung um die Prestigegüter einer neuen Oberschicht handelt, ist eine Meinung, die vor allem von Stephen Shennan (UCL) vertreten wird. Christian Strahm (Freiburg) prägte den Begriff "Glockenbecherphänomen", um den Ausdruck "Kultur" zu vermeiden.

Verbreitung

Ihre Verbreitung umfasste Mittel-, West- und Südwesteuropa. Glockenbecherfunde gibt es von der Tschechischen Republik, Österreich und Ungarn bis nach Großbritannien und Irland, Frankreich (evtl. auch Korsika), Italien (auch auf Sardinien und Sizilien) und der Iberischen Halbinsel (incl. der Balearen), vereinzelt auch in Marokko.

Bestattungsform

Glockenbecher aus Goch, Museum Burg Linn, Krefeld

Typisch für das Totenritual der GBK sind Einzelbestattungen in Erdgräbern oder in Steinkisten. In einigen Fällen lässt sich deren ehemalige Überhügelung rekonstruieren. Im westlichen Verbreitungsgebiet kommen häufig Nachbestattungen in Megalithanlagen und Beisetzungen in Höhlen vor - mitunter, auch an die vorherigen megalithischen Traditionen angepasst, als Mehrfachbestattung. In der Westschweiz wurde beobachtet, dass sich die Gräber der Glockenbecherkultur besonders häufig im Umfeld von Menhiren und Steinreihen fanden.

Die Toten wurden als Hocker in geschlechtsspezifischer Orientierung und Seitenlage beigesetzt:

  • weibliche Individuen mit dem Kopf im Süden, Füße im Norden, die Extremitäten nach rechts gewandt
  • männliche Individuen mit Kopf im Norden, Füße im Süden, nach links gewandt.

Beide Geschlechter wurden demnach mit dem "Blick" nach Osten bestattet. Diese Art der strikten geschlechtlich bipolaren Bettung erinnert an das Totenritual der zum Teil zeitgleichen Schnurkeramik, steht aber in seiner Ausführung in augenfälligem Gegensatz dazu - die Hauptorientierungsachse der Glockenbecherkultur ist Nord-Süd, nach Osten gewandt, die der Schnurkeramik jedoch Ost-West, nach Süden gewandt. Einige Forscher sehen darin eine bewusste Abgrenzung der Träger der GBK von den Schnurkeramikern[1]. Die bipolare Lage der Toten hält sich in einigen Regionen, z. B. der Unterwölblinger Gruppe Niederösterreichs bis in die Bronzezeit. Hin und wieder, jedoch nicht regelmäßig, treten auch Brandbestattungen auf. Als eine Ausnahme hat hier die Csepel-Gruppe im östlichen Randgebiet der GBK zu gelten, bei der die Verbrennung des Leichnams häufiger als die Körperbestattung praktiziert wurde.

In der älteren Forschung verband man diese Kultur mit dem plan-occipitalen Steilschädel (Gerhardt), einer besonderen Schädelform, deren stärkste Verbreitung heute im Nahen Osten und auf dem Balkan liegt. Sie tritt jedoch in den Gräbern der GBK zu vereinzelt (wenn auch in Europa erstmals nachweisbar) auf und ist zudem zu unscharf definiert, als dass sich die Behauptung eines eindeutigen und populationsspezifischen Typus der GBK halten ließe.

Grabbeigaben

Zwei Glockenbecher aus der Frühphase der Kultur

Zu den Grabbeigaben zählen die namengebenden Glockenbecher, Dolche aus Kupfer, sogenannte Armschutzplatten und Pfeilspitzen aus Silex - diese vier Beigabenkategorien werden als "Beaker Package" bezeichnet und kommen im gesamten Verbreitungsgebiet nur in herausragenden Männergräbern vor. In seltenen Fällen werden diese Gegenstände auch noch von Goldschmuck (z. B. Amesbury Archer) oder Bernstein begleitet. Nur 6% der Gräber weisen eine Kombination aus Dolch und Armschutzplatte auf, ein Hinweis auf eine kleine Oberschicht und damit für eine beginnende soziale Differenzierung.[2]

Weitere besondere, aber häufiger vorkommende Trachtbestandteile aus Knochen-, seltener aus Tierzähnen gefertigt sind uns ebenfalls aus Gräbern bekannt. So kommen hütchengestaltige, v-förmig durchbohrte Knöpfe in Frauenbestattungen und Knebel, die als Anhänger oder Gewandschließen interpretiert werden, in Männerbestattungen vor. Auf der iberischen Halbinsel wurden diese Formen außerdem auch aus Elfenbein gefertigt. Die überwiegende Mehrheit der Gräber jedoch wurde weniger aufwendig ausgestattet. In der Anfangsphase enthalten die "gewöhnlichen" Gräber v. a. Keramikgefäße der vor Ort ansässigen Kulturen, später wird diese durch eigene Formen, die sogenannte Begleitkeramik, ersetzt.

Obwohl Bogen und Pfeile häufige Grabausstattung der Männer waren, sind meist keinerlei organische Reste, sondern nur noch die Pfeilspitzen aus Feuerstein sowie steinerne Armschutzplatten erhalten. In mehreren Gräbern Bayerns und Böhmens wurden außerdem Pfeilschaftglätter aus Sandstein gefunden.[3][4]

Siedlungen und Funde

Über die Siedlungen ist bis jetzt wenig bekannt. Lediglich aus den Niederlanden, Großbritannien (z.  B. Gwithian, Belle Tout), Irland (Knowth, Monknewton) und aus der Schweiz sind eindeutige Häuser belegt. In Cortaillod-Sur Les Rochettes-Est (Kt. Neuchâtel, Schweiz) wurden Überreste eines zweiphasigen Dorfes mit sieben erhaltenen Hausgrundrissen entdeckt. Ein fast vollständiger Grundriss eines Hauses konnte in Bevaix Le Bataillard (Schweiz) freigelegt werden. Die Einstufung der Funde ist am verlässlichsten über die Leittypen kammstempelverzierter Glockenbecher und Armschutzplatten zu bewerkstelligen. Viele der Funde wurden über C14-Datierungen bestimmt.[5] Für den jüngeren Horizont der Glockenbecherkultur wird davon ausgegangen, dass es in Europa domestizierte Pferde gegeben hat.[6] Im übrigen lässt sich über die Viehhaltung und Jagd der Glockenbecherleute in Deutschland angesichts der Quellenlage fast nichts sagen. Daher gilt die Siedlung von Nähermemmingen bei Nördlingen als Ausnahme: die meisten Knochen stammen dort vom Rind, danach folgen Schaf/Ziege und Schwein, Wildtiere fehlen: "was zu einem Jägervolke, als das man die Glockenbecherleute bezeichnet hat, nicht passen will".[7] Der Befund passt dagegen zum böhmischen Inventar aus Holubice mit 99,8% Haustieren, davon 72% Rind, 14% Schwein, 12% Ovicapriden und einige Hundeknochen.[8]

Ursprung

Den Ursprung der Glockenbecherkultur suchen einige Forscher, wie E. Sangmeister, in Spanien und Portugal (Zambujal), andere in der Kontaktzone zur Schnurkeramik am Niederrhein.[9] Wieder andere verweisen auf Ungarn, den östlichen Rand des Verbreitungsgebietes, und die Vučedol-Kultur. Zumindest für die Metallgegenstände ist ein Ursprung aus iberischen Lagerstätten belegt.

Literatur

  • Alexander von Burg: Die Glockenbecherkultur auf dem Plateau von Bevaix. Archäologie der Schweiz 25, 2002, 2. ISSN 0255-9005
  • Richard J. Harrison: The Beaker Folk, Copper Age archaeology in Western Europe. Thames and Hudson, London 1980.
  • Volker Heyd: Die Spätkupferzeit in Süddeutschland. in: Saarbrücker Beiträge zur Altertumskunde 73. Habelt, Bonn 2000. ISSN 0080-5181
  • Volker Heyd, Ludwig Husty, Ludwig Kreiner: Siedlungen der Glockenbecherkultur in Süddeutschland und Mitteleuropa. Arbeiten zur Archäologie Süddeutschlands. Bd 17. Dr. Faustus, Büchenbach 2004. ISBN 3-933474-27-2
  • J. N. Lanting, J. D. van der Waals (Hrsg.): Glockenbecher Symposion Oberried. Bussum 1974.
  • Johannes Müller (Hrsg.): Vom Endneolithikum zur Frühbronzezeit. Muster sozialen Wandels? Tagung Bamberg 14. - 16. Juni 2001. Habelt, Bonn 2002. ISBN 3-7749-3138-0
  • Franco Nicolis (Hrsg.): Bell Beakers Today. Pottery, people, culture and symbols in prehistoric Europe. International Colloquium Riva del Garda (Trento, Italy), 11-16 May 1998. Ufficio Beni Culturali, Trento 2001. ISBN 88-86602-43-X
  • Christian Strahm (Hrsg.): Das Glockenbecher-Phänomen. Ein Seminar. Freiburger Archäologische Studien. Bd 2. Freiburg 1995. ISSN 1437-3327
  • Rosa Schreiber: Die Glockenbecherkultur in Budapest. Budapest 1973.
  • Otto Helmut Urban: Der lange Weg zur Geschichte. Die Urgeschichte Österreichs. Wien 2003. ISBN 3-8000-3773-4
  • Bärbel Metzinger-Schmitz: "Die Glockenbecherkultur in Mähren und Niederösterreich". Diss. Saarbrücken 2004. (liegt auch gedruckt vor)

Weblinks

 Commons: Glockenbecherkultur – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Z. B. Alexander Häusler: Struktur und Evolution der Bestattungssitten im Neolithikum und in der frühen Bronzezeit Mittel- und Osteuropas. Habil.-Schrift, Halle 1991.
  2. Almut Bick: Die Steinzeit. Theiss WissenKompakt, Stuttgart 2006. ISBN 3-8062-1996-6
  3. Tobias Bosch: Archäologische Untersuchungen zur Frage von Sozialstrukturen in der Ostgruppe des Glockenbecherphänomens anhand des Fundgutes. Dissertation, Universität Regensburg, 2009 (PDF)
  4. Sensationsfund in Barbing (Mittelbayerische, vom 14. Juni 2010)
  5. J. N. Lanting, W. G. Mook, J. D. van der Waals: C14 chronology and the Beaker problem. Helinium, 13, S. 38-58, 1973
  6. Hans-Peter Uerpmann: Die Domestikation des Pferdes im Chalkolithikum West-und Mitteleuropas. Madrider Mitteilungen, 31, S. 110–153, 1990
  7. Ernst Frickhinger: Die Glockenbechersiedlung und der frühbronzezeitliche Hockerfriedhof bei Nähermemmingen, Bez.-Amt Nördlingen. Mannus, 31, S. 467-484, 1939, S. 470 f.
  8. L. Peške: Osteologické nálezy kultury zvoncovitých pohárů z Holubic a poznámky k zápřahu skotu v eneolitu (Bone finds of Bell Beaker culture from the site of Holubice and notes on the harnessing of cattle in the Aeneolitic). Arch. rozhledy, 37, S. 428-440, 1985, Tab. 1
  9. J. N. Lanting, J. D. van der Waals: Beaker culture relations in the Lower Rhine Basin. In: Lanting et al. (Hrsg.): Glockenbechersymposion Oberried. Uniehoek n. v., Bussum-Haarlem 1974

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