Große Erwartungen

Große Erwartungen

Große Erwartungen (englisch Great Expectations) ist ein Roman von Charles Dickens, der zuerst in der Zeitschrift All the Year Round im Zeitraum vom 1. Dezember 1860 bis August 1861 veröffentlicht wurde. Er gilt als einer von Dickens' künstlerisch vollendetsten Romanen. Great Expectations ist ein Bildungsroman. Er erzählt die Geschichte des Waisen Philip Pirrip (genannt Pip) von früher Kindheit bis ins frühe Erwachsenenalter und seine Versuche, ein Gentleman zu werden.

Inhaltsverzeichnis

Handlung

Die Handlung umfasst die Zeit von 1812 (Dickens’ Geburtsjahr) bis 1840. Der kleine Junge Pip, Vollwaise, lebt im öden, nebligen Marschland. Um seine Erziehung kümmern sich seine ältere Schwester und ihr Mann, der Dorfschmied Joe Gargery. Die Familie lebt in bescheidenen Verhältnissen. Auf einem Friedhof begegnet Pip dem geflohenen Zuchthäusler Magwitch. Er hilft ihm, sich von seinen Ketten zu befreien, und verschafft ihm Nahrung. Pip lernt schließlich eine ihm unbekannte Welt kennen, als er der exzentrischen Miss Havisham und ihrer Pflegetochter Estella vorgestellt wird. Nachdem Miss Havisham am Hochzeitstag von ihrem Bräutigam verlassen wurde, hat sie der Männerwelt Rache geschworen und Estella zu einem lieblosen Wesen erzogen, das an ihrer Stelle Vergeltung am männlichen Geschlecht üben soll. Pip verliebt sich nichtsahnend in Estella und träumt davon, selbst ein Gentleman zu sein.

Im zweiten Drittel des Buchs lebt Pip in London und ist vor allem mit Geldausgeben beschäftigt – ein unbekannter Wohltäter hat ihm eine vornehme Erziehung bezahlt und ein großes Vermögen in Aussicht gestellt. Er bricht mit den schlichten Verwandten und führt das Leben eines Snobs. Im letzten Drittel des Romans kehrt Pips Gönner – eben jener Zuchthäusler, dem er einst geholfen hatte – illegal aus der Deportation nach Australien zurück, wo er reich geworden ist. Nicht nur das Geheimnis um den unbekannten Wohltäter Magwitch, der von dem Gentleman Compeyson zum Verbrechen angestiftet wurde, wird nun gelüftet, sondern auch mehrere in der Vorgeschichte geschilderte Verbrechen werden aufgeklärt sowie komplizierte Beziehungen zwischen einigen Haupt- und Nebenfiguren beleuchtet. So erfährt Pip, dass Estella, die mittlerweile einen brutalen Nichtsnutz geheiratet hat, Magwitchs Tochter ist. Pip versucht Magwitch bei der Flucht ins Ausland zu helfen, was aber misslingt. Magwitch, der zum Tode verurteilt wird, stirbt in Pips Gegenwart an den Folgen seines Fluchtversuchs. Sein Vermögen wird eingezogen, und damit enden die großen Erwartungen Pips. Fortan verdient er sein Geld im Ausland als Mitarbeiter in Herberts Handelsunternehmen, welches er anfangs geheim mit seinen eigenen Mitteln unterstützt hatte. Als er nach Jahren wieder in Joe Gargerys Schmiede zurückkehrt, finden Estella, die inzwischen verwitwet ist, und Pip schließlich zusammen.

Alternatives Ende

Ursprünglich hatte Dickens keineswegs geplant, dass Pip und Estella zusammenfinden. Die Liebe zu Estella, welche der Grund für die Wirrungen des Protagonisten sind, sollte keine Erfüllung finden. In der Erstfassung begegnen sich beide kurz, und das Buch endet mit Pips Satz:

„Später war ich sehr froh über diese Unterhaltung, denn ihr Antlitz, ihre Stimme und ihre Berührung gaben mir Gewißheit, dass das Leiden stärker gewesen war als Miss Havishams Lehren und dass es ihr ein Herz geschenkt hatte, das sie verstehen ließ, wie es in meinem Herzen aussah.“

Der Dichter und Politiker Edward Bulwer Lytton, ein Freund Dickens, habe ihm „gute Gründe“ geliefert und ihn überzeugt, dass der Roman durch ein Happy End „akzeptabler“ werde.[1]

Rezeption

Dickens veröffentlichte Große Erwartungen in dem von ihm selbst herausgegebenen Magazin All the Year Round, um dessen schlechte Verkaufszahlen zu verbessern, was ihm zunächst auch gelang. Er hatte nach eigenen Angaben auf Leserstimmen reagiert, die im vorgeworfen hatten, seine jüngsten Romane seien zu ernsthaft und humorlos gewesen, und sich für einen in seinen Worten „tragikomischen“ Ansatz entschieden. Beim Publikum war der Roman erfolgreich, von der zeitgenössischen Kritik wurde er jedoch zunächst weitgehend übergangen. Um die Jahrhundertwende zählte er zu Dickens' am wenigsten beachteten Werken. Erst im 20. Jahrhundert gewann er seine heute große Popularität. Neben zahllosen Übersetzungen in andere Sprachen kursieren gekürzte Fassungen und Nacherzählungen; er wurde über 200 mal verfilmt, dramatisiert sowie als Hörspiel oder Comic adaptiert. Seine Hauptfiguren sind heute im englischsprachigen Raum auch Nicht-Lesern weithin bekannt. Spätere Rezensenten lobten besonders die Komposition und Stringenz der Handlung und die Figurencharakterisierung. In dieser Hinsicht wurde er als Dickens' reifstes Werk wahrgenommen; Ludwig Borinski verortete ihn schon am Übergang der viktorianischen Literatur, der Dickens gewöhnlich zugerechnet wird, zur Moderne. In der Literaturwissenschaft ist der Roman ausgiebig erforscht. Viele Ansätze sind dabei psychoanalytisch oder soziologisch orientiert, aber auch Strukturalisten und Poststrukturalisten haben sich noch mit Große Erwartungen beschäftigt. Ein wiederkehrender Streitpunkt bei Verlegern des Romans war die Frage, welche der beiden Endungen vorzuziehen ist. George Bernard Shaw entschied sich 1937 erstmals dafür, den Roman mit seinem ursprünglichen Ende zu veröffentlichen, dem er den Vorzug gab. Seit dieser Zeit ist es bei Neuauflagen die Regel, dieses Ende zumindest als Anhang hinzuzufügen.[2]

Verfilmungen

  • Des Sträflings Lösegeld (1934) von Stuart Walker
  • Geheimnisvolle Erbschaft (1946) von David Lean
  • Die großen Erwartungen (1974) von Joseph Hardy
  • Große Erwartungen (Film) (1998) von Alfonso Cuarón
  • Great Expectations (1999) von Julian Jarrold

Darüber hinaus gibt es eine Folge der amerikanischen Fernsehserie Southpark, Große Erwartungen, die die Handlung des Romans humorvoll grob wiedergibt und dabei die Art und Weise parodiert, wie typischerweise in der Filmbranche Romanvorlagen verdreht werden um dem Kinopublikum besser zu gefallen.

Einzelnachweise

  1. Nachwort und Anmerkungen von Ulrike Jung-Grell in Dickens: "Große Erwartungen", Reclam 2008
  2. Roger D. Sell: Introduction, in ders. (Hrsg.): Great Expectations, Macmillan: London (1994), S. 2ff.

Literatur

Weblinks


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