Gruschka

Gruschka

Andreas Gruschka (* 1950) ist ein deutscher Pädagoge.

Prof. Dr. Andreas Gruschka studierte Pädagogik, Philosophie, Psychologie und Soziologie in Münster und arbeitete mit Herwig Blankertz an der Evaluation der Kollegschule (s. Berufskolleg) in Nordrhein-Westfalen. In dieser Funktion kooperierte er mit vielen Kollegen und Kollegien an den Kollegschulen des Landes, ohne die eine Innovation des berufsbildenden Schulwesen in NRW nicht in dieser Form möglich gewesen wäre - zum Beispiel in "überregionalen Fachgruppen" (ÜFG), die regelmäßig tagten und arbeiteten (meistens in Soest; Landesinstitut für Schule und Weiterbildung). Dieses Projekt Kollegschule (siehe Berufskolleg) war eines der am breitesten fundierten Reformprojekte in der deutschen Bildungslandschaft nach dem 2. Weltkrieg - gleichzeitig aber auch einer der demokratischsten Innovationen der Kultusbürokratie, da sie von vielen Kollegen aus ganz NRW getragen und regelmäßig mit vielen Schulen abgestimmt wurde.

Ab 1994 war Gruschka Professor an der Universität-Gesamthochschule Essen, ab 2000 an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main.

Inhaltsverzeichnis

Arbeitsschwerpunkte

Gruschka hat zusammen mit Kollegen das Institut für Pädagogik und Gesellschaft e.V. gegründet, das unter seiner Mitwirkung seit 1987 die Fachzeitschrift Pädagogische Korrespondenz herausgibt, die zweimal im Jahr erscheint.

Gruschka war zusammen mit Ex-VW-Vorstand Daniel Goeudevert Spiritus Rector und Gesellschafter der C.A.M.P.U.S. Projektgesellschaft in Dortmund, die mit Unterstützung der EU, des Landes NRW und der Stadt Dortmund auf einer Konversionsfläche in Dortmund eine private Hochschule für Manager einrichten wollte. Das Projekt wurde im Jahre 1999 eingestellt, nachdem mit der privaten Wirtschaft kein gemeinsamer Förderplan aufgestellt werden konnte.

Bekannt geworden ist Gruschka vor allem durch zwei paradigmatische Werke, die erstens einen wesentlichen Impuls in die Kritische Erziehungswissenschaft gaben, und dadurch zweitens programmatisch für umfangreiche Forschungsarbeiten wurden. Erstens begründete Gruschka mit seinem gleichnamigen Hauptwerk die "Negative Pädagogik". Diese geht in der Folge der "Negativen Dialektik" von Theodor W. Adorno davon aus, dass die Normsetzung, welche pädagogisches Handeln legitimieren und anleiten soll, notwendig durch die Funktionen, die Pädagogik hierfür entwickeln muss, unterwandert werde. Der normative Anspruch an Mündigkeit und Emanzipation wird systematisch negiert durch eine Praxis, die gerade die Einlösung der Norm verweigert und somit dem Misslingen geweiht ist. Pädagogik könne somit theoretisch nicht mehr zur Anleitung einer Praxis beitragen, ohne sich gegenüber dem Zögling des Verstoßes gegen dessen Anspruch an Mündigkeit und Emanzipation schuldig zu machen. Seit der "Negativen Pädagogik" wird somit emanzipatorisch und systematisch der unauflösbare Widerspruch von Norm und Funktion in der Pädagogik thematisiert.

Die moralpsychologische Verlängerung des Widerspruchsthemas hat Gruschka gleichsam für die sog. "Kältestudien" programmatisch vorgelegt in seiner umfassenden Studie "Bürgerliche Kälte und Pädagogik. Moral in Gesellschaft und Erziehung". In dieser bearbeitet er die Frage, wie sowohl Erzieher als auch Edukand vor sich und dem anderen die Praxis des Misslingens rechtfertigen und in ihr leben können. Er geht diese Frage mit einer Übersetzung der Kategorie der "bürgerlichen Kälte" aus der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule in die Pädagogik an: Indem im bürgerlichen Zeitalter - so die Perspektive der frühen Kritischen Theorie von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno - das Interesse an Emanzipation aus allen Herrschaftsbedingungen normativ zugrunde gelegt ist, aber zugleich es im gesellschaftshistorischen Vollzug nur über die systematische Reproduktion von Herrschaft auch im Sinne öffentlich legitimierter Ungleichheit realisiert werden kann, zwingt diese Antinomie die Menschen zur Unterwerfung unter einen nicht auflösbaren Widerspruch. Dieser durchwandert alle Gesellschaftsfunktionen und schweißt sie zusammen zum Ganzen der Gesellschaft.

Die Perspektive sowohl der Kritischen Theorie der Gesellschaft, als auch die der Kritischen Theorie der Pädagogik, ist diese, dass die Menschen "kalt" werden müssen, um in der Gesellschaft bestehen zu können: Sie müssen teilnahmslos werden gegenüber der Ungerechtigkeit, die sie eigentlich selbst nicht hinnehmen können, sie aber zugleich nicht ändern können.

In "Bürgerliche Kälte und Pädagogik" entwickelt Gruschka die Kategorien zur Untersuchung des Anteils, den Pädagogik an der Reproduktion der Kälte hat, wodurch er einen Ansatz zur empirischen Untersuchung im Bereich der Erziehungswissenschaft vorlegt, der das moralische Urteil innerhalb von Bedingungen fokussiert, die den Zweck moralischen Urteilens selbst negieren. In den im Anschluss an das Buch unternommenen "Kältestudien" wurde umfangreich in Feldstudien der Umschlag von Protest in Teilnahmslosigkeit sowohl auf Seiten der Erzieher als auch auf Seiten der Zöglinge dokumentiert, die der Theorie Gruschkas folgend im Bereich gesellschaftlicher Erziehung dillemmatische Bedingungen vorfinden, die sie zwingen, an ihnen kalt zu werden.

Reflexionsmethoden nach Gruschka

Gruschka hat eine Reflexionsmethode entwickelt "Aus Geschichten Lernen", die hilfreich bei Reflexionen von Praxisgeschichten sein kann. Mit dieser Methode kann man das Verhalten von Kindern oder bestimmte Situationen im Erzieherbereich reflektieren, um aus Fehlern zu lernen, Handlungsalternativen kennenzulernen, das Verhalten von Kindern zu erklären und sich in anderen Situationen sicherer und wohler zu fühlen.

Diese Methode besteht auch sechs Schritten, die Gruschka erarbeitet hat.

1) Welches Motiv hatte die Erzählerin/der Erzähler die Geschichte zu erzählen?

2) Welche Kompetenzen zeigt die Erzählerin?

Positive Fähigkeiten der Erzieherin, die im Handeln und Reflektieren deutlich werden.

3) Welche übergreifende Zielsetzung verfolgte die Erzieherin?

Welche(s) Ziel war für die Erzieherin das Wesentlichste, das Wichtigste, und welche Methode hat sie angewandt, um dieses Ziel zu erreichen?

4) Welche Handlungsalternativen hätte es noch gegeben?

Wie hätten Sie in dieser Situation noch erfolgreicher das angestrebte Ziel erreichen können?

5) Welche alternativen Ziele des Handelns wären noch möglich gewesen?

Andere pädagogische Zielsetzungen, die die Erzieherin auch (noch) hätte verfolgen können?

6) Verallgemeinerung des Themas

Wie kann man sich das Verhalten des Kindes bzw. die Situation anhand von (verschieden) Fachtheorien (Freud, Erikson, Piaget, Goffman etc.) erklären? Was lässt sich Allgemeingültiges für die Praxis ableiten und lernen? Welche Erkenntnisse lassen sich formulieren?

Weiterhin spielt(e) die fortwährende Reflexion pädagogischen Handelns in seinem Konzept eine bedeutende Rolle - genannt: die Reflexion von "Handlungsweisen", die insbesondere innerhalb der Erzieherinnen-Ausbildung an Kollegschulen (Berufskolleg in NRW) der letzten Jahrzehnte entwickelt und differenziert wurde. Initiator war Andreas Gruschka. Die Aspekte der Reflexion sind:

  • 1. Warum ist Ihnen gerade dieses Handeln des Adressaten aufgefallen (Wahrnehmung)?
  • 2.Wie bewerten Sie das Wahrgenommene (Bewertung)? Welche Bedeutung messen Sie Ihrer Wahrnehmung bei?Finden Sie das Handeln des Kindes angemessen/ nicht angemessen? Welche Bedeutung hat für Sie die Beziehung zum Adressaten? Stimmt das Wahrgenommene mit den eigenen Wertvorstellungen überein/ nicht überein?
  • 3.Was Könnte das Kind/den Jugendlichen veranlasst haben, so zu handeln (Handlungsplanung)? Sehen Sie Zusammenhänge zu seiner bisherigen Situation? Haben Sie schon einmal ähnliche Erfahrungen gemacht? Können Sie theoretische Hintergründe für das Handeln heranziehen?
  • 4.Begründen Sie Ihre Reaktion auf das des Adressaten (Handlung)? Erläutern Sie z. B. Absichten und Ziele.
  • 5.Was hat Ihre Reaktion erbracht? Welchen Effekt hatte es auf den Adressaten (Effekte meines Handelns)?
  • 6.Würden Sie in einer vergleichbaren Situation zukünftig wieder ähnlich oder anders handeln? Versuchen Sie eine Begründung.
  • 7.Können Sie darlegen, was in Ihrem Handeln als typisch für Sie gelten könnte (Orientierungsmuster)? Wäre längerfristig eine Intensivierung oder Differenzierung bzw. eine Veränderung dieses Ihres Verhaltensmusters sinnvoll und denkbar? (in: "Praktikantinnenbetreuung", S. 119 - 147; in: Zimmermann-Kogel: Praxisbuch Sozialpädagogik, Band 1, Troisdorf 2005, ISBN 3-427-75409-X)

Veröffentlichungen

Werke

  • Andreas Gruschka, Wie Schüler Erzieher werden. Studie zur Kompetenzentwicklung und fachlichen Iden­ti­täts­bildung in einem doppeltqualifizierenden Bildungsgang des Kollegschulversuchs NW, Wetzlar 1985.
  • Andreas Gruschka, Negative Pädagogik. Einführung in die Pädagogik mit Kritischer Theorie, Wetz­lar 1988.
  • Andreas Gruschka, Bürgerliche Kälte und Pädagogik. Moral in Gesellschaft und Erziehung, Wetzlar 1994.
  • Andreas Gruschka, Bestimmte Unbestimmtheit. Chardins pädagogische Lektionen, Wetzlar 1999.
  • Andreas Gruschka, Didaktik – Das Kreuz mit der Vermittlung. Elf Einsprüche gegen den didaktischen Betrieb, Wetzlar 2002.
  • Andreas Gruschka, Entdeckt aber nicht erobert. Paolo Veronese malt Kinder und Jugendliche, Wetzlar 2003.
  • Andreas Gruschka, Auf dem Weg zu einer Theorie des Unterrichtens. Die widersprüchliche Einheit von Erziehung, Didaktik und Bildung in der allgemeinbildenden Schule. Vorstudie. Frankfurter Beiträge zur Erziehungswissenschaft, Forschungsberichte, Bd. 5. Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt/Main 2005.

Aufsätze

Editionen

  • Andreas Gruschka (Hg.), Ein Schulversuch wird überprüft. Das Evaluationsdesign für Kollegstufe NW als Konzept handlungsorientierter Begleitforschung, Kronberg 1976.
  • Andreas Gruschka (Hg.), Wozu Pädagogik? Die Zukunft bürgerlicher Mündigkeit und öffentlicher Erziehung, Darmstadt 1996.
  • Andreas Gruschka / Ulrich Oevermann (Hg.), Die Lebendigkeit der kritischen Gesellschaftstheorie. Dokumentation der Arbeitstagung aus Anlass des 100. Geburtstages von Theodor W. Adorno, Wetzlar 2004. ISBN 978-3-88178-324-8.

Weblinks


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