Kritische Erziehungswissenschaft

Kritische Erziehungswissenschaft

Als Kritische Erziehungswissenschaft wird eine in den 1960er Jahren entstandene Richtung erziehungswissenschaftlicher Theoriebildung bezeichnet. Das Wissenschaftsverständnis dieser Strömung geht zurück auf die Denkrichtung der Kritischen Theorie.[1] Sie ist gegen die ältere Geisteswissenschaftliche Pädagogik entstanden und grenzt sich auch von der empirischen Erziehungswissenschaft ab. Zentral für ihr Verständnis von Erziehung ist das emanzipatorische Interesse an größerer Selbstbestimmung.

Inhaltsverzeichnis

Erziehung im Kontext der Kritischen Theorie

Nach dem Anspruch der Kritischen Erziehungswissenschaft soll Erziehung so erfolgen, dass mündige und kritische Subjekte gebildet würden, die auch die Gesellschaft nach emanzipatorischen Gesichtspunkten umgestalten können.[2] Individuelle „Mündigkeit“ richtet sich somit auf die Gesellschaft als ganze. In den 1970er Jahren vollzog die Kritische Erziehungswissenschaft die Wendung des maßgeblichen Philosophen Jürgen Habermas zur Diskurstheorie mit: Pädagogische Ziele müssen im gesellschaftlichen Diskurs bestimmt werden, so bei Klaus Mollenhauer und dem späteren Wolfgang Klafki. In Anlehnung an Claus Offe wird Erziehung zwar in Abhängigkeit von wirtschaftlich-politischen Verhältnissen gesehen, doch ihr auch eine relative Autonomie zugestanden. Insbesondere bei Klafki wird die Didaktik als „kritisch-konstruktive Didaktik“ in einer praktischen Handlungsebene bestimmt. Ein anderer Impuls hat in der Bildungsgeschichte die Wendung von der Ideengeschichte zur Sozialgeschichte der Erziehung gefördert. Über die Rezeption des Symbolischen Interaktionismus wurde die qualitative Sozialforschung in der Pädagogik wiederbelebt. Allerdings verebbte die Anziehungskraft der Kritischen Erziehungswissenschaft mit der nachlassenden Faszination von Theorien zur Gesellschaftsveränderung seit den 1980er Jahren.[3] Die „empirische Wende“ der Pädagogik wurde u. a. getragen von der Kritik an der fehlenden Präzision der Begrifflichkeiten in der Kritischen Erziehungswissenschaft.

Seitdem die empirische Pädagogik vor allem durch die großen Bildungstests wie TIMSS oder die PISA-Studien in den Vordergrund getreten ist, weisen Vertreter der Kritischen Erziehungswissenschaft auf die Blindstellen dieser Betrachtung von Bildung und Erziehung hin: z. B. Horst Rumpf.

Vertreter der Kritischen Erziehungswissenschaft

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Koller, Hans-Christoph: Grundbegriffe, Theorien und Methoden der Erziehungswissenschaft. Stuttgart 2004, S. 227. ISBN 978-3-17-019604-9
  2. http://neibecker.wiwi.uni-karlsruhe.de/breiter/fertig/chemnitz/kapit1.htm
  3. Heinz-Hermann Krüger: Theorien der Erziehungs- und Bildungswissenschaft, in: H.Faulstich-Wiegand/P. Faulstick: Erziehungswissenschaft. Ein Grundkurs. rororo Reinbek, 2008, S. 248-252.

Literatur

  • Theodor W. Adorno: Erziehung zur Mündigkeit, Suhrkamp, Frankfurt/Main 1971
  • Armin Bernhard, Lutz Rothermel (Hrsg.): Handbuch Kritische Pädagogik. Beltz UTB, Weinheim und Basel 2001, 2. Auflage. ISBN 3-8252-8214-7
  • Herwig Blankertz: Die Geschichte der Pädagogik. Von der Aufklärung bis zur Gegenwart, Wetzlar: Büchse der Pandora 1982 ISBN 3-88178-055-6
  • Andreas Gruschka: Negative Pädagogik. Eine Einführung in die Pädagogik mit Kritischer Theorie. Büchse der Pandora, Wetzlar 1988, ISBN 978-3-88178-076-6
  • Andreas Gruschka / Ulrich Oevermann (Hrsg.): Die Lebendigkeit der kritischen Gesellschaftstheorie. Dokumentation der Arbeitstagung aus Anlass des 100. Geburtstages von Theodor W. Adorno. Büchse der Pandora, Wetzlar 2004, ISBN 978-3-88178-324-8
  • Wolfgang Klafki: Kritisch-konstruktive Pädagogik. Herkunft und Zukunft. In: Eierdanz, Jürgen/Kremer, Armin (Hg.): Weder erwartet noch gewollt – Kritische Erziehungswissenschaft und Pädagogik in der Bundesrepublik Deutschland zur Zeit des Kalten Krieges. Baltmannsweiler 2000, S. 152–178.

Fachzeitschriften

  • Pädagogische Korrespondenz. Zeitschrift für kritische Zeitdiagnostik in Pädagogik und Gesellschaft. Wetzlar: Büchse der Pandora Verl. ISSN 0933-6389

Weblinks


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