Gusseisen-Architektur

Gusseisen-Architektur

Eisen-Architektur, auch Gusseisenarchitektur oder mit dem engl. Begriff Cast-Iron-Architektur ist ein Architekturstil, bei dem das Baumaterial Gusseisen eine strukturelle Rolle spielt. Der Stil entwickelte sich in der Zeit der Industriellen Revolution, als Gusseisen bezahlbar massengefertigt wurde, während moderne Stahlerzeugungsverfahren noch nicht entwickelt waren.

Inhaltsverzeichnis

Konstruktiver Gebrauch

The Iron Bridge über die Severn Gorge, Mittelengland, die erste Eisenbrücke, 1779-81
Tay-Bridge-Desaster, 1879

Gusseisen war schon seit Jahrhunderten in Gebrauch, bisweilen auch in der Architektur der Prä-Moderne. Im besonderen Maße bedienten sich die Erbauer einiger Tempel in China der Vorteile seiner Druckfestigkeit und vielseitigen Formbarkeit. Erst im 18. Jahrhundert wurde in Großbritannien – bedingt durch neue Verkokungsmethoden und dadurch neue Herstellungsverfahren – die Produktion von Gusseisen in solchen Mengen und günstig vorangetrieben, dass man genügend Material im Bauwesen einsetzen konnte, um größere Gebäude zu errichten. Eines der ersten Projekte, heute Weltkulturerbe[1], war The Iron Bridge in Shropshire, ein Beispielsfall für eine Tragstruktur, die beinahe nur aus Gusseisen bestand. Allerdings war die Brücke, die den Transport des Gusseisens aus der Eisenhütte gewährleisten sollte, auch weit überdimensioniert (die Stahlteile wogen insgesamt 380 Tonnen[2], und die Bauherren (vor allem Abraham Darby III) erlitten finanzielle Einbußen. Die Qualität des verwendeten Eisens ist nicht hoch, und in der heutigen Konstruktion sind mehr als 80 Risse deutlich zu sehen. Später verbesserten Ingenieure wie Thomas Telford sowohl Konstruktionsmethoden (die Iron Bridge war nach zimmermannsmäßigen Prinzipien zusammengefügt) als auch die Materialqualität ihrer Brücken (beispielsweise Buildwas, wenige Kilometer flussaufwärts) und Aquädukte (etwa das Pontcysyllte-Aquädukt in North Wales).

Gusseisen hat einige konstruktive Vorteile und Schwächen. Es ist sehr druckbeständig, nimmt dagegen schlecht Zug- und Biegespannungen auf, und bei der Hitze eines Feuers kann seine Stabilität plötzlich versagen. Zu Beginn der Industriellen Revolution wurde es üblich, Gusseisen im Fabrikbau einzusetzen, teilweise aus der irrigen Vorstellung heraus, solche Konstruktionen seien feuerfest. Gusseisen konnte wohl die schweren Maschinen tragen, aber es war gegenüber den häufigen Feuern in solchen Fabriken sehr anfällig. William Strutt war mit einer Anzahl von Bauten einer der Pioniere dieser Bauweise. Allerdings waren viele Gebäude aufgrund von Sprödbrüchen in großen Gusseisenstützen zusammengestürzt, die an der Basis, wo die Spannungen am größten waren, knickten, oft wegen Fehlstellen und Lunkern im Innern der Gussstücke.

Gusseisen wurde auch bei Brücken für das neue Eisenbahnzeitalter eingesetzt. Auch da kamen schreckliche Unfälle vor, vor allem, wenn statt Bögen gerade Balkenkonstruktionen eingesetzt wurden. Erstmals wurde Gusseisen 1830 nach einem Entwurf von William Fairbairn beim Water Street Endbahnhof der Liverpool and Manchester Railway eingesetzt, der gleich ein erfolgreich funktionierendes Beispiel war und erst um 1900 wegen der weitverbreiteten Bedenken gegen eiserne Unterkonstruktionen im britischen Eisenbahnwesen eingerissen wurde. Um größere Spannweiten zu erzielen, setzte Robert Stephenson (irrtümlich) geschmiedete Träger beim Aufbau einer Brücke über den River Dee ein. Solche Brücken, bei denen die Trägerteile zusammengeschmiedet waren, mussten nach der Katastrophe des Dee-Brückeneinsturzes von 1847 eingerissen werden. Dies führte dazu, schmiedeeiserne Träger nunmehr mit Nieten zusammenzufügen, und schließlich Walzstahl zu verwenden, als dieser in den späten 1860ern erhältlich war. Gusseisen wurde allerdings weiter bei Eisenbahnunterführungen eingesetzt, und es kam dort zu einer Reihe ernster Unfälle mit Todesfolge. Das schlimmste Eisenbahnunglück war 1879 das Tay Bridge Disaster, als der zentrale Teile der Brücke während eines Sturms in dem Moment einbrach, als ein Zug darüber fuhr und mit mehr als 75 Passagieren und Personal verlorenging. Die Schwachstellen waren gusseiserne Anschlussstücke, an denen Traversträger befestigt waren, und nach diesem Einsturz wurden Gusseisenkonstruktionen bei Brückenneubauten endgültig aufgegeben. Die meisten kleineren Gusseisenträger-Aufbauten wurden nach einem weiteren Unfall an Norwood Junction 1891 eingerissen und ersetzt.

Vereinzelt wurde Gusseisen außerdem für Turmkonstruktionen verwendet, so zum Beispiel beim König-Friedrich-August-Turm bei Löbau (Sachsen).

Auch bei Gewächshäusern bildete Gusseisen die übliche Tragstruktur, was zum Entwurf des monumentalen Crystal Palace durch den Gewächshausbauer Joseph Paxton für die erste Weltausstellung in London 1851 führte. In der Folge wurde diese Glas-und-Eisen-Architektur in der ganzen Welt nachgeahmt.

Gebrauch als Verkleidung

Green Street in SoHo, New York City, ein Zentrum des Bauens mit Gusseisenfassaden.

Im 19. Jhd. führten der niedrige Preis und die allgemeine Verfügbarkeit von Gusseisen auch zu vielfältigem Gebrauch für Dekorations- und Verkleidungszwecke. John Haviland aus Philadelphia entwickelte das Konzept der Gusseisenfassade, das von James Bogardus in New York weitreichend und in großem Umfang adaptiert und weiterentwickelt wurde. Gusseisen konnte in eine Vielzahl von Formen gepresst werden, was kunstvoll ausgearbeitete Fassaden ermöglichte, die billiger als traditionell in Stein gehauene waren. Diese Fassaden konnten außerdem in einer Vielzahl von Farben beschichtet werden. Viele Gebäude hatten aufwändigen neoklassizistischen oder historistischen Fassadenschmuck. Viele der Gebäude, die vor allem Büro- und Industriebauten waren, sind immer noch zu besichtigen, besonders in den Stadtvierteln SoHo und TriBeCa, New York. In Europa befinden sich die besten Beispiele Victorianischer Lagerhäuser in Glasgow, Schottland , das im späten 19. Jhd. einen enormen Aufschwung erlebte.

Die Technik bewährte sich allerdings nicht. Die Fassaden mussten oft bald braun angestrichen werden, weil das Eisen rostete, und bei Bränden brach die Konstruktion oft zusammen, noch bevor die Flammen das Metall erreichten. Allein die Strahlungswärme eines nahen Feuers reichte aus, das Eisen zu erweichen.[3]

Wegen der Entwicklung des modernen Stahls, das sich weit besser im Einsatz als Baustoff eignete, schwand auch die Bedeutung als Fassadenverkleidung in dieser Epoche. Viele Innovationen der Gusseisenzeit wurden aber in die Ära der Stahlskelettbauten übernommen und halfen bei der Entwicklung des Wolkenkratzers.

Quellen

  1. [1]
  2. Ernst Werner: Die eisernen Brücken, in ICOMOS: Eisen-Architektur: Die Rolle des Eisens in der historischen Architektur der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts
  3. John Maass: The Gingerbread Age: A View of Victorian America, New York, Greenwich House, 1983, ISBN 0-517-01965-5, S. 97ff

Literatur

  • John Gloag and Derek Bridgwater, A History of Cast Iron in Architecture, Allen and Unwin, London (1948)
  • Peter R Lewis, Beautiful Railway Bridge of the Silvery Tay: Reinvestigating the Tay Bridge Disaster of 1879, Tempus (2004) ISBN 0-7524-3160-9
  • Peter R Lewis, Disaster on the Dee: Robert Stephenson's Nemesis of 1847, Tempus (2007) ISBN 978-0-7524-4266-2

Weblinks


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