- Haarzellen
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Haarzellen oder Haarsinneszellen sind ein Typ von sekundären Sinneszellen (Rezeptoren) im Nervensystem von Wirbeltieren, die mechanische Reize in Nervenaktivität umwandeln. Sie gehören damit zur Klasse der Mechanorezeptoren. Haarzellen können je nach Typ durch Schall, Wasserströmungen, Dreh- oder Linearbeschleunigung erregt werden. Am besten untersucht sind die Haarzellen des Innenohres der Säugetiere.
Inhaltsverzeichnis
Aufbau
Haarzellen bestehen aus dem Zellkörper und den namengebenden haarähnlichen Strukturen, die zur Aufnahme des Reizes dienen. Dieses Haarbündel sitzt der Zelle am oberen Ende auf und besteht aus einer Zilie und mehreren Stereozilien, wobei die Zilien der Haarzellen der Cochlea im Gegensatz zu denen des Vestibularapparats nach der Geburt wieder zurückgebildet wird. Die einzelnen Stereozilien sind an den Spitzen miteinander verbunden, diese Verbindungen nennt man „Tip-Links“. Am unteren, dem Haarbündel entgegengesetzten Ende der Zelle befindet sich eine Region, in der die Erregung der Haarzelle zu einer Ausschüttung von Botenstoffen, den Neurotransmittern führt. Hier bilden Haarzellen Synapsen mit Interneuronen, die die Information in Form von Aktionspotentialen weiter in das zentrale Nervensystem (ZNS) tragen.
Funktion
Reizaufnahme – Transduktion
Die für die Reizaufnahme entscheidende Struktur der Haarzellen bildet das Haarbündel. Die einzelnen Stereozilien sind an den Spitzen durch die Tip-Links verbunden. Diese Verbindungen setzen bei einer der beiden Stereozilien an einem Ionenkanal an, der je nach Spannung durch den Tip-Link geöffnet oder geschlossen wird. Die Öffnung der Kanäle führt zu einem Einstrom positiver Kaliumionen, die die Zelle damit depolarisieren. Ohne eine auslenkende Kraft, die auf das Haarbündel wirkt, sind die Kanäle nur teilweise geöffnet – die Zelle ist also in Ruhe mittelmäßig erregt. Bei Auslenkungen der Stereozilien in Richtung der Zilien werden die Kanäle geöffnet und führen über den Einstrom des Kaliums zu einer Erregung der Haarzelle. Auslenkungen entgegen der Zilie schließen die Kanäle. Bewegungen auf einer anderen Achse als der durch Zilienanordnung bestimmten führen nicht zu einer Veränderung der Kanalöffnung und spielen damit keine Rolle für den Erregungszustand der Zelle.
Weiterleitung der Erregung
Anders als die meisten Sinneszellen bilden Haarzellen keine Aktionspotentiale aus. Die Menge der ausgeschütteten Transmitter wird von der Höhe des Rezeptorpotentials bestimmt, welches wiederum von der Auslenkung der Stereozilien abhängt. Bei Haarzellen im Innenohr des Menschen spricht man daher auch von einem Mikrophonpotential.
Transduktionsmechanismus der Haarzellen im Innenohr
In der Cochlea des menschlichen Innenohres finden sich drei Reihen von äußeren und eine Reihe von inneren Haarzellen. Die sensorische Aufnahme mechanischer Bewegungen in der Cochlea erfolgt fast ausschließlich durch die inneren Haarzellen, während die äußeren Haarzellen v. a. efferente Innervierung durch übergeordnete Zentren des ZNS erhalten. Prinzipiell erfolgt die Transduktion der mechanischen Auslenkung der (inneren) Haarzellen im Innenohr in ein elektrisches Signal wie oben beschrieben durch Kaliumioneneinstrom. Es gibt jedoch einige Besonderheiten.
Ionenverteilung
Der untere, basale Teil der Haarzelle ist von Corti-Lymphe umgeben, die sich im inneren und äußeren Tunnel und dem Nuel-Raum des Corti-Organes befindet und die in ihrer Zusammensetzung der Perilymphe ähnlich ist – jener Flüssigkeit, welche die Scala vestibuli (und Scala tympani) füllt. Der Spitze der Haarzelle mit den Stereozilien befindet sich in der Endolymphe der Scala media. Die Perilymphe weist eine hohe Konzentration von Natrium- und eine niedrige Konzentration von Kaliumionen auf. In der Endolymphe ist dieses Verhältnis umgekehrt (viele Kaliumionen, wenig Natriumionen). Zwischen diesen beiden äußeren Bereichen der Haarzelle besteht ein Spannungsunterschied: die Endolymphe (oben) ist gegenüber der Perilymphe (unten) +85 mV positiv geladen. In Ruhestellung (wenn keine Auslenkung der Stereozilien erfolgt), ist das Zytoplasma der Haarzelle gegenüber der Perilymphe negativ geladen. Im oberen Teil der Haarzelle, der von der endolymphen Flüssigkeit umgeben ist, besteht zwischen dem Zelleninneren und der Umgebung ein Spannungsgefälle von −155 mV. Im unteren Zellbereich, welcher von der Perilymphe umgeben ist, besteht ein Spannungsunterschied zur Umgebung von −70 mV.[1]
Depolarisation
Werden die Stereozilien der Haarzellen durch mechanische Schwingungen der Basilarmembran der Cochlea in Richtung des längsten Stereoziliums ausgelenkt, bewirkt dies (wie oben beschrieben) über Tip-Link-Verbindungen die Öffnung von Kaliumkanälen in der Haarzellen. Im oberen Bereich der Haarzelle (Endolymphflüssigkeit) kommt es zu K-Ioneneinstrom. Dieser Einstrom kommt dadurch zustande, dass
- in der umgebenden Endolymphe eine sehr viel größere Kaliumkonzentration als in der Zelle besteht
- das Zelleninnere −155 mV negativer geladen ist als die Endolymphe
Letzteres führt dazu, dass positive Ladungen in Form von K-Ionen einströmen. Da das Gleichgewichtspotential von Kalium etwa −80 mV beträgt, ist Kalium „bestrebt“, die Spannungsdifferenz zwischen Zelläußerem und -innerem zu positivieren. Die Kaliumionen bewirken im Zellinneren die Öffnung weiterer Calciumkanäle, wodurch Calcium einströmt. Dies führt wie in anderen Neuronen zur Depolarisation und damit zur verstärkten Ausschüttung von Neurotransmittern an nachgeschaltete Neurone.
Hyperpolarisation
Die Besonderheit der Transduktion besteht darin, dass Kalium sowohl für die De- als auch für die Repolarisation zuständig ist. Die in den oberen Teil der Haarzelle eingeströmten Kaliumionen führen ihrerseits zur Öffnung weiterer Kaliumkanäle in der gesamten Zellmembran. Das durch die Depolarisation vermehrt vorhandene Calcium führt u. a. ebenfalls zur Öffnung von K-Kanälen. Im unteren, von Perilymphe umgebenen Zellbereich besteht jedoch mit −45 mV ein geringerer Spannungsunterschied zur Umgebung als im oberen Bereich. Das oben eingeströmte Kalium strömt über Kaliumkanäle im unteren Teil der Zelle wieder aus, da
- in der Perilymphe im Vergleich zum Zellinneren eine sehr geringe Kaliumkonzentration herrscht
- Kalium bestrebt ist, sein Gleichgewichtspotential von −80 mV herzustellen
Letzteres führt dazu, dass positive Ladungen in Form von K-Ionen ausströmen müssen, um die Spannungdifferenz von −45 mV auf −80 mV zu senken. Durch den Kaliumausstrom kommt es zur Repolarisation der Haarzelle.
Quellen
- ↑ Zenner H.-P.: Hören. Physiologie, Biochemie, Zell- und Neurobiologie. G. Thieme Verlag, Stuttgart, 1994.
Weblinks
- http://www.iurc.montp.inserm.fr/cric51/audition/english/start_gb.htm (ausgezeichnete Seite über das Ohr, vor allem über die Cochlea, engl./franz.)
- http://scienceblogs.com/retrospectacle/2007/11/confocal_image_of_cochlea_wins.php (Konfokale Abbildung der Cochlea mit Haarzellen)
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