Handlungsorientierter Fremdsprachenunterricht

Handlungsorientierter Fremdsprachenunterricht

Handlungsorientierter Fremdsprachenunterricht als Sonderform des handlungsorientierten Unterrichts soll die Schüler befähigen, in der Fremdsprache zu kommunizieren, um damit bestimmte Ziele zu verfolgen (vgl. Handlungstheorie, Handlungskompetenz):

  • eine Beziehung zum Gesprächspartner herstellen
  • Ideen, Emotionen, Erfahrungen, Kenntnisse, Wünsche usw. übermitteln
  • persönlich relevante Inhalte "verhandeln"
  • und damit bestimmte Handlungsreaktionen beim Kommunikationspartner auslösen.

Methodisch wird dieses Ziel dadurch angegangen, dass die Schüler mit einem Partner oder in einer Gruppe an bestimmten Aufgaben arbeiten[1] und dabei die genannten kommunikativen Ziele verfolgen (learning by doing, konkret: learning by communicating).[2]

Inhaltsverzeichnis

Handlungsorientierung im Fremdsprachenunterricht

Zum Begriff der Handlungsorientierung

Handlungsorientierung im Fremdsprachenunterricht kann unter einem Zielaspekt und einem Methodenaspekt definiert werden.

  • Unter dem Zielaspekt besagt der Begriff, dass Schüler fremdsprachliche Handlungskompetenz zunächst für die schulische, darüber hinaus aber auch für die außer- und nachschulische Lebenswelt entwickeln sollen.
  • Methodisch wird dieses Ziel über ein aufgabenorientiertes („task-based“) learning through interaction verfolgt, bei dem die Schüler im Rahmen „authentischer“ Situationen bzw. Aufgabenstellungen inhaltlich engagiert mündlich oder schriftlich kommunizieren („handeln“).[3]

Um dies zu ermöglichen, soll der Unterricht für lebensnahe Kommunikations- und Lernprozesse geöffnet werden, was aber eine in diese Richtung zielende Unterrichtsplanung nicht ausschließt. Denn auch Offenheit und Handlungsorientierung sind in der Schulsituation nicht von vornherein gegeben, sondern müssen geplant und aktiv angestrebt werden. Darüber hinaus wird in handlungsorientierten Unterrichtsphasen, anders als in formalen Übungs- und Testsituationen, dem kommunikativen Erfolg mehr Bedeutung beigemessen als der formalen Korrektheit.[4] Allerdings setzt sprachliche Handlungsfähigkeit auch sprachlich-formale Teilkompetenzen voraus. Im Gegensatz zu traditionelleren, linearen Unterrichtskonzepten, wo sich erst an die Übungsphase die Kommunikations- oder Transferphase anschließt, bewertet die hier dargestellte Konzeption eines handlungsorientierten Fremdsprachenunterrichts von Beginn des Unterrichts an beide Komponenten - Handlungskompetenz und sprachlich-formale Teilkompetenzen - deshalb als gleichrangig.

Die Entwicklung sprachlicher Handlungskompetenz wird vor allem durch die Verwendung von möglichst wenig vorstrukturierten Lernsituationen und Lernmaterialien begünstigt, die zur inhaltlichen und sprachlichen Auseinandersetzung anregen (z.B. Fotos, Graphiken, Kurzgeschichten, Nachrichten, Werbespots und -texte, Leserbriefe, Texte aus dem Internet). Sie sollen Freiräume zum Umgang mit vertrauten und neuen sprachlichen Formen bieten (z.B. Partner- und Gruppenarbeit, Spiele, Stillarbeit). Es können auch ganze Unterrichtseinheiten (Frei- bzw. Wochenplanarbeit, Projektunterricht) oder der gesamte Unterricht (Lernen durch Lehren) handlungsorientiert strukturiert werden.

Öffnung des Unterrichts

→ Hauptartikel: Offener Unterricht, Offenes Lernen[5]

Öffnung des Fremdsprachenunterrichts kann auf zwei Ebenen stattfinden:

  • Inhaltliche und institutionelle Öffnung:

Der Unterricht ermöglicht es den Schülern zumindest ansatzweise, auch ihre Schul- und Klassensituation als offene Lebenswelt zu sehen und durch das Medium der fremden Sprache neu zu erfahren. Darüber hinaus gibt ihnen die prinzipielle Offenheit von (bedeutsamen) Textinhalten Gelegenheit zu individuellen Erfahrungen und entsprechenden Äußerungen, die vom Lehrer her nicht planbar sind. Und schließlich greift der Unterricht so oft es geht über die Grenze des eigenen Faches (Projektarbeit, fächerübergreifender Unterricht, bilingualer Sachfachunterricht) sowie über die Grenzen des Klassenzimmers und der Schule hinaus (außerschulisches Handeln).

  • Curriculare und methodische Öffnung:

Der Unterricht fördert Schülerinitiativen und Eigenverantwortlichkeit für die Wahl zielorientierter Aktivitäten und die Arbeits- und Zeiteinteilung (bis hin zur Aufstellung von Wochenplänen) sowie Zugriffsmöglichkeit auf authentische Materialien und andere, auch technologische, Ressourcen).

Dabei benötigt schulisches Fremdsprachenlernen soviel Offenheit wie unter den Gegebenheiten der Schulsituation möglich und so viel Steuerung (im Sinne von Lernhilfe) wie angesichts des nicht-natürlichen Sprach- und Lernkontextes nötig. In diesem Kontext erhalten dann auch die „traditionellen“ Aspekte des Unterrichts wie die Arbeit mit dem Lehrwerk, die gezielte Entwicklung sprachlicher Fertigkeiten sowie lexikalischer und grammatischer Kenntnisse, systematisches Üben, die Korrektur von Fehlern sowie die Feststellung von Lernfortschritten neue Funktionen und Gewichtungen, was erhebliche Auswirkungen auf die methodischen Entscheidungen hat.

Ganzheitlichkeit

Hauptartikel: Ganzheitlichkeit (Fremdsprachenunterricht) und Ganzheitlichkeit (Pädagogik)

Lernerorientierung

Hauptartikel: Handlungsorientierter Unterricht#Lernerorientierung

Inhaltsorientierung

Hauptartikel: Handlungsorientierter Unterricht#Inhaltsorientierung

Prozessorientierung

Hauptartikel: Prozessorientierung (Fremdsprachenunterricht)

Lernorientierung

Hauptartikel: Lernorientierung (Fremdsprachenunterricht)

Konstruktivismus statt Instruktivismus

Die Hinwendung von einer naiven „instruktivistischen“ zu einer „konstruktivistischen“ Position verändert die Funktion der Unterrichtenden: sie werden verstärkt als classroom managers und learning facilitators gesehen, die den Schülern Hilfen für ihre Wissenskonstruktion anbieten. Unterricht ist also keinesfalls überflüssig geworden. Allerdings wird seine Funktion jetzt anders gesehen. Auch wenn die Initiative zur Auseinandersetzung der Schüler mit sprachlichem Material nach wie vor größtenteils von den Lehrern ausgeht und diese mannigfache Hilfestellungen anbieten: entscheidend für den Lernprozess sind die rezeptiven und produktiven bzw. interaktiven Tätigkeiten der Schüler selbst (Stichwort: „Lernorientierung“). Dabei sind gerade die rezeptiven Aktivitäten des Hör- und Leseverstehens in den letzten Jahren erheblich aufgewertet worden.

Über die in den allgemeinen Prinzipien eines handlungsorientierten Unterrichts enthaltenen Merkmale hinaus gelten spezifisch für den Fremdsprachenunterricht:

  • Förderung des Aufbaus eines intuitiven Sprachgefühls auf der Grundlage eigenaktiver Lernprozesse
  • Förderung von focal attention (= Aufmerksamkeitslenkung auf spezifische Formen und Regularitäten)
  • Förderung von Sprachbewusstheit (language awareness)
  • Förderung der Entwicklung individueller Lernstrategien.

Handlungsorientierung in folgenden Methoden

Projektunterricht

Hauptartikel: Projektunterricht

Freiarbeit

Hauptartikel: Freiarbeit

Stationenlernen

Hauptartikel: Stationenlernen

Lernen durch Lehren

Lernen durch Lehren (LdL): Seit 1980 hat sich in allen Schultypen und allen Fächern, vor allem aber im Fremdsprachenunterricht die Methode Lernen durch Lehren etabliert, die eine Vertiefung und Intensivierung des Lernprozesses durch die Übernahme von Lehrfunktionen durch Schüler anstrebt.[6] Im Handbuch des Französischunterrichts von A. Nieweler wird diese Methode als „eine radikale Form der Schüler- und Handlungsorientierung„ bezeichnet[7]. Wenn man sich auf die oben beschriebenen Merkmale der Handlungsorientierung stützt, so wird durch die Übertragung von Lehrfunktionen auf die Schüler in besonderem Maße erreicht:

  • Herstellung einer Beziehung zum Gesprächspartner, denn die Interaktionen zwischen den Lernern zielen stets darauf ab, einen Lerngewinn zu erzielen;
  • Übermittlung von Ideen, Emotionen, Erfahrungen, Kenntnissen und Wünschen;
  • “Verhandlung“ persönlich relevanter Inhalte, denn die Interaktionen zielen darauf ab, die Lebenschancen der Partner durch den Erwerb relevanter Kompetenzen und Wissensbausteine zu erhöhen;
  • Auslösung bestimmter Handlungsreaktionen beim Kommunikationspartner, denn es geht um den gemeinsamen Auf- und Ausbau von Wissen.

Anmerkungen und Quellen

  1. Im angelsächsischen Sprachraum wird deshalb von task-based language learning gesprochen. (Vgl. Nunan, D.: Task-based ..., 2005.)
  2. Generell steht im handlungsorientierten Unterricht die Herstellung von "Handlungsprodukten" im Vordergrund. Im Fremdsprachenunterricht bestehen diese "Handlungsprodukte" in erster Linie darin, dass die Schüler in Partner- oder Gruppenarbeit in der Fremdsprache engagiert (im oben definierten Sinne) miteinander kommunizieren.
  3. Vgl. ausführlicher: Gerhard Bach & Johannes-Peter Timm: „Handlungsorientierung als Ziel und als Methode“. In: Gerhard Bach & Johannes-Peter Timm (Hg.): Englischunterricht ..., 2003, 9-13.
  4. Vgl. Johannes-Peter Timm: „Schüleräußerungen und Lehrerfeedback im Unterrichtsgespräch“. In: Gerhard Bach & Johannes-Peter Timm (Hg.): Englischunterricht ..., 2003, 197-224.
  5. In der derzeitigen Form (24.04.2009) sind beide Artikel immer noch umstritten; vgl. die jeweiligen Diskussionsseiten.
  6. Für eine knappe Übersicht über „Lernen durch Lehren“ vgl. Jean-Pol Martin & Rudolf Kelchner: „Lernen durch Lehren“. In: Johannes-Peter Timm (Hg.): Englisch lernen und lehren ..., 1998, 211-219.
  7. Andreas Nieweler (Hg.)(2006): Fachdidaktik Französisch - Tradition|Innovation|Praxis. Stuttgart: Klett, 2006, 318

Siehe auch

Literatur

  • Bach, Gerhard & Timm, Johannes-Peter (Hg.): Englischunterricht. Grundlagen und Methoden einer handlungsorientierten Unterrichtspraxis (3., vollst. überarb. u. verbess. Aufl.). Tübingen, Basel: A. Francke, 2003.
  • Legutke, Michael K. & Thomas, Howard: Process and Experience in the Language Classroom. London, New York: Longman, 1991.
  • Martin, Jean-Pol: Vorschlag eines anthropologisch begründeten Curriculums für den Fremdsprachenunterricht. Tübingen: Gunter Narr, 1994 (ISBN 3-8233-4373-4)
  • Nunan, David: Task-based Language Teaching. Cambridge: Cambridge University Press, 2005.
  • Timm, Johannes-Peter (Hg.): Englisch lernen und lehren. Didaktik des Englischunterrichts. Berlin: Cornelsen, 1998.

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