Heimweg (Roman)

Heimweg (Roman)

Heimweg ist ein Roman des Journalisten und Autors Harald Martenstein und erschien im Februar 2007. Er vertritt die aktuelle Zeitströmung der die Nachkriegszeit thematisierenden belletristischen Bücher.

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

Im Zentrum steht der vom Ich-Erzähler als Großvater bezeichnete Josef. Er kehrt aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft heim und trifft seine Frau Katharina in einer ehebrecherischen Situation an. Im Verlauf der Geschichte versucht er, sie zurückzugewinnen. Dies gelingt ihm insoweit, als sie verrückt wird und sich in diesem Zusammenhang nur noch an ihn wendet. Die Familiengeschichte wird über mehrere Generationen aufgerollt und enthüllt eine Vielzahl zerrissener Charaktere und mehrere Morde, darunter Sohnesmord und Selbstmord. In einer Schlüsselszene wird erzählt, wie Josef die Exekution eines sowjetischen Kommissars im Zweiten Weltkrieg durchführte. Dieser wurde wehrlos und ohne Urteil per Kommissarbefehl hingerichtet. Ohne Notwendigkeit tötet Josef kurz darauf noch einen bei einer weiteren Leiche kauernden Knaben.

Gegen Ende der Geschichte erklärt sich die geistige Verwirrtheit von Katharina: Die „Besucher“, die sie in ihrer Wohnung zu empfangen glaubt, sind die von Familienmitgliedern Ermordeten: Sie tauchen auf einer fiktiven Ebene des Buches quasi als Geister wieder auf, welche den Helden zugleich real erscheinen. Dies erfährt der Leser, während die realen Familienmitglieder nach und nach ‚endgültig‘ zu sterben beginnen. Der Ich-Erzähler entpuppt sich als der Geist des ermordeten Knaben.

Einordnung

Das Buch steht im Kontext einer nach 2000 erkennbaren Tendenz in der Publikationslandschaft der die Nachkriegszeit thematisierenden Bücher. Dafür stehen 2007 etwa das Sachbuch Schweigen tut weh von Alexandra Senfft, der Enkelin von Hanns Ludin, als auch der in großer Auflage im selben Jahr als Taschenbuch erschienene Roman „Es geht uns gut“ von Arno Geiger. Martenstein erarbeitet im Kontext dieser Bücher die Stimmungsmomente in Zusammenschau mit den tatsächlichen Geschehnissen. Er schildert den Rückbezug auf die deutsche Geschichte eines Krieges mit ihrer Schulderfahrung und der äußerlichen Beruhigung nach 1945 mit großer Genauigkeit, teilweise ergänzt durch eine erst aus der zeitlichen Distanz möglichen Ironisierung. So wird die Vergangenheit verständlich als ein beeinflussender Hintergrund der Gegenwart. Martenstein erläuterte diese Art, die Vergangenheit zugleich gegenwärtig wie auch vergangen darzustellen:

„Die Geister der Vergangenheit: diese Metapher, diese Leitartikel-Floskel habe ich halt wörtlich genommen. Lasst die Geister der Vergangenheit einfach mal aus ihren Ritzen rauskriechen! Und zwar nicht die politischen, sondern ganz normale Geister aus dem konkreten Leben: die Leute, die man umgebracht hat, die Leute, die man liebt oder gern lieben würde.“

[1]

Durch Kontrastierungen mit aktuellen Darstellungsformen wird aber auch Distanz spürbar: Oft vergleicht der Autor mit Sätzen, wie „Heute würde man sagen...“. Die besondere Bedeutung des Buches liegt darin, in einem belletristischen Werk Stimmungsmomente der Nachkriegszeit so präzise eingefangen zu haben, wie es kein wissenschaftliches Buch in seiner analytischen Methodik erreichen könnte. Wichtig für das Bild, das das Buch zeichnet, indem es die Vergangenheit mit der Gegenwart durch die Vergegenwärtigung des Abstandes verknüpft, ist die Person des Ich-Erzählers. An ihr wurde die größte Schuld der Familie begangen, und sie verkörpert diese Schuld in der Erzählung. Zugleich aber bringt sie bei ihrem „Wiederauftauchen“ die größte Reinheit und Liebe mit. Die Kritikerin Julia Encke nannte dies einen „Zwiespalt ... zwischen Schuld und Liebe“. [2] Dazu kommt, dass der Ich-Erzähler schließlich seine Identität aufgibt, indem er auf Wunsch des Großvaters bei ihrem Auftauchen ausmacht, dass er sein Enkel sei. Eine melancholische Hoffnung vom Vergeben in der Gegenwart antwortet damit der paralysierenden Unfähigkeit der Nachkriegszeit, weder Trauern noch vergessen zu können[3]. Zugleich lebt die Verdrängung damit fort, denn die Identität des wieder auftauchenden Knaben wird nur deswegen niemandem bewusst, da der Großvater die Szene der Erschießung nicht erzählt hatte. In den irrealen Momenten der `lebenden Toten´ und der gleichzeitigen Harmonie sind die Gegenwärtigkeit der Vergangenheit wie auch das Verblassen ihres Einflusses verbildlicht.

Auszeichnungen

Heimweg wurde 2007 mit dem Corine-Preis ausgezeichnet, an dessen Vergabe der Verlag der Wochenzeitschrift "Die Zeit" beteiligt ist. Martenstein ist dort Redakteur.

Einzelnachweise

  1. FAZ.NET: Lasst die Geister heraus!, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 31. März 2007, Nr. 77 / Seite Z4
  2. FAZ.NET: Der perfekte Roman, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 25. Februar 2007, Nr. 8 / Seite 28
  3. Richard Kämmerlings: Arme Teufel in Topform, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24. Februar 2007, Nr. 47 / Seite Z5

Weblinks


Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Поможем сделать НИР

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Heimweg — steht für: einen Stadtteil von Ansbach, siehe Heimweg (Ansbach) Heimweg – The Road Home, chinesischer Film von Zhang Yimou Heimweg (Roman), Roman von Harald Martenstein Diese Seite ist eine Begriffsklä …   Deutsch Wikipedia

  • Die Geierwally (Roman) — Die Geierwally ist ein Roman von Wilhelmine von Hillern aus dem Jahre 1873. In diesem Roman wird das Leben der Tirolerin Anna Stainer Knittel literarisch verarbeitet. Inhaltsverzeichnis 1 Entstehung 2 Handlung 3 Rezeption …   Deutsch Wikipedia

  • Der Anwalt (Roman) — John Grisham, 2008 Der Anwalt (Originaltitel: The Associate) ist ein Roman des US amerikanischen Autors John Grisham, der 2009 bei Doubleday Co veröffentlicht wurde. Die deutschsprachige Übersetzung stammt von Bernhard Liesen und erschien… …   Deutsch Wikipedia

  • Desperation (Roman) — Desperation ist ein Roman des US amerikanischen Schriftstellers Stephen King aus dem Jahr 1996. Er wurde unter dem gleichen Titel verfilmt. Inhaltsverzeichnis 1 Handlung in chronologischer Reihenfolge 2 Charaktere / Paarungen 3 Wissenswertes …   Deutsch Wikipedia

  • Aufbruch (Roman) — Aufbruch ist der dritte Roman der deutschen Lyrikerin und Schriftstellerin Ulla Hahn. Er erschien 2009 als zweiter Teil ihrer als Trilogie konzipierten, stark autobiographisch gefärbten Romanreihe, deren erster Teil Das verborgene Wort (2001)… …   Deutsch Wikipedia

  • Die Klavierspielerin (Roman) — Die Klavierspielerin ist ein Roman der österreichischen Schriftstellerin Elfriede Jelinek, der 1983 im Rowohlt Verlag veröffentlicht wurde. Der Roman erzählt die Leidensgeschichte der Klavierlehrerin Erika Kohut, die von ihrer herrschsüchtigen… …   Deutsch Wikipedia

  • Emma (Roman) — Erstausgabe Emma ist ein im Original dreibändiger Roman der englischen Schriftstellerin Jane Austen. Er wurde 1815 mit dem Druckdatum 1816 veröffentlicht und gilt als eines ihrer Hauptwerke.[1] Die Hauptfigur Emma Woodhouse wird zu Beginn des… …   Deutsch Wikipedia

  • Uli der Knecht (Roman) — Der Roman Uli der Knecht von Jeremias Gotthelf (1797 1854) erschien 1841, der Folgeband Uli der Pächter 1849. Es handelt sich formal um einen pikaresk angelegten Roman. Die Episodenhaftigkeit ist hier als relevantes Merkmal zu nennen. Daneben ist …   Deutsch Wikipedia

  • Horus (Roman) — Horus ist ein Roman des deutschen Schriftstellers Wolfgang Hohlbein. Das Werk erschien 2007 im Verlag Lübbe. Indem der Autor Elemente der ägyptischen Mythologie mit dem realen Fall des Serienmörders Jack the Ripper verbindet, erschafft eine… …   Deutsch Wikipedia

  • Happy Birthday, Türke! (Roman) — Happy Birthday, Türke! ist ein deutscher Kriminalroman von Jakob Arjouni. Die Erstausgabe erschien 1985 im Buntbuch Verlag in Hamburg, außerdem in Sonderausgaben, Übersetzungen in mehreren Sprachen sowie als Hörbuch. 1992 wurde die Verfilmung des …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”