Nachkriegszeit

Nachkriegszeit

Als Nachkriegszeit wird allgemein die Zeit nach einem Krieg bezeichnet. In dieser Zeit werden staatliche Ordnung, Wirtschaft und Infrastruktur neu aufgebaut oder wiederhergestellt und durch den Krieg entstandene Schäden behoben – oder auch nicht. Sie ist häufig von Hunger und Knappheit an Gütern aller Art geprägt. Aus heutiger Sicht wird insbesondere die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg als „Nachkriegszeit“ bezeichnet.

Inhaltsverzeichnis

Europa

In Europa wird der Begriff Nachkriegszeit für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg verwendet, die Anfang Mai 1945 begann. Geprägt wurde diese Zeit durch Vertreibungen aus den deutschen und ehemaligen polnischen Ostgebieten und auf dem Balkan, sowie vom Überlebenskampf in den durch jahrelangen Bombenkrieg und Bodenkämpfe zerstörten Städten. Es herrschte große Wohnungsnot und Hunger. Millionen früherer Zwangsarbeiter und Verschleppter irrten als Displaced Persons heimatlos in Europa umher. Die Demographie mehrerer Länder in Mittel- und Osteuropa war wegen hoher Kriegsverluste (insbesondere von Männern im arbeitsfähigen Alter) nachhaltig geschädigt. Unzählige körperlich und psychisch versehrte Überlebende kamen hinzu. Während es in Europa außerhalb des Ostblocks ab den früheren 1950er Jahren („Korea-Boom“) meist zu einem stürmischen wirtschaftlichen Aufschwung (Konjunktur) kam, ging der Wiederaufbau der Sowjetunion, der DDR und der anderen Staaten des Ostblocks deutlich langsamer vonstatten.

Trotz zahlreicher Kriege und bewaffneter Konflikte in der ganzen Welt standen sich in Europa während des Kalten Krieges die beiden gegnerischen Machtblöcke bis zum Beginn der 1990er Jahre ohne militärische Auseinandersetzungen gegenüber („Atompatt“). Der oft befürchtete dritte Weltkrieg ist den Europäern erspart geblieben. Meist werden der Zusammenbruch der kommunistischen Regimes in den Staaten Osteuropas im Jahre 1989 und die Auflösung des Warschauer Pakts als das „eigentliche“ Ende der Nachkriegszeit in Europa betrachtet.

Deutschland: Der „Nachkrieg“

Obwohl es in Deutschland beziehungsweise dem Vorstellungsraum des heutigen deutschen (National)Staates mehrere markante Nachkriegszeiten gegeben hat (beispielsweise nach dem Dreißigjährigen Krieg 1648, nach dem Wiener Kongress 1815, nach dem Ersten Weltkrieg 1918), haben sich die Begriffe „Nachkrieg“ und „Nachkriegszeit“ eigentlich nur für die Periode nach 1945 eingebürgert.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges lag ein Großteil Europas, so auch Deutschlands, in Trümmern. Die Alliierten beschlossen nach der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht eine Politik der Demokratisierung, der Demilitarisierung, der Entnazifizierung, der Dezentralisierung und der Demontage.

Aus der Sicht großer Teile der deutschen Bevölkerung war dies aber Politik der Sieger nach der Niederlage – nur wenige vermochten die Besetzung Deutschlands als persönliche oder als allgemein-politische Befreiung vom Nationalsozialismus Deutschlands zu betrachten. Nachkriegszeit wurde in Deutschland zur umgangssprachlichen Zeitbestimmung für die Jahre nach dem ebenfalls umgangssprachlichen „Zusammenbruch“ von 1945 und zugleich eine Kontrastbeschreibung zur „Vorkriegszeit“, an die viele nun ihr Handeln direkt anschließen lassen wollten – das Leben fortsetzen. Eine „Befreiung“ wurde nur in der Sowjetischen Besatzungszone öffentlich propagiert, im Volksmund tauchte der Begriff erst viel später auf. Eben nicht für die Mehrheit, die ihre Hoffnung eher auf einen deutschen Endsieg gesetzt hatte, aber für kleinere Gruppen war es durchaus eine reale Befreiung gewesen: für die Insassen der Konzentrationslager, für die in der Zeit des Nationalsozialismus politisch Verfolgten (z. B. für überlebende Juden, Sinti und Roma, für Mitglieder der Kirchen, für Liberale, Sozialdemokraten, Kommunisten, Pazifisten, Wertkonservative u. a. m.), für „Abweichler“ (z. B. Geisteskranke, religiöse Minderheiten, Homosexuelle), für ausländische Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene. Für die meisten anderen galt, sofern es sich nicht um Flüchtlinge und Vertriebene aus den Ostgebieten handelte: Sie „merkten es gar nicht“, der Hitler war „weg“ und „die Besatzung herrschte“, mit einer parlamentarischen Demokratie konnten die meisten nichts anfangen bzw. waren diesem Regierungssystem nach dem Scheitern der Weimarer Republik entfremdet. Es überwog noch viele Jahre deutlich die Selbstwahrnehmung der Deutschen als Opfer und nicht auch Täter des Krieges. Das von Deutschen angerichtete Leid wurde verdrängt oder ignoriert. So stießen von den westlichen Besatzungsmächten initiierte Filmvorführungen über NS-Konzentrationslager bisweilen auf wütende Ablehnung; bereits wenige Jahre nach Kriegsende wurde ein „Schlussstrich“ gefordert, was „die Sache mit den Juden“ anging. Diese weitverbreitete Mentalität kam auch im gern verwendeten Begriff „Stunde Null“ für die Situation des Mai 1945 zum Ausdruck.

Im Positiven überwog jedoch das Gefühl einer tiefen Erleichterung (keine Alarme mehr – man kann endlich wieder durchschlafen). Auch blieb der Überschwang der Karnevalsfeiern von 1946 bis 1949 noch lange im allgemeinen Gedächtnis. Wegen der desolaten Verhältnisse blühte vielerorts die Kriminalität, der eine schwache und überforderte Polizei kaum Herr wurde.

Unmittelbare Nachkriegszeit in den vier Besatzungszonen

Neben der Versorgung der Bevölkerung, welche versucht wurde zu sichern, hatten sich die vier Besatzungsmächte Großbritannien, Sowjetunion, USA und (später hinzu tretend) Frankreich bei der Nachkriegsordnung Deutschlands anfangs auf fünf Ziele geeinigt: Demontage, Demilitarisierung, Denazifizierung, Demokratisierung und Dezentralisierung („die fünf Ds“). Die Siegermächte verstanden jedoch darunter sehr Unterschiedliches, zum Teil einander Widersprechendes. Sie verfolgten diese Ziele in ihren vier Besatzungszonen minder oder mehr energisch und auf sehr verschiedenen Wegen, was mit Hinblick auf die sich abzeichnende bipolare Weltordnung des späteren Ost-West-Konflikts zu konträren Ergebnissen führte.

  1. Demontage – Der Abbau von Industrieanlagen diente zur Demilitarisierung und – vor allem in der sowjetisch besetzten Zone (SBZ) – als Ersatz für die Zerstörungen durch die deutsche Besatzung und den Krieg. Die Demontagen wurden bald eingestellt – in den Westzonen wurde dagegen sogar gestreikt. Dies bahnte den Weg für das lange währende westdeutsche Bündnis zwischen Lohnarbeit und Kapital, den später so genannten „Rheinischen Kapitalismus“.
  2. Demilitarisierung, Entmilitarisierung – Ursprünglich befürchtete man einen weiter anhaltenden Volkskrieg einer immer noch nazistischen Bevölkerung. Die Demilitarisierung wurde also energisch betrieben und bewirkte die völlige Entwaffnung Deutschlands, zumal der (aufgelösten) Wehrmacht und Waffen-SS, aber auch der Privathaushalte. Die Entmilitarisierung erwies sich langfristig als das – auch mental – am erfolgreichsten verfolgte Ziel.
  3. Denazifizierung, Entnazifizierung – In jeder der vier Zonen wurden – je nach eigenen Gesichtspunkten – ‚Köpfe‘ des NS-Regimes verhaftet. Die relativ gründlichste konzeptuelle und mediale Vorbereitung für eine Reeducation hatte dabei in den USA stattgefunden. Sie schloss auch ein, dass Deutsche in der Amerikanischen Zone einen Fragebogen mit 131 Fragen vorgelegt bekamen – praktisch das erste Auftreten dieser Untersuchungsmethode in Deutschland. Wegen der unterschiedlichen und bald unsteten Entnazifizierungspolitik aller vier Besatzungsmächte sind ihre Ergebnisse jedoch nicht sehr aussagefähig. Es ergaben sich 1.667 Hauptschuldige, 150.425 Minderbelastete, 23.060 Belastete, 1.005.874 Mitläufer, 1.213.873 Entlastete und 1.265.749 Nichtbetroffene. Etliche Hauptschuldige wurden ab November 1945 in Nürnberg vor Gericht gestellt (Nürnberger Prozesse) – der Beginn eines Internationalen Strafrechts.
  4. Demokratisierung – Im Mai und Oktober 1946 fanden erstmals wieder freie Wahlen auf Gemeinde- und Kreisebene statt. Bürgermeister und Landräte wurden gewählt. Diese „Demokratisierung“ von unten erwies sich in den drei Westzonen als überraschend erfolgreich, in der SBZ erfolgte nach den halbfreien Wahlen von 1946 die systematische Gleichschaltung der Parteien und der Zementierung der Macht der SED.
  5. Dezentralisierung – Hier wurde vor allem zunächst der Föderalismus gefördert und der territorial größte Staat (Preußen) 1947 vom Alliierten Kontrollrat aufgelöst. Diese Zielvorgabe war in den Westzonen gleichfalls erfolgreich, in der SBZ wurde sie dann umgekehrt.

Der sich rasch abzeichnende „Kalte Krieg“ (Ost-West-Konflikt) kam dabei den Deutschen ab 1947 sehr zugute, darunter vor allem auch den vormaligen Nationalsozialisten und politischen Verbrechern. Für später Geborene ist es kaum nachvollziehbar, worüber man alles nicht sprach, nicht einmal in den Familien. Statt dessen gab es – freilich nicht wenig – realen Stoff für Klagen (Kriegsgefallene und nicht heimkehrende Kriegsgefangene, Bombenterror, Flucht und dann Vertreibung, Hunger und Kälte), jedoch mit einem den Besatzungsmächten sofort auffallenden ausufernden Selbstmitleid und großem Unwillen, dasjenige Leid und Elend ins Auge zu fassen, das zuvor das nationalsozialistische Deutschland ringsum und in der eigenen Mitte anderen zugefügt hatte.

Siehe auch: Deutschland 1945 bis 1949, Föderalismus in Deutschland, Wirtschaftswunder

Die Entwicklung in Westdeutschland

Die Aufbauminister, 1949
Arbeitsloser, 1949

Der Beginn der „Nachkriegszeit“ wird oftmals mit der suggestiven Behauptung einer Stunde Null verknüpft. Dies führt irre, weil die Metapher „Stunde Null“ zwar einige erfahrungsgesättigte ‚Lehren‘ betont, aber in Bezug auf die mentale Lage der Bevölkerung den völligen Untergang der bis dahin vorherrschenden und von der nationalsozialistischen Propaganda aufgenommenen und umgeprägten Lebensentwürfe suggeriert. Dies war keinesfalls so.[1]

Die Nachkriegszeit kann sodann in der im Entstehen begriffenen Bundesrepublik in zwei Abschnitte geteilt werden: Erstens in die sogenannte „Schlechte Zeit“: Hunger, Kälte, Mangelkrankheiten, Trümmerlandschaften bis zur Währungsreform vom 21. Juni 1948 und zweitens in das „Wirtschaftswunder“.

Viele soziale Verhaltensweisen der Menschen, die das Dritte Reich erlebt hatten, blieben jedoch in „West-“ wie in „Ostdeutschland“ erhalten.

In der Bundesrepublik Deutschland generierte in den 1950er Jahren der Wiederaufbau das „Wirtschaftswunder“. Namentlich hinterließ es einen tiefen und bleibenden positiven Eindruck, dass ab dem Montag nach der Währungsreform die Zwangsbewirtschaftung, ein Überbleibsel aus dem Zweiten Weltkrieg, praktisch aufgehoben wurde und Industrie und Einzelhandel sich vorbereitet hatten: Die Läden waren auf einmal voll. Diese Phase reichte bis zur ersten Rezession unter der Bundeskanzlerschaft Ludwig Erhards und endete mit der großen Mentalitätswende, die dann als die Zeit der „68er-Bewegung“ beschrieben wurde, obwohl diese bereits um 1965/1966 ansetzte, kulturell etwa auffällig durch das Aufkommen der Beatles. Die DDR blieb dem gegenüber „das Deutschland ohne ein 1968“, was sich nach der Deutschen Wiedervereinigung vielfach bemerkbar gemacht hat.

Jugendsoziologisch gesehen war es eine Zeit lebenslang einprägsamer gemeinsamer Erlebniswelten (Wohnungsnot, schmale Kost, Swing- und Jazz-Musik und „Trümmerliteratur“, Rundfunkserien, Werbung u. v. a. m.), die ganze – oft nur wenige Geburtsjahrgänge umfassende – Generationen prägte, namentlich (erstens) die „Flakhelfergeneration“ der Jahrgänge 1930 bis 1933 (bei Helmut Schelsky die „skeptische Generation“), dann aber auch (zweitens) der Jahrgänge 1933 bis 1938, die noch gute Erinnerungen an ihren Kontrast zum „Bombenkrieg“ hatte und deren Spielplätze die Ruinenstädte waren.

Die Entwicklung in Ostdeutschland

In der Sowjetischen Besatzungszone ging der Wiederaufbau langsamer voran als in den westlichen Zonen. Die Sowjetunion unterstützte Ostdeutschland nicht beim Aufbau, sondern sie nahm sich ihre Reparationsleistungen in Form von Betrieben, die in Sowjetische Aktiengesellschaften überführt wurden. Durch die Bodenreform 1945/1946 wurden Großgrundbesitzer mit mehr als 100 Hektar Fläche sowie Kriegsverbrecher und aktive NSDAP-Mitglieder entschädigungslos enteignet und deren Grundbesitz dem jeweiligen lokalen Bodenfonds übertragen. 1948 fand auch in Ostdeutschland eine Währungsreform statt, die die Situation jedoch nur wenig verbesserte. So blühten in Ostdeutschland Schwarzmarkt und Tauschhandel noch länger als in Westdeutschland. Aus wirtschaftlichen sowie politischen Gründen entschieden sich viele Menschen zur Auswanderung beziehungsweise zur Flucht aus der DDR.

Die Lage besserte sich ab 1949 langsam, jedoch kauften die Menschen in Westdeutschland in vollen Läden ein. Im Osten wurden hingegen noch Lebensmittelmarken ausgegeben. Erst Anfang der 1950er Jahre setzte dort ein langsamer Aufschwung ein. Jedoch war die Bevölkerung immer noch unzufrieden. Die politische Führung erkannte das aber nicht, und so wurde 1953, viel zu früh, die Produktionsnorm erhöht. An diesem Punkt reichte es dann großen Teilen der Bevölkerung, sie gingen auf die Straße und protestierten gegen ihre schlechte Versorgungssituation (Aufstände des 17. Juni 1953). Ein bedeutender Wirtschaftsaufschwung setzte dann erst ab dem 13. August 1961 ein, als die innerdeutsche Grenze geschlossen wurde.

Österreich

Siehe hierzu: Besetztes Nachkriegsösterreich, Geschichte Österreichs

Siehe auch

Literatur

  • Margret Boveri: Tage des Überlebens. Berlin 1945. Mit einem Vorwort von Egon Bahr. wjs-Verlag, Berlin 2004, ISBN 3-937989-01-3.
  • Uta Gerhardt: Soziologie der Stunde Null. Zur Gesellschaftskonzeption des amerikanischen Besatzungsregimes in Deutschland 1944–1945/6, Suhrkamp, Frankfurt am Main 2005, ISBN 3-518-29368-0.
  • Ernst-Ulrich Huster/Gerhard Kraiker/Burkhard Scherer/Friedrich-Karl Schlotmann/Marianne Welteke (Autorenkollektiv): Determinanten der westdeutschen Restauration 1945–1949, Suhrkamp, Frankfurt am Main 1972.
  • Peter Kruse (Hg.): Bomben, Trümmer, Lucky Strikes – Die Stunde Null in bisher unbekannten Manuskripten. wjs-Verlag, Berlin 2004, ISBN 3-937989-00-5.
  • Ralf Lange: Hamburg. Wiederaufbau und Neuplanung 1943–1963 (Die blauen Bücher). Langewiesche, Königstein/T. 1994, ISBN 3-7845-4610-2. (mit ausführlicher Bibliographie, Dokumenten, 82 Architekten-Kurzbiografien und ausführlichen Registern)
  • Heimatverein Oberdollendorf und Römlinghoven e.V. (Hrsg.): Erinnerung an eine verworrene Zeit – 1. und 2. Teil: Nieder- und Oberdollendorfer Bürger blicken zurück auf die Kriegs- und Nachkriegsjahre. Königswinter 1996 und 2001.
  • Jürgen Kleindienst (Hg.): Also packten wir es an. Deutschland 1945–1947. 43 Geschichten und Berichte von Zeitzeugen. Zeitgut Verlag, Berlin 2006, ISBN 3-86614-121-1.
  • Jürgen Kleindienst (Hg.): Morgen wird alles besser. West-Deutschland 1947–1952. 39 Geschichten und Berichte von Zeitzeugen, Zeitgut Verlag, Berlin 2008, ISBN 3-86614-143-2.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Vgl. Huster u. a. 1972 und Lars Clausen, Populäre Lehren 1945, in: Ders., Krasser sozialer Wandel, Leske + Budrich, Opladen 1994, S. 187–192.

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