- Homo superior
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Der Übermensch ist ein Begriff aus dem philosophischen Denken. Als Übermensch wird ein „Idealmensch“ bezeichnet, der über das gewöhnliche Leben eines „normalen“ (meist negativ bewerteten) Menschen hinausgewachsen ist, bzw. hinaus strebt.
Die früheste Ausprägung des Worts ist als „hyperanthropos“ bekannt und wurde schon im 1. Jahrhundert v. Chr. von Dionysios von Halikarnassos, dann auch von Lukian im 2. Jahrhundert n. Chr. verwendet, von Letzterem aber zum Spott auf die großen Herren der Welt, die im Totenreich auf ihre natürliche Größe zurechtgestutzt werden. Erstmals auf Deutsch verwendete es der Theologe Heinrich Müller in dem Werk Geistliche Erweckungsstunden (1664). Der Begriff wurde, jeweils mit unterschiedlichem Bedeutungsinhalt, u. a. von Johann Gottfried von Herder und dem indischen Philosophen Sri Aurobindo verwendet. Goethe gebrauchte den Ausdruck, wiederum in spöttischem Sinn, in seiner Tragödie Faust I („Welch erbärmlich Grauen fasst Übermenschen dich!“) und in seinem Gedicht Zueignung (1787).
Am weitaus bekanntesten ist aber die Übermensch-Konzeption von Friedrich Nietzsche.
Inhaltsverzeichnis
Der Übermensch bei Nietzsche
Nietzsche verwendet den Begriff Übermensch das erste Mal in seinen Jugendschriften in Bezug auf Lord Byron. In systematischer Weise taucht der Begriff des Übermenschen zuerst in seinem Werk Also sprach Zarathustra (1883–85) auf, auch wenn sein Konzept des Übermenschen schon in seinem Werk Menschliches, Allzumenschliches (1878) teilweise entwickelt ist. Nietzsche übernahm den Terminus vom französischen Philosophen Claude Adrien Helvétius, der vom „homme supérieur“ geschrieben hatte.
Aus Sicht Nietzsches ist es die Aufgabe des Menschen, einen Typus hervorzubringen, der höher entwickelt ist als er selbst. Diesen dem Menschen überlegenen Menschen nennt Nietzsche den Übermenschen, ein Begriff, welcher bei Nietzsche sowohl eine geistige als auch eine biologische Bedeutung hat.
Ewige Wiederkunft, Wille zur Macht, und Nihilismus
Nietzsche verbindet vorerst den Gedanken des Willens zur Macht mit seiner Idee der Ewigen Wiederkunft. Der Gedanke der Ewigen Wiederkunft besagt, dass sich alle Ereignisse im Universum auf ewig wiederholen werden, da es nur endlich viele Zustände, jedoch eine unendlich lange Zeit gibt. Damit wurde alles, was der Mensch erlebt, von diesem schon unendlich oft erlebt und wird ebenso unendlich oft wieder durchlebt werden. Diesen Gedanken zu denken, ist für Nietzsche das Schwerste. Erst wer fähig ist, ihn zu ertragen, d.h. in die Interpretation des eigenen Lebens zu integrieren, der beweist sich als Übermensch und überwindet somit den Nihilismus der Ewigen Wiederkunft. In einem Akt der gänzlichen Einverleibung identifiziert sich der Übermensch mit der Ewigen Wiederkunft.
Darüber hinaus besitzt der Übermensch auch einen Überschuss an Lebenskraft und Willen zur Macht, was ihn zu besonderer Selbstbeherrschung und Selbstentfaltung befähigt. Er stellt somit eine radikale Lebensbejahung als Gegenentwurf zum Nihilismus dar. Der Übermensch gilt deshalb als Überwinder des Nihilismus. Er ist der Schöpfer neuer Werte, die er aus sich selbst bezieht und die anstelle der durch den Nihilismus zuvor zerstörten bzw. verneinten transzendenten Werte (Gott, Religion, ewige und unbezweifelbare moralische und erkenntnistheoretische Dogmen) nunmehr eine immanente, dem Leben zugewandte und dem Leben dienliche Entsprechung finden.
Aus dieser Perspektive wäre der Übermensch somit nicht eine neue Gattung, welche auf den von Nietzsche sogenannten „Letzten Menschen“ folgt, sondern er geht aus dem einzelnen Menschen hervor, der sich selbst überwunden hat. Trotzdem hat Nietzsches Übermensch auch noch eine andere, nämlich immoralistische und evolutionistisch-biologistische Seite.
Immoralismus und Biologismus
Das Ziel der Menschheit liegt nach Nietzsche nicht in der Zukunft oder im allgemeinen Wohlergehen der derzeit bestehenden Gattung, sondern in den immer wieder auftretenden „höchsten Exemplaren”, eben den Übermenschen. Aus dieser philosophischen Position resultiert seine Ablehnung der „idealistischen“ Interpretation des Übermenschen und die positive Einschätzung gerade von immoralistischen und nach Größe strebenden Machtmenschen wie Julius Cäsar, Cesare Borgia oder Napoléon Bonaparte. So schrieb er in Ecce homo (1888):
„Das Wort »Übermensch« zur Bezeichnung eines Typus höchster Wohlgeratenheit, im Gegensatz zu »modernen« Menschen, zu »guten« Menschen, zu Christen und andren Nihilisten – ein Wort, das im Munde eines Zarathustra, des Vernichters der Moral, ein sehr nachdenkliches Wort wird – ist fast überall mit voller Unschuld im Sinn derjenigen Werte verstanden worden, deren Gegensatz in der Figur Zarathustras zur Erscheinung gebracht worden ist: will sagen als »idealistischer« Typus einer höheren Art Mensch, halb »Heiliger«, halb »Genie«... Andres gelehrtes Hornvieh hat mich seinethalben des Darwinismus verdächtigt; selbst der von mir so boshaft abgelehnte »Heroen-Kultus« jenes großen Falschmünzers wider Wissen und Willen, Carlyles, ist darin wiedererkannt worden. Wem ich ins Ohr flüsterte, er solle sich eher nach einem Cesare Borgia als nach einem Parsifal umsehn, der traute seinen Ohren nicht.“
Neben dem Idealismus weist Nietzsche hier auch den Zusammenhang mit dem Darwinismus zurück. Wie jedoch beispielsweise Rüdiger Safranski argumentiert, finden sich in Nietzsches Schriften durchaus darwinistisch-biologistische Ansätze, oft verbunden mit Gedanken zur Eugenik. Bereits im Zarathustra vergleicht Nietzsche die Entwicklung vom Affen zum Menschen mit der Entwicklung vom Menschen zum Übermenschen. In einem Notizbuch von 1884 schrieb Nietzsche, dass man durch Züchtung und der Vernichtung Millionen „Missratener“ den „zukünftigen Menschen“ gestalten soll. In der Genealogie der Moral (1887) findet sich der Gedanke, dass die Menschheit als Masse dem Gedeihen einer einzelnen stärkeren Species Mensch geopfert werden könnte. Ziel sei es, eine Herrenkaste zu züchten, welche zur Herrschaft über Europa berufen sei. Schließlich spricht er in Ecce homo von der „Partei des Lebens“, welche die Höherzüchtung des Menschen und die Vernichtung alles „Entartenden“ und „Parasitischen“ in die Hand nimmt. Safranski schließt:
„Nietzsches Bild vom Übermenschen ist ambivalent, und es verbirgt sich darin ein existenzielles Drama. Der Übermensch repräsentiert einen höheren biologischen Typus, er könnte das Produkt einer zielstrebigen Züchtung sein; er ist aber auch ein Ideal für jeden, der Macht über sich selbst gewinnen und seine Tugenden pflegen und entfalten will, der schöpferisch ist und auf der ganzen Klaviatur des menschlichen Denkvermögens, der Phantasie und Einbildungskraft zu spielen weiß. Der Übermensch realisiert das Vollbild des Menschenmöglichen, und darum ist Nietzsches Übermensch auch eine Antwort auf den Tod Gottes.“
Nationalsozialismus
Trotz dieses ambivalenten Bildes bot die biologistische und immoralistische Seite von Nietzsches Übermenschen-Konzeption einigen Nationalsozialisten die Möglichkeit, seine Lehre im Sinne des nationalsozialistischen Gesellschaftsmodells mit der „Herrenmenschen-Ideologie“ gleichzusetzen. Nietzsches Ablehnung des Nationalismus und Antisemitismus wurden bezeichnenderweise von den Nazis nicht berücksichtigt. Maßgeblichen Anteil an dieser einseitigen Interpretation hatte vor allem Nietzsches Schwester Elisabeth Förster-Nietzsche, die, im Gegensatz zu Nietzsche selber, in einem Naheverhältnis zu national-völkischen Kreisen stand und auch durch Fälschungen an Nietzsches Werken versuchte, diese mit nationalsozialistischem Gedankengut noch besser vereinbar zu machen.
Sonstige Erwähnungen
In der Form der alternativen Geschichte Das Reich Artam wurde Nietzsches Übermenschen-Konzeption durch Volkmar Weiss wieder aufgegriffen, ebenso wie bei den Nietzscheanern der Fernseh-Serie Andromeda.
Literatur
- Safranski, Rüdiger: Nietzsche. Biographie seines Denkens. Carl Hanser, München, Wien 2000, ISBN 3-446-19938-1, S. 267ff..
- Wilfried Huchzermeyer: Der Übermensch - bei Friedrich Nietzsche und Sri Aurobindo. Verlag Hinder und Deelmann, ISBN 3-87348-123-5
- Pierre Kynast: Friedrich Nietzsches Übermensch. Eine philosophische Einlassung. Projekte Verlag 188. Halle (Saale) 2006, ISBN 3-86634-158-X
Siehe auch
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