Parsifal

Parsifal
Werkdaten
Titel: Parsifal
Form: durchkomponiert
Originalsprache: deutsch
Musik: Richard Wagner
Libretto: Richard Wagner
Uraufführung: 26. Juli 1882
Ort der Uraufführung: Festspielhaus, Bayreuth
Spieldauer: ca. 4 1/2 Stunden
Ort und Zeit der Handlung: frühes Mittelalter
Personen
  • Amfortas, Gralskönig (Bariton)
  • Titurel, Amfortas’ Vater (Bass)
  • Gurnemanz, Gralsritter (Bass)
  • Parsifal (Tenor)
  • Klingsor (Bass)
  • Kundry (Sopran oder Mezzosopran)
  • Zwei Gralsritter (Tenor und Bass)
  • Vier Knappen (Sopran und Tenor)
  • Klingsors Zaubermädchen (6 Einzelsängerinnen, Sopran und Alt)
  • Stimme aus der Höhe (Alt)
  • Chor:
    • Zaubermädchen (Sopran und Alt)
    • Bruderschaft der Gralsritter (Tenor und Bass)
    • Jünglinge und Knaben (Tenor, Sopran und Alt)

Parsifal (WWV 111) ist der Titel des letzten musikdramatischen Werks von Richard Wagner. Wagner selbst bezeichnete das dreiaktige Stück als ein Bühnenweihfestspiel und verfügte, dass es ausschließlich im Bayreuther Festspielhaus aufgeführt werden sollte.

Inhaltsverzeichnis

Intention Wagners

Auf den ersten Blick wirkt Wagners Bühnenweihfestspiel wie ein „religiöses Werk“, mit weihevoller Musik, Monstranzenthüllung (Gral), Taufe, christlichem Abendmahlsritual usw. Bereits in seinen Zürcher Kunstschriften entwickelte er die Idee, den Kern des Religiösen durch Kunst zu verdeutlichen. In Religion und Kunst, schreibt er zusammenfassend:

„Man könnte sagen, dass da, wo die Religion künstlich wird, der Kunst es vorbehalten sei, den Kern der Religion zu retten, indem sie die mythischen Symbole, welche sie im eigentlichen Sinne als wahr geglaubt wissen will, ihrem sinnbildlichen Werte nach erfasst, um durch ideale Darstellung derselben die in ihnen verborgene tiefe Wahrheit erkennen zu lassen.“

Wagner erklärt, dass er zur Transformierung seiner gleichnishaften Botschaft, nämlich Erlösung und Regeneration der Menschheit durch Mitleid – dargestellt durch den suchenden Parsifal und den leidenden Amfortas – eine Kunstform gewählt habe, die mit religiöser Symbolik eine „entrückende Wirkung auf das Gemüt“ ausüben solle.

Entstehungsgeschichte

Titelblatt des Erstdrucks

Wagner beschäftigte sich schon 1845 in Marienbad, als er Lohengrin entwarf und die erste Idee für Die Meistersinger von Nürnberg niederschrieb, mit dem Stoff der Sage, doch die erste Skizze mit dem Titel „Parzival“ entstand erst 1857 in Zürich. 1865 bat König Ludwig II. von Bayern, der seit 1864 Wagner finanziell unterstützte, den Parzival-Plan auszuführen. Daraufhin entstand der erste Prosaentwurf des Werks. Nachdem die ersten Bayreuther Festspiele mit der Aufführung des Ring des Nibelungen beendet waren, begann Wagner auf Bitten seiner Frau Cosima – die in ihren Tagebüchern den gesamten Entstehungsprozess detailliert festgehalten hat – im Januar 1877 mit der Verwirklichung seiner alten Parzival-Pläne. Bald änderte Wagner die Schreibweise des Namens zu „Parsifal“, indem er sich auf die angeblich persischen Worte für „rein“ (fal) und „Tor“ (parsi) bezog. Als im Herzen reiner Tor ist die Figur des Parsifal im Werk auch angelegt. Mit der Komposition begann Wagner im September 1877, im April 1879 waren die Orchesterskizzen für alle drei Akte fertig, doch sollte es noch bis Januar 1882 dauern, bis das Werk (während eines längeren Aufenthaltes in Palermo) vollständig komponiert und die Partitur vollendet war. Im November 1880 erklang erstmals das Orchester-Vorspiel des ersten Aufzugs in einer Privataufführung für König Ludwig II. von Bayern in München. Die Verlagsrechte verkaufte Wagner zu einem damals hohen Preis von 100.000 Mark an die Nachfolger seines Verlegerfreundes Franz Schott in Mainz, die somit auch die 2. Festspiele mitfinanzierten.

Historischer Hintergrund

Die Handlung geht zurück auf das Versepos Wolframs von Eschenbach, strafft und konzentriert jedoch die Geschichte und verändert vor allem die szenischen Requisiten Gral und Speer. Die Personen werden auf wenige Hauptfiguren reduziert, die Handlung auf den in fast allen Werken Wagners dominierenden Erlösungsgedanken konzentriert.

König Titurel ist im Besitz zweier wundertätiger Reliquien, Gral und Heiliger Speer. Der Gral diente als Trinkbecher beim letzten Abendmahl und fing das Blut Christi am Kreuz auf. Der Speer ist jener, mit dem Jesus am Kreuz seine Seitenwunde beigebracht wurde. Titurel hat Ritter um sich gesammelt, die, von den Reliquien gestärkt, in die Welt ziehen und für das Gute kämpfen. Auch Klingsor bemühte sich einst, der Gralsgemeinschaft angehören zu dürfen, wurde aber wegen seiner Unkeuschheit abgelehnt. Deshalb entmannte er sich selbst, wurde aber trotzdem nicht aufgenommen. Daraufhin schuf er sich in der Wüste ein Gegenreich, einen Zaubergarten mit verführerischen Frauen, und schwor, den König und seine Ritter zu entmachten und die Reliquien an sich zu bringen.

Den Anfechtungen hielten manche der Ritter nicht stand, so dass Titurels Sohn Amfortas als junger Gralskönig beschloss, mit der heiligen Lanze bewaffnet gegen Klingsor in den Kampf zu ziehen. Doch auch er wurde von einer geheimnisvollen Frau verführt. Es gelang Klingsor, ihm dabei die Lanze, den heiligen Speer zu entwenden. Amfortas trägt seitdem eine Verwundung, die Klingsor ihm mit diesem Speer schlug, eine Wunde, an der Amfortas seitdem entsetzlich leidet. Denn die Wunde schließt sich nicht mehr. Mit jeder neuen Enthüllung des Grals, wodurch die gesamte Ritterschaft genährt wird, bricht sie von neuem auf.

Handlung

1. Aufzug, Waldlichtung und Gralsburg

Vorspiel Parsifal, Bayreuth 1951, Festspielorchester unter Hans Knappertbusch
Parsifal von Hermann Hendrich
Garten der Villa Rufolo, des Modells des „Zaubergartens“

Auf einer Waldlichtung nahe der Gralsburg weckt Ritter Gurnemanz einige Knappen. Er fordert sie auf, zu beten und das Morgenbad des jungen Königs Amfortas vorzubereiten. Kundry, die geheimnisvoll wilde Helferin der Gralsritter, kommt eilig herbeigeritten. Mit letzter Kraft überreicht sie Balsam für den verletzten König. Doch halb verzweifelt, halb spöttisch bemerkt sie, er werde wohl so wenig helfen wie das Heilkraut, das Ritter Gawan bereits gebracht hat. Kundry wird von den Knappen als „Heidin“ und „Zauberweib“ verhöhnt. Nur Gurnemanz nimmt sie in Schutz, als die Knappen spottend fordern, Kundry solle doch losziehen, um die verloren gegangene heilige Lanze zurückzuholen. Jetzt erzählt Gurnemanz, dass nach einer Prophezeiung nur ein „durch Mitleid wissender“ reiner Tor den Speer zurückgewinnen und damit Amfortas heilen könne. Denn die Wunde schließe nur der Speer, der sie auch schlug.

Die Szene wird durch Lärm vom nahen See gestört. Die Ritter fingen einen Knaben, der einen Schwan mit Pfeil und Bogen getötet hat. Es ist Parsifal, der Sohn der Herzeleide und des im Kampf gefallenen Ritters Gamuret. Der Knabe wuchs unter der Obhut seiner Mutter im Wald ohne Kontakt zur Außenwelt auf. Er weiß selbst weder seinen Namen, noch woher er kommt und wer sein Vater ist. Doch Kundry kennt seine Geschichte und erzählt vom Tod seiner Mutter. Gurnemanz glaubt, den in der Vision des Amfortas angekündigten „reinen Toren“ gefunden zu haben, und nimmt ihn, während Kundry in einen hypnotischen Schlaf fällt, mit zur Gralsburg.

Dort versammeln sich die Ritter, Amfortas, Titurel und, als stummer Zuschauer, Parsifal zur Enthüllung des Grals. Amfortas beklagt seine Schmerzen, die der Anblick des Grals nur kurz lindern kann. Titurel und die Ritter fordern ihn auf, den Gral zu enthüllen. Der Kelch mit dem Blut Christi leuchtet in einem magischen Lichtschein. Die Ritter nehmen daraufhin das Mahl, Brot und Wein, und verlassen danach gestärkt den Tempel. Parsifal ist nicht fähig, zu all dem, was er sah, etwas zu sagen, und wird von Gurnemanz, der glaubt, sich in ihm getäuscht zu haben, vor die Tür gesetzt. Jedoch: eine Stimme aus der Höhe wiederholt mit den letzten Klängen der Gralsglocken die Worte der Prophezeiung: „Durch Mitleid wissend, der reine Tor“.

2. Aufzug, Klingsors Zaubergarten

Der zweite Akt führt in eine andere, fantastische Welt. Klingsor beobachtet in seinem Zauberspiegel Parsifal, der sich seiner Burg und dem Zaubergarten nähert. Mit Kundry als Werkzeug will er dem Toren die Unschuld rauben. Jetzt kommt die Rolle der Kundry ans Tageslicht: weil sie Jesus auf seinem Wege zur Kreuzigung verhöhnt hat, sucht sie ihn nun - „von Welt zu Welt“ - in immer neuen Wiedergeburten, um endlich Erlösung von ihrer Schuld zu finden. Voller Todessehnsucht dient sie seither den Gralsrittern freiwillig büßend als Helferin, aber es gelingt Klingsor immer wieder, sie in seinen Bann zu ziehen und als willenloses, schönes Werkzeug der Verlockung zu missbrauchen. Sie war es auch, die in veränderter Gestalt Amfortas verführt hat. Nunmehr soll sie Parsifal betören und damit vernichten. Erlösung kann sie nur erlangen, wenn ein Mann ihrer Verführung widersteht. So fügt sie sich nur widerstrebend dem Befehl Klingsors, Parsifal zu bezwingen, muss sich aber seiner Macht beugen.

Als Parsifal den unschuldigen Verlockungen der Blumenmädchen in Klingsors Zaubergarten entfliehen will, ruft Kundry ihn bei seinem Namen. Gebannt lauscht der Knabe ihrer Erzählungen vom traurigen Schicksale seiner Eltern. Parsifal ist zutiefst erschüttert. Tröstend, aber mit der Absicht, ihn in die Liebe einzuführen, schließt sie ihn in ihre Arme. Doch während eines langen Kusses erkennt Parsifal blitzartig die Ursache von Amfortas′ Qualen und seine eigene Bestimmung; er wird „welthellsichtig“. Er stößt Kundry zurück und verspricht ihr dafür Erlösung. Ihr Ausbruch von rasendem Lachen und Schreien ruft Klingsor herbei, der nun den heiligen Speer auf Parsifal schleudert. Doch der Speer bleibt über Parsifals Haupte schweben. Er ergreift ihn und schlägt mit ihm das Kreuzeszeichen, woraufhin Klingsor und mit ihm der gesamte Zaubergarten der Zerstörung anheim fallen. Kundry blickt im Zusammensinken auf Parsifal, der ihr im Enteilen noch zuruft: „Du weißt, wo du mich wiederfinden kannst!“

3. Aufzug, Waldlichtung und Gralsburg

Das Orchestervorspiel beschreibt die Irrfahrten Parsifals, der zur Gralsburg zurückzufinden sucht.

Viele Jahre sind vergangen. Gurnemanz lebt nunmehr als Einsiedler im Wald und findet nun Kundry in tiefer Ohnmacht im Gestrüpp. Von ihm erweckt erscheint sie völlig gewandelt: sanft, hilfsbereit und schweigsam. Da erscheint ein Ritter in schwarzer Rüstung. Gurnemanz heißt ihn, mit dem Hinweise auf den heiligen Karfreitag, seine Waffen abzulegen. Nachdem der Ritter seine Waffen und die Rüstung abgelegt hat, erkennt Gurnemanz hocherfreut, dass es Parsifal mit dem heiligen Speer ist, der zur Gralsburg zurückgefunden hat. Er begrüßt ihn und erzählt vom Zerfall der Gralsgesellschaft: Amfortas hat, um endlich seinen eigenen erlösenden Tod zu erzwingen, die lebensenergiespendende Zeremonie der Gralsenthüllung nicht mehr vollzogen. Sein Vater Titurel ist dadurch bereits gestorben und nur zu dessen Totenfeier will Amfortas noch ein letztes Mal den Gral enthüllen.

Parsifal bricht daraufhin in verzweifelten Selbstanklagen zusammen, doch Gurnemanz segnet ihn und salbt ihn zum neuen Gralskönig. Als sein „erstes Amt“ spendet er der heftig weinenden Kundry die Taufe. Staunend nehmen Parsifal und Gurnemanz die in der Vormittagssonne erstrahlende idyllische Natur wahr und, als gegen Mittag das Glockengeläut von der Gralsburg her ertönt, machen sich alle drei auf den Weg zur Burg. Dort hat sich die Gralsritterschaft, den Leichnam Titurels begleitend, versammelt. Amfortas klagt um seinen toten Vater, der durch seine Schuld, weil er den lebensspendenden Gral - zur Beschleunigung seines eigenen Ablebens - nicht mehr enthüllt habe, gestorben sei. Er verweigert erneut die eigentlich vorgesehene Gralsenthüllung und erfleht verzweifelt seine Erlösung von den Qualen seiner unheilbaren Verwundung: die Ritter mögen ihn töten, von selbst dann werde ihnen wohl der Gral leuchten. Da erscheint der von Gurnemanz und Kundry begleitete Parsifal und schließt mit dem heiligen Speere jene Wunde, die Amfortas einst von Klingsor zugefügt wurde.

Als neuer Gralskönig enthüllt Parsifal endlich wieder den Gral und aus der Höhe schwebt eine weiße Taube als Zeichen göttlicher Gnade auf ihn herab. Amfortas und Gurnemanz huldigen dem neuen Gralshüter; Kundry sinkt - endlich von ihrem Fluche erlöst - entseelt zu Boden.

Musik

Der französische Komponist Claude Debussy, der üblicherweise nicht mit Kritik an Wagners Musik sparte, blieb vielleicht bis heute der prominenteste Bewunderer der Musik des Parsifal. „Man hört da Orchesterklänge, [schrieb er,] die einmalig sind und ungeahnt, edel und voller Kraft. Das ist eines der schönsten Klangdenkmäler, die zum unvergänglichen Ruhm der Musik errichtet worden sind.“[1] Durchaus uneins war sich hingegen das spätere Schrifttum, was den musikalischen Rang des Parsifal angeht. Während Wagners Tristan (1859) zusehends in die Position eines Schlüsselwerkes der anbrechenden musikalischen Moderne rückte, stand der Parsifal lange Zeit im Ruf eines altersmüden Spätwerks, das nicht mehr an die Kühnheit und Progressivität früherer Werke Wagners heranreiche. Zudem irritierte die vermeintliche Uneinheitlichkeit der Partitur, jene Melange disparatester musikalischer Erscheinungen, die vom fast cäcilianistisch anmutenden Neorenaissance-Stil mancher Passagen des ersten Aktes bis zu Momenten an der „Schwelle von Atonalität“ (Adorno, 1952)[2] im zweiten Akt reicht. Noch Hans Mayers Wagner-Monographie von 1959 urteilt in diesem Sinne. Die Musik des Parsifal, so Mayer, arbeite „sehr stark mit bewährten Rezepten. […] Die Instrumentation ist durchaus meisterhaft und vermag auf weite Strecken eine gewisse Spärlichkeit der eigentlichen musikalischen Erfindung zu überspielen. […] Neben der gesuchten musikalischen Einfalt […] stehen höchste harmonische Kühnheiten. […] Aber die konventionelle Verklärung des Schlusses mit As-Dur und Des-Dur und As-Dur und rotglühendem Gral und chorus mysticus bleibt zu tragen peinlich.“[3] Erst in jüngeren Untersuchungen wird solcher Generalkritik dezidiert widersprochen, etwa in den Essays von Claus-Steffen Mahnkopf (1999)[4] und Johannes Schild (2010),[5] welche die Unzulänglichkeiten weniger in Wagners Musik, als vielmehr in einem veralteten analytischen Instrumentarium erblicken. Schild verzichtet vor diesem Hintergrund gleich ganz auf die Kategorien traditioneller Harmonielehre und greift zur 2004 publizierten Analysemethode des ungarischen Dirigenten und Musiktheoretikers Albert Simon,[6] mit deren Hilfe er versucht, die Parsifal-Partitur als durch Tonalität gestiftete künstlerische Einheit darzustellen.

Die ersten Aufführungen

Der Gralstempel. Bühnenbild der Uraufführung

Die Uraufführung fand zu den 2. Bayreuther Festspielen am 26. Juli 1882 statt und wurde von Hermann Levi dirigiert. Das Bühnenbild schuf Paul von Joukowsky, den Wagner auf seinen Italienreisen in Neapel kennengelernt hatte. Demzufolge war die Bühne mediterran beeinflusst: Der Gralstempel der Uraufführung erinnerte an den Dom von Siena, Klingsors Zauberschloss war vom Garten des Palazzo Rufolo in Ravello beeinflusst. Insgesamt wurden bis Ende August noch 20 Aufführungen gegeben. In der letzten Vorstellung übernahm der Komponist selbst den Stab und dirigierte von der Verwandlungsmusik im III. Aufzug an bis zum Ende. – Es war das einzige Mal, dass Wagner in seinem Festspielhaus eine öffentliche Aufführung leitete.

Die Reaktion des Publikums – darunter auch viele Künstler und Musiker – war durchweg positiv und entsprach der Intention Wagners, mit seinem Bühnenweihfestspiel einen Effekt der „Sammlung“ zu erzielen, in einer Gesinnungs-Gemeinschaft besinnlich reflektieren und meditieren zu können. Bei vielen traf er den Nerv. Der junge Gustav Mahler schrieb, dass er keines Wortes fähig aus dem Festspielhaus hinausgetreten sei und gewusst habe, dass ihm das Größte und Schmerzlichste nun aufgegangen wäre.

Zur Aufführungspraxis

Nach dem ausdrücklichen Willen Wagners und seiner Erben sollte der Parsifal ausschließlich in Bayreuth zur Aufführung kommen. Kurz nach dem Tod des Komponisten wurde von seiner Witwe Cosima eine Sonderaufführung in München für König Ludwig II. gestattet. Die erste szenische Aufführung des Parsifal außerhalb Bayreuths, die Heinrich Conried am 24. Dezember 1903 ohne Genehmigung Cosima Wagners an der Metropolitan Opera in New York durchführte, verärgerte Cosima dagegen derart, dass der Dirigent der Aufführung Alfred Hertz künftig von allen deutschen Bühnen verbannt war (Felix Mottl, der die Oper ursprünglich einstudiert hatte, war als Dirigent im letzten Augenblick zurückgetreten).

Als 1913 der Urheberrechtsschutz für das Werk auslief, bemühte sich Cosima Wagner nachdrücklich, diese Frist um mindestens zwanzig Jahre verlängern zu lassen. Nachdem sich diese Anstrengungen als aussichtslos erwiesen, richtete sie eine Petition an den Reichstag, zumindest das ausschließliche Aufführungsrecht für Bayreuth zu sichern. Der Reichstag jedoch lehnte diese als „Lex Cosima“ bespöttelte Sondergesetzgebung ab. Zumindest vordergründig fanden wegen dieses „Parsifal-Raubes“ – ausgerechnet in einem Wagner-Jahr – keine Festspiele in Bayreuth statt.[7] Die erste vollständige Aufführung des Parsifal nach dem Ende der Schutzfrist wurde im Opernhaus Zürich noch 1913 gegeben, die erste Aufführung in Deutschland 1914 im damaligen Stadttheater in Halle (Saale).

Lange Jahre war es üblich, nach Aufführungen des Parsifal wegen des „religiösen“ Charakters überhaupt nicht zu klatschen. Auch heute verzichtet das Publikum oft noch nach dem ersten Akt (Abendmahlszene) darauf. Wagner selbst hatte nichts gegen Beifall bei Parsifalaufführungen. Er wurde aber selbst, als er seinen „Blumenmädchen“ im zweiten Akte in die Musik hinein Beifall klatschte, ausgezischt.

Traditionsgemäß wird Parsifal gern in der Osterzeit gegeben (der dritte Akt spielt an einem Karfreitag). Zuweilen finden auch Aufführungen am Karfreitag selbst statt, was wegen des ernsten Charakters des Werks in einigen deutschen Bundesländern erlaubt ist (Feiertagsgesetze).

Reflexionen

Friedrich Nietzsche

Die Hinwendung Wagners zur Mitleidsethik des Christentums, zum Religiösen an sich, wie sie auch im Parsifal zum Ausdruck kommt, war einer der Gründe für die zunehmende Entfremdung und schließlich für den Bruch zwischen Friedrich Nietzsche und Wagner. Nietzsche schilderte dies später in einem Brief an Lou von Salomé:

„Die letzten geschriebenen Worte Wagners an mich stehen in einem schönen Widmungs-Exemplar des Parsifal „Meinem theuren Freunde Friedrich Nietzsche. Richard Wagner, Ober-Kirchenrath.“ Genau zu gleicher Zeit traf, von mir gesendet, bei ihm mein Buch „Menschliches Allzumenschliches“ ein – und damit war Alles klar, aber auch Alles zu Ende.“

[8]

Als Nietzsche Anfang 1887 in Monte Carlo zum ersten Male das Vorspiel zu Parsifal hörte, da bekannte der bekennende Antichrist und Pfarrerssohn, dass nichts Vergleichbares das „tiefe“ Christentum ausdrücken und zum Mitgefühl anregen würde; ein unbeschreiblicher Ausdruck von Größe und Mitleiden sei diese Musik. „Hat Wagner je etwas besser gemacht?“ … fragte er in einem Brief an seinen „Assistenten“ Peter Gast (Heinrich Köselitz) und versuchte, das Gehörte zu beschreiben:

„[…] ein außerordentliches Gefühl, Erlebnis und Ereignis der Seele im Grunde der Musik, das Wagner die höchste Ehre macht, eine Synthesis von Zuständen, die vielen Menschen, auch „höheren Menschen“, als unvereinbar gelten werden, von richtender Strenge, von „Höhe“ im erschreckenden Sinne des Wortes, von einem Mitwissen und Durchschauen, das eine Seele wie mit Messern durchschneidet – und von Mitleiden mit dem, was da geschaut und gerichtet wird.“

Hans Knappertsbusch

Hans Knappertsbusch, einer der berühmtesten Dirigenten des Parsifal in den 50er und 60er Jahren des 20. Jahrhunderts, war von der Unverzichtbarkeit religiöser Symbole wie z. B. dem Erscheinen der Taube am Ende des Werks überzeugt. Als Wieland Wagner eben dieses Symbol aus seiner Inszenierung entfernen wollte, weigerte sich Knappertsbusch zu dirigieren. Wieland behielt also die Taube bei, ließ sie aber nur so weit aus dem Schnürboden der Bayreuther Bühne herunterkommen, dass der Dirigent sie vom Pult steil nach oben blickend sehen konnte, während sie für das Publikum unsichtbar blieb. Der Legende nach ging Knappertsbusch später zu Wieland Wagner und legte ihm wortlos ein Stück Bindfaden auf den Schreibtisch.

Adolf Hitler

Adolf Hitler, der schon seit seiner Jugendzeit in Wien ein glühender Verehrer Wagners war, bezeichnete den Parsifal als die Schlüsseloper par excellence. Ab 1934 nahm Hitler per Verfügung Einfluss auf die Bayreuther Parsifal-Inszenierung. Er steuerte mit seinem ehemaligen Maleridol Alfred Roller aus Wien Ideen zum Bühnenbild bei und wollte eine der nationalsozialistischen Ideologie folgende „Entrümpelung“, weg von einem christlich grundierten Weihecharakter. (Quelle: Renate Schostack: Hinter Wahnfrieds Mauern, Hamburg 1998, 174f.)[9]

Thomas Mann

Thomas Mann, der sich immer wieder mit dem „Phänomen Wagner“ auseinandersetzte, ihm nach eigenen Worten Kunstglück und Kunsterkenntnis verdankte und ihn lange Zeit über all sein künstlerisches Denken und Tun stellte, aber auch ehrlich genug war, seine Liebe zu Wagner als „Liebe ohne Glauben“ zu bezeichnen, meinte, das Werk sei in {{"|seiner frommen Verderbtheit und ungeheuerlichen Schmerzensausdruckskraft sicher das Merkwürdigste, was es gibt}0. In einem Brief an seinen Schriftstellerkollegen Ludwig Ewers schrieb er am 23. August 1909 nach einer Parsifalaufführung:

„Obgleich ich recht skeptisch hinging und das Gefühl hatte, nach Lourdes oder zu einer Wahrsagerin oder an sonst an einen Ort suggestiven Schwindels zu pilgern, war ich schließlich doch tief erschüttert. Gewisse Stellen namentlich im III. Akt, die Karfreitagsmusik, die Taufe, Salbung etc., dann aber auch das unvergessliche Schlussbild – sind bedeutend und durchaus unwiderstehlich […] Eine so furchtbare Ausdruckskraft gibt es doch wohl in allen Künsten nicht wieder. Die Akzente der Zerknirschung und Qual, an denen Wagner sein ganzes Leben lang geübt hat, kommen erst hier zu ihrer endgültigen Intensität […]“

Bedeutende Einspielungen

Literatur

  • Sven Friedrich: Richard Wagner, Deutung und Wirkung. Königshausen & Neumann, Würzburg 2004, ISBN 3-8260-2851-1.
  • Felix Gross: Der Mythos Richard Wagners. Wagners „Ring des Nibelungen“ und „Parsifal“ als eine neuerstandene mythische Weltreligion. Neue Ausgabe. Frohe Zukunft-Verlag, Wien 1931 (Philosophie für Laien).
  • Werner Huemer: Die Botschaft aus dem Gral. Von der Wirklichkeit hinter dem Mythos. Verlag der Stiftung Gralsbotschaft, Stuttgart 2002, ISBN 3-87860-301-0 (Edition Gralswelt – Kultur).
  • Ulrike Kienzle: … daß wissend würde die Welt! Religion und Philosophie in Richard Wagners Musikdramen. Königshausen u. Neumann, Würzburg 2005, ISBN 3-8260-3058-3 (Wagner in der Diskussion).
  • Josef Lehmkuhl: Gott und Gral. Eine Exkursion mit Parsifal und Richard Wagner. Königshausen & Neumann, Würzburg 2007, ISBN 978-3-8260-3690-3.
  • Horst Obleser: Parzival auf der Suche. Tiefenpsychologische Aspekte der Gralslegende. Bonz, Leinfelden-Echterdingen 1997, ISBN 3-87089-385-0 (Mythos und Psyche).
  • Daniel Schneller: Richard Wagners „Parsifal“ und die Erneuerung des Mysteriendramas in Bayreuth. Die Vision des Gesamtkunstwerks als Universalkultur der Zukunft. Lang, Bern 1997, ISBN 3-906757-26-9 (Zugleich: Basel, Univ., Diss., 1995).

Weblinks

 Commons: Parsifal – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Claude Debussy, Monsieur Croche - Sämtliche Schriften und Interviews. Reclam, Stuttgart 1974, ISBN 3-15-007757-5; S. 146f.
  2. Theodor W. Adorno, Versuch über Wagner. Suhrkamp, Berlin, Frankfurt am Main 1952, S. 62.
  3. Hans Mayer: Richard Wagner mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten dargestellt. Rowohlt, Hamburg 1959, ISBN 3-499-50029-9, S. 161.
  4. Claus-Steffen Mahnkopf: Wagners Kompositionstechnik, in: Ders. (Hrsg.), Richard Wagner, Konstrukteur der Moderne, Klett-Cotta, Stuttgart 1999, ISBN 3-608-91979-1, S. 159–182.
  5. Johannes Schild: "… zum Raum wird hier die Zeit." Tonfelder in Wagners Parsifal, in: Bernhard Haas, Bruno Haas (Hgg.), Funktionale Analyse: Musik – Malerei – antike Literatur/Analyse Fonctionnelle: Musique – Peinture – Littérature classique. Kolloquium/Colloque Paris, Stuttgart 2007, Olms, Hildesheim 2010, ISBN 978-3-487-14532-7, S. 311–371.
  6. Bernhard Haas: Die neue Tonalität von Schubert bis Webern. Hören und Analysieren nach Albert Simon. Noetzel, Wilhelmshaven 2004, ISBN 3-7959-0834-5.
  7. Vgl. Brigitte Hamann: „Winifred Wagner oder Hitlers Bayreuth“, München 2002, S. 19 f.
  8. Brief Nietzsches an Salomé, 16. Juli 1882, KSB 6, Nr. 269, S. 229.
  9. Josef Lehmkuhl: Gott und Gral: Eine Exkursion mit Parsifal und Richard Wagner. Königshausen & Neumann 2007, ISBN 978-3-8260-3690-3

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