Implizites Lernen

Implizites Lernen

Unter implizitem Lernen versteht man in der Psychologie die häufig unbewusste oder spielerische Aneignung von Fertigkeiten und Wissen in der Tätigkeit. Kinder erlernen so beispielsweise eine Sprache oder soziales Verhalten. Im fortgeschrittenen Alter sind es vor allem motorische Fertigkeiten wie Radfahren oder prozedurale Fertigkeiten wie das Führen von Kundengesprächen, die implizit erlernt bzw. antrainiert werden.

Allgemein kann man sagen, dass Fertigkeiten meist implizit und Fakten meist explizit erlernt werden. Eine Ausnahme von dieser Regel bildet z. B. der Instrumentalunterricht, bei dem motorische Fertigkeiten explizit erlernt und geübt werden. Wissen, welches auf Mustervergleichen basiert, wird größtenteils implizit erlernt, selbst wenn man es teilweise in explizite Formeln pressen könnte. Das Erkennen von Gesichtern oder das Beurteilen von komplexen Situationen sind Beispiele dafür. Zwei Punkte sind wichtig nach Ansicht der Wissenschaft: Aufmerksamkeit bzw. das Fehlen dieser und der Inhalt des Gelernten. Die wahrscheinlich erste Erwähnung von implizitem Lernen erfolgte 1967 durch Reber.[1]

Inhaltsverzeichnis

Experimentelle Paradigmen

Zur Untersuchung impliziten Lernens wurden eine Vielzahl experimenteller Paradigmen erstellt. Unbewusstes Lernen zeige sich demnach unter anderem bei der Steuerung komplexer Systeme, dem Sequenzlernen und dem Lernen versteckter Zusammenhänge (Kovarianzlernen) und künstlicher Grammatiken.[2]

Steuerung komplexer Systeme

Im Alltag werden Menschen häufig mit Problemen konfrontiert, die schwierig zu handhaben sind, da die zugrundeliegenden Mechanismen kompliziert und den Problemlösern nicht oder nur teilweise bekannt sind. Der Umgang von Probanden mit solchen Schwierigkeiten wurde in der Psychologie häufig durch Computersimulationen untersucht. Somit konnten Versuchspersonen beispielsweise in einem Experiment von Dietrich Dörner als allmächtige Bürgermeister den Wohlstand der fiktiven Kleinstadt "Lohhausen" sichern. [3] Ein weiteres bekanntes Experiment ist Steuerung der Produktionsmenge einer Zuckerfabrik. [4] In letzterem Beispiel schloss sich der Testphase eine Befragung an, in der die Versuchspersonen die Möglichkeit hatten ihr Wissen über die Produktionszusammenhänge zu verbalisieren. Vielen von ihnen war es nicht möglich, ihre im Experiment gewonnenen Fertigkeiten in Worte zu fassen.

Erlernen künstlicher Grammatiken

Bei einer typischen Untersuchung erhalten die Vp. die Aufgabe, eine Folge von Buchstaben zu lernen, die (ohne das explizite Wissen der Vp.) einer grammatikalischen Struktur gehorchen. Bei einem nachfolgenden Test sollen die Vp. dann entscheiden, ob eine bestimmte Buchstabenfolge grammatikalisch korrekt ist oder nicht.

Sequenzlernaufgabe

Bei einer Sequenzlernaufgabe werden die Vp. gebeten, Buchstabenfolgen, die ohne explizites Wissen der Vp. einer festen Sequenz entsprechen, immer wieder durch das Drücken unter-schiedlicher Tasten zu wiederholen. Als Maß für den Grad des impliziten Lernens dienen hier die Reaktionszeiten, welche für das Drücken der Taste benötigt werden. Weiterhin kann geprüft werden, ob nach der Vorgabe einiger Anfangsbuchstaben die folgenden korrekt ein-gegeben werden können.

Kovariationslernen

Bei einem Versuch, der typisch für dieses Paradigma ist, werden den Vp. Stimuli präsentiert, deren Merkmale einer (den Vp. unbekannten) Regel gehorchen. Ein Beispiel hierfür ist das Experiment von Lewicki (Lewicki 1976), bei dem den Vp. Gesichter von unterschiedlichen Personen gezeigt wurden, die entweder mit dem Etikett „freundlich“ oder „intelligent“ versehen waren. Die Regel, welche den Vp. nicht bekannt war, lautete beispielsweise: „Freundliche Personen haben einen kürzeren Haarschnitt als intelligente“. Das Lernen dieser Regel konnte dann durch einen Test, bei dem es darum ging, anderen Personen das Etikett „freundlich“ oder „intelligent“ zuzuordnen, gemessen werden.

Zur Sicherstellung von wissenschaftlichen Erkenntnissen wurden 1994 von Shanks & St. John die Einführung zweier wichtiger Kriterien gefordert: Ein Information Criterion und ein Sensitivity Criterion. Durch die Umsetzung des ersten Kriteriums soll sichergestellt werden, dass genau die gelernte Information für die gezeigte Leistung verantwortlich ist. Das zweite Kriterium fordert hingegen, dass ein Aufmerksamkeitstest gegenüber jedem bewussten Wissen sensitiv sein soll. Der Test zur Aufmerksamkeitüberprüfung soll also umfassend sein. Dies könnte durch gleichartige Tests bei der Abfrage der Leistung und Wahrnehmung erreicht werden. Sollten nun hier Unterschiede in der Leistung und Wahrnehmung auftreten, dann besteht eine gute Chance, dass hier implizit gelernt wurde. [5]

Praktische Anwendung

Auf John Dewey zurückzuführen ist die Civic Education. Projektorientiertes Lernen nützt dabei die Phänomene der Gruppendynamik. Neuere Formen, wie das implizite soziale Lernen, entsprechen auch den Erkenntnissen der Neurodidaktik (Neurobiologie).

Ähnliche Synergien nutzt der moderne Fremdsprachenunterricht. Vokabeln und Grammatik werden dabei nicht mehr linear memoriert (auswendig gelernt), sondern durch Anwendung in Gesprächen und Texten implizit gelernt.

Siehe auch

Quellen

  1. Reber, A. S. (1967). Implicit learning of artificial grammars. Journal of Verbal Learning and Verbal Behavior, 6, 855-863.
  2. Koch, I. (2002): Konditionieren und implizites Lernen, in: Müsseler, Jochen & Prinz, Wolfgang: Allgemeine Psychologie, Heidelberg, Berlin: Spektrum Akademischer Verlag, 2002. ISBN 3827411289.
  3. Dietrich Dörner: Die Logik des Mißlingens: strategisches Denken in komplexen Situationen. Rowohlt, Reinbek 1989, ISBN 3-499-61578-9.
  4. Berry, D.C. & Broadbent D.E. (1984). On the relationship between task performance and associated verbalisable knowledge. Quarterly Journal of Experimental Psychology, 36A, 209-231.
  5. Shanks, D.R. & St. John, M.F. (1994). Characteristics of dissociable human learning systems. Behavioral and Brain Sciences 17 (3): 367-447.

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