- In principio
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Die lateinische Formulierung in principio bedeutet „am Anfang“ oder „im Anfang“.
Ihre kulturgeschichtliche Bedeutung bekam die kleine Phrase dadurch, dass die verbreitetste lateinische Bibelübersetzung, die Vulgata, damit beginnt. Der Bericht von der Erschaffung der Welt im 1. Buch Mose 1,1 beginnt dort wie folgt:
- In principio creavit Deus caelum et terram.
- »Am Anfang erschuf Gott Himmel und Erde – Ἐν ἀρχῇ ἐποίησεν ὁ ϑεὸς τὸν οὐρανὸν καὶ τὴν γῆν«.
Übrigens lautet auch der hebräische (und damit im Judentum gebräuchliche) Name des ersten Buches der Bibel Bereschit, also eben „am Anfang“, nach dem ersten Wort (sog. Incipit).
Der Verfasser des Johannesevangeliums nimmt diese Tradition auf und beginnt mit eben diesen Worten. Die ziemlich wortgetreue Übersetzung des griechischen Texts von Joh. 1,1 in der lateinischen Vulgata lautet:
- In principio erat verbum et verbum erat apud Deum et Deus erat verbum.
- »Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort – ᾽Εν ἀρχῇ ἦν ὁ λόγος, καὶ ὁ λόγος ἦν πρὸς τὸν ϑεόν, καὶ ϑεὸς ἦν ὁ λόγος«.
Nun wurde in der katholischen Überlieferung des Mittelalters der Verfasser des Johannesevangeliums gleichgesetzt mit dem Lieblingsjünger Jesu, so dass dem vierten Evangelium eine gewisse Vorrangstellung eingeräumt wurde.
Die einfachen Gläubigen jener Zeit waren zwar des Lateinischen in der Regel nicht mächtig, bemerkten aber sehr wohl, dass die Formel in principio an zwei äußerst exponierten Stellen der Heiligen Schrift verwendet wird. Da sich in der katholischen Glaubenspraxis des Mittelalters Volksfrömmigkeit und Aberglaube zuweilen fast ununterscheidbar vermischten, entwickelte sich (ohne irgendeinen Bezug zum im Grunde banalen Bedeutungsinhalt) neben dem Brauch, die ersten Worte des Johannesevangeliums auf kleine Zettel zu schreiben und diese als Talismane bei sich zu tragen, die Floskel in principio zu einer Bekräftigungs-, Beschwörungs- und sogar Zauberformel.
Ein deutliches Bild von dieser Sprachpraxis geben beispielsweise Geoffrey Chaucers (1343?–1400) Canterbury Tales, in denen die Worte an mehreren Stellen in der geschilderten Weise gebraucht werden; dabei ironisiert der Autor diese Praxis durchaus, wenn er sie etwa dem (etwas großsprecherischen) Hahn Chanticleer in der Tierfabel der Erzählung des Nonnenpriesters in den Mund legt:
- For, al so siker as In principio
- Mulier est hominis confusio
- Denn so sicher wie das In principio ist,
- dass die Frau die Seele des Mannes in Verwirrung bringt
wobei wir unterstellen dürfen, dass der eitle Hahn, der seiner Gattin Pertelote eigentlich ein charmantes Kompliment machen will, weder das erste noch das zweite lateinische Zitat begreift.
Den formelhaft-magischen Gebrauch von in principio stellt Goethe im Faust (Vers 1224 ff) infrage. Ausgehend von Logos erwägt Faust die Übersetzungen „Sinn“ und „Kraft“ und entscheidet sich für „Im Anfang war die Tat“.
Das Sprechgedicht „fortschreitende räude“ (1957) des österreichischen Dichters Ernst Jandl (1925–2000) nutzt die umfassende Bekanntheit der ersten Worte des Johannesevangeliums – vor allem im katholischen Teil des deutschen Sprachraums – dagegen in wesentlich provokanterer Weise. Jandl führt den berühmten Satz in dem Sinne fort, dass am Anfang zwar das Wort war, dieses aber nach zu vielen Wiederholungen am Ende in unverständliches Gestammel münde.
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